Schrulliges Dorfleben in der Todeszone
Im
Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky kehrt die ehemalige
Krankenschwester Evdokija Anatoljewna, im Buch stets Baba Dunja genannt, in das
Dorf Tschernowo zurück, das unweit von Tschernobyl in der sog. Todeszone liegt,
um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Zusammen mit anderen Gleichgesinnten
baut sich die über 80-jährige dort ein neues Leben auf, ohne viel Komfort, aber
immerhin in ihrer alten Heimat, die sie vermisst hat. Wir lernen den
sterbenskranken, lesebegeisterten Petrov dabei ebenso kennen wie die
gebildeten, etwas egoistischen Eheleute Gavrilov und Baba Dunjas
schwergewichtige, leicht depressive Nachbarin Marja, die einen gut gefüllten
Medizinschrank besitzt, sowie den fast 100-jährigen Sidorov, mit seinem
mysteriösen Telefon, der auf der Suche nach einer heiratswilligen Frau ist. Das
Dorfleben verläuft weitestgehend ruhig und unspektakulär. Baba Dunja ist
Selbstversorgerin, sie fährt ab und zu in die nächstgelegene Stadt Malyschi, um
Briefe und Pakete ihrer Tochter Irina und Enkelin Laura aus Deutschland in
Empfang zu nehmen. Beide vermisst sie sehr, schließlich scheuen sich junge, gesunde
Leute davor, sich länger in der Todeszone aufzuhalten. Mit Besuch ist also
nicht zu rechnen. Doch Baba Dunja blickt auf ein erfülltes Leben zurück, sie
ist mit sich im Reinen, sie erwartet nichts mehr vom Leben. Das Dorfleben
gestaltet sich etwas sonderbar und schrullig. Die Alten leben zwar miteinander
und wissen auch alles voneinander, doch man lässt sich in Ruhe. Jeder Bewohner
wird liebevoll und mit einem Augenzwinkern in seinen Eigenheiten präsentiert.
Baba Dunjas Wahrnehmung zeichnet sich z.B. dadurch aus, dass sie toten Tieren
und Menschen, z.B. ihrem Ehemann Jegor, immer mal wieder begegnet. Aufregung
macht sich erst im Dorf breit, als eines Tages ein unbekannter Mann mit seiner
jungen Tochter dort auftaucht, um dort zu leben. Baba Dunja hält dies für
unverantwortlich und will die beiden dazu drängen, das Dorf wieder zu
verlassen. Diese Entscheidung sorgt für einen tragischen Vorfall im Dorf, der
das weitere Leben der Bewohner verändert.
Die
Charaktere sind rührselig gestaltet, die Beziehung der Figuren zueinander wird
humorvoll und warmherzig gezeichnet. Was mir ebenfalls gefällt, ist der
Umstand, dass die Autorin sich auf reale Vorfällt bezieht, denn solche
Rückkehrer, sog. „Samosely“ (Selbstsiedler), wie Baba Dunja, gab und gibt es
tatsächlich, es werden nur immer weniger.
Besonders
hervorzuheben ist der sprachliche Stil der Erzählung, der typische
Bronsky-Stil, der auch hier wieder deutlich wird. Trotz der Ernsthaftigkeit des
Themas erzählt die Autorin leichtfüßig, scherzend, geradlinig, mit klaren,
pointierten Sätzen, mit amüsanten Vergleichen und mit einem komischen Blick für
ausgefallene Details. Diesen Erzählstil mag ich sehr und aus diesem Grund,
wegen dieses unverkennbaren Stils, schätze ich die Autorin sehr.
Fazit:
Eine schrullige Dorfgemeinschaft, eigensinnig und rührselig konzipiert, in typischem Bronsky-Erzählstil, absolut lesenswert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen