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Sonntag, 6. Juli 2025

Bestgen, Sarah - Happy End



Das fremde eigene Kind




Der Thriller „Happy End“ bietet schon auf den ersten Seiten ein spannendes Setting: Um mal wieder unter Leute zu kommen und nicht ganz in der Selbstisolation zu versinken, organisieren Isa und ihr Mann Mark ein Nachbarschaftsfest. Ihr vier Monate alter Sohn Ben hat sie völlig in Beschlag genommen, so dass die Pflege sozialer Kontakte etwas in den Hintergrund getreten ist. Doch noch bevor die Feier beginnt, verschwindet der Sohn spurlos aus dem Wohnzimmer, als Isa im Keller gerade den Trockner befüllt. Sie reagiert panisch und verzweifelt. Ihre Gefühle kommen gut und absolut nachvollziehbar zum Ausdruck. Das Ehepaar bewegt sich zwischen Angst und Hoffnung. Und Isa ist nicht mehr wiederzuerkennen. Während Mark noch einigermaßen in der Lage ist, sich mit der Arbeit von den Geschehnissen abzulenken, fühlt sich Isa ohnmächtig und hilflos.


Niemand von den Nachbarn hat etwas Verdächtiges gesehen oder gehört. Die Polizei wird eingeschaltet und die Suche startet. Wo ist Ben hin? Wer hat ihn entführt? Diese Fragen würde man sich zu Beginn stellen, wenn man den Klappentext nicht liest (der nimmt etwas Spannung). Denn darin wird bereits verraten, dass Ben wieder auftaucht (und zwar acht Monate später). Und ab diesem Zeitpunkt beginnt die eigentliche Handlung erst. Es rücken nun andere Fragen in den Fokus: Warum ist Ben wieder da? Was ist ihm während seiner Abwesenheit widerfahren und wo hat er gesteckt? Auf dem ersten Blick ergibt der Fall keinen Sinn. Warum wird der Junge der Familie entrissen, nur um dann später wieder dort aufzutauchen?


Die anschließende Ermittlungsarbeit zum Verschwinden von Ben wird ebenso geschildert wie die Auswirkung des zwischenzeitlichen Verlusts des Sohnes auf das Zusammenleben von Mark und Isa. Die Rückkehr des Jungen sorgt v.a. bei Isa für ein Gefühlschaos. Sie ist emotional überfordert. Das Geschehen hat etwas mit ihr gemacht. Sie verspürt gegenüber ihrem eigenen Sohn Fremdheitsgefühle, wirkt depressiv, macht sich immer noch Vorwürfe und sucht schließlich psychiatrische Hilfe auf. Und weitere Unklarheiten und undurchsichtige Verhaltensweisen von Figuren verrätseln den Fall zusätzlich. Ich hatte während der Lektüre zahlreiche offene Fragen im Kopf und einige Vermutungen. Das hat mir gut gefallen!


Die Figurenzeichnung ist gelungen und tiefgründig, die Konturen der Charaktere sind klar erkennbar. Die Psychologisierung des Inhalts ist absolut überzeugend (hier merkt man, dass die Autorin vom Fach ist). Der Fall hat emotionale Tiefe und erzeugt Betroffenheit. Ich habe mitgefiebert. Die Dialogführung hat mir ebenfalls gut gefallen. Der Plot wird zwar nicht mit hohem Tempo erzählt (außer am Ende), aber das hat mich in diesem Fall nicht gestört, weil die Spannung fortwährend sehr stark ausgeprägt war. Mit zunehmendem Handlungsverlauf wird es immer spannender und rätselhafter. Es gibt auch zahlreiche Überraschungen. Und die Wahrnehmung von Isa wird mit der Zeit unzuverlässiger. Auch das ist geschickt arrangiert. Trotzdem kann ich keine 5 Sterne geben. Warum? Das Ende war mir etwas zu kompliziert gelöst und nicht „leichtfüßig“ genug. Auch bin ich kein Freund davon, wenn der Täter am Ende bereitwillig selbst über alles Auskunft gibt, was ihm bei der Tat so durch den Kopf ging. Ich komme also auf gute 4 Sterne!

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