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Montag, 29. August 2022

Meltzer, Brad - Ich bin Albert Einstein


1 von 5 Sternen


Zu abstrakt und mit vielen Stereotypen

Mit der Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ aus dem Egmont-Verlag tue ich mich erneut schwer. Auch der zweite Band „Ich bin Albert Einstein“, verfasst von Brad Meltzer, illustriert von Christopher Eliopoulos, konnte mich nicht überzeugen. Schon mit dem ersten Band „Ich bin Anne Frank“ hatte ich meine Schwierigkeiten (vgl. eine frühere Rezension). Vor allem die Altersangabe des Verlags (für Kinder ab 7 Jahren) halte ich für unangemessen. Denn die Macher dieses Buchs beachten erneut einen zentralen Aspekt nicht, der mich schon beim ersten Band massiv gestört hat. Ich zitiere mich selbst: „Didaktische Reduktion muss das Kriterium von Angemessenheit erfüllen. D.h. es muss das Vorwissen der Zuhörer:innen  berücksichtigt werden.“ Und in meinen Augen wird dieser Aspekt auch in Band zwei erneut nicht beachtet. Viele Inhalte halte ich für zu abstrakt, die Kinder werden sie also nicht angemessen verstehen. Das habe ich schon beim ersten Band kritisiert. Hier einige Auszüge aus dem Text, die das beispielhaft verdeutlichen: „fasziniert von der Funktionsweise des Kompasses“, „Alles gehorchte unbekannten Gesetzen“, „warum verhielt sich das Universum so, wie es sich verhielt“, „Auch in Musik entdeckte ich feste Strukturen“, „Genau wie der Kompass war es nun das Geometriebuch, das meinem Leben eine bestimmte Richtung verlieh“ etc. Und ich könnte weitere Beispiele anführen.

Was mich noch stört. Das Bild, das von Albert Einstein vermittelt wird, ist schon sehr schematisch und stereotyp. Immer wieder wird verdeutlicht, wie sehr er doch von seiner Umwelt als Träumer abgestempelt wurde und Häme ertragen musste. Für mich wird der erzählte Inhalt hier zu sehr dem Klappentext untergeordnet und simplifiziert, getreu dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Man greift selektiv einzelne Episoden aus dem Leben heraus und ordnet sie der Botschaft unter, die mit diesem Buch vermittelt werden soll.

Nicht zuletzt gefällt mir auch die Bebilderung nicht. Warum wird Albert Einstein schon als Kind mit Bart und wilder Frisur dargestellt? Was soll das? Mir hat sich die Funktion dieser Darstellung nicht erschlossen und es verleiht dem Inhalt noch dazu etwas Komödiantisches. Und es zeugt erneut davon, in was für einer stereotypen Form hier von Albert Einstein berichtet wird. Insgesamt finde ich die Zeichnungen zu unrealistisch und künstlich überzeichnet. Das hat mich im ersten Band noch gar nicht so gestört. Aber beim zweiten Band empfand ich die Illustrationen als zu synthetisch.

Ich werde den nächsten Bänden dieser Reihe keine Chance mehr geben. Zwar interessieren sich Kinder durchaus für historische Persönlichkeiten, aber die inhaltliche und gestalterische Aufmachung der Bücher sagt mir und meinen Kindern einfach nicht zu. Hier wird Potential nicht genutzt.

 

Fazit

Ein Kinderbuch mit vielen zu abstrakten Inhalten. Nach meiner Erfahrung überfordert es die jungen Zuhörer:innen und Leser:innen und ist nicht altersangemessen. Noch dazu werden Stereotype reproduziert. Ich rate von der Lektüre ab und vergebe 1 Stern.


Freitag, 26. August 2022

Schneider, Stefanie - Grimm und Möhrchen. Frühling, Sommer, Herbst und Zesel


5 von 5 Sternen


Wohlfühlbuch

Das Kinderbuch „Grimm und Möhrchen. Frühling, Sommer, Herbst und Zesel“, verfasst von Stephanie Schneider und sehr schön illustriert von Stefanie Scharnberg, hat sich als sehr überzeugende Gute-Nacht-Geschichte zum Vorlesen für meine beiden Töchter (5 und 7 Jahre) herausgestellt. Beide mochten die Geschichte und die Protagonisten in dem Buch sehr, vor allem den kleinen Zesel, eine Mischung aus Zebra und Esel. Und was auch sehr gelungen ist: Man kann direkt mit diesem zweiten Band starten, es werden keinerlei Vorkenntnisse aus dem ersten Band benötigt. Der Einstieg in die Geschichte gelingt ohne Probleme.

Das Buch ist sehr strukturiert und mit einem klar erkennbaren roten Faden aufgebaut. Kapitel für Kapitel bewegen wir uns vorwärts im Kalenderjahr, von Januar bis Dezember. Und immer wieder werden Alltagssituationen im Leben des Buchhändlers Grimm mit seinem kleinen Zesel beschrieben, die jedes Kind kennen dürfte: z.B. das Verkleiden an Karneval, das Planschen im Planschbecken im Sommer, das Schwimmen im Badesee, das Feiern von Weihnachten usw. Es ist eine völlig heile Welt, die im Kinderbuch vermittelt wird. Beim Lesen kann man sogar die eine oder andere Anregung zur Freizeitgestaltung mitnehmen. Und es ist sympathisch, wie fürsorglich und umsichtig sich Grimm um seinen Zesel kümmert und ihm die Welt erklärt. Kindgerechter Humor ist ebenfalls an vielen Stellen zu finden. Das ist einfach ein Wohlfühlbuch. Der Umgang miteinander ist freundlich und tolerant, das Leben verläuft sorgenfrei und glücklich, Spaß wird großgeschrieben. Es wird nichts problematisiert, so dass der Nachwuchs einfach einmal entspannt den Geschichten lauschen kann. Und solche Bücher sind auch wichtig für den Lesealltag von Kindern. Wer Diskussionsanreize für seine Kinder sucht oder Bücher mit der Darstellung eines realistischen Alltagslebens bevorzugt, der sollte auf andere Bücher zurückgreifen (z.B. „So sind Familien“ Judith Allert und Marie Braner aus dem Carlsen-Verlag).

