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Samstag, 24. September 2022

Strid, Jakob Martin - Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne


5 von 5 Sternen


Abenteuerreise mit tollen Illustrationen

Das Kinderbuch „Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne“ von Jakob Martin Strid hat nicht nur einen lustigen, kreativen Titel. Das ganze Buch ist unglaublich kreativ und humorvoll gestaltet worden.

Hervorheben möchte ich zunächst die wimmelbildartigen Illustrationen, auf denen es unheimlich viel zu entdecken gibt. Man kann die Bilder mit den vielen Details lange und ausführlich betrachten und entdeckt immer wieder etwas Neues. Auch ist die Art der Zeichnungen sehr amüsant und lädt zum Schmunzeln ein. Allein die Betrachtung der Bilder ist in meinen Augen schon Grund genug dafür, dieses Kinderbuch im Schrank stehen zu haben.

Allerdings ist die Geschichte, die in dem Buch erzählt wird, nicht weniger interessant. Im Zentrum steht eine Abenteuerreise. In der Stadt Glückshafen regiert der stets wütende und schlecht gelaunte Vizebürgermeister Knorzig. Und als Mika und Sebastian einen Brief mit einem Samenkorn erhalten, aus dem eine Riesenbirne heranwächst, tritt Knorzig mit einer ungeheuerlichen Forderung auf den Plan: Er fordert Mika und Sebastian auf, die Riesenbirne zu entfernen, und droht damit, das Haus abzureißen und sie aus der Stadt zu vertreiben. Bei dem Versuch die Birne auszuhöhlen, um sie leichter transportfähig zu machen, verpasst Knorzig ihr einen Tritt, so dass sie immer schneller aufs Meer zurollt und dann aufs offene Meer hinaustreibt. Die Riesenbirne wird zum Schiff umfunktioniert und eine Abenteuerreise beginnt: Die Suche nach der geheimnisvollen Insel. Dabei begegnen Mika und Sebastian nicht nur schrecklichen Piraten, sondern auch einem fürchterlichen Seedrachen und durchqueren das Nachtschwarze Meer. Werden sie die geheimnisvolle Insel finden?

Gelungen finde ich neben der Bebilderung und den Inhalt auch die Tatsache, dass man an vielen Stellen der Geschichte einen Stopp einlegen kann, um den eigenen Nachwuchs beim Zuhören über den weiteren Verlauf des Inhalts spekulieren lassen kann. Teilweise finden sich dafür auch schöne Überleitungen, wie z.B. „Auf der nächsten Seite erfährst du, was sie sahen“. Hier kann man also die eigenen Kinder wunderbar fragen: „Was glaubst du bzw. was glaubt ihr, was sie sahen“?

Das einzige, was mir etwas negativ aufgefallen ist, ist der Umstand, dass die Leserichtung nicht immer sofort eindeutig ist. Der Text ist manchmal so angeordnet, dass man nicht sofort weiß, wo man weiterlesen muss. Auch ist das Schriftbild insgesamt etwas ungleichmäßig. Die Schriftgröße variiert und ist nicht einheitlich gestaltet. Auch hat sich mir nicht erschlossen, warum manche Wörter in Großbuchstaben gedruckt werden, andere aber wiederum nicht. Ich ziehe aber dafür keinen Stern ab, so sehr hat es mich nicht gestört.

 

Fazit

Ein kreatives, humorvolles Kinderbuch mit vielen „wimmelbildartigen“ Illustrationen und einer spannenden und interessanten Abenteuerreise. Bis auf die ungewöhnliche Schriftbildgestaltung habe ich keine Kritikpunkte. Ich vergebe also 5 Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus!

Yamada, Kobi - Versuchen


5 von 5 Sternen


Lebenslanges Lernen

Das Kinderbuch „Versuchen“ von Kobi Yamada, illustriert von Elise Hurst, enthält eine wichtige und allgemeingültige Botschaft, die jedes Alter anspricht: Probiere dich aus, lerne dazu und lass dich nicht durch Rückschläge entmutigen.

Im Zentrum der Geschichte stehen der wissbegierige, neugierige Lehrling, der noch wenig Zutrauen in sich selbst verspürt, und der erfahrene, weise Bildhauer, der bereits viel Erfahrungen gesammelt hat und die nötige Zuversicht besitzt, den jungen Lehrling anzuleiten. Der Bildhauer agiert als ein Mentor, der dem Lehrling seine Ängste nimmt und ihn ermutigt, Dinge auszuprobieren. Und er weckt bei ihm die nötige Begeisterung für sein Tun. Auch macht der Bildhauer seinem Lehrling klar, dass er sich nicht durch erste Rückschläge verunsichern lassen soll. Er nimmt ihm seine Selbstzweifel. Und es wird auch deutlich, dass der Weg des Lehrlings mit Anstrengungen verbunden ist. Immer wieder muss er an sich arbeiten, darf nicht aufgeben und verbessert sich in seinem handwerklichen Geschick Schritt für Schritt. Er begeht Fehler, aber er wächst daran. Und er wird zunehmend mutiger und geschickter. Und am Ende wird der Lehrling sogar selbst zum Lehrer. Der Kreislauf des lebenslangen Lernens beginnt von vorn.

Dieses Buch vermittelt Kindern in meinen Augen eine sehr wichtige Botschaft, die sie sowohl auf schulisches als auch außerschulisches Lernen übertragen können. Auch in der Schule gehören Anstrengung und Rückschläge sowie Fehler dazu, sie sind normal. Und jeder Mensch, der etwas lernen möchte, benötigt einen Mentor bzw. eine Mentorin, der bzw. die ihn anleitet und unterstützt. Selbst für Erwachsene besitzt diese Botschaft noch Gültigkeit.

Abgerundet wird der Inhalt durch die Illustrationen, die sehr schön anzuschauen sind. Es handelt sich um Bleistiftzeichnungen, die einen verwaschenen Eindruck machen. Farbe kommt nur selten vor, so dass ein etwas düsterer Eindruck entsteht. Effekte von Licht und Schatten werden dabei toll in Szene gesetzt. Auf mich wirkten die Illustrationen, als ob sie einer Traumlandschaft entnommen worden sind. Ich habe solche Zeichnungen in noch keinem anderen Kinderbuch, das ich kenne, gesehen. Es ist also einmal etwas anderes. Das finde ich sehr gelungen. Ich habe mich zwar schon gefragt, ob die Bilder für kleinere Kinder zu unheimlich sein könnten, aber bei meinen Töchtern habe ich keine Angst bemerkt.

Abschließend möchte ich noch festhalten, dass dieses Buch nicht sehr textlastig ist, das Vorlesen des Buchs dauert also nicht sehr lang. Das visuelle Erlebnis nimmt mehr Raum ein als der Text. Auf jeder Seite sind nur wenige Zeilen abgedruckt.

 

Fazit

Ein Kinderbuch mit einer wichtigen Botschaft zum Thema des lebenslangen Lernens und ein visuell beeindruckenden Illustrationen in Form von Bleistiftzeichnungen, die verwaschen wirken. Ich kann es nur weiterempfehlen und vergebe 5 Sterne.

Dienstag, 20. September 2022

Gerassimow, Sergej - Feuerpanorama. Ein ukrainisches Kriegstagebuch


5 von 5 Sternen


Dokumentation des ukrainischen Kriegsalltags in Charkiw

Aktuell, wichtig, erschütternd! In dem Werk „Feuerpanorama“ dokumentiert Sergej Gerassimow das Alltagsleben in Charkiw im Schatten des russischen Angriffskriegs, und zwar vom 24.02.2022 bis zum 18.04.2022. Es sind Informationen aus erster Hand, die eindringlich und klar vor Augen führen, was für ein Verbrechen aktuell in der Ukraine von russischer Seite begangen wird. Und anders als in den Tageszeitungen, in denen man momentan viel vom Krieg liest, geht es in diesem Buch um ein Einzelschicksal und einen lokal begrenzten Raum: um Charkiw. Man dringt durch die Lektüre dieses Werks also intensiv und tief in das kriegsgebeutelte Alltagsleben ein.

Und mich hat bei der Lektüre gewundert und beeindruckt, wie gefasst Gerassimow mit der täglichen Bedrohung umgeht, wie er im Angesicht der Katastrophe in der Lage ist, Ruhe zu bewahren. Er bleibt in Charkiw, obwohl die Front in der Nähe ist. Und er schildert im Buch eindrücklich und klar, wie eine Art „Kriegsnormalität“ entsteht: Lebensmittel, Wasservorräte und Medikamente müssen besorgt werden. Man trotzt der Kälte. Überall bilden sich Schlangen vor den Geschäften. Und ständig lebt man in der Angst vor Raketenangriffen und Artilleriefeuer. Charkiw wird Schritt für Schritt weiter zerstört. Das ist für uns hier unvorstellbar!

Das Buch ist darüber hinaus sehr emotional geschrieben. Offenherzig und schonungslos berichtet Gerassimow von seinen Hassgefühlen auf russische Soldaten und auf die russische Kriegsindustrie. Gleichzeitig bemüht er sich darum, die Geschehnisse zu verstehen und wünscht sich, dass die Russen endlich aufwachen und sich nicht weiter von der Propaganda beeinflussen lassen, sondern zivilen Widerstand üben. Man spürt seine tiefe Abneigung gegenüber der russischen Kriegsrhetorik und den „putinophilen Russen“. Und ich habe mich bei der Lektüre als Außenstehender schon gefragt, wie sollen diese beiden Länder sich jemals wieder einander annähern? Ist der Riss, der durch diesen Krieg entstanden ist, jemals wieder überbrückbar? Denn eines ist klar: Irgendwann wird dieser Krieg enden. Auch habe ich mir die Frage gestellt, wie repräsentativ die Meinung des Autors ist. Denkt nur er so?

Natürlich schwingt in diesem Buch auch Pathos mit, die Widerstandskraft der Ukrainer und ihre Liebe zur Freiheit wird immer wieder beschworen und man muss sich klar darüber sein, dass hier kein objektives Bild des Krieges vermittelt wird. Nicht alle Informationen aus ukrainischen Quellen, die teilweise im Buch angeführt werden, sind überprüfbar. Auch werden v.a. die Wut und der Hass des Autors auf Putin an vielen Stellen deutlich. Gleichzeitig äußert sich der Autor aber auch selbstkritisch und beleuchtet z.B. das Thema des radikalen ukrainischen Nationalismus.

Doch ich muss gestehen, ich habe schon auch Verständnis für die Emotionen von Gerassimow. Sind solche Gefühle nicht nachvollziehbar in einer Situation, in der man unverschuldet in einen Krieg hineingezogen wird und täglich Leid und Tod sieht? Und es ist klar, dass die Kriegsberichterstattung niemals objektiv ausfallen kann, getreu dem Motto „das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit“. Das muss man bei der Lektüre einfach im Hinterkopf haben. In meinen Augen geht es in diesem Buch auch nicht um die Wahrheitsfindung, was die Kriegsberichterstattung angeht. Das kann nicht das Anliegen sein. Nein, es ist ein Zeugnis davon, was der russische Krieg in der Bevölkerung anrichtet, was für ein Leid er verursacht. Und das am Beispiel der Stadt Charkiw, die stellvertretend für weitere Städte stehen kann, die angegriffen wurden und werden.  


Fazit

Wer tief in das aktuelle kriegsgebeutelte ukrainische Alltagsleben eintauchen möchte und lesen will, wie sich eine Art „Bedrohungs-Normalität“ im Schatten des Krieges ausbildet, der sollte dieses Buch lesen. Es ist zugleich ein wichtiges Zeugnis davon, was für ein Leid der russische Angriffskrieg verursacht. Und es gewährt Einblick in die aufgewühlte Gefühlswelt des Autors. Im Zentrum steht mit Sergej Gerassimow ein Einzelschicksal aus Charkiw, das vermutlich repräsentativ für viele weitere Ukrainer und Ukrainerinnen stehen kann. In meinen Augen ein wichtiges Dokument, das man lesen sollte, um zu verstehen, was gerade Grauenvolles in der Ukraine vor sich geht. 5 Sterne!


Donnerstag, 15. September 2022

Poznanski, Ursula - Stille blutet


2 von 5 Sternen


Langweilig und vorhersehbar

Der Thriller „Stille blutet“ von Ursula Poznanski startet mit einem furiosen Auftakt. Eine Moderatorin kündigt durch einen manipulierten Teleprompter aus Versehen ihren eigenen Tod an, der dann real wird. Und sofort fragt man sich, wer dahintersteckt. Doch leider war es das dann auch. Bis auf den fulminanten Start hat der Thriller leider wenig zu bieten. Er ist langweilig, vorhersehbar und einfach 0815-„Einheitsbrei“. Und für mich war es eher ein Krimi, kein Thriller. Wo bitte waren die klassischen „Thrill-Elemente“?

Es gab leider nichts Besonderes, was diesen Thriller von anderen auf dem Markt unterscheidet. Die Handlung verläuft langatmig, das Tempo ist gemütlich-langsam, die Ermittlungen ziehen sich hin, die Figuren bleiben weitestgehend blass. Wendungen und Überraschendes habe ich vermisst. Eine Sogwirkung kam an keiner Stelle auf. Es ist schon nach den ersten Seiten klar, wer als Verdächtiger in Frage kommt. Und die Polizei agiert völlig festgefahren und unkreativ. Wo sind spannungserregende Impulse? Auch die Rivalität, die im Ermittlerteam als zusätzliche „Würze“ angelegt ist, ist leider nicht innovativ, sondern eher ermüdend und altbekannt. Es finden sich einfach viele klassische Muster, auf die die Autorin hier zurückgreift. Nebenschauplätze erhalten viel zu viel Gewicht. Und die Auflösung am Ende ist so langatmig, wie ich sie selten zuvor gelesen habe: Erklärung reiht sich an Erklärung. Noch dazu ist das Verhalten von Tibor an einer Stelle absolut unglaubwürdig.

Das einzige, was ich etwas interessant fand: Es wird die Perspektive eines unbekannten Beobachters eingebaut, der sich in direkter Anrede an den Leser wendet. Allerdings ist mir das Gesagte in diesem Blickwinkel viel zu sehr verrätselt und unverständlich. Zwar erzeugt dieses Element erstmals Neugier, weil man wissen möchte, wer dahinter steckt. Doch leider will sich die Autorin hier leider zu viel für mögliche Nachfolgebände aufheben. Schade! Ich werde jedenfalls diese Reihe nicht weiter verfolgen. Da greife ich lieber zu Büchern anderer Thriller-Autoren.

 

Fazit

Dieser Thriller ist klassische „Massenware“ und ist zudem kein Thriller, sondern ein Krimi. Das einzige, was gelungen ist, ist der furiose Auftakt. Wer dann weiterliest, wird schnell enttäuscht sein. Ich rate von diesem Werk ab. Keine Empfehlung von mir! 2 Sterne für den gelungen Beginn und  für die Idee, dass ein unbekannter Beobachter sich in direkter Anrede an den Leser wendet.

Dienstag, 13. September 2022

Schreiber, Chantal und Iris Hardt - Doppel-Galoppel. Zwei und das Wassergespenst


3 von 5 Sternen


Opa Valdi erzählt eine Geschichte

Das Kinderbuch „Doppel-Galoppel. Zwei und das Wassergespenst“ von Chantal Schreiber und Iris Hardt ist für Kinder ab 4 Jahren zum Vorlesen gedacht und enthält schöne Illustrationen der beiden Pferde Skoppa und Kappi. Der Inhalt und der Wortschatz sind altersgerecht, v.a. pferdebegeisterte Kinder werden auf ihre Kosten kommen.

Eine ausgefallene und schöne Idee ist in meinen Augen, dass sich zwei Erzählebenen abwechseln. Erzählt wird eine Geschichte in der Geschichte. Großvater Valdi erzählt seinen Enkelkindern Fanndis und Jon eine Geschichte von den beiden Pferden. Und die Geschichte um Skoppa und Kappi wird dann immer wieder unterbrochen durch Nachbetrachtungen von Fanndis und Jon, in denen auf das vorher Erzählte nochmals Bezug genommen wird. Lediglich die inhaltlichen Übergänge zwischen den Perspektivwechseln hätten etwas ausführlicher und „sauberer“ ausfallen können.

Auch macht es Sinn, einen Erzählabschnitt mit den dazugehörigen Reflexionen der zwei Enkelkinder zusammen vorzulesen. Das sollte man vorher entsprechend einplanen.

Die Geschichte um Skoppa und Kappi fanden meine Kinder gut, ich persönlich fand sie sprunghaft angelegt. Mir fehlte ein klarer roten Faden, ein Ziel, auf das die Handlung hinausläuft. Meine Kinder hat das jedoch nicht gestört.

Trotz der genannten inhaltlichen Schwächen möchte ich aber herausheben, dass die Bebilderung gelungen ist. Es gibt viele Pferdebilder, die noch dazu niedlich gezeichnet sind. Und die Illustrationen unterstützen das Gelesene, sie beziehen sich also passend auf den Inhalt. Außerdem gibt es auf jeder Doppelseite mindestens ein Bild. Das ist ebenfalls gut!

 

Fazit

Ein Kinderbuch, in dem sich zwei Erzählebenen abwechseln. Erzählt wird eine Geschichte in der Geschichte. Die Übergänge zwischen den Kapiteln hätten ausführlicher gestaltet werden können. Der Inhalt wird nach meinem Empfinden etwas sprunghaft erzählt, was meine Kinder aber nicht gestört hat. Am gelungensten finde ich die Bebilderung! Ich vergebe 3 Sterne.

