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Donnerstag, 10. Juli 2025

Pätzold, Oliver - Esomenia



165 Jahre in der Zukunft




Verwirrt, orientierungslos und mit Schmerzen erwacht die 24-jährige Nina an einem ihr unbekannten Ort. Sie kann sich an nichts erinnern, weiß nicht, wer und wo sie ist. Sie fühlt sich innerlich leer. Eine Ärztin beantwortet Ninas drängendste Fragen und hilft ihr so, sich zurechtzufinden.


Sie erfährt, dass sie an einer unheilbaren Krankheit litt und sich unmittelbar nach ihrem Tod in den sog. Kryonikschlaf begeben hat. Sie war 165 Jahre lang eingefroren und findet sich nun plötzlich in einer ihr unbekannten Zukunft wieder. Was wird sie über ihre neue Umgebung herausfinden?


Nina fühlt sich in der neuen Umwelt wie eine Fremde und ist sich selbst fremd geworden. Bald schon lernt sie Aaron kennen, der ebenfalls eingefroren war, und ihr Vieles erklärt. Die Welt, die Nina kannte, hat sich massiv verändert. Der Preis für Ruhe und Sicherheit ist z.B. die totale Überwachung.


Eines Tages erhält Nina dann eine Warnmeldung, die in ihr Zimmer geschmuggelt wurde. Sie soll den Mitarbeitern des Unternehmens, die sie aufgetaut haben, nicht vertrauen und befinde sich in großer Gefahr. Zusammen mit Aaron flüchtet Nina daraufhin. Wird die Flucht gelingen? Wohin werden sie flüchten? Was ist der Grund für die Flucht und was werden sie herausfinden? Das sind die zentralen Fragen, die ich mir zu diesem Zeitpunkt stellte.


In diesem Buch herrscht viel Ungewissheit über den Fortgang der Handlung und darüber, was Nina und Aaron erfahren werden. Das erzeugt Spannung. Durch die Flucht entsteht eine bedrohliche Atmosphäre, das Tempo zieht spürbar an und sie eröffnet Raum für Überraschungen. Das ist ebenfalls gelungen. Und was die Spannung noch einmal forciert, ist die Tatsache, dass Nina und Aaron sich völlig auf andere Menschen verlassen müssen, die ihnen bei der Flucht helfen. Beide wissen nicht, was um sie herum vor sich geht, und sie müssen darauf hoffen, dass alles gut gehen wird.


Dadurch, dass mir als Leser zentrale Informationen vorenthalten werden und ich genauso wenig weiß wie die Figuren selbst, wird meine Neugier permanent befeuert. Auch das hat mir gefallen. Nach und nach erfahren die beiden mehr über die zukünftige Welt und welche Gefahr von ihr ausgeht. Nachdem das Verschwinden von Nina und Aaron bemerkt wurde, nimmt man ihre Verfolgung auf. Auch das sorgt für Spannung. Allerdings kann ich dem Buch aus mehreren Gründen keine 5 Sterne geben, auch wenn der Beginn richtig stark war und die Auflösung sehr, sehr geschickt konzipiert worden ist: 1. Ich empfand den futuristischen Weltenentwurf als ausbaufähig. Der Blick wird oft sehr eng geführt und selten geweitet. Schade! 2. Die Schilderung der vielen Reisen von A nach B nimmt mir zu viel Raum ein. Sie nehmen der Handlung nach meinem Gefühl das Tempo und ich fand sie auch nicht sehr packend. 3. Ich hätte mir noch eine stärkere emotionale Beteiligung gewünscht. 

