Weder in der Heimat noch in der Fremde zu Hause
Von
Abbas Khider kenne ich den Roman „Der Erinnerungsfälscher“, der mir sehr gut
gefallen hat. Und der Roman „Ohrfeige“ kann durchaus mit diesem Werk mithalten
und als eine Art Ergänzung dazu gelesen werden, allerdings ist der Erzählton
etwas drastischer und deutlich schonungsloser, darauf muss man im Vorfeld gefasst
sein. Und anders als in dem Roman „Der Erinnerungsfälscher“ geht es weniger um die
Erinnerungen eines irakischen Flüchtlings an sein Heimatland, sondern mehr um
die Beschreibung der schweren Anfangszeit in der neuen Heimat. Die Handlung
spielt um die Jahrtausendwende herum.
Karim
Mensy ist die Hauptfigur in diesem Roman und durch ihn erhalten wir als Leser
einen Einblick in die „Parallelgesellschaft“. Er informiert uns darüber, wie
man einen Schlepper oder Schwarzarbeit findet, wie die Heiratsvermittlung in
der Fremde abläuft oder wie man Geld in ein instabiles Land wie dem Irak
transferiert. Er beschreibt eindringlich, was für Polizeischikanen er erlebt
hat und welchen immer gleichen Vorurteilen er als irakischer Flüchtling in
Gesprächen mit Einheimischen begegnet ist. Mit schonungsloser Offenheit
berichtet uns Karim, dass er immer wieder auf Leute trifft, die aus der Not
eines Flüchtlings Profit schlagen. Und wir leiden mit ihm mit, als er durch den
Widerruf seines Asylantrags einen Schock erlebt. Er fühlt sich ohnmächtig, als
ihm die Aufenthaltserlaubnis entzogen wird, er weiß nicht was er tun soll und
als Leser empfindet man Mitgefühl. Mit sehr viel Ehrlichkeit beschreibt Karim
darüber hinaus im Rückblick, wie er in Deutschland ankommt, verhaftet wird,
eine erniedrigende Behandlung über sich ergehen lassen muss und wie sich sein
Leben im Asylheim gestaltet, wo er keiner sinnvollen Beschäftigung nachgehen
kann, wo er von Mitbewohnern eine Anleitung dafür erhält, wie man richtig Asyl
beantragt, und wo er mit Kriminalität, Prostitution sowie mit anderen
menschlichen Abgründen in Berührung kommt. Wir erfahren auch, warum Karim sein
Heimatland verlassen hat und verstehen auf diese Weise, wie intolerant die Gesellschaft
war, in der Karim zuvor lebte. Der Autor macht am Beispiel von Karim gut
nachvollziehbar deutlich, welcher psychische Druck auf Flüchtlingen lastet,
weil sie sich bürokratisch schwer verständlichen Verfahren zur Asylbeantragung
ausgeliefert fühlen. Folge davon ist ein konfliktreicher Alltag im Asylheim. Der
Umgangston in dieser Umgebung ist barsch und direkt. Erschwerend kommt hinzu,
dass Karim außer zu einigen wenigen Mitarbeitern der Caritas keinen Kontakt zu
Einheimischen pflegen kann, was das Erlernen der fremden Sprache enorm erschwert.
Dennoch kämpft er sich durch, lässt sich trotz aller widrigen Umstände nicht
unterkriegen. Er nimmt einen Integrationsjob als Müllsortierer an, schlägt sich
mit Gelegenheitsjobs durch und wohnt, weil er keine eigene Mietwohnung findet, in
einem Obdachlosenheim, als er vorübergehend Asyl und eine Aufenthaltsgenehmigung
erhält. Auch die Auswirkungen der Ereignisse des 11. September 2001 auf sein
persönliches Leben schildert Karim. Plötzlich wird er argwöhnisch beäugt und
fühlt sich unter Generalverdacht, sogar ein Verhör muss er über sich ergehen
lassen. Dabei wird auch einmal eine andere Sichtweise auf den Irakkrieg
deutlich, und zwar die Sicht von jemandem, der Familie in Bagdad hat. Mit
Betroffenheit liest man Passagen, in denen Karim von einem Freund berichtet,
der aufgrund der politischen Ereignisse durchdreht, Wahnvorstellungen
entwickelt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Stellenweise erzählt Karim
auch von skurrilen Figuren und Begebenheiten, dann wird der Erzählton auch
einmal ironisch und bissig-humorvoll, sonst empfand ich ihn meist als sehr
eindringlich.
Die
Gefühle Wut und Verzweiflung sind bei Karim allgegenwärtig, was auch die
Rahmenhandlung erklärt. So gibt sich Karim der Gewaltfantasie hin, sich an
einer Sachbearbeiterin zu rächen, die ihm stets ohne Verständnis begegnet ist.
Das fand ich ehrlich gesagt schon grenzwertig in der Darstellung, es verleiht
den Emotionen von Karim aber auch eine gewisse Drastik. Auch hätte ich mir
etwas mehr Differenziertheit bei der Darstellung der Aufnahmegesellschaft
gewünscht, v.a. was die deutsche Polizei betrifft. Was ich aber an diesem Werk
schätze ist die schonungslose Offenheit und Ehrlichkeit, es wird nichts schön
geredet. Wohl kaum jemand traut sich so offen über den Alltag in einem Asylheim
zu sprechen wie Karim. Und wie schon bei dem Roman „Der Erinnerungsfälscher“,
wo die Hauptfigur Said im Mittelpunkt stand, kann das Schicksal von Karim ebenfalls
exemplarisch für das anderer Flüchtling in Deutschland stehen. Das macht auch
diesen Roman für mich so interessant. Man erhält einen Einblick in die
Lebenswelt und in die Erfahrungen eines Flüchtlings aus dem Irak, und das aus
der Feder eines Autors, der ebenfalls eine Fluchtgeschichte erlebt hat. Einige
biographische Überschneidungen zwischen der fiktiven Figur Karim und Abbas
Khider gibt es nämlich (wie schon bei „Der Erinnerungsfälscher“). Und hier
stellt sich schon die Frage, wie autobiographisch geprägt auch das Buch
„Ohrfeige“ eigentlich ist. Das kann nur der Autor beantworten. Auf jeden Fall
leistet der Roman einen Beitrag dazu, Empathie gegenüber Flüchtlingen
entwickeln und beibehalten zu können.
Fazit:
Ich wiederhole das, was ich schon bei „Der Erinnerungsfälscher“ geschrieben habe. Ein Roman, der dem Leser/ der Leserin einen interessanten Einblick in die Biographie und in die Gefühls- sowie Erlebniswelt eines irakischen Flüchtlings gibt, der zum Nachdenken anregen kann und der einen Beitrag dazu leistet, Empathie gegenüber Flüchtlingen zu entwickeln bzw. beizubehalten. Vom Erzählton deutlich drastischer als „Der Erinnerungsfälscher“.
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