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Sonntag, 12. Januar 2025

Glattauer, Daniel - In einem Zug


Feinsinnig und humorvoll



Schon der Einstieg in den Roman offenbart wieder den typischen Glattauerschen analytischen Blick für die zwischenmenschliche Kommunikation. Wie er Nonverbales auslotet und Gedachtes entfaltet, und das auf amüsante Art und Weise, macht einfach großen Spaß. Doch worum geht es überhaupt?

 

Ein Ich-Erzähler (Name: Eduard Brünhofer) sitzt im Zug einer Frau (Name: Catrin) schräg gegenüber und versucht krampfhaft einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Doch nach kurzer Zeit kommt es zu einem Dialog zwischen den beiden, weil die Mitreisende den Erzähler mit ihrem ehemaligen Englischlehrer verwechselt. Die Situation wird von Eduard als höchst unangenehm empfunden. Er möchte Geschäftigkeit vortäuschen, um dem Small-Talk aus dem Weg zu gehen (wer kennt das nicht?). Zeitweise überlegt er sogar ernsthaft, den Zug zu verlassen und einen anderen Zug nach München zu nehmen. Gleichzeitig ist er ein wenig gekränkt, dass die Frau, die er für eine potentielle Leserin seiner Bücher hält, ihn nicht als populären Schriftsteller erkennt. Mit ein wenig Hilfestellung gelingt es ihm aber, seine Gesprächspartnerin auf die richtige Fährte zu führen. Was für ein missglückter Start in die Konversation (zumindest aus Eduards Sicht)!

 

Eduard ist spitzfindig in seiner Wortwahl und schlagfertig (v.a. gedanklich), er wägt genau ab, wie er etwas formuliert (wohl ein echter Schriftsteller :-) Zudem fällt auf, dass er ein guter Beobachter und Zuhörer ist. Gleichzeitig richtet er fortlaufend auch immer wieder kritische Nachfragen an seine Gesprächspartnerin. Es ist ihm wichtig, dass sie sich präzise ausdrückt. Durch Eduards Gedankenwelt erfahren wir, welche Fragen zu seinem Beruf ihn besonders nerven. Doch die Mitreisende richtet unbekümmert allerlei nervige Erkundigungen zu seinem Schaffen als Autor und zum Literaturbetrieb an Eduard. Und Eduards Antworten fallen dabei herrlich strukturiert und kenntnisreich aus.

 

Catrin bleibt hartnäckig und stellt zahlreiche Nachforschungen an. Dabei fällt auf, dass die Fragen, die sie an ihn richtet, sehr scharfsinnig sind. Sie ist aufrichtig an ihm und an dem, was er zu erzählen hat, interessiert. Und mit der Zeit wird das Gespräch immer persönlicher und offenherziger, beide nähern sich an. Eduard wird richtig redselig. Und in den Gesprächspausen hängt er seinen Gedanken nach, in die nur wir als Leser eintauchen. Catrin hingegen wird immer mutiger (und indiskreter), was ihre Fragen betrifft. Irgendwann fragt sie ihn unverhohlen nach seiner Beziehung zu seiner Ehefrau aus. Kurzum: Eine interessante Entwicklung, die die beiden durchlaufen. Und die Handlung wird durch die Frage vorangetrieben, wohin das Ganze führen wird. Ich war neugierig zu erfahren, was aus den beiden wird. Oder herrscht die Offenheit zwischen beiden nur vor, weil sie wissen, dass sie sich vermutlich nie wieder sehen?

 

Das Buch ist insgesamt wieder sehr feinsinnig gestaltet (wie man es von Glattauer kennt), mit einem ausprägt-analytischen Blick für das Kommunikative (wie schon erwähnt). Der Dialog zwischen Catrin und Eduard ist kunst- und humorvoll sowie pointiert arrangiert worden, er wirkt äußerst lebendig und unmittelbar. Die Schilderung von Nonverbalem rundet das Ganze weiter ab. Der Charakter und die Stimmung sowie die Beziehung beider Figuren kommt gut zum Ausdruck. Durch die Indiskretion von Catrin fragt man sich als Leser irgendwann, was ihre Absicht ist und was sie im Schilde führt. Irgendwann war ich sogar etwas empört über das Verhalten von Catrin und habe ihr kommunikatives Verhalten als anstrengend empfunden. Ich habe mich irgendwann gefragt, ob sie gar Spaß daran hat, Eduard in Verlegenheit zu bringen. Mit anderen Worten: Man ist emotional involviert, wenn man den Inhalt liest. Klasse! Ein Satz noch zum Ende (ohne zu sehr zu spoilern): Es ist überraschend. Ich habe es nicht kommen sehen. Und ich fand sehr schade, wie das Buch endet. Trotzdem gibt es von mir volle 5 Sterne!

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