Erschreckende Zukunftsvision
In diesem sog. Metaverse kann
jede und jeder das sein, was sie oder er gern sein möchte. Man kann einen
digitalen Avatar des eigenen Selbst kreieren und nur die eigene Fantasie bildet
die Grenze des Machbaren. Omniworld ist der Gegenentwurf zur „echten“ (Objekt) Welt.
Es gibt keine Beschränkungen. Und dabei wirkt die virtuelle Realität so
lebensecht und fotorealistisch, dass man sie nicht von der wahren Welt
unterscheiden kann.
In weiteren Perspektiven lernen
wir noch andere Figuren außer Ethan Hubble kennen. So z.B. seine Frau Marie,
die ihn von Anfang an unterstützt hat, noch bevor er seine erste Million
verdient hat. Durch ihre Augen erhalten wir einen Einblick in die Arbeitsumgebung
und die Projekte rund um die Firma Omni, die im Silicon Valley angesiedelt ist.
Das Ziel ihres Mannes ist es beispielsweise, Mitarbeiter von Omni immer stärker
in die virtuelle Realität einzubinden und so das Arbeitsumfeld immer stärker in
die simulierte Welt zu verlagern. In naher Zukunft soll die totale Immersion
erreicht werden. Jeder Mensch soll Zugang zur Simulation erhalten und sich
möglichst lange (oder gar dauerhaft?) darin aufhalten. Ethan Hubble möchte die
Objektwelt durch die Simulation ablösen.
In einer weiteren Perspektive
erleben wir die Sicht des Vaters und Witwers Steffen. Dieser hat mit den negativen
Auswirkungen von Omniworld auf seinen 16-jährigen Sohn zu kämpfen. Er muss
miterleben, dass sich sein Sohn oft in der Simulation aufhält und sich immer mehr
aus der Realität entfernt. Er versucht ihn davon zu überzeugen, mehr „echte“ Aktivitäten
in der Objektwelt zu erleben. Doch sein Bemühen ist vergebens. Zu attraktiv ist
die Simulation. Sein Sohn driftet immer mehr in die Selbstisolation ab und
entwickelt Abhängigkeitssymptome. Die negativen Auswirkungen werden anschaulich
beschrieben. Der Vater versucht sich Hilfe zu organisieren und erkennt dabei,
dass sein Sohn nicht das einzige Opfer von Omniworld ist. Gleichzeitig muss er
erkennen, wie wirkmächtig Omni agiert, um negative Schlagzeilen und kritische
Berichterstattung zu unterbinden.
Die entworfene Zukunftsvision ist
sehr kreativ und ideenreich gestaltet worden. Als Pro-Argument für die
virtuelle Realität wird z.B. immer wieder der Aspekt der Nachhaltigkeit erwähnt.
Dadurch, dass sich Menschen in der Simulation treffen und dort interagieren
können, entfallen Reisen mit Transportmitteln wie Auto und Flugzeug. Die
digitale Welt ist ein riesiger Wachstumsmarkt, an dem immer mehr Menschen
teilhaben möchten. Das wird nur allzu deutlich. Und Omniworld expandiert immer
mehr. Es umfasst immer mehr Lebensbereiche. Und Ethan Hubble entwickelt immer wieder
neue Ideen, um noch mehr Nutzerinnen und Nutzer für die Simulation zu
begeistern (so kann sich bald jede und jeder z.B. ihren bzw. seinen eigenen
Traumpartner oder virtuelle Babys kreieren). Dabei ist Hubble auch wichtig,
dass seine Firma ein positives Image aufweist.
Um eine längerfristige
Entwicklungsperspektive zu schildern, werden immer wieder Zeitsprünge von fünf
Jahren platziert. Sehr geschickt! So befinden wir uns zu Beginn im Jahr 2033,
später dann in den Jahren 2035, 2040, 2045 und 2050. Den Abschluss bildet das
Jahr 2052. Auf diese Weise können die verschiedenen Weiterentwicklungen von
Omniworld in den Blick gerückt werden. Die Simulation wird immer allumfassender
und ergreift mit der Zeit mehr und mehr Bereiche des Lebens. Das Erleben der
Nutzerinnen und Nutzer wird stetig verbessert. Mensch und Technik verschmelzen stärker
und stärker. Der Aufenthalt in der Simulation wird kontinuierlich verlockender.
Dabei wird auch immer wieder deutlich, wie sehr Ethan Hubble von seiner
Technologie überzeugt ist und wie wenig kritisch er ihr begegnet. Anders als
seine Frau ist Ethan absolut technikversessen. Anders als sie stellt er nichts
in Frage und treibt seine Ideen zum Ausbau der Simulation immer weiter voran.
Dabei überschreitet er auch moralische Grenzen…
Das Buch fordert an vielen
Stellen zum Mitdenken heraus und verlangt eine Positionierung zu zahlreichen
Themen, die im Buch vorkommen. Man kann das Buch auch gut als Kritik an der
heutigen Zeit und an der Macht von Tech-Unternehmern lesen (man denke nur an
Zuckerberg, Bezos oder Musk). Das hat mir richtig, richtig gut gefallen. Immer
wieder wird man während der Lektüre mit der Frage konfrontiert, wie man selbst
mit der Simulation umgehen und sich darin verhalten würde. Der Inhalt des Buchs
bietet hier verschiedene Identifikationsmöglichkeiten an. Ich habe die Entwicklung
von Omniworld mit Interesse begleitet und mich während der Lektüre stets
gefragt, wo das Ganze noch hinführt. Es ist jedenfalls erschreckend zu lesen,
wie wenig verantwortungsvoll die Menschen mit der neuen Technologie umgehen. Fazit:
Insgesamt ein rundum gelungenes Werk mit einem beeindruckenden Ende.
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