Montag, 12. September 2022

Grisham, John - Der Verdächtige


5 von 5 Sternen


Der rachsüchtige Richter

John Grisham ist ein Garant für Qualität, er ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Autoren, seine Romane werden zu Bestsellern. Seine Bücher wurden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt (vgl. dazu den Klappentext). Es stellt sich also die Frage, ob sein neues Werk „Der Verdächtige“ ebenfalls überzeugen kann.

Zu Beginn nimmt sich Grisham viel Zeit die Protagonistinnen Lacy Stoltz und ihre Informantin Jeri ausführlich und mit Tiefe zu charakterisieren. Man erhält ein umfassendes und facettenreiches Bild der Figuren und der Beziehungen der jeweiligen Charaktere zueinander. Das ist schon eine großartige schriftstellerische Leistung, in vielen Thrillern bleiben die Figuren oft blass und konturlos, manchmal dienen sie nur als Mittel zum Zweck. Nicht bei Grisham!

Für Lacy entwickelte ich beim Lesen schnell Sympathie, bei Jeri hingegen dauerte es eine Weile, bis ich ihr Glauben schenkte. Zu Beginn sind ihre Vorwürfe einfach zu ungeheuerlich, noch dazu vage und wenig konkret. Ich habe mich anfangs schon darüber gewundert, dass Lacy ihr Glauben schenkt. Doch nach und nach leistet Jeri eine gute Überzeugungsarbeit. Und es wird immer deutlicher, dass es um Jeris psychischen Zustand nicht gut bestellt ist. Sie fühlt sich verfolgt, vertraut kaum jemanden und ist seit 20 Jahren einem Serienkiller auf den Fersen, und das völlig auf sich allein gestellt. Sie hat unglaubliche Strapazen auf sich genommen und Ressourcen investiert, um den Täter zu überführen. All das kommt gut zum Ausdruck.

Das Setting des Romans ist in meinen Augen reizvoll und ungewöhnlich. Man weiß von Anfang an als Leser:in, wer der Täter ist: Ein Richter, der Rache an seinen Opfern nehmen will. Und für Lacy und Jeri er ist ein mächtiger, intelligenter und gefährlicher Gegner, schließlich hat er viel Einfluss und kennt sich juristisch gut aus. Es geht also vor allem um die Frage, ob und wie er überführt wird. Und es ist nicht die Polizei, die ermittelt, sondern eine Gerichtsaufsichtsbehörde. Auch das ist einmal etwas anderes. Und spätestens mit dem Einreichen der Dienstaufsichtsbeschwerde nimmt die Handlung auch noch einmal zusätzlich an Fahrt auf. Die Täterperspektive rückt dann ebenfalls in den Fokus. Es beginnt ein gut konstruiertes, spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Der Täter beginnt sich zu fragen, was die Ermittler wissen, wer sein Gegenspieler ist und er wird plötzlich verunsichert. Heraus kommt ein tolles Duell zwischen dem Richter und Jeri als seiner Verfolgerin. Und dieses Duell läuft auf einen Höhepunkt am Ende des Buches zu. Das ist schon geschickt arrangiert.

Nebenbei erhält man auch einen Einblick in die wenig vernetzte Polizeiarbeit in den USA. Es herrscht Kleinstaaterei. Jeder Bundesstaat agiert für sich. Ein interessanter Einblick und gleichzeitig eine gute Systemkritik. Gleiches gilt auch für die Kontrolle der Arbeit von Richtern. In seinem Nachwort macht Grisham auch deutlich, dass die Behörde „Board on Judicial Conduct“ (BJC), die im Buch vorkommt und für die Lacy Stoltz arbeitet, nur eine Erfindung von ihm ist. Stattdessen hat „jeder Bundesstaat sein eigenes System, um standeswidriges Verhalten von Richtern zu untersuchen“ (vgl. Nachwort des Autors). Diese Information finde ich sehr interessant und gewährt einen Einblick in das amerikanische Justizsystem.

Das Buch liest sich flüssig, die Handlung wird geradlinig erzählt, ohne viele Abschweifungen. Auch das überzeugt. Letztlich hat mich die Lektüre vollkommen überzeugt. Lediglich das Ende kam für mich etwas abrupt und war anders gestaltet, als ich es erwartet hatte.

 

Fazit

John Grisham ist einfach ein „Maestro“, das zeigt er in meinen Augen auch in seinem Roman „Der Verdächtige“. Die Figuren sind gut ausgearbeitet. Das Setting ist geschickt konstruiert und bietet ein spannendes Duell, das in einem durchdachten Höhepunkt am Ende des Buches kulminiert. Nebenbei erhält man noch einen interessanten Einblick ins US-Justizsystem. Ich habe tatsächlich nichts zu bemängeln, und das kommt selten vor. Ich vergebe 5 Sterne!

Freitag, 9. September 2022

Strobel, Arno - Die App


3 von 5 Sternen


Darknet – aufs Neue

Der Thriller „Die App“, erschienen 2020, ist der dritte Thriller, den ich nun von Arno Strobel gelesen habe. Ich arbeite mich chronologisch rückwärts durch sein Werk. Aufmerksam auf den Autor bin ich durch das Werk „Fake“ geworden, das mich begeistert hat und im August 22 erschienen ist. Auch „Sharing“ konnte mich noch in seinen Bann ziehen, wenn es mir auch stellenweise etwas zu hart und sadistisch darin zuging. (vgl. eine frühere Rezension). Doch wie schneidet nun „Die App“ im Vergleich ab?