Abschließend möchte ich noch auf eine Auffälligkeit bei der Sprachgestaltung hinweisen. Die Autorin baut viele kreative Wortneuschöpfungen in die Geschichte ein, häufig in Form von langen Komposita. Sehr gelungen und amüsant („Scheibenwischerwasserwegwischer“, „Wäschewolkenkissen“, „Blaubeerblaulicht“, „Fellverschnupfung“, „Zylinderkopfgedichte“ etc.).

Und zwischendurch stößt man immer mal wieder auf kreative Highlights, bei der die Autorin tolle Ideen generiert hat, so z.B. der Hinweis auf das schwarze und weiße Lesebändchen oder der lustige Wunschzettel an den Weihnachtsmann.

 

Fazit

Ein Wohlfühl-Kinderbuch mit liebreizenden Charakteren, kindgerechtem Humor und vielen kreativen Ideen. Auch die Bebilderung ist sehr gelungen und lädt zur Betrachtung ein. Toll geeignet zum Vorlesen in den Abendstunden. Vorwissen aus Band 1 wird nicht benötigt. Ich vergebe 5 Sterne und spreche ein klare Empfehlung aus!

Getz, Kristine - Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu


2 von 5 Sternen


Der Funke wollte beim Lesen nicht überspringen...

Mit dem Thriller „Poppy“ von Kristine Getz erhält man einen Einblick in eine ungewöhnliche und irritierende Parallelwelt: In die Welt einer Influencerin. Die Osloer Bloggerin Lotte Wiig postet stets aktuelle Neuigkeiten aus ihrem Privatleben. Dabei steht vor allem ihre zweijährige Tochter Poppy im Fokus, der zahlreiche Follower jeden Tag folgen. Bis Poppy eines Tages verschwindet und Menschen in ganz Norwegen daran Anteil nehmen.

Das Setting dieses Thrillers ist also durchaus aktuell und zudem gesellschaftspolitisch relevant. Man wird an vielen Stellen zum Nachdenken über die negativen Seiten der sozialen Medien angeregt. Insbesondere die fiktiven Chatverläufe in einem Pädophilen-Forum im Darknet waren beim Lesen verstörend. Und auch die Kommentare der Follower von Lotte Wiig zu dem Vorfall mit ihrer Tochter zeugen davon, dass man als Influencerin nicht vor den Urteilen wildfremder Menschen geschützt ist. Den Entführungsfall in diesen Kontext einzubetten, empfand ich als Stärke des Thrillers. Und auch die Ermittlerin Emer Murphy hat Potential. Die Darstellung ihrer psychischen Erkrankung fand ich reizvoll und interessant. Sie ist ein Charakter, der dem Bild einer positiven Heldin widerspricht. Sie hat mit eigenen seelischen Abgründen und ihrer Krankheit zu kämpfen, während sie ermittelt. Das hat mir sehr gut gefallen, auch wenn die Umsetzung dieser Idee ausgereifter, realistischer und differenzierter hätte sein können.
Allerdings gibt es auch einiges zu bemängeln. In erster Linie hat mir die Erzählweise nicht zugesagt. Ich empfand sie zu sprunghaft und verworren bei der Lektüre. Auch die Ermittlungsarbeit finde ich sehr weitschweifig und ohne viel „Zugkraft“ angelegt. Das Entführungsopfer steht mir zu wenig im Mittelpunkt der Ereignisse. Stattdessen ist die Beschreibung der Familie um Poppy viel zu ausführlich. Die Handlung verliert sich in vielen Details und Nebensächlichkeiten. Die Anzahl der Figuren fand ich fordernd, der Personenkreis hätte nach meinem Empfinden stärker auf einige zentrale Charaktere beschränkt werden sollen. Ich habe bei den vielen Namen hin und wieder den Überblick verloren. Alle diese Faktoren wirken sich negativ auf die Spannung aus. Diese ist kaum vorhanden. Auch das Potential der psychischen Erkrankung der Ermittlerin wird erzählerisch zu wenig genutzt. Da wäre mehr drin gewesen! Nicht zuletzt hat sich die Story in eine Richtung entwickelt, die ich so nicht vorhergesehen habe, und die mir nicht zugesagt hat, aber das kann natürlich bei anderen Leser:innen ganz anders sein. Auch empfand ich einiges als zu konstruiert, z.B. das Verhalten des Vaters Jens.

Fazit

Das Setting des Thrillers ist vielversprechend, die Kritik an den sozialen Medien kommt gut zum Ausdruck. Auch die Gestaltung der Ermittlerin hat Potential, auch wenn es in meinen Augen nicht ausgeschöpft wird. Leider ist der Funke beim Lesen aber nicht auf mich übergesprungen, ich fand die Erzählweise zu sprunghaft und zu verworren. Der Fokus lag mir zu wenig auf dem entführten Kind. Eine Sogwirkung wollte leider gar nicht aufkommen. Von mir keine Leseempfehlung und zwei Sterne.

Donnerstag, 25. August 2022

Seeley, Tim und Freddie E. Williams II - He-Man und die Masters of the Universe vs. Injustice


4 von 5 Sternen


He-Man-Comics früher und heute: ein Vergleich

Ein guter Freund riet mir dazu, meinen Horizont im Comic-Bereich mal ein wenig zu erweitern und schenkte mir das DC-Comic „He-Man und die Masters of the universe vs. Injustice“ von Tim Seeley und Freddie E. Williams II in der Übersetzung von Jörg Fassbender. Viele Grüße an dieser Stelle! Ich muss dazu sagen, ich bin kein Comic-Kenner und kein Comic-Leser. Das einzige, was ich an Vorwissen dazu mitbringe, sind meine Erinnerungen an die ehapa-Comics „Masters of the Universe“, die Ende der 80er Jahre monatlich erschienen sind, die ich also als Kind verschlungen habe. Den ersten Comic-Band „Das Buch des Bösen“ – ebenfalls ein Geschenk – kürzlich herausgegeben von der Retrofabrik, habe ich übrigens ebenfalls rezensiert (vgl. dazu eine frühere Rezension).

Nun aber zum Comic, das ich natürlich in erster Linie nur mit den Comics von Juan Escandell und Esteban Maroto vergleichen kann. Was mir gleich auffällt: Das Comic ist in meinen Augen wesentlich unstrukturierter in seiner Bebilderung angeordnet als die alten Comics. Und auch die Leserichtung bei den Bildern ist nicht immer sofort eindeutig. Dieser Stil erzeugt nach meinem Empfinden eine gewisse Dynamik und Unruhe, was ja auch zum Inhalt passt, wo viel gekämpft wird. Ähnlich wie die Helden in der Schlacht verliert man auch beim Lesen manchmal etwas den Überblick.

Und was mir auch aufgefallen ist: Die Gesichtsausdrücke der gezeichneten Figuren sind nicht so plastisch wie in den alten Comics, sie sind viel ausdrucksstärker und intensiver. Die Emotionen der Charaktere kommen so viel eindringlicher und deutlicher zum Ausdruck.

Grundsätzlich fand ich die Farbgebung auch sehr kräftig und sättigend, noch dazu düster, was dem ganzen Inhalt eine passende Atmosphäre verleiht. Eindrucksvoll gezeichnet und schön zu betrachten, fand ich die großen, seitenfüllenden Illustrationen, die auch punktuell mal vorkommen.

Natürlich wird mein Urteil dieses Comics dadurch etwas beeinflusst, dass He-Man als Superheld Kindheitserinnerungen bei mir auslöst. Das Gefühl von Nostalgie macht sich breit. Dennoch muss ich den Inhalt des Comics kritisieren, was aber daran liegt, dass ich wenig Vorwissen mitbringe. So heißt es im Vorwort: „Der vorliegende Comic mixt die beiden populären Multimedia-Universen von Injustice: Gods Among Us und He-Man and the Masters of the Universe und ihre ikonischen Figuren zu einer atemberaubenden Geschichte, der das große Kunststück gelingt, für jeden zugänglich zu sein.“ Und dem letzten Satz muss ich eindeutig widersprechen. Inhaltlich konnte ich der Geschichte nicht immer folgen. Spätestens ab dem Kapitel 5 „Skeletors Vergeltung“ bin ich gedanklich ausgestiegen. Das mag Leser:innen mit mehr Hintergrundwissen anders ergehen.

 

Fazit

Das Lesen des Comics hat mir Spaß bereitet, Nostalgie kam auf. Deshalb vergebe ich 4 Sterne. Und ich konnte meinen Horizont im Comic-Bereich erweitern, weil ich bisher nur die klassischen ehapa-Comics „Masters of the Universe“ aus den 80er und 90er Jahren kannte. Es gibt nach meinem Eindruck einige auffällige Unterschiede zu dem klassischen Format von früher. Allerdings habe ich bei der Lektüre festgestellt, dass mein Vorwissen nicht ausreicht, um den Inhalt zu erfassen und angemessen zu beurteilen. Das überlasse ich also anderen Rezensent:innen.

Samstag, 20. August 2022

Strobel, Arno - Fake


5 von 5 Sternen


Temporeich, pointiert, packend

Haben Sie schon ein Buch von Arno Strobel gelesen? Nein? Dann sollten Sie das schnell nachholen. Am besten fangen Sie mit „Fake“ an. Schon lange konnte mich ein Buch nicht mehr so fesseln, schon lange bin ich nicht mehr so schnell durch ein Buch gerast wie durch dieses. Doch wie schafft der Autor es, eine so ungeheure Spannung zu erzeugen?

Nach meinem Dafürhalten liegt es an einem sehr pointierten Stil. Strobel hält sich nicht lange mit Einzelheiten und Nebensächlichkeiten auf, er hastet von einem Ereignis zum nächsten. Es passiert ständig etwas, die Handlung ist äußerst temporeich, dem Leser/ der Leserin wird bei der Lektüre keine Pause gegönnt, ständig geht es weiter, Schlag auf Schlag, von einem Gespräch ins nächste. Das Leben von Patrick wird völlig auf den Kopf gestellt. Ständig neue Erkenntnisse bei den Ermittlungen. Ständig neue Vorkommnisse. Ständig neuer Input. Das ist genial gemacht! Ich würde diesen Stil wie folgt beschreiben: Schnell getaktete Ereignishaftigkeit.

Da kann man auch verschmerzen, dass Strobel sich nicht lange mit ausführlichen Charakterisierungen der Figuren aufhält. Die braucht es aber auch gar nicht. Der Thriller lebt von der erzeugten Spannung, von Handlungsreichtum und der genannten Ereignishaftigkeit. Das reicht völlig!

Und der Autor löst sich auch von den klassischen abwechselnden Perspektivwechseln, wie man sie aus anderen Thrillern kennt. Die Handlung wird geradlinig erzählt, ohne längere Einschübe und ohne dass man sich als Leser fragen muss, wie unterschiedliche Blickwinkel womöglich zusammenhängen. Doch trotzdem wird auf eine geniale Idee zurückgegriffen: Der Beschuldigte selbst schreibt seinen eigenen Psychothriller, und zwar während er in Untersuchungshaft sitzt und seinen Aufenthalt dort reflektiert. Und warum ist das genial? Weil man als Leser:in dadurch nicht weiß, ob der Erzähler, Patrick, tatsächlich die Wahrheit berichtet oder ob er nur Schutzbehauptungen aufstellt. Gleichzeitig ist diese Idee raffiniert, weil durch kluge Vorausdeutungen des Beschuldigten die Spannung weiter angeheizt und die Neugier des Lesers/ der Leserin weiter befeuert wird. Dennoch habe ich mir eine Frage gestellt: Warum berichtet Patrick eigentlich nicht in der Ich-Perspektive, wenn er über sich selbst schreibt? Das hätte für mich irgendwie besser gepasst.

