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Dienstag, 16. September 2025

Caroline Wahl - Die Assistentin




Wenn Arbeit krank macht…




Um die Stelle einer Verlagsassistentin in einem renommierten Münchener Verlagshaus zu ergattern (die auffällige Parallele zur Biographie der Autorin ist sicherlich kein Zufall), durchläuft Charlotte zu Beginn des Romans einen regelrechten Gesprächsmarathon. In den vielen Runden des Castings muss sie sich immer wieder neu beweisen. So erleben wir u.a. mit, wie sie sich gedanklich auf das erste Kennlerngespräch mit dem Verleger Ugo Maise vorbereitet – eine exzentrische Persönlichkeit, die uns zunächst als recht eigen beschrieben wird. Als Vorbereitung auf das Gespräch recherchiert Charlotte im Vorfeld einige Kuriositäten über ihn. Und das erste Aufeinandertreffen mit diesem vermeintlich charismatischen Chef über Zoom verläuft erstaunlich oberflächlich und ist reduziert auf den Austausch von Small-Talk. Die Aufgaben und Inhalte der Stelle spielen im Gespräch keine Rolle. Zwischendurch überkommen Charlotte immer auch mal wieder Selbstzweifel, ob sie nicht doch lieber Musikerin werden sollte. Sie entscheidet sich dann aber gegen ihr Bauchgefühl und für die Stelle beim Verlag.


Im weiteren Handlungsverlauf entpuppt sich der Verleger als anstrengende Person mit vielen schrulligen Sonderwünschen, die herrlich ins Lächerliche gezogen werden (eines seiner bevorzugten Gerichte: Nudelsuppe ohne Nudeln?!). Als Leser bekomme ich das Gefühl, dass es Ugo Maise nur darum geht, seinem Umfeld das Leben möglichst schwer zu gestalten. Seine Stimmungsschwankungen sind bei den Mitarbeitern berüchtigt und gefürchtet. Später erscheint er uns äußerst besitzergreifend und kindisch. Er überschreitet eindeutig Grenzen (gegenüber Charlotte kommt es z.B. zu sexistischen Äußerungen). Fehler seiner Mitarbeiter bestraft er mit Ignoranz und Distanz. Kurzum: Ein schwer zu ertragender Charakter.


Charlotte erscheint uns im neuen Arbeitsumfeld eher als Einzelgängerin, die mit Cliquen nicht richtig zurechtkommt. Kollegentreffen meidet sie. Sie hat keine richtigen Freunde und auch nicht das Gefühl, dass sie welche braucht. Die Gruppendynamiken am Arbeitsplatz sind ihr zuwider. Amüsant liest sich auch das Zusammenspiel Charlottes mit ihrer chaotischen Kollegin Ivana, die ihr das Leben noch zusätzlich unnötig schwer macht. Anders als Ivana macht Charlotte einen sehr strukturierten Eindruck und behält immer die Übersicht, auch wenn sich der Chef äußerst sprunghaft verhält. Später nimmt die Arbeit Charlotte immer mehr in Anspruch. Arbeit und Privates vermengen sich. Auf das Lob ihres Chefs legt sie viel Wert. Sie wünscht sich eine Gehaltserhöhung und mehr Verantwortung. Dafür ist sie sogar bereit, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen…


In einer früh eingeflochtenen Vorausdeutung erfahren wir dann, dass Charlotte bald gekündigt werden wird. Dies lässt natürlich gleich die Frage aufkommen, warum und wie es dazu kommt und was Charlotte dann tut. Doch es stellt sich schnell heraus, dass die Erzählerinstanz in regelmäßigen Abständen immer mal wieder solche kommentierenden Vorausdeutungen einstreut, um die Leserschaft in eine bestimmte Richtung zu lenken und Ergebnisse von (möglichen) Handlungsentwicklungen vorwegzunehmen (vgl. S. 110 ff). Diese (teils textuelle) Metaebene mag den ein oder anderen irritieren, ich fand sie interessant oder stellenweise amüsant. Was ich aber problematisch finde, ist der Umstand, dass durch die Kommentare auf Metaebene eine Distanz zum Geschehen entsteht. Die emotionale Beteiligung an Charlottes Schicksal nimmt dadurch spürbar ab, so mein Eindruck. Deswegen habe ich auch begrüßt, dass die Kommentare nur über einen begrenzten Zeitraum vermehrt zu finden sind und gegen Ende nicht mehr so präsent sind.