Auf die Besonderheiten der Erzählweise von Strobel bin ich schon in meinen früheren Rezensionen eingegangen, ich wiederhole mich ungern. Sie ähnelt „Fake“ und „Sharing“ sehr. Wieder ist man sofort mittendrin im Geschehen und wird mitgerissen. Schon auf den ersten Seiten ergeben sich drei zentrale Fragen: Was ist mit der Frau passiert, als Hendrik seine Not-OP durchgeführt hat? Ist sie ausgerissen? Wurde sie entführt?

In kursiv gedruckten eingeschobenen Kapiteln erfährt man dann wieder etwas über die Täter- und Opferperspektive, eine auffällige Parallele zu „Fake“ und „Sharing“. Ähnlich wie in „Sharing“ geht es wieder recht hart zur Sache. Für meinen Geschmack ist die Darstellung dieser Einschübe zu drastisch. Aber das muss natürlich jeder für sich selbst beurteilen.

Wieder lassen sich zahlreiche Ähnlichkeiten zu „Fake“ und „Sharing“ entdecken, der Autor greift gerne auf ein ähnliches Rezept zurück, dessen Zutaten er dann variiert. So spielt z.B. immer wieder das Darknet eine große Rolle. Die Variation ist allerdings so gewählt, dass schon jeder der genannten Thriller inhaltlich für sich selbst stehen kann. Es ist nicht so, dass stets der gleiche Inhalt kopiert wird. Aus diesem Grund stört die Ähnlichkeit auch nicht.

Allerdings muss ich klar sagen, dass mir „Die App“ weniger gut gefallen hat als „Fake“ und „Sharing“. Die ganze Thematik um das intelligente Home System Adam sprach mich nicht so an. Auch ist das Tempo bei „Die App“ nicht so hoch, es gab schon deutlich mehr Längen. Die Ermittlungen drehten sich für mich insgesamt zu sehr im Kreis. Und weil die Spannung nicht so stark ausgeprägt ist wie bei „Fake“ und „Sharing“, treten dann doch auch die Schwächen bei der Charakterzeichnung deutlicher hervor. Die Figuren bleiben recht blass. Es kam für mich einfach keine solche Sogwirkung auf wie bei „Fake“ und „Sharing“. Der Fokus lag für mich auch zu sehr auf dem Smart Home System und zu wenig auf der verschwundenen Frau. Auch das Ende war mir zu heftig und zu sadistisch gestaltet. Das hat mir nicht zugesagt. Auch wurde am Ende nicht alles zu meiner Befriedigung aufgelöst. Ich hatte noch ein paar offene Fragen im Kopf. Das hat mich schon gestört.

Letztlich findet man das Motiv des verschwundenen Partners in anderen Thrillern in meinen Augen besser umgesetzt, so z.B. bei Judith Merchant „Atme“ oder bei Jackie Kabler „Ein perfektes Paar“ (vgl. frühere Rezensionen).

 

Fazit

Der Thriller „Die App“ kann nicht mit „Fake“ und „Sharing“ mithalten. Es gibt mehr Längen, das Tempo ist nicht so hoch. Die Sogwirkung empfand ich als weniger stark ausgeprägt. Die Ermittlungen drehen sich nach meinem Empfinden sehr im Kreis. Der Fokus lag für mich unpassenderweise zu sehr auf dem Smart Home System. Ich vergebe 3 Sterne!

Mittwoch, 7. September 2022

Litteken, Erin - Denk ich an Kiew


3 von 5 Sternen


Ein dunkles Kapitel der ukrainischen Geschichte

In dem Roman „Denk ich an Kiew“ von Erin Litteken wird ein sehr dunkles Kapitel der ukrainischen Geschichte emotional und ergreifend erzählt: Es geht um den Holodomor, den durch Stalin forcierten Tod durch Hunger in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre (vgl. dazu das Nachwort der Autorin).

Und gerade jetzt, in Zeiten des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, ist es ein wichtiges Buch, das deutlich macht, dass die Ukraine nicht zum ersten Mal unter aggressiver Politik leidet. Im kollektiven Gedächtnis der Ukraine spielt dieses Verbrechen bis heute eine Rolle. Die Ukraine hatte unter Stalins Herrschaft entsetzlich unter Deportationen und Hungersnöten zu leiden. Und der Widerstand gegen die Zwangskollektivierungs- und die Entkulakisierungsmaßnahmen war in der Ukraine besonders stark (vgl. dazu Brian Moynahan (1994): Das Jahrhundert Russlands, S. 138-139). All das kommt in dem Roman von Litteken gut zur Geltung, wenn auch nur recht oberflächlich. Es ist gut recherchiert und schildert in meinen Augen ein vermutlich sehr authentisches Bild der damaligen Zustände.

Der Roman enthält zwei Handlungsstränge: In dem einen Handlungsstrang wird das Dorfleben um Katja Anfang der 30er Jahre geschildert, in dem anderen, gegenwärtigen Handlungsstrang wird die Großmutter von Cassie in den Blick genommen, die an einer beginnenden Alzheimerkrankheit leidet. An ihrem Beispiel wird die Traumatisierung der älteren Generation gut deutlich, die die vergangenen Ereignisse verdrängt hat. Allerdings fand ich, wie viele andere Rezensenten, den Handlungsstrang um Katja deutlich interessanter und ereignisreicher. Den Strang um Cassie empfand ich doch als sehr langatmig und mit wenig „Zugkraft“ gestaltet.

Insgesamt wird die geschichtliche Situation treffend dargestellt, aber die Emotionen kommen mir oft zu kurz. Viele traurige Ereignisse werden mir zu knapp und zu nüchtern abgehandelt, ohne dass sie bei mir intensive Betroffenheit ausgelöst haben. Es mag sein, dass es da anderen Leser:innen anders ergeht, vielleicht lag es an mir. Aber ich empfand die Darstellung oft als zu sachlich. Allerdings war das nicht durchgängig so, es gab auch durchaus einige Stellen, die berührt haben. Z.B. die Passage, wo deutlich wird, wie schon Kinder und Jugendliche politisch indoktriniert werden. Und der tägliche Überlebenskampf wird ebenfalls an einigen Stellen schon eindringlich geschildert, aber eben nur punktuell. Besonders eindringlich und erschütternd waren für mich immer solche Textpassagen, die die repressiven gesellschaftlichen Zustände deutlich machten.