Was beim Lesen bei mir ebenfalls Emotionen ausgelöst hat, war der Umstand, dass man sich über Patricks naives Verhalten oft wundert. Er ist unvorsichtig, zieht wenig in Zweifel. Er lässt sich an der Nase herumführen und tappt in die Fallen, die ihm gestellt werden. Oder ist er etwa derjenige, der die anderen an der Nase herumführt? Was ist real, was ist fiktiv? Einfach toll gemacht, dieses Spiel mit der Wirklichkeit. Hier erzielt das Mittel des unzuverlässigen Erzählers, das ich sehr mag, eine wunderbare Wirkung. Auch die Frage, wie lange seine Frau noch zu ihm hält, trieb mich beim Lesen um. Ebenfalls gelungen!

In der Mitte des Romans gibt es eine interessante Wendung in Form eines Telefonanrufs, das hat die Spannungskurve in meinen Augen noch einmal forciert. Und ab Kapitel 26 gibt es eine gut gemacht Zäsur im Hinblick auf den gewählten Blickwinkel, aus dem die Ereignisse geschildert werden. Das sorgt noch einmal für Abwechslung. Die Auflösung am Ende ist in sich schlüssig, auch wenn sie sich nach meinem Dafürhalten nicht so rund und eingängig wie der Rest des Buchs liest. Lobenswert ist auch das Nachwort, das interessante Hintergrundinformationen zum Fall enthält. Das ist eine gute Nachbereitung zum Gelesenen. Toll!


Fazit

Ein Thriller, der packt und mitreißt, und zwar von der ersten bis zur letzten Seite. Ich habe es an einem Tag durchgelesen, so sehr war ich gefesselt. Wenn ein Buch eine solche Wirkung hinterlässt, dann ist es eines von seltenen Highlights, das kann nur 5 Sterne bedeuten. Absolute Leseempfehlung für alle Thriller-Fans!

Freitag, 19. August 2022

Owens, Delia - Der Gesang der Flusskrebse


5 von 5 Sternen


Geschichte einer Außenseiterin

Der Debutroman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens ist zu einem Welterfolg geworden. Seit drei Jahren ist es eines der erfolgreichsten Bücher überhaupt, immer in den Bestsellerlisten zu finden. Im August 2022 startet noch dazu die Verfilmung. An mir ist dieser Hype bisher völlig vorbei gegangen. Ein Grund für mich, mir das Buch einmal genauer anzuschauen und herauszufinden, was es so erfolgreich macht.

Ein Grund für den Erfolg könnte sein, dass es beim Lesen viele Emotionen auslöst. Im Zentrum steht eine Außenseiterin namens Kya, die mit einem gewalttätigen Vater aufwächst. Nach und nach wird sie erst von ihrer Mutter, dann von ihren Geschwistern verlassen und muss sich mit dem Vater allein herumschlagen. Das löst Betroffenheit und Mitleid beim Leser/ bei der Leserin aus. Im Alter von 10 Jahren überlässt der Vater Kya sich selbst, verschwindet spurlos und Kya wird zur Selbstversorgerin, sie schlägt sich alleine durch, muss sich in der Marsch behaupten und ihr Leben bestreiten. Auch hier verfolgt man das Schicksal des Mädchens mit einer Mischung aus Mitgefühl und Ergriffenheit. Und man ist dankbar dafür, dass sei auf so ehrliche Leute wie Jumpin und Mable trifft, die ihr helfen und sie nicht ausgrenzen wie andere.

Die nächsten großen Gefühle bei der Lektüre werden dadurch ausgelöst, dass Kya mit dem anderen Geschlecht in Berührung kommt. Hier haben wir zwei interessante männliche Kontrastfiguren: Den einfühlsamen, sanften und rücksichtsvollen, fürsorglichen Tate einerseits und den ungestümen und durchtriebenen Chase andererseits. Man wünscht sich als Leser:in für Kya das Beste und hofft, dass sie ihr Glück findet und man möchte sie warnen vor naiven Entscheidungen. Ich bin eigentlich kein Freund von Liebesgeschichten, aber ich muss gestehen, dass diese hier mich schon bewegt hat. Die Darstellung der Beziehung zu Tate war nicht kitschig, sondern gefühlvoll und romantisch. Und bei Chase fragt man sich die ganze Zeit, welche Absichten er verfolgt und ob er es ehrlich mit ihr meint. Aber ich bin dennoch froh, dass die Liebesgeschichte(n) in diesem Buch die Handlung nicht zu sehr dominiert haben. Die Familiengeschichte zu Beginn und die Krimielemente zwischendurch sorgen meines Erachtens für genügend Abwechslung, so dass es sich nicht um einen reinen Liebesroman handelt.

Die nächsten großen Emotionen bei der Lektüre werden dann ausgelöst, als Kya unter Mordverdacht gerät. Man möchte auf der einen Seite wissen, was passiert ist, warum und auf welche Weise Chase umgekommen ist, aber man möchte auch daran glauben, dass Kya unschuldig ist und wünscht sich Gerechtigkeit für dieses arme Mädchen, die von ihrer Umwelt so achtlos behandelt wird.

Ein weiteres Erfolgsrezept dieses Werks könnte also sein, dass es sich nicht an Genregrenzen hält und damit für Abwechslung sorgt. Hier werden Liebesgeschichte, Krimi und Gerichtsdrama miteinander verquickt. Hatte ich am Anfang noch die Sorge, dass es sich lediglich um eine Liebegeschichte mit Krimielementen handelt, so bin ich doch zufrieden gewesen, als es auf den letzten 140 Seiten, also ab Kapitel 38, zu einer Zäsur kommt und ein spannender, mitreißender Gerichtsprozess dargelegt wird, in den dann auch immer wieder interessante und aufschlussreiche Rückblenden integriert werden. Von diesem Zeitpunkt an wird auch das Tempo höher, die Kapitel werden kürzer. Das hat mir gut gefallen. Grundsätzlich finde ich die erzählerische Gestaltung gelungen. Am Anfang werden immer wieder Kapitel zu den Mordermittlungen eingebaut, am Ende sind es dann die Rückblenden, die Ereignisse rund um die Mordgeschehnissen beleuchten. Das ist gut gemacht, sorgt für Auflockerung und dafür, dass man als Leser:in mitfiebert.