Sonntag, 6. Juli 2025

Bestgen, Sarah - Happy End



Das fremde eigene Kind




Der Thriller „Happy End“ bietet schon auf den ersten Seiten ein spannendes Setting: Um mal wieder unter Leute zu kommen und nicht ganz in der Selbstisolation zu versinken, organisieren Isa und ihr Mann Mark ein Nachbarschaftsfest. Ihr vier Monate alter Sohn Ben hat sie völlig in Beschlag genommen, so dass die Pflege sozialer Kontakte etwas in den Hintergrund getreten ist. Doch noch bevor die Feier beginnt, verschwindet der Sohn spurlos aus dem Wohnzimmer, als Isa im Keller gerade den Trockner befüllt. Sie reagiert panisch und verzweifelt. Ihre Gefühle kommen gut und absolut nachvollziehbar zum Ausdruck. Das Ehepaar bewegt sich zwischen Angst und Hoffnung. Und Isa ist nicht mehr wiederzuerkennen. Während Mark noch einigermaßen in der Lage ist, sich mit der Arbeit von den Geschehnissen abzulenken, fühlt sich Isa ohnmächtig und hilflos.


Niemand von den Nachbarn hat etwas Verdächtiges gesehen oder gehört. Die Polizei wird eingeschaltet und die Suche startet. Wo ist Ben hin? Wer hat ihn entführt? Diese Fragen würde man sich zu Beginn stellen, wenn man den Klappentext nicht liest (der nimmt etwas Spannung). Denn darin wird bereits verraten, dass Ben wieder auftaucht (und zwar acht Monate später). Und ab diesem Zeitpunkt beginnt die eigentliche Handlung erst. Es rücken nun andere Fragen in den Fokus: Warum ist Ben wieder da? Was ist ihm während seiner Abwesenheit widerfahren und wo hat er gesteckt? Auf dem ersten Blick ergibt der Fall keinen Sinn. Warum wird der Junge der Familie entrissen, nur um dann später wieder dort aufzutauchen?


Die anschließende Ermittlungsarbeit zum Verschwinden von Ben wird ebenso geschildert wie die Auswirkung des zwischenzeitlichen Verlusts des Sohnes auf das Zusammenleben von Mark und Isa. Die Rückkehr des Jungen sorgt v.a. bei Isa für ein Gefühlschaos. Sie ist emotional überfordert. Das Geschehen hat etwas mit ihr gemacht. Sie verspürt gegenüber ihrem eigenen Sohn Fremdheitsgefühle, wirkt depressiv, macht sich immer noch Vorwürfe und sucht schließlich psychiatrische Hilfe auf. Und weitere Unklarheiten und undurchsichtige Verhaltensweisen von Figuren verrätseln den Fall zusätzlich. Ich hatte während der Lektüre zahlreiche offene Fragen im Kopf und einige Vermutungen. Das hat mir gut gefallen!


Die Figurenzeichnung ist gelungen und tiefgründig, die Konturen der Charaktere sind klar erkennbar. Die Psychologisierung des Inhalts ist absolut überzeugend (hier merkt man, dass die Autorin vom Fach ist). Der Fall hat emotionale Tiefe und erzeugt Betroffenheit. Ich habe mitgefiebert. Die Dialogführung hat mir ebenfalls gut gefallen. Der Plot wird zwar nicht mit hohem Tempo erzählt (außer am Ende), aber das hat mich in diesem Fall nicht gestört, weil die Spannung fortwährend sehr stark ausgeprägt war. Mit zunehmendem Handlungsverlauf wird es immer spannender und rätselhafter. Es gibt auch zahlreiche Überraschungen. Und die Wahrnehmung von Isa wird mit der Zeit unzuverlässiger. Auch das ist geschickt arrangiert. Trotzdem kann ich keine 5 Sterne geben. Warum? Das Ende war mir etwas zu kompliziert gelöst und nicht „leichtfüßig“ genug. Auch bin ich kein Freund davon, wenn der Täter am Ende bereitwillig selbst über alles Auskunft gibt, was ihm bei der Tat so durch den Kopf ging. Ich komme also auf gute 4 Sterne!

Dienstag, 1. Juli 2025

Reeves, Royston - Ich wars nicht



Eine falsche Entscheidung…




Der Einstieg in diesen Thriller erfolgt unmittelbar, d.h. man ist schnell drin im Geschehen. Und das Setting hat auf mich eine große Sogwirkung entfaltet, und zwar von Anfang bis Ende. Solche Bücher finde ich nicht oft, bei denen ich so sehr an den Seiten klebe. Doch worum geht es?


Der Ich-Erzähler Will trifft sich mit seinen Arbeitskollegen auf ein Bier in einer Kneipe. Er ist ein normaler Durchschnittstyp und niemand, der bisher durch schräge Ansichten oder negative Verhaltensweisen auffällig geworden ist (wie er uns selbst versichert). Auf dem Weg zurück nach Hause kommt ihn in einer dunklen Gasse ein Betrunkener entgegen, der ihn anrempelt und beleidigt. Will lässt sich dadurch so sehr provozieren, dass er ihm einen Schlag verpasst. Der Schaden, den er damit verursacht, ist verheerend. Der Fremde geht zu Boden und trägt eine schwere Kopfverletzung davon. Und statt Hilfe zu holen, entfernt sich Will vom Tatort und beseitigt mögliche Spuren, indem er verdächtige Kleidung entsorgt. Kurzum: Er begeht einen schweren Fehler und trifft eine falsche Entscheidung.


Am nächsten Tag erfährt Will aus den Medien, dass sich in der Nacht ein tödlicher Vorfall ereignet hat. Und ab diesem Zeitpunkt befindet sich der Ich-Erzähler in einem intensiven „Alarmzustand“. Angst macht sich breit. Seine Gedanken beginnen um die Tat zu kreisen und sind nicht mehr im Hier und Jetzt. Er wirkt geistesabwesend. Und interessanterweise macht Will sich keine Vorwürfe, sondern versucht v.a. herauszufinden, was in der Presse zu lesen ist und ob er mit dem Vorfall in Verbindung gebracht werden kann. Er googelt die Fortschritte bei den Ermittlungen und hofft darauf, ungeschoren davonzukommen. Und eines ist klar: Sein Leben wird niemals wieder so sein, wie vor der Tat…


Die Spannung entsteht also durch das „howcatchem-Prinzip“, d.h. man fragt sich bei der Lektüre, ob Will noch zur Besinnung kommt und seine Tat gesteht oder ob er damit Erfolg hat, nicht mit dem Mord in Verbindung gebracht zu werden. Wird ihm die Polizei evtl. auf die Schliche kommen? Oder wird er straflos davonkommen? Das ist das Ausgangssetting. Und ich kann versprechen, dass sich der Fall in ungeahnte Richtungen entwickelt, die man so nicht vorhersieht (zumindest ging es mir so). Das liegt in erster Linie auch daran, dass eine weitere, mysteriöse Figur in das Geschehen eingreift, die sich nicht erwartbar verhält und dadurch die Handlung stark belebt: Ein Zeuge, der die Tat gesehen und aufgezeichnet hat. Er tritt mit Will in Kontakt und agiert undurchschaubar. Es ist nicht klar, ob er Will der Polizei ausliefern will, ob er ihn erpressen will oder ob er nur Spielchen mit ihm spielt. Auf jeden Fall genießt er es, fortan Macht über Will zu haben…


Und als ob das noch nicht reicht, kommt noch ein weiteres Element hinzu, dass den Fall bereichert und vertrackt werden lässt. Es wird ein (vermeintlich) Verdächtiger gefasst, der den Mord begangen haben soll. Wie kann das sein? Der Druck auf Will ist jedenfalls groß und nimmt im weiteren Handlungsverlauf immer mehr zu, was sich auf seinen psychischen Zustand auswirkt. Er ist extrem angespannt…


Die Kapitel sind angenehm kurz, der Schreibstil ist temporeich, pointiert und schnörkellos (so wie ich es mag). Die Innenwelt von Will wird nachvollziehbar geschildert. Wir sind nah dran an seinen Gedanken und Gefühlen. Das Geschehen wird spannend entwickelt (von Anfang bis Ende) und schlägt immer wieder andere Richtungen ein. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es innerhalb kürzester Zeit „durchgesuchtet“. V.a. die Figur des undurchschaubaren Zeugen hat es mir angetan. Ein genialer Charakter, ohne den das Buch (glaube ich) nicht funktioniert hätte. Er genießt, dass er Will in der Hand hat. Der Fall entfaltet sich sehr verzwickt, auch wenn das Ausgangssetting eigentlich simpel wirkt. Klare 5 Sterne!

Samstag, 28. Juni 2025

The last of us (Staffel 2)



Rache (enthält Spoiler!)




Die zweite Staffel von „The last of us“ setzt fünf Jahre nach den Ereignissen der ersten Staffel an. Ellie und Joel sind wieder in der Gemeinschaft Jackson untergekommen, in der Joels Bruder Tommy mit seiner Familie lebt (schon in Staffel 1 tauchte Jackson auf). Und es wird sofort klar, dass Ellie älter und reifer geworden ist. Zusammen mit anderen geht sie auf Patrouille, um die Siedlung vor äußeren Feinden zu schützen, und sie trainiert und verbessert ihre kämpferischen Fähigkeiten.

In dieser Staffel macht die 19-jährige Ellie einen äußerst rebellischen und unversöhnlichen Eindruck. An einigen Stellen kommt ihr jugendlicher Leichtsinn und ihre emotionale Impulsivität zum Vorschein. Nicht immer hält sie sich an Regeln. Sie unterschätzt Gefahren und lässt Ernsthaftigkeit auf Patrouillen vermissen. Ihre Beziehung zu Joel ist angespannt. Sie lehnt ihn als ihren Beschützer ab und es macht den Eindruck, als wollte sie sich grundsätzlich von ihm emanzipieren (den Grund dafür erfährt man später). Kurzum: Sie will auf eigenen Beinen stehen. Joel fühlt sich zurückgewiesen und weiß nicht, was er tun soll, um Ellie wieder näherzukommen.

Die Charakterzeichnung der Figuren und das Zusammenspiel von Ellie mit Joel sowie mit anderen Charakteren ist wieder sehr gelungen. Noch dazu gibt es bereits in der zweiten Folge eine große Überraschung, mit der ich nie gerechnet hätte (ich kenne das Spiel nicht) und die den Handlungsverlauf in eine völlig neue Richtung lenkt: Joel wird umgebracht und Ellie schwört daraufhin Rache. Sie will die Mörder von Joel ausfindig machen und geht dafür ein großes Risiko ein. Für mich wirkt sich der Verlust von Joel negativ auf den Inhalt aus. Er war eine Figur mit großer Zugkraft. Die erste Staffel lebte v.a. von der gelungen Darstellung des Beziehungsverhältnisses von Joel und Ellie. Und insbesondere die vorletzte Folge, in der Joel noch einmal im Rückblick auftaucht, hat mir deutlich gemacht, dass der Serie ohne ihn etwas Wichtiges fehlt. Andere Figuren können die hinterlassene Lücke nicht ausfüllen. Schade!

In meiner Rezension zur ersten Staffel hielt ich fest, dass die Serie dem Zombie-Genre neue Impulse verleiht. In vielen Aspekten unterscheidet sie sich von „The Walking Dead“ (vgl. dazu meine frühere Rezension). So auch dieses Mal. In der Siedlung Jackson ist ein weitestgehend harmonisches Leben möglich. Es gibt keinen gestörten, psychopatischen Anführer (man denke nur an den Governor oder Negan), der seine eigenen Ziele verfolgt und eine Schreckensherrschaft etabliert. Nein, das Zusammenleben zeichnet sich durch Hilfsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung aus. Auch scheinen sich die Infizierten weiterzuentwickeln. Einige von ihnen weisen ein gewisses Maß an Intelligenz auf und verhalten sich plötzlich anders. In „The Walking Dead“ gab es bei den sog. Beißern keine solche Evolution. Dies könnte noch für eine spannende Dynamik in den nächsten Staffeln sorgen.

Doch es gibt auch Elemente, die sehr stark an „The Walking Dead“ erinnern und die mich wenig begeistern konnten, weil man sie einfach schon zu oft gesehen hat. Die Bedrohung der Siedlung durch eine Herde Infizierter ist nicht neu. Den Sturm auf Jackson hätte ich nicht gebraucht. Und noch etwas: Das zentrale Motiv, das sich durch Staffel 2 zieht, ist Rache. Überlebende aus dem Krankenhaus wollen sich an Joel rächen. Danach will sich Ellie an den Mördern von Joel rächen. Mit anderen Worten: Es geht v.a. wieder darum, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Auch das kennt man schon! Die Tatsache, dass Ellie immun ist und mit ihrer Hilfe ein Heilmittel hergestellt werden könnte, spielt nun gar keine Rolle mehr. Stattdessen geht es um Ellies Racheplan, der sehr unausgegoren wirkt und wenig glaubwürdig wirkt. Sie weiß eigentlich nicht einmal, mit welchem Gegner sie sich eigentlich anlegt. Ziemlich blauäugig! Dass Ellie es mit einer ganzen Armee aufnimmt, ist mir einfach zu weit hergeholt und unrealistisch. Das hat mich einfach nicht überzeugt, zumal ihre kämpferischen Fähigkeiten sehr zu wünschen übriglassen. Fazit: Die zweite Staffel hat mich längst nicht so aus den Socken gehauen wie die erste Staffel. V.a. die letzte Folge war enttäuschend. Zu hektisch, zu unlogisch. Noch dazu ein fieser Cliffhanger.

Dienstag, 24. Juni 2025

Kvensler, Ulf - Die Insel


Charakterstudie




Der Ich-Erzähler Isak, der als Altenpfleger arbeitet und glücklich mit der 29-jährigen Madeleine (genannt Madde) zusammen ist, erhält eines Tages unerwartet einen Anruf von seinem todkranken Vater, zu dem er jahrelang keinen Kontakt mehr hatte. Der Vater hat nur noch wenige Wochen zu leben und wünscht sich, seinen Sohn wiederzusehen, um sich von ihm zu verabschieden. Grund für den Kontaktabbruch war, dass Isak im Alter von sechs Jahren ein schweres Trauma durchlitten hat. Er verlor bei einem Brand seine Mutter und seine dreijährige Schwester Klara. Sein Vater erlitt danach einen Zusammenbruch und konnte sich aufgrund seines labilen psychischen Zustands nicht um Isak kümmern, so dass dieser bei seinem Großvater aufwuchs.


Zu Beginn ringt Isak mit sich, ob er seinen Vater wirklich besuchen soll. Es wird deutlich, dass er eigentlich keinen Kontakt mehr zu ihm wünscht. Er nimmt ihm übel, dass er sich von ihm abgewandt und jahrelang nicht gemeldet hat. Mit einer Überweisung einer hohen Geldsumme will der Vater Isak überzeugen, zu ihm zu kommen. Und letztlich entscheidet er sich, zusammen mit Madde nach Gotland zu fahren, um seinen Vater kennenzulernen und sich von ihm zu verabschieden, bevor dieser stirbt. Dabei erfährt Isak u.a., dass sein Vater als Künstler über ein großes Vermögen verfügt.


Die Ereignisse rund um Isak, d.h. die Kontaktaufnahme mit und der Besuch bei seinem Vater werden im Rückblick erzählt (im Präteritum). Sporadisch eingeschoben sind aber auch kurze Kapitel auf einer Gegenwartsebene, auf der Isak sich im Gefängnis befindet. Dabei wird klar, dass es um Isaks psychischen Zustand nicht gut bestellt ist. Dies verrätselt die Handlung gut, da man als Leser zu Beginn nicht weiß, warum Isak sich in Haft befindet. Irgendetwas muss in Gotland passiert sein. Aber was…


Der Thriller startet langsam. Das Erzähltempo ist nicht sehr hoch. Der Schreibstil bzw. die Übersetzung ist bildhaft und klar. Der Autor nimmt sich zunächst viel Raum, die Figuren einzuführen und ihre Beziehungen zueinander zu charakterisieren. Das ist ihm auch sehr gut gelungen. Die Charaktere zeichnen sich durch klare Konturen und eine starke Psychologisierung aus. Die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren kommen gut zum Ausdruck. Auch die Beschreibungen des Settings sind sehr atmosphärisch und dicht (d.h. ausgeschmückt mit vielen Details). Das alles hat mir gut gefallen.


Mit zunehmendem Handlungsverlauf wird klar, dass sich Isaks Vater äußerst manipulativ verhält und einen negativen Einfluss auf seinen Sohn ausübt. Mit großen Geldsummen versucht er ihn immer wieder zu bestechen und sein Handeln zu lenken. Isak wird regelrecht verführt. Der Vater erscheint uns Lesern wie eine Art diabolische Teufelsfigur (im Text findet man auch subtil versteckte Anspielungen und Hinweise, die eine solche Interpretation stützen könnten). Er scheint sich regelrecht einen Spaß daraus zu machen, Leute zu kaufen und sich an deren Charakterlosigkeit zu erfreuen. Und anfangs lässt sich Isak auch manipulieren (gegen seinen eigenen Willen). Er tut, was sein Vater von ihm verlangt. Doch wie sehr ist Isak bereit, sich zu verbiegen? Wie charakterfest ist er? Das sind die zentralen Fragen, die ich mir bei der Lektüre stellte.


Der Thriller (oder sollte ich lieber psychologischer Spannungsroman sagen?) übt seinen Reiz in meinen Augen in erster Linie durch die zwischenmenschlichen Reibungen und Machtkämpfe aus. Es ist kein Thriller, bei dem viel passiert. Es ist eher das psychologische Moment, das beim Lesen fesselt. Der Autor ist sehr gut dazu in der Lage, die knisternde Stimmung zwischen den Figuren zu gestalten und darzustellen. Die Dialoge sind klasse angelegt. Dadurch entsteht Spannung. Ich wollte wissen, wie Isak sich verhält, und war gespannt zu lesen, ob er den Verlockungen seines Vaters widerstehen wird. Ich habe Isaks Weg mit Neugier verfolgt und habe mitgefiebert, ob er die richtigen Entscheidungen trifft. Und auch die Darstellung der psychologischen Seite hat mich überzeugt. Man sollte für die Lektüre aber viel Geduld mitbringen. Die Spannung baut sich nur langsam auf.


Insgesamt kann ich dem Buch aber keine 5 Sterne geben. Das hat mehrere Gründe. 1. Es kam keine Sogwirkung auf, 2. Für meinen Geschmack startet der Thriller zu gemächlich, 3. Das Ende hat mich leider gar nicht überzeugt. So komme ich auf knappe 4 Sterne. Den Autor werde ich aber auf jeden Fall weiter im Blick behalten. Sein Debut „Der Ausflug“ war für mich ein richtiger Überraschungshit. Und der gelungene Schreibstil des Autors lässt auf viele weitere gute Thriller hoffen.

Mittwoch, 18. Juni 2025

Pätzold, Oliver - 30 Tage



Flucht ins Ungewisse




Eines Tages kommt es zu einem militärischen Zwischenfall zwischen den USA und China. Ein amerikanischer B-52 Bomber wird abgeschossen, weil er in den chinesischen Luftraum eingedrungen sein soll. Die USA streiten dies ab. Doch die Lage verschärft sich zunehmend. Es folgen Kriegserklärungen. Und später kommt es zu nuklearen Angriffen. Zunächst bleibt der Konflikt lokal begrenzt, doch schon bald breitet sich der Krieg aus. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf…


Von diesen Vorkommnissen erfahren wir aus Medienberichten, während Nina zusammen mit ihren Freundinnen bei schönstem Wetter ihr Familienleben genießt. Die in die Handlung eingeflochtenen Nachrichtenmeldungen sind als Ergänzung und Kontrast zu Ninas Privat- und Familienleben angelegt. Während wir miterleben, was Ninas Alltag prägt (u.a. auch Sorgen um ihren Vater), eskaliert gleichzeitig die politische Weltlage. Doch Nina betreibt eine Art Realitätsverweigerung. Sie meidet die Nachrichten und will das, was in Fernost passiert, nicht allzu nah an sich heranlassen. Doch je mehr sich der Konflikt verschärft, desto mehr betrifft er auch ihr persönliches Leben. So kommt es z.B. zu Hamsterkäufen. Nina kann vor dem, was um sie herum passiert, nicht flüchten. Sie wird zu einer Betroffenen, ob sie es will oder nicht. Der Verteidigungsfall wird ausgerufen. Und spätestens als die Bombe auf München fällt, das nur ca. 30 km entfernt ist, endet Ninas normales Leben. Die zivile Ordnung bricht zusammen. Ein Überlebenskampf beginnt…


Die Schilderungen, wie sich die Lage in Fernost allmählich verschärft und wie die direkten Auswirkungen auf das persönliche Leben von Nina zunehmen, lesen sich sehr realistisch (und beängstigend). So könnte es tatsächlich ablaufen! Die Folgen des atomaren Schlags sind gravierend und werden den Leserinnen und Lesern schonungslos nähergebracht. Und Nina begeht einen schweren Fehler. Statt sich in einen sicheren Schutzraum zu begeben und die ersten 48 Stunden abzuwarten, flüchtet sie auf dem Fahrrad in Richtung Süden. Dabei trifft sie auch auf andere Menschen, die sich angsterfüllt versammeln und auf Hilfe warten. Massenpanik wird greifbar! Und bei Nina treten schon bald erste Symptome einer Strahlenkrankheit auf, die sich allmählich verschlimmern. Es beginnt eine intensiv geschilderte Leidensgeschichte, die mich als Leser betroffen zurücklässt. Und die Ungewissheit, wie es mit Nina weitergeht, erzeugt Spannung. Darüber hinaus sorgt der Umstand, dass Nina nicht weiß, was um sie herum passiert, und dass sie über keine Informationen zur Lage in Deutschland verfügt, für zusätzliche Dramatik.


Trotzdem kann ich diesem Buch keine 4 - 5 Sterne geben. Aus mehreren Gründen. Mir fehlen weitere Perspektiven, die zusätzliche Aspekte der Katastrophe in den Fokus rücken. Ein oder zwei weitere Handlungsstränge, die mehr über die Hintergründe preisgeben, hätten dem Buch nach meinem Gefühl gutgetan. Darüber hinaus hätte ich mir noch eine größere psychologische Tiefe für die handelnden Figuren gewünscht, damit man mehr mitfiebern kann. Weiterhin hätte das Buch an der ein oder anderen Stelle gestrafft werden können. Vieles wiederholt sich und dreht sich im Kreis (v.a. zum Ende hin, aber auch während des Aufenthalts im Auffanglager). Nicht zuletzt war mir der Schreibstil an vielen Stellen zu deskriptiv und dadurch zu langatmig. Zahlreiche Beschreibungen waren für mich zu ausschweifend und rauben dem Inhalt Unmittelbarkeit, Direktheit und Dynamik. Und noch etwas: Vieles von dem, was ich gelesen habe, war in dieser Form erwartbar. Es gab wenig Überraschungen. Mich hat das Buch mit zunehmendem Handlungsverlauf immer mehr verloren, das muss ich ehrlich zugeben. Es war mir zu düster, zu viel Leid auf einmal, dazu noch die genannten Kritikpunkte. Schade! Am Schreibstil gibt es aber nichts auszusetzen. Er ist sehr bildhaft und klar.

Montag, 16. Juni 2025

Paolini, Christopher - Fractal Noise


Signal ohne Ursprung?




Wir befinden uns in einer weit entfernten Zukunft (im Jahr 2234). Die Menschheit ist in der Lage, extrasolare Kolonien zu gründen und Reisen zu anderen Planeten zu unternehmen. Das eigene Sonnensystem ist bereits erschlossen und besiedelt. Doch von intelligentem Leben gibt es im Universum weiterhin keine Spur. Man entdeckte bisher lediglich Pflanzen, Tiere und zahlreiche Mikroorganismen. Bis zu dem Tag, als die 12-köpfige Besatzung des Forschungsschiffs Adamura auf dem unbewohnten, nahezu toten Planeten Talos VII ein kreisförmiges und makellos symmetrisch geformtes Loch aufspürt, das verschlüsselte Signale aussendet. Ist es künstlich angelegt worden und Anzeichen für eine intelligente Lebensform? Doch wohin sind die Erbauer des Lochs verschwunden? Auf dem Planeten sind keine Spuren von intelligentem Leben zu finden. Ich fühlte mich sofort an das sehr, sehr spannende Buch „Das Eulentor“ von Andreas Gruber erinnert und war neugierig zu erfahren, was es mit dem Loch auf sich hat. Ein gelungenes Ausgangssetting!


Erzählt wird aus der Sicht von Alex, einem Xenobiologen, und es wird sofort deutlich, dass er sich in keinem guten psychischen Zustand befindet. Er leidet unter einer depressiven Verstimmung, weil er einen tragischen Verlust erlitten hat. Selbst die Entdeckung des fremdartigen Konstrukts auf Talos VII kann ihm zunächst keinen neuen Lebensmut geben. Neugier und Leidenschaft sind ihm verloren gegangen. Er fühlt sich träge und ausgelaugt. In der Crew entsteht eine Diskussion darüber, wie man weiter bei der Erforschung des Phänomens vorgehen will, und man erörtert die Frage, was es mit der Anomalie auf sich haben könnte. Es werden verschiedene Hypothesen aufgestellt. Sehr interessant!


Nach der Ankunft beim Planeten soll ein Landungstrupp, dem auch Alex angehört, das Loch erforschen. Was werden sie entdecken? Das ist die zentrale Frage, die man sich zu diesem Zeitpunkt der Lektüre stellt. Und ich hatte eine große Erwartungshaltung (die ja auch vom Autor so angelegt wurde). Doch was dann folgt, forderte meine Geduld stark heraus: Vom Landungsschiff folgt ein langer, langer Marsch zum Loch, der sehr viel Raum einnimmt. Und die Erforschung der Anomalie selbst spielt kaum eine Rolle. Stattdessen wird geschildert, welche lebensgefährlichen Widrigkeiten der zusammengestellte Trupp überwinden muss, um überhaupt zum Konstrukt zu gelangen. Dabei zeigt sich z.B., dass die Nerven der Gruppenmitglieder äußerst angespannt sind (was zur Situation passt). Es kommt zu Meinungsverschiedenheiten, Reibereien und offen ausgetragenen Konflikten. Das wird auch spannend geschildert und der Autor lässt sich einiges einfallen, um die Anspannung beim Lesen hochzuhalten (einiges wiederholt sich dabei auch). Und auch die Atmosphäre der Expedition auf dem lebensfeindlichen Planeten wird in meinen Augen toll eingefangen. Doch das, was zu Beginn des Buchs als wesentlicher spannungserregender Moment aufgebaut wurde, wird dann kaum bedient und zu lange hinausgezögert. Das fand ich einfach unheimlich schade! Erst auf den letzten Seiten erfährt man dann mehr zur Anomalie. Doch, was ich las, hat mich dann noch einmal ernüchtert zurückgelassen. Eine Bewertung fällt schwer. Wie will man bewerten, dass die angelegte Erwartungshaltung nicht bedient wird, obwohl der Rest des Buchs eigentlich spannend geschildert wird? Ich drücke mich einfach mal davor, eine Sternebewertung abzugeben… 


Ich könnte mir vorstellen, dass der Autor vielleicht eine Fortsetzung plant, in der er mehr zur Anomalie preisgibt und die weitere Erforschung schildert. Aber meine Recherchen dazu haben nichts ergeben. Stattdessen plant Paolini sein angelegtes Fractal-Universum mit anderen Büchern weiter auszubauen, wie er selbst angekündigt hat. Vermarktet wird „Fractal Noise“ als Vorgänger zu „Infinitum“, das ich noch nicht kenne. Diese Wissenslücke werde ich sicherlich in naher Zukunft noch schließen.