 

Fazit

Ein gut recherchierter Roman, bei dem die gesellschaftlichen Zustände in der Ukraine Anfang der 30er Jahre recht gut deutlich werden. Ein wichtiges Buch mit Aktualitätsbezug. Allerdings hat der Roman auch seine Längen. V.a. der Erzählstrang um Cassie ist langatmig und ereignisarm geraten. Oft empfand ich die Erzählweise als zu sachlich und zu nüchtern. Grundsätzlich hätte ich mir gewünscht, dass Litteken geschichtlich noch mehr in die Tiefe geht. Ich vergebe 3 Sterne, weil ich emotional zu wenig erreicht worden bin!

Montag, 5. September 2022

Strobel, Arno - Sharing


4 von 5 Sternen


Schnell getaktete Ereignishaftigkeit

Nachdem ich von „Fake“ von Arno Strobel so begeistert war (vgl. eine frühere Rezension), wollte ich unbedingt noch mehr von ihm lesen. So stieß ich auf den Thriller „Sharing“, erschienen 2021. Und es zeigt sich, dass die Erzählweise, die schon bei „Fake“ für extreme Spannung sorgte, auch bei Sharing zum Einsatz kommt. Eine Erzählweise, die ich in meiner Rezension zu „Fake“ bereits folgendermaßen benannt habe: schnell getaktete Ereignishaftigkeit. So auch hier. Der Autor kommt sofort zur Sache, man ist sofort mittendrin im Geschehen und wird mitgerissen.

Was mich anfangs etwas gestört hat: Es gibt schon einige Parallelen zu „Fake“. Der Mann, Markus, wird schon wieder (fälschlicherweise?) verdächtigt, die Polizei nimmt ihn als Verdächtigen ins Visier. Gleichzeitig wird er von einem Täter immer wieder in diverse Fallen gelockt. Und ich hatte wirklich erst Sorge, dass sich vieles zu sehr ähneln wird. Doch dem ist nicht so. Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Markus sich allein durchschlägt, um den Täter zu stellen, entwickelt sich die Handlung in eine ganz eigene Richtung und die Parallelen zu „Fake“ sind nicht mehr zu überbordend.

Doch die Fragen, die man sich beim Lesen stellt, sind dieselben wie bei „Fake“: Was ist die Wahrheit? Hat Markus womöglich doch seiner eigenen Frau etwas angetan? Oder wird er es doch schaffen, seine Unschuld zu beweisen? Und erneut wundert man sich über die Polizei, die so auf ihn als Täter festgelegt ist. Ich habe mir während des Lesens vorgestellt, dass ich niemals in eine solche Situation kommen möchte und ich hoffentlich auf Beamte treffe, die meine Aussagen nicht nur in Zweifel ziehen. Ich empfand die ermittelnden Kommissare als zu unkritisch und zu einseitig dargestellt. Die Polizeiarbeit wirkt schon sehr festgefahren, fast dilettantisch. Das ist nicht immer realistisch. Aber natürlich hilft diese bewusste Konstruktion dabei, noch mehr Spannung zu erzeugen. Und man regt sich als Leser, der (evtl.?) mehr weiß als die Polizei, sehr über die Beamten auf. Gleichzeitig ist man sich aber unsicher, ob Markus nicht vielleicht doch lügt. Man ist während der Lektüre also schon hin- und hergerissen. Was stimmt, wem kann man glauben? Das ist schon geschickt arrangiert. Und auch wenn Strobel sich des gleichen Rezepts mit ähnlichen Zutaten bedient, es wirkt. Ich habe „Sharing“ genauso gebannt gelesen wie „Fake“.

Allerdings fand ich „Fake“ aus einem Grund doch besser: Die Thematik hat mir mehr zugesagt. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Ich fand „Sharing“ doch etwas zu brutal und zu hart, v.a. die eingeschobenen Kapitel zur Opferperspektive waren mir teilweise zu drastisch, der Sadismus zu deutlich. Da fand ich „Fake“ deutlich schonender dem Leser/ der Leserin gegenüber. Und auch die psychologisch-psychiatrische Unterfütterung des Inhalts fand ich am Ende zu unsinnig. Was mir auch an „Fake“ besser gefallen hat: Die Polizei spielt im Verlauf der Handlung eine größere Rolle als bei „Sharing“. Das hat mir ebenfalls mehr zugesagt. Nicht zuletzt hat mir auch das Ende bei „Fake“ besser gefallen als das bei „Sharing“. Bei „Sharing“ fand ich es zu konstruiert und nicht gänzlich plausibel.


Fazit

Der Thriller ist absolut spannend und fesselnd, aber im Vergleich zu „Fake“ finde ich „Sharing“ weniger gelungen. Dennoch absolut empfehlenswert. Ich vergebe 4 Sterne!

Samstag, 3. September 2022

Freeman, Castle - Ein Mann mit vielen Talenten


5 von 5 Sternen


Lektüre als Einladung zum intertextuellen Vergleich

Das Motiv des Teufelsbündnisses hat weltliterarische Bedeutung und zieht sich seit Jahrhunderten durch die Literaturgeschichte (vgl. dazu den Eintrag „Teufelsbündner“ in Frenzels Nachschlagewerk „Motive der Weltliteratur“). In der deutschen Literatur denkt man dabei natürlich sofort an Goethes „Faust“ oder Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Kein Wunder also, dass der Hanser-Verlag diese intertextuelle Referenz auf Faust und Mephisto auch im Klappentext anführt. Denn mit seinem Roman „Ein Mann mit vielen Talenten“ leistet der amerikanische Schriftsteller Castle Freeman nun seinen eigenen literarischen Beitrag zu dem Motiv des Teufelspakts. Und wer mit dem Inhalt der Klassiker der deutschen Literatur vertraut ist, der kann bei der Lektüre von Freemans Werk zahlreiche intertextuelle Bezüge anstellen und entdeckt dabei zahlreiche Uminterpretationen des klassischen Faust-Stoffs. Abhängig vom eigenen Vorwissen und der Vertrautheit mit dem Faust-Stoff entdeckt man also viele Parallelen bzw. Abweichungen. Das macht Spaß!