Nicht zuletzt möchte ich erwähnen, dass auch die atmosphärischen Beschreibungen der Umgebung gelungen und anschaulich sind. Die Marschlandschaft wird gut und bildhaft eingefangen. Man kann sich die Handlungsorte gut vorstellen. Die Naturbeschreibungen sind detailliert und facettenreich. Toll! Das findet man auch nicht in jedem Roman in dieser Qualität.

Letztlich findet man also viele Gründe dafür, warum dieser Roman so erfolgreich sein könnte. Ich kann die Begeisterung für dieses Werk nachvollziehen. Lediglich einen kleinen Kritikpunkt hätte ich anzubringen: Das Ende war mir zu vorhersehbar. Das hat mich aber nicht so gestört, dass ich dafür jetzt einen Stern abziehen würde.

 

Fazit: 

Ein Buch mit einer starken, außergewöhnlichen Hauptfigur, das Emotionen beim Lesen auslöst. Kya ist die meiste Zeit über in der Opferrolle, sie wird ausgegrenzt und schlecht behandelt, man leidet mit ihr mit, wünscht sich Gerechtigkeit für sie und hofft, dass sie ihr Glück findet. Gleichzeitig ist man beeindruckt davon, wie selbstständig sie ihr Leben in der Marsch meistert, auch wenn dieses völlig andersartig ist. Das Werk emotionalisiert und bewegt. Es überschreitet dabei Genregrenzen und ist in erzähltechnischer Hinsicht gelungen gestaltet. Auch die Atmosphäre der Marschlandschaft wird sehr gut beschrieben. Ein tolles Buch, das ich auf jeden Fall weiterempfehlen kann, auch wenn das Ende etwas vorhersehbar ist. 5 Sterne!

Montag, 15. August 2022

Enzensberger, Theresia - Auf See


4 von 5 Sternen


Intellektuelle Dechiffrierarbeit

Wer gerne einen experimentellen und ungewöhnlichen Roman lesen möchte, der ist bei „Auf See“ von Theresia Enzensberger genau richtig. Die besondere Leistung der Autorin besteht in meinen Augen darin, dass sie auf eine Montagetechnik zurückgreift, die ich in der Form so noch nicht gelesen habe. In erzähltechnischer Hinsicht finde ich dieses literarische Experiment gelungen und innovativ.

In die Haupthandlung, über die ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten will, zumal der Klappentext alles Wichtige dazu verrät, werden sogenannte „Archiv-Kapitel“ integriert, die assoziativ und leitmotivisch miteinander verbunden sind. So entsteht eine Art Collage. Über die Frage, ob es sich aber tatsächlich um eine Montage handelt und ob die von Enzensberger gewählte Form von der klassischen Montage-Technik im Stile eines Alfred Döblin abweicht, darüber sollen sich die Literaturwissenschaftler streiten. Das soll im Rahmen dieser Rezension nicht weiter vertieft werden. Nach meiner Ansicht lehnt sich die Autorin hier an die Leitmotivmontage und assoziative Montage an, wie man sie aus Filmen kennt.

Der inhaltliche Zusammenhang zwischen den Archiv-Kapiteln und zwischen der Haupthandlung und diesen Kapiteln muss dann in einer Art intellektueller Dechiffrierarbeit vom Leser/von der Leserin erschlossen werden. So finden wir z.B. einen Text zu Hintergründen über Gregor MagGregor, einem Hochstapler aus dem 19. Jh. In einem weiteren Archiv-Kapitel erfahren wir etwas über die Insel Ascension, auf der im 19. Jh. durch Charles Darwin und Joseph Hooker eine Art Terraforming-Projekt durchgeführt wurde. Auch lernen wir in einer kurzen Skizze Leicester Hemingway kennen, den Bruder von Ernest Hemingway. In einem weiteren Archiv-Kapitel wird uns die Republik Nauru mitsamt ihrer Kolonialgeschichte nähergebracht. Die Scientology-Sekte wird ebenfalls in den Blick genommen. Die Entstehung des Neoliberalismus wird dargestellt. Und nicht zuletzt geht es um die Geschichte der Piratenkommune Libertatia. Letztlich kann man viele Parallelen zum Leben auf der Seestatt und zu Yadas Vater ziehen. Allerdings muss man sich auf diese Art von Lektüre einlassen wollen. Es ist schon durchaus herausfordernd, den einzelnen Textkomponenten einen Sinn zu entnehmen, ihnen einen Zusammenhang zu verleihen und sie mit der Haupthandlung in Beziehung zu setzen. Es ist also kein Buch, das man mal eben so schnell herunterliest. Ich empfand die Lektüre eher als eine intellektuelle Anregung, man lernt einiges dazu. Aber ich musste schon in Stimmung dazu sein.

Auch wenn ich die Erzähltechnik anspruchsvoll, innovativ und absolut anerkennenswert finde, sie ist die große Stärke des Buchs, so kann ich diesem Werk keine 5 Sterne geben. Dafür war die Darstellung der Haupthandlung einfach zu schwach, mit Ausnahme der Zäsur in der Mitte des Buchs. Sie hatte für mich zu wenig Triebkraft, ich hatte zu wenig offene Fragen im Kopf, vieles fand ich auch zu nebulös und vage dargestellt. Den Schreibstil empfand ich als zu nüchtern und zu pragmatisch-sachlich. Die Figurenzeichnung von Yada, von ihrem Vater und von Helena war mir zu hölzern, zu distanziert, zu wenig greifbar. Auch den Blickwinkel von Helena habe ich über lange Zeit als zu sperrig und zu wenig kontextualisiert wahrgenommen. Die Perspektive von Yada fand ich viel lesbarer. Die Darstellung der Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren hat mich nicht berührt. Mir fehlte auch eine weitere Vertiefung der Vater-Tochter-Beziehung. Das Lesen löste grundsätzlich zu wenige Emotionen bei mir aus. Auch die vielen Perspektivwechsel am Ende des Buchs fand ich unpassend. Mir fehlten genauere Beschreibungen der Handlungsorte, es kommt keine Atmosphäre auf. Weder die Seestatt noch das Festland werden sonderlich detailliert dargestellt. Bei mir wollte bei der Lektüre der Funke einfach nicht so recht überspringen, das mag anderen Leser:innen anders gehen. Für mich geht der Einsatz der Montageetechnik zu sehr auf Kosten der Haupthandlung.

