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Dienstag, 24. Juni 2025

Kvensler, Ulf - Die Insel


Charakterstudie




Der Ich-Erzähler Isak, der als Altenpfleger arbeitet und glücklich mit der 29-jährigen Madeleine (genannt Madde) zusammen ist, erhält eines Tages unerwartet einen Anruf von seinem todkranken Vater, zu dem er jahrelang keinen Kontakt mehr hatte. Der Vater hat nur noch wenige Wochen zu leben und wünscht sich, seinen Sohn wiederzusehen, um sich von ihm zu verabschieden. Grund für den Kontaktabbruch war, dass Isak im Alter von sechs Jahren ein schweres Trauma durchlitten hat. Er verlor bei einem Brand seine Mutter und seine dreijährige Schwester Klara. Sein Vater erlitt danach einen Zusammenbruch und konnte sich aufgrund seines labilen psychischen Zustands nicht um Isak kümmern, so dass dieser bei seinem Großvater aufwuchs.


Zu Beginn ringt Isak mit sich, ob er seinen Vater wirklich besuchen soll. Es wird deutlich, dass er eigentlich keinen Kontakt mehr zu ihm wünscht. Er nimmt ihm übel, dass er sich von ihm abgewandt und jahrelang nicht gemeldet hat. Mit einer Überweisung einer hohen Geldsumme will der Vater Isak überzeugen, zu ihm zu kommen. Und letztlich entscheidet er sich, zusammen mit Madde nach Gotland zu fahren, um seinen Vater kennenzulernen und sich von ihm zu verabschieden, bevor dieser stirbt. Dabei erfährt Isak u.a., dass sein Vater als Künstler über ein großes Vermögen verfügt.


Die Ereignisse rund um Isak, d.h. die Kontaktaufnahme mit und der Besuch bei seinem Vater werden im Rückblick erzählt (im Präteritum). Sporadisch eingeschoben sind aber auch kurze Kapitel auf einer Gegenwartsebene, auf der Isak sich im Gefängnis befindet. Dabei wird klar, dass es um Isaks psychischen Zustand nicht gut bestellt ist. Dies verrätselt die Handlung gut, da man als Leser zu Beginn nicht weiß, warum Isak sich in Haft befindet. Irgendetwas muss in Gotland passiert sein. Aber was…


Der Thriller startet langsam. Das Erzähltempo ist nicht sehr hoch. Der Schreibstil bzw. die Übersetzung ist bildhaft und klar. Der Autor nimmt sich zunächst viel Raum, die Figuren einzuführen und ihre Beziehungen zueinander zu charakterisieren. Das ist ihm auch sehr gut gelungen. Die Charaktere zeichnen sich durch klare Konturen und eine starke Psychologisierung aus. Die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren kommen gut zum Ausdruck. Auch die Beschreibungen des Settings sind sehr atmosphärisch und dicht (d.h. ausgeschmückt mit vielen Details). Das alles hat mir gut gefallen.


Mit zunehmendem Handlungsverlauf wird klar, dass sich Isaks Vater äußerst manipulativ verhält und einen negativen Einfluss auf seinen Sohn ausübt. Mit großen Geldsummen versucht er ihn immer wieder zu bestechen und sein Handeln zu lenken. Isak wird regelrecht verführt. Der Vater erscheint uns Lesern wie eine Art diabolische Teufelsfigur (im Text findet man auch subtil versteckte Anspielungen und Hinweise, die eine solche Interpretation stützen könnten). Er scheint sich regelrecht einen Spaß daraus zu machen, Leute zu kaufen und sich an deren Charakterlosigkeit zu erfreuen. Und anfangs lässt sich Isak auch manipulieren (gegen seinen eigenen Willen). Er tut, was sein Vater von ihm verlangt. Doch wie sehr ist Isak bereit, sich zu verbiegen? Wie charakterfest ist er? Das sind die zentralen Fragen, die ich mir bei der Lektüre stellte.


Der Thriller (oder sollte ich lieber psychologischer Spannungsroman sagen?) übt seinen Reiz in meinen Augen in erster Linie durch die zwischenmenschlichen Reibungen und Machtkämpfe aus. Es ist kein Thriller, bei dem viel passiert. Es ist eher das psychologische Moment, das beim Lesen fesselt. Der Autor ist sehr gut dazu in der Lage, die knisternde Stimmung zwischen den Figuren zu gestalten und darzustellen. Die Dialoge sind klasse angelegt. Dadurch entsteht Spannung. Ich wollte wissen, wie Isak sich verhält, und war gespannt zu lesen, ob er den Verlockungen seines Vaters widerstehen wird. Ich habe Isaks Weg mit Neugier verfolgt und habe mitgefiebert, ob er die richtigen Entscheidungen trifft. Und auch die Darstellung der psychologischen Seite hat mich überzeugt. Man sollte für die Lektüre aber viel Geduld mitbringen. Die Spannung baut sich nur langsam auf.


Insgesamt kann ich dem Buch aber keine 5 Sterne geben. Das hat mehrere Gründe. 1. Es kam keine Sogwirkung auf, 2. Für meinen Geschmack startet der Thriller zu gemächlich, 3. Das Ende hat mich leider gar nicht überzeugt. So komme ich auf knappe 4 Sterne. Den Autor werde ich aber auf jeden Fall weiter im Blick behalten. Sein Debut „Der Ausflug“ war für mich ein richtiger Überraschungshit. Und der gelungene Schreibstil des Autors lässt auf viele weitere gute Thriller hoffen.

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