Mit der Figur Dangerfield, einem Handlanger des Teufels, der für die meisten Menschen unsichtbar bleibt, wird eine diabolische Figur entworfen, die zwar längst nicht so charismatisch wie ein Mephisto daherkommt, aber doch eine gewisse Eloquenz an den Tag legt, wie sie für Teufelsfiguren typisch ist. Amüsant sind die Passagen, wo Dangerfield seinen Bündner Landon Taft beeinflusst und ihm Worte in den Mund legt, die dieser einfach im Gespräch nachplappert, oder wo er sich passend zur Situation mit auffälligen Kostümen verkleidet. Doch anders als Faust bleibt Langdon Taft ziemlich standhaft und kann sich gegen die Manipulationsversuche durch Dangerfield behaupten. Taft nutzt seine Macht konsequent für das Gute und handelt nicht egoistisch. Er ist freigiebig und nächstenliebend. Allerdings schreckt er auch vor dem Einsatz von Gewalt und Selbstjustiz nicht zurück, um andere zu schützen. Eine vergleichende Gegenüberstellung von Faust und Taft kann also ergiebige Ergebnisse zutage fördern.

Auch das klassische „Verhandlungs-Gespräch“ zwischen Teufelsfigur und Bündner kommt natürlich im Buch vor. Hier hatte ich viele Assoziationen zum Tauschhandel von Peter Schlemihl, der seinen Schatten an den grauen Mann verkauft. Ein Vergleich drängt sich förmlich auf. Und natürlich spielt auch das Thema „Liebe“ eine Rolle. Es wird aber völlig anders umgesetzt als z.B. bei Goethe, wo die Gretchentragödie ja einen großen Raum einnimmt. Das Gespräch zwischen Taft und seiner Liebsten, Trooper Madison, bleibt sogar eine Leerstelle. Und auch das magische Element kommt nicht zu kurz, beispielsweise in Form eines Verwandlungszaubers, sogar eine Hexe tritt auf. Nicht zuletzt kann man noch das Ende des klassischen Dramas mit dem Roman von Freeman in Beziehung setzen. Doch ich will an dieser Stelle nicht verraten, ob Taft den Pakt mit Dangerfield unterlaufen kann. Wie der Faust ausging, wissen wir ja…

 

Fazit

Der Reiz des Romans von Castle Freeman liegt in meinen Augen darin, dass man ihn mit dem klassischen Drama von Goethe in Beziehung setzen kann und viele intertextuelle Bezüge herstellen kann. Mir hat die Lektüre vor allem aus diesem Grund viel Spaß gemacht. Aber letztlich hat jeder Leser/ jede Leserin einen eigenen subjektiven Zugang zu Literatur. Was für mich den Reiz ausmacht, kann für andere wenig interessant sein. Die Handlung wird vor allem durch die Frage vorangetrieben, wie Taft seine neue Macht nutzen wird und ob er den Pakt unterlaufen kann oder nicht. Auch die Gestaltung des Sprachstils finde ich sehr gelungen: viele lakonische Gespräche und trockener Humor regen zum Schmunzeln an. Ich vergebe 5 Sterne!

Freitag, 2. September 2022

Pickert, Nils - Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge


5 von 5 Sternen


„Die schreckliche Vermissung“

Kinder entdecken die Welt im Spiel und lieben Rollenspiele. Genau diese Idee wird in dem von Nils Pickert verfassten Kinderbuch „Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge“ wunderbar aufgegriffen, und zwar ganz ohne Geschlechterklischees. Milo spielt für sein Leben gern Prinzessin und Mara ist in ihrer Phantasie am liebsten ein Seeräubermädchen. Und ich finde diese beiläufige Vermittlung von Toleranz gelungen. Warum sollten Jungen nicht Prinzessin oder Mädchen Pirat spielen dürfen? Mit diesem Buch wird den Kindern zugestanden, sich frei zu entfalten. Das ist gelungen!

Und noch ein anderes zentrales Thema wird in diesem Buch aufgegriffen: Freundschaft. Auf dem Spielplatz freunden sich Milo und Mara an, spielen zusammen und tauchen jeweils in die Welt des bzw. der anderen ein. Und die Freundschaft entwickelt sich über die Geschlechtergrenze hinweg. Und warum auch nicht?

Ein Einschnitt in der Freundschaft erfolgt, als Milo und Mara voneinander getrennt werden und sich gegenseitig schmerzlich vermissen. Da verschwindet aufgrund des Gefühls von Traurigkeit sogar auf einer Doppelseite die Farbe aus dem Bild, was ich für eine kreative Text-Bild-Verzahnung halte. Mara fährt ohne Milo in den Urlaub. Und nun wird ein weiteres wichtiges Thema von Freundschaft vertieft: Trennungsschmerz. Auch das kennt wohl jedes Kind, gerade in den Ferien, wenn Freunde und Freundinnen in den Urlaub fahren. Hier finde ich die inhaltliche Aufbereitung der Gefühlsebene sehr gelungen und treffend. Auch die gegenseitige Befremdung des ersten Wiedersehens, wenn man sich länger nicht gesehen hat, wird gut deutlich. Und die Freude über eine Geburtstagseinladung und der gemeinsame Spaß auf der Feier, die sich ebenfalls im Buch wiederfinden, dürften auch jedem Kind bekannt vorkommen.

Auch die Illustrationen von Lena Hesse sind gelungen. Auf jeder Seite findet man ein Bild und es gibt auch einige großformatige Bilder, die zur längeren Betrachtung einladen (ich habe auf den 67 Seiten 24 Illustrationen gezählt, die mehr als eine halbe Seite umfassen). Die Bilder beziehen sich inhaltlich auf das Gelesene, unterstützen also den Text. Besonders passend finde ich, wie auf einigen Bildern die Phantasiewelt der Kinder aus dem Rollenspiel aufgegriffen wird. Auch gibt es einige Zeichnungen, auf denen die Emotionen der Figuren gut zum Ausdruck gebracht werden.

Erzählerisch gelungen finde ich auch den Wechsel der Perspektiven zwischen Milo und Mara, die hin und wieder, wenn auch nicht immer konsequent genug, vorkommen. Nicht ganz erschlossen hat sich mir allerdings, warum die Schriftfarbe hin und wieder wechselt. Dabei konnte ich keine Systematik erkennen. Und noch ein „kleiner“ Verbesserungsvorschlag: Ich hätte Kapitel gut gefunden. Gerade wenn man ein Buch vorliest, finde ich es immer hilfreich, wenn das Buch eine Struktur vorgibt, so dass man an den entsprechenden Stellen eine Pause einlegen kann.

 

Fazit

Mal wieder ein tolles Buch des Carlsen-Verlags! Das Kinderbuch spiegelt inhaltlich treffend die Lebenswelt und die Gefühlsebene von Kindern in Bezug auf Spiel und Freundschaft wider. Dadurch finden sich die jungen Zuhörer:innen in dem Gelesenen gut wieder. Sie können das Gehörte gut auf sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen beziehen. Das ist absolut lobenswert! Noch dazu werden Geschlechterklischees ignoriert und durch die Darstellung einer geschlechterübergreifenden Freundschaft wird in diesem Buch auch ein toleranter Umgang miteinander vorgelebt. Das finde ich ebenfalls positiv. Von mir eine klare Leseempfehlung und 5 Sterne.


Donnerstag, 1. September 2022

Sigurdardottir, Yrsa - Schnee


4 von 5 Sternen


Atmosphärisch dicht und mysteriös

Yrsa Sigurdardottir ist ein Name, über den man häufiger stolpert, wenn man Thriller liest. Laut der Zeitung „The Times“ zählt die Isländerin zu den besten Krimiautoren der Welt. Und der Erfolg spricht für sie. Sie ist Autorin vieler Spiegel-Bestseller. Doch kann ihr neuer Thriller „Schnee“ tatsächlich den hohen Erwartungen gerecht werden? Auf diese Frage will ich in dieser Rezension eine Antwort geben, auch wenn mir leider ein Vergleich mit anderen Werken von ihr nicht möglich sein wird, weil „Schnee“ mein erster Thriller von ihr ist.

Was ich als eine Stärke dieses Thrillers bereits herausheben kann, ist die gelungene Beschreibung der Atmosphäre, der Umgebung und der isländischen Landschaft. Während des Lesens wird sehr passend eine düstere, kalte und recht einsame Stimmung erzeugt. Nach meiner Leseerfahrung findet man das in dieser Qualität nicht in jedem Thriller!

Zwei Erzählstränge dominieren die Handlung. In dem einen Erzählstrang geht es um die Suche nach einer verschollenen Gruppe von Wanderern. Hier überzeugt in meinen Augen v.a. die Darstellung der Gruppendynamik zwischen den Mitgliedern, die in eingeschobenen Rückblicken geschildert wird. In dem anderen Strang spielt die Aufdeckung eines Familiengeheimnisses um den eigenbrötlerischen Hjörvar eine wichtige Rolle. Dabei wird sehr gut eine düstere, unheimliche, gruselige und mysteriöse Stimmung erzeugt. Die Autorin beherrscht das Spiel mit den menschlichen Urängsten, als Mittel zur Spannungserzeugung wird oft auf visuelle und akustische Einbildungen zurückgegriffen. Die Figuren sind sich hin und wieder nicht sicher, ob sie halluzinieren oder ob, sie tatsächlich etwas gesehen und gehört haben. Auch das ist gelungen!

Was ich auffällig finde: Beide Handlungsebenen laufen bis zum Ende konsequent parallel zueinander, ohne größere Überschneidungen. Man hat sozusagen zwei Geschichten in einer. Das wird bestimmt nicht jedem zusagen, vor allem wenn man erwartet, dass es Berührungspunkte und Verbindungen zwischen den Perspektivwechseln gibt. Das hat mich schon überrascht, auch wenn es zugleich einmal etwas anderes ist.

Noch etwas Positives: Beide Handlungsstränge werden sinnvoll und plausibel abgeschlossen. Und bei der Lektüre entstehen auch jede Menge offene Fragen, auf die man als Leser:in eine Antwort sucht. Das erzeugt Neugier und treibt die Handlung voran.

Trotz der vielen positiven Aspekte kann ich dem Thriller aber keine fünf Sterne geben. Ich komme auf die Eingangsfrage zurück: Kann der Thriller den hohen Erwartungen gerecht werden? Nach meinem Dafürhalten würde sagen: eingeschränkt. So habe ich die Schilderung der Suche nach den vermissten Wanderern als recht langatmig und detailliert empfunden. Hier hätte ich eine Handlungsstraffung gut gefunden. Grundsätzlich ist das erzählerische Tempo auch eher gemächlich. Das muss man mögen. Wer auf schnelle, dynamische Thriller steht, der wird hier etwas enttäuscht sein.

 

Fazit

Ein Thriller mit einer gelungenen atmosphärischen Beschreibung und zwei Handlungssträngen, die spannend erzählt und plausibel aufgelöst werden. Ich habe lediglich eine stärkere Verzahnung zwischen den Perspektiven und ein höheres Erzähltempo erwartet. Einige Passagen empfand ich als zu langatmig. Deshalb vergebe ich „nur“ 4 Sterne.