 

Fazit

Dieses Buch ist für solche Leser:innen geeignet, die intellektuell gefordert werden wollen und nicht vor Dechiffrierarbeit zurückschrecken. Die Erzähltechnik der Montage wird gekonnt eingesetzt, sie ist die große Stärke des Buchs. Aber sie ist auch herausfordernd. Leider konnte mich die Haupthandlung nicht überzeugen. Deshalb nur 4 Sterne, nur knapp an den 3 Sternen vorbei.

Samstag, 13. August 2022

Spencer, Bud - Mein Leben, meine Filme. Der erste Teil meiner Autobiografie.


5 von 5 Sternen


Bud – demütig und authentisch

Mit den Filmen von Bud Spencer bin ich groß geworden, ich habe sie mehrfach geschaut und liebe sie bis heute. Der Tod des weltberühmt gewordenen italienischen Schauspielers am 27. Juni 2016 war ein trauriger Tag für mich. Aus nostalgischen Gründen habe ich nun den ersten Teil seiner Biographie gelesen, die Carlo Pedersoli 2010, im Alter von 81 Jahren, verfasst hat. Und ich habe die Lektüre sehr genossen und mich dabei lebhaft an ihn erinnert.

Der Schreibstil ist durchgängig locker und amüsant. Carlo Pedersoli wirkt unheimlich ehrlich und auch selbstkritisch. Im reifen Alter blickt er auch auf sein jüngeres Ich zurück und geht mit sich selbst hart ins Gericht. Leichtsinnig, ungestüm und gedankenlos sei er als junger Mann gewesen. Mit Interesse habe ich den Bericht über seine Schwimmerkarriere gelesen, die ihm nach eigener Aussage mit Leichtigkeit zufiel. Er habe kaum trainiert und vor dem Sprung ins Becken habe auch die Zigarette nicht fehlen dürfen. Auch seine Aufenthalte in Südamerika lesen sich äußerst interessant. Dort sei er zu einem selbstständigen Mann herangereift. Seine Ausführungen zur Schauspielerei wirken sehr demütig, bescheiden und bodenständig. Er betrachte sich selbst gar nicht als richtigen Schauspieler, er sei mehr in dieses Geschäft hineingestolpert und habe nicht auf eine Karriere als Schauspieler hingearbeitet.  Das Filmemachen sei anfangs lediglich eine Möglichkeit gewesen, Geld zu verdienen, ein Job, keine Berufung. Und er spricht mit höchstem Respekt von seinen Schauspielkollegen und Regisseuren, die ihn auf seinem Weg begleiteten. Das alles lässt ihn unheimlich sympathisch wirken. Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck, dass Pedersoli mit diesen Aussagen kokettieren will. Er macht einfach deutlich, dass er auch unheimlich viel Glück gehabt hat. Er selbst hätte niemals gedacht, dass seine ersten Filme so erfolgreich würden.

Unheimlich interessant fand ich die Ausführungen von Pedersoli zu seiner Freundschaft mit Terence Hill. Beide hätten auf der gleichen Wellenlänge gelegen. Die Freundschaft sei über die professionelle Zusammenarbeit hinausgegangen, sie wurde auch hinter den Kulissen gelebt. Wirklich toll!

Bereichert wird das Werk um interessante Anekdoten rund herum ums Filmgeschäft und um Bilder, die Pedersoli privat und in seinen Filmen zeigen.

 

Fazit

Wer sich aus nostalgischen Gründen an den Schauspieler Bud Spencer und seine „Spaghetti-Western“ und „Haudrauf-Komödien“ erinnern will, der sollte dieses Buch lesen. Auf diese Weise kann man herrlich in Erinnerungen schwelgen und lernt auch den Menschen hinter der Rolle kennen. Ich fand die Biographie sehr lesenswert und den Schreibstil angenehm. Da ich nichts auszusetzen habe, vergebe ich volle 5 Sterne.

Freitag, 12. August 2022

Winkelmann, Andreas - Das Letzte, was du hörst


4 von 5 Sternen


Ein „bodenständiger“ Thriller mit Schwächen bei der Auflösung am Ende

Der Thriller „Das Letzte, was du hörst“ von Andreas Winkelmann verfügt über alle nötigen Zutaten, die ein guter Thriller braucht: gut ausgearbeitete Figuren wie eine toughe Kommissarin und einen kauzigen Gerichtsmediziner sowie interessant gestaltete Täter und Opfercharaktere. Hinzu kommt ein verzwickter Fall, bei dem der Spannungsbogen ebenfalls gut ausgeprägt ist. Bis zum Ende bleibt vieles offen, so dass ein gutes Maß an Spannung erzeugt wird.

Man fragt sich die ganze Zeit, ob man es bei dem Mord wirklich mit einer klassischen Beziehungstat zu tun hat oder ob nicht doch mehr dahinter steckt. Wie bei Thrillern üblich, gilt es im Verlauf der Handlung, einige Zusammenhänge aufzudecken, das treibt die Handlung zwar gut voran. Allerdings muss man sich schon sehr in Geduld üben, bis klar wird, wie die verschiedenen Handlungsstränge zusammenhängen. Hier hätte ich mir schon gewünscht, als Leser nicht ganz so lange auf die Folter gespannt zu werden.

Was mir nur aufgefallen ist: Der Thriller ist längst nicht so künstlerisch durchkomponiert wie z.B. die Thriller „Kaltherz“ von Henri Faber oder „Das Loft“ von Linus Geschke (vgl. frühere Rezensionen). Das muss jetzt aber nicht schlecht sein, das will ich damit nicht sagen. Es ist einfach nur auffällig. Auf mich wirkte dieses Werk einfach weniger durchkonstruiert, und dadurch irgendwie „natürlicher“ und „bodenständiger“. Die Perspektivwechsel ereigneten sich nach meinem Gefühl eher beliebig und zufällig, sie waren nicht auf den Punkt exakt „getimt“, nicht so systematisch. Auch die sprachliche Gestaltung kommt unauffälliger und weniger ausgefeilt daher, dadurch wirkt sie „gewöhnlicher“ und „authentischer“. Aber wie gesagt, das ist nichts, wodurch das Buch an Qualität einbüßt, denn die Spannung stimmt trotzdem. Der Schreibstil ist dynamisch und flott. Das Tempo ist hoch. Während des Lesens habe ich keine Längen verspürt.

Was mir auch gut gefallen hat: Die Täterperspektive kommt nicht zu blutrünstig daher. So etwas mag ich persönlich nicht. Deshalb war ich bei der Lektüre froh, dass ausführliche Details der Morde nicht zu sehr in den Fokus rückten.

Dennoch kann ich nicht die vollen fünf Sterne für diesen Thriller vergeben, denn die Auflösung am Ende war für mich nicht überzeugend. Nach meinem Empfinden sind nicht alle Zusammenhänge plausibel aufgelöst worden. Ich fand das Ende auch nicht so überraschend wie erhofft und es war mir auch zu konstruiert. Plötzlich greift eine Figur in die Handlung ein, die vorher keine große Rolle gespielt hat. Das hat mir nicht gut gefallen. Das Motiv des Mörders fand ich nicht plausibel dargelegt. Auch fehlten mir die überraschenden Wendungen im Stil eines Henri Faber.

Und noch ein Wunsch fürs nächste Mal: Aus anderen Thrillern kenne ich es, dass Kapitel oft den Namen der Protagonisten als Überschrift nutzen, um die Orientierung für den Leser/die Leserin zu erleichtern. Das hätte ich auch hier hilfreich gefunden. Denn zu Beginn eines neuen Kapitels musste ich mich oft kurz orientieren, welcher Perspektive ich nun folge.

 

Fazit

Ein Thriller, der ohne größere erzählerische „Tricks“ daherkommt, ein bodenständiger Thriller, handwerklich gut gemacht, mit einem guten Spannungsbogen, hohem Tempo, guter Dynamik und einer ansprechenden Figurenzeichnung. Wäre die Auflösung am Ende überzeugender gewesen, hätte ich volle fünf Sterne vergeben. So bleibt es bei vier Sternen. Empfehlenswert ist der Thriller auf jeden Fall, man wird gut unterhalten, es kommt keine Langeweile auf. 

Montag, 1. August 2022

Clima, Gabriele - Der Geruch von Wut


5 von 5 Sternen


Die Tragweite einer falschen Entscheidung

Was passiert, wenn man in seinem Leben eine verhängnisvolle Entscheidung trifft und den falschen Weg einschlägt? Genau um diese Frage geht es in dem Jugendbuch „Der Geruch von Wut“ aus der Feder von Gabriele Clima.

Alex hat einen tragischen Schicksalsschlag erlitten, sein Vater ist bei einem Autounfall verstorben. Und es entwickelt sich ein ungeheuerlicher Zorn in ihm. Er will sich an dem Fahrer rächen, dem er die Schuld für den Unfall gibt. Er durchstreift die Stadtviertel, immer auf der Suche nach seinem Feind. Blind und rasend vor Wut trifft er dann eine verhängnisvolle Entscheidung, er schließt sich den „black boys“ an und gerät damit auf die schiefe Bahn, mitten hinein in eine Spirale der Gewalt. Und es stellt sich die alles entscheidende Frage: Wie wird sich Alex entwickeln? Wird er seinen inneren Kompass verlieren? Oder findet er doch einen Weg hinaus?

Dem Autor gelingt es gut, den Kontrast zwischen der Liebe und Fürsorge der Mutter auf der einen Seite und der Härte der „black boys“ auf der anderen Seite zum Ausdruck zu bringen. Alex befindet sich in einem Zwischenraum, hin- und hergerissen zwischen seiner Mutter und der Jugendgang. Die Mutter ist der Anker im Leben von Alex. Beide vermissen schmerzlich den Vater bzw. Ehemann. Doch trotz dieser Verbundenheit im Schmerz erzählt Alex seiner Mutter noch lange nicht alles, was er so treibt. Doch seine Mutter fühlt intuitiv, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt. Sie redet ihm ins Gewissen. Und sie will wissen, was los ist. Und beim Lesen wird die Handlung vor allem dadurch gut vorangetrieben, dass man sich fragt, was aus Alex wird. Welchen Weg wird er einschlagen? Wird er die richtigen Entscheidungen treffen? Wird er sich seiner Mutter anvertrauen?

Der Schreibstil ist einfach und klar, so wie auch die schwarz-weiß-Sicht von Alex einfach und klar ist. Und am Ende des Romans gibt es eine überraschende erzählerische Wendung, über die ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten will. Der Inhalt noch einmal in ein anderes Licht gerückt. Das ist sehr gut gemacht!

 

Fazit

Ein gutes Jugendbuch mit einer überzeugenden Figurenzeichnung, das zum Nachdenken anregt und aufzeigt, wie schnell man auf die schiefe Bahn geraten kann. Man verfolgt die Entwicklung von Alex gebannt und hofft während des Lesens darauf, dass sich alles zum Guten wendet. Da ich nichts an dem Buch auszusetzen habe und den aufrüttelnden Inhalt gelungen umgesetzt finde, vergebe ich 5 Sterne und spreche eine Empfehlung aus!

Ware, Ruth - Der Tod der Mrs. Westaway


4 von 5 Sternen


Erbstreitigkeiten und Familiengeheimnisse

In ihrem Thriller „Der Tod der Mrs. Westaway“ entwirft Ruth Ware eine interessante Protagonistin: Eine Tarot-Kartenlegerin, Kurzform Hal, die unverhofft ein Erbe ihrer vermeintlichen Großmutter antreten soll. Sie zeichnet sich durch eine gute Beobachtungsgabe und Gutmütigkeit aus. Sie nimmt ihre Kunden nicht einfach aus, sondern sie hat das Herz am rechten Fleck. Das wird gut deutlich! Doch leider hat sie Geldschwierigkeiten, da kommt eine mögliche Erbschaft gerade recht. Und schon auf den ersten Seiten fragt man sich, was es mit der Erbschaft auf sich hat und wie die Protagonistin damit umgehen wird. Wird sie die anderen Familienmitglieder täuschen, um an das Geld zu kommen? Wie wird sie sich entscheiden? Wird sie das Erbe antreten, das ihr eigentlich nicht zusteht? Oder kommt ihr vielleicht vorher jemand auf die Schliche?

Der Thriller wird weitestgehend geradlinig erzählt, wir folgen Hal und ihren Gedanken, sind nah an ihr dran. Nur ab und zu gibt es ein paar eingeschobene Kapitel, die aus der Sicht einer anderen Figur erzählt werden. Hier entsteht der Reiz dadurch, dass man nicht weiß, aus welchem Blickwinkel die Ereignisse geschildert werden. Es dauert eine gewisse Zeit, bis aufgelöst wird, wer dort berichtet. Das erzeugt Neugier beim Lesen.

Spätestens mit Hals Eintreffen beim Herrenhaus wird auch eine schauerliche Atmosphäre erzeugt. Das liegt einerseits an dem gut beschriebenen Handlungsort, andererseits an der mysteriösen Mr. Warren, der Haushälterin, die sich eigenartig verhält. Sie erscheint zornig, wütend und misstrauisch. Bei ihr fragt man sich die ganze Zeit, was sie im Schilde führt.

Auch einige Wendungen werden von der Autorin geschickt platziert. Das verleiht der Handlung noch einmal Triebkraft und sorgt für Überraschungseffekte. Die Autorin versteht ihr schriftstellerisches Handwerk! Nur die Auflösung am Ende hat mich dann doch nicht so recht überzeugt. Ich fand sie weder sonderlich überraschend noch besonders einfallsreich. Auch Tempo, Dynamik und Spannung hätten insgesamt ausgeprägter sein können.

 

Fazit

Typisch Ruth Ware! Ein abgelegener und von der Außenwelt weitestgehend abgeschnittener Handlungsort, eine interessante Hauptfigur und ein überschaubares, gut aufeinander abgestimmtes und durchdacht angelegtes Figurenensemble machen den Reiz dieses Thrillers aus. Lediglich das Ende hätte überraschender ausfallen können. Und auch die Spannung hätte nach meinem Empfinden stärker ausgeprägt sein können. Auch Tempo und Dynamik fehlten mir. Deshalb „nur“ 4 Sterne!

Morris, Brandon Q - Möbius


4 von 5 Sternen


Zeit außer Kontrolle

In seinem Zeitreise-Thriller „Möbius“ schickt Brandon Q Morris die Leser dieses Mal nicht auf eine Reise in den Weltraum, sondern bleibt die meiste Zeit auf der Erde. Im Zentrum steht die Entdeckung eines mysteriösen Artefakts, mit dessen Hilfe man Nachrichten durch die Zeit schicken kann. Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen. Auf der einen Zeitebene erforscht der ambitionierte, aber chaotische Nachwuchsforscher Max, der Albert Einsteins Relativitätstheorie verbessern möchte, das Artefakt, auf der anderen Zeitebene will die mutige und intelligente Forscherin Elisabeth das Artefakt aus einem Schacht in Island bergen und näher untersuchen. Dabei spielt auch ein mysteriöser Brief aus der Zukunft eine wichtige Rolle, der schon seit 19 Jahren auf sie gewartet hat (Der Film „Zurück in die Zukunft“ lässt grüßen).

Unklar bleibt leider bis zum Schluss, wie die beiden Zeitebenen genauer zusammenhängen und wer das Artefakt auf der Erde platziert hat. Die Auflösung dieses Rätsels verschiebt der Autor vermutlich in den nachfolgenden Band. Das fand ich etwas schade. Gleichzeitig würde ich gerne wissen, wie es weitergeht, so dass ich wohl auch „Möbius II“ und „Möbius III“ noch lesen werde.  

Insgesamt fand ich die Zeit-Phänomene, die beschrieben werden, sehr interessant, aber zugleich auch sehr verwirrend. Aber die Idee, die dem Roman zugrunde liegt, ist auf jeden Fall mal etwas Neues, das ich so noch nicht gelesen habe. Auch die Einbindung der Topographie als Teilbereich der Mathematik fand ich interessant. Ich muss aber zugeben, dass ich nicht immer mitgekommen bin und längst nicht alle Passagen des Textes verstanden habe. Teilweise habe ich auch während des Lesens innegehalten, Textabschnitte nochmals genauer gelesen und mir versucht die beschriebenen Phänomene vorzustellen. Es hat leider nicht immer geklappt. Aber irgendwie fand ich genau das auch reizvoll, man wird beim Lesen ganz schön gefordert und muss viel über das Gelesene nachdenken. Andere Leser:innen mag das aber durchaus abschrecken.

Wie es für Hard-Science-Fiction-Romane üblich ist, steht die Figurenzeichnung nicht unbedingt im Zentrum. So auch hier. Dementsprechend sollte man die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen, man muss einfach wissen, worauf man sich einlässt. Für mich werden die Schwächen bei der Gestaltung der Charaktere aber durch die ansprechende Vermittlung von naturwissenschaftlichen Phänomenen aufgewogen.

Auch das Nachwort „Die neue Biografie der Zeit“ fand ich wieder sehr lesenswert und informativ. Hier wird das Gelesene noch einmal theoretisch untermauert und es wird deutlich, dass der Autor aktuelle Erkenntnisse der Physik einbezieht, um die Handlung zu entwerfen. Absolut lobenswert! U.a. wird eine Theorie erwähnt, in der das Gedankenspiel angestellt wird, dass Zeit auch rückwärts laufen kann. Sehr faszinierend!

 

Fazit

Ein typischer Hard-Science-Fiction-Roman, bei dem die Figurenzeichnung zwar zu wünschen übrig lässt, bei dem die zugrundeliegende Idee eines außer Kontrolle geratenen physikalischen Zeitphänomens aber überzeugt. Ich konnte mich auf alles einlassen und habe mit viel Faszination die Handlung verfolgt. Da mir aber zu viel offen gelassen wurde, vergebe ich nur 4 Sterne.