Womit ich mich schwer tue, ist das Verhalten des Verlegers als spezifisch männliches Verhalten zu deuten (mit Ausnahme des sexistischen Verhaltens, das bei einer Frau vermutlich in dieser Form nicht anzutreffen ist). Ich lese grundsätzlich aber eher eine Kritik an Menschen in Machtpositionen heraus, die ihre Machtfülle für sich ausnutzen und glauben, ihre Mitarbeiter terrorisieren zu können. Nicht umsonst wird mehrfach auch die Anspielung auf „Der Teufel trägt Prada“ in die Handlung integriert. Dort ist es ja eine Frau, die sich exzentrisch aufführt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es auch Frauen in Machtpositionen gibt, die sich ähnlich aufführen wie Ugo Maise (gegenüber Männern und gegenüber Frauen). Oder ist das völlig abwegig? Aber natürlich gebe ich zu, dass Männer häufiger Machtpositionen bekleiden, so dass v.a. das männliche Geschlecht durch solche Chefs, wie sie im Buch beschrieben werden, in einem schlechten Licht erscheint. Und noch etwas: Kann man aus diesem Einzelschicksal von Charlotte eine verallgemeinernde Kritik an der Verlagsbranche herauslesen (vgl. dazu S. 111)? In meinen Augen, nein. Das führt zu weit. Woher soll man wissen, ob und inwieweit das Beispiel von Ugo Maise repräsentativ ist? Und wenn das Buch eine Kritik an patriarchalen Strukturen sein soll, so frage ich mich auch, um welche Strukturen es genau geht. Geht es darum, dass Maise so schalten und walten kann, wie er es tut, ohne dass er von einer weiteren Instanz kontrolliert wird? Oder geht es darum, dass Maise ausschließlich Frauen als Assistentinnen einstellt und sich ihnen gegenüber so verhält, wie er es tut? Sind das die patriarchalen Strukturen, um die es geht?


Ein Thema, das in meinen Augen ebenfalls in diesem Roman verarbeitet wird, ist „Überlastung am Arbeitsplatz“. Darin liegt für mich eine weitere Stärke des Romans, darüber müsste man ebenfalls diskutieren: Was passiert, wenn man bis zur Selbstaufgabe arbeitet und durch die hohe Arbeitsbelastung krank wird? Inwieweit trägt der Chef eine Mitverantwortung für das Schicksal von Charlotte? Oder hätte sie früher die Reißleine ziehen sollen? Leider spielt die Tragödie von Charlotte erst am Ende des Romans eine Rolle. Der Schilderung ihres gesundheitlichen Kollapses sowie der Erholung wird nur wenig Raum zugestanden. Schade! Und sie hat Glück, dass sie durch einen Arbeits- und Ortswechsel wieder auf die Beine kommt…


Zur Sprachgestaltung: Worüber ich häufiger gestolpert bin, sind Satzwiederholungen, die immer mal wieder eingestreut werden. Punktuell sind diese auch in ihren Vorgängerwerken mal zum Einsatz gekommen, aber so oft wie dieses Mal dann auch wieder nicht. Hier habe ich mich gefragt, was die Funktion dieser Wiederholungen ist. Auf mich wirken sie ungelenk (sorry…). Ich wusste leider nicht richtig etwas damit anzufangen. Vielleicht komme ich zu einem späteren Zeitpunkt noch hinter das Rätsel dieser sprachlichen Auffälligkeit…


Biographisches: Darüber hinaus habe ich mich gefragt, wie viel von Caroline Wahl in diesem Buch steckt. Die biographische Parallele habe ich eingangs erwähnt. Ich finde es aber müßig, darüber zu spekulieren. Letztlich weiß nur die Autorin selbst, ob sie an der ein oder anderen Stelle selbst Erlebtes darin verarbeitet oder vielleicht auch übertreibt. Ob sie jemals darüber Auskunft geben wird, wage ich zu bezweifeln.


Abschließend noch etwas mehr Kritik: Das Buch hat zwischendurch auch Längen. Nicht alles liest sich flüssig. Ich bin nicht durchgängig an den Zeilen haften geblieben. Die in der Vorausdeutung angekündigte Dramaturgie (vgl. S. 110) setzt erst spät ein (zu spät!). Einige Vorausdeutungen raubten mir etwas die Neugier, da dem Fortgang der Handlung vorgegriffen wurde. Einiges habe ich ziemlich unbeteiligt gelesen. Die sich wiederholenden Beschreibungen des absolut unangemessenen Verhaltens von Ugo Maise drehen sich stellenweise etwas im Kreis. Sonst habe ich aber nichts auszusetzen. Ich komme auf 4 Sterne.

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