Popliteratur mit Metaebene
Der Ich-Erzähler Timm
zieht in eine WG zu Rock, in die er sich dann verliebt. Problem dabei: Sie ist
schon mit Marc zusammen. Heraus kommt eine turbulente Dreiecksbeziehung, die
durch interessante Charaktere besticht, die Emotionen auslösen können. Da ist
der Ich-Erzähler, der Schriftsteller werden will, aber nicht sehr ernsthaft
dabei wirkt, wenn es um die Umsetzung seines Plans geht. Und da sind die
mütterliche Rock sowie Marc, der Freund von Rock, und damit Konkurrent.
Beachtlich bei diesem Figurenensemble ist, wie sie einander auf den Gefühlen
herumtrampeln, ohne Rücksicht zu nehmen. Rock wirkt unnahbar und zu Beginn
unsympathisch, sie verletzt andere, indem sie Seitensprünge begeht; Timm ist
ebenfalls rücksichtslos und er verhält sich verantwortungslos, als er sich
schamlos bei Marcs Dissertation bedient, um seinen Roman fertigzustellen. Noch
dazu lügt er oft hemmungslos, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Er macht sich
fortwährend Hoffnung auf eine Beziehung mit Rock, und das auch noch zu einem
Zeitpunkt, als völlig klar ist, dass sie nichts von ihm will. Für Rock ist Timm
eher ein hilfsbedürftiges Kind, um das sie sich kümmern muss. Als Leser
verspürt man durchaus Wut, mal auf die eine oder andere Figur, oder auch
Mitleid. Der einzige, der einen korrekten Eindruck macht, ist Marc, dem man
lediglich vorwerfen könnte, dass er viel zu nett ist und zu wenig Stolz
aufweist. Lobenswert ist auch die Darstellung der Dynamik in der Beziehungskonstellation,
zwischen Marc und Timm kommt es regelmäßig zu Konflikt und Versöhnung, Marc und
Rock führen v.a. zu Beginn des Romans eine regelrechte on/off-Beziehung und
auch zwischen Timm und Rock erleben wir ein ständiges auf und ab sowie hin und
her. Gegen Ende des Romans sind die Fronten dann geklärt und die Dynamik
verliert an Bedeutung, dafür zeigt sich umso mehr Timms Realitätsverlust. Das
ist große erzählerische Darstellungskunst, auch weil die Oberflächlichkeit der
Beziehungsverhältnisse gut herauskommt. Neben der Dreiecksbeziehung treten auch
noch gut konzipierte Elternfiguren auf. Da ist die Mutter von Rock, die ihrer
Tochter nicht verrät, wer ihr Vater ist. Und da sind Timms Eltern, der
liebevolle Vater, der seinen Sohn unterstützt und immer an ihn glaubt sowie die
Mutter, die dann stolz auf Timm ist, als er Erfolg als Schriftsteller hat.
Hinzu kommt noch ein Kindheitstrauma von Timm, das auch seinen Bruder Beni
betrifft, der wie ein Gegenentwurf zu Timm wirkt. Alles in allem also ein durchdachtes
Figurenensemble, gut aufeinander abgestimmt.
Das zweite große Thema des Romans ist die
Schriftstellerei. Hier offenbart der Roman mehr Tiefe, als man zunächst
annimmt. Der gesamte Literaturbetrieb wird genüsslich und mit viel Komik auf
die Schippe genommen und ins Lächerliche gezogen. Es zeigt sich z.B. dass der
Inhalt des Romans von Timm letztlich kaum eine Rolle spielt, es geht in erster
Linie darum, einen Effekt zu erzielen und im Feuilleton angemessen rezipiert zu
werden. Am Beispiel von Timm sehen wir, was das mit einem Autor anstellen kann.
Gleichzeitig wundern wir uns darüber, wie ihm der Erfolg in den Schoß zu fallen
scheint. Hier enthält der Roman viele absurde Ideen und Passagen, über die ich
schmunzeln konnte.
Doch der Roman bietet noch mehr: ein kunstvolles
Arrangement von erzählerischen Stilmitteln. Neben den frechen Dialogen und
kodderigen Schlagabtauschen wird auch die indirekte und wörtliche Rede
inkorrekt verwendet. Doch das aus einem bestimmten Grund: Der Roman wirkt wie
ein erster Entwurf, der noch nicht gelesen wurde, und das wiederum passt zum
Spiel, was mit der Abgrenzung zwischen Erzählerinstanz und Instanz des Autors
getrieben wird. Am Ende des Romans verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit, der
reale Autor tritt plötzlich zurück. Eine tolle Idee, die mir so noch nicht
untergekommen ist. Hinzu kommen aber noch weitere Ideen: Das erste und das
letzte Kapitel bilden einen in sich geschlossenen Rahmen, es entsteht eine Art
Endlosschleife und mit dem Wissen aus dem letzten Kapitel, kann man den Roman
ein zweites Mal mit anderen Augen lesen. Nicht zuletzt überzeugt die Idee der
Countdown-Kapitel, die rückwärts gezählt werden. Und es gelingt dem Autor (wer
immer es auch ist) die Handlung zum Ende auf einen Höhepunkt hin zu steigern.
Eine geniale Idee gut umgesetzt.
Fazit:
Der Roman hat
mich vollends begeistert, weil er so viel mehr ist als nur ein schnodderig
geschriebener weiterer Popliteratur-Roman.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen