Der alte Mann und die Bücher
Auf
einem seiner Auslieferungsspaziergänge, bei denen wir stets auch die Kundinnen
und Kunden mit ihren jeweiligen Eigenheiten und Leseinteressen kennenlernen,
begegnet Carl eines Tages dem kleinen Mädchen Schascha (9 Jahre), das ihn
fortan begleitet. Sie ist Halbwaisin und ihr Vater arbeitet viel, um die kleine
Familie über Wasser zu halten. Anfänglich kann der Buchspazierer mit der
Kleinen nicht viel anfangen, er hat Berührungsängste. Doch schnell erobert sie
sein Herz. Mit ihrer kindlichen Unbedarftheit und ihren neugierigen Fragen
amüsiert sie die Erwachsenen um sich herum und bringt Carl ein wenig aus seinem
gewohnten Rhythmus. Schascha verleiht Carls Leben neuen Schwung, durchbricht
dessen festgefahrene Routinen und gewinnt rasch die Sympathie der Leserinnen
und Leser. Sie ist ein humorvolles Element und sorgt immer wieder für
Überraschungen. Eine schöne Beziehungskonstellation, die der Autor da
konstruiert hat!
In
der Mitte des Buchs kommt es dann zu einer krisenhaften Situation. Aus
wirtschaftlichen Gründen wird der Service, den Carl anbietet, abgeschafft und
er verliert seine Beschäftigung (sein Angebot konnte bei einer Buchhandlung
dazugebucht werden). Die Inhaberin des Buchladens agiert eiskalt, undankbar und
gnadenlos, und das obwohl Carl mit seiner Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum
Erhalt der Buchhandlung beiträgt und die Kundschaft mit ihm sehr zufrieden ist.
Carl ist daraufhin geschockt und am Boden zerstört. Schascha merkt dies und
will ihn aufmuntern. Und ich stellt mir an dieser Stelle die folgenden Fragen: Wie
wird er damit umgehen? Kann er sich aus seiner persönlichen Krise befreien?
Wird Schascha ihm dabei helfen? Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel:
Zum Ende des Buchs ändert sich der wohlige Erzählton des Buchs ein wenig und
Carl lernt auch andere Seiten des Menschseins kennen.
In
dem Buch werden viele interessante Themen beiläufig angerissen. So geht es an einigen
Stellen auch um das Altern. Weiterhin scheint durch, dass Schascha trotz ihrer
ausgeprägten Neugier nicht gut in der Schule ist. Das finde ich erstaunlich, wo
sie doch als Begleitung von Carl so kreativ ist und über eine hohe emotionale
Intelligenz verfügt. Eine kleine, aber feine Kritik am Schulsystem, die hier aufblitzt.
Zentral geht es aber in „Der Buchspazierer“ natürlich um das Thema „Bücher“. So
wird klar, dass Bücher in verschiedenen Lebenssituationen immer wieder wichtige
Funktionen erfüllen. Sie spenden Kraft, Trost, Freude oder stiften andere
Emotionen. Zudem bieten sie Möglichkeiten zur Identifikation mit den
Protagonistinnen und Protagonisten und sind eine gute Gelegenheit, um über den
Inhalt des Buchs miteinander ins Gespräch zu kommen oder anderen als Geschenk eine
Freude zu machen. Und man stößt während der Lektüre immer wieder auf feine
Passagen, die das Lesen im Allgemeinen betreffen, so z.B. die folgende: „Jeder
Mensch braucht andere Bücher. Denn was der eine aus tiefstem Herzen liebt, das
lässt den anderen völlig teilnahmslos“ (S. 89). Fazit: Ein gelungenes Werk mit
gut aufeinander abgestimmten Figuren und wichtigen Botschaften. 5 Sterne von
mir!