Kampf der Geschlechter
Nun
zur Besprechung: Schon der Einstieg reißt mit. Der Prolog in Form einer
Vorausdeutung erregt direkt Aufmerksamkeit. Und schon im ersten Kapitel erleben
wir Millie wieder in ihrer Paraderolle als Hausmädchen, die „untergebuttert“
wird und die Pflichten einer gut situierten, überheblichen Ehefrau zu
übernehmen hat. Die soziale Ungleichheit zwischen den Figuren wird direkt
greifbar. Es kommt zu Reibungen. Und Spannungen liegen in der Luft. Die beiden
Frauen konkurrieren wie bei einem Wettbewerb miteinander. Und Millie wird schließlich
entlassen und muss sich nach einer neuen Stelle umschauen. Toxische
Weiblichkeit at its best! Millie scheint das Unglück förmlich anzuziehen…
Der
Thriller enthält wieder alle Zutaten, die schon „Wenn sie wüsste“ so
erfolgreich gemacht hat. Es geht um toxische Weiblich- und Männlichkeit. Millie
ist das freundliche Mädchen, das nicht „nein“ sagen kann. Sie zeichnet sich
durch eine große Hilfsbereitschaft aus, stellt ihre eigenen Interessen zurück
und ordnet sich unter, um ihren Arbeitgebern zu gefallen. Auf der anderen Seite
erleben wir die „Powerfrauen“, die sich als kontrollsüchtig erweisen und nach
außen Perfektion zur Schau stellen wollen. Doch nicht nur das. Es gibt auch die
mächtigen Männer, die anderen gegenüber (psychische) Gewalt ausüben und sie unterdrücken.
Und es gibt diegefährlichen Männer, die Frauen gegenüber physische und sexuelle
Gewalt anwenden. Darüber hinaus treten in dem Buch wieder „Arm-reich-Kontraste“
sowie Neid und Missgunst oder Eifersucht als negative Gefühle in Erscheinung. Auch
Manipulation und Berechnung sowie Überheblichkeit begegnen uns. An vielen
Stellen wird man als Leserin und Leser wütend, vor allem wenn den Protagonisten
Ungerechtigkeiten widerfahren. Die Autorin lässt einen ganzen Schwall negativer
Emotionen über das Lesepublikum schwappen.
Dieses
Mal erhalten wir auch mehr Einblick in das Privatleben von Millie. McFadden
entwickelt parallele Handlungsstränge. Wir begleiten Millie bei Veranstaltungen
im Rahmen ihres Studiums als Sozialarbeiterin und lernen ihren Freund kennen,
der möchte, dass sie bei ihm einzieht. Doch Millie ist noch nicht bereit, sich
völlig auf ihn einzulassen. Sie erscheint wankelmütig, weiß nicht genau, was
sie will, und stößt ihren Freund mit ihrem Verhalten auch immer wieder vor den
Kopf. Sie verbiegt sich sehr, um ihm zu gefallen und sich alles offen zu
halten. Sehr sympathisch wirkte das auf mich nicht (oder ist das mein
männlicher Blick auf Millie?)…
Weitere
Zutaten, die den Thriller zu etwas Besonderem machen: Immer wieder und an
vielen Stellen wird die Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser
durchbrochen. Es gibt viele überraschende Wendungen und im weiteren
Handlungsverlauf entsteht eine immer stärkere Sogwirkung. Die Autorin
konstruiert geschickt eine scheinbar ausweglose, äußerst verfahrene Situation
(genial!). Das Tempo ist hoch, es gibt keine Längen, die Dialoghaftigkeit ist
stark ausgeprägt, es gibt immer wieder neue inhaltliche Entwicklungen, das
Spannungslevel bewegt sich auf einem hohen Niveau. Der Einbau von gut getimten
Perspektivwechseln lässt den Inhalt noch einmal in einem anderen Licht
erscheinen. Top! Die Handlung blieb für mich unvorhersehbar und trotzdem greift
am Ende alles plausibel ineinander. Die Überraschungen entstehen nicht aus dem „Nichts“,
sondern sie sind clever frühzeitig angelegt worden. All das überzeugt. Und noch
etwas, was die Autorin genial arrangiert: Sie lenkt die Meinung des
Lesepublikums zu den Figuren mal in die eine, mal in die andere Richtung.
Noch
etwas: Ich empfand die Ähnlichkeit zwischen „Wenn sie wüsste“ und „Sie kann
dich hören“ nicht als zu groß. Das Buch kann für sich stehen. Es ahmt nicht
einfach dasselbe Strickmuster noch einmal nach. Diese Befürchtung hatte ich
zunächst, aber sie hat sich als unbegründet erwiesen! Beide Bücher sind jeweils
für sich genommen genial. Und meiner Meinung nach ist die Fortsetzung um Millie
genauso gut gelungen wie der Einstieg in die Trilogie. Ich bin mir zum jetzigen
Zeitpunkt sehr sicher, dass auch dieses Buch wieder in die Bestseller-Listen
einschlagen und sich dort lange halten wird. McFadden zündet einfach ein Feuerwerk
an cleveren Ideen. Das ist mir in dieser Form noch nicht begegnet. Für mich
setzt die Autorin hier neue Maßstäbe.
Abschließend
etwas, was mich ein wenig zum Nachdenken gebracht hat: In diesem Buch geht es
an vielen Stellen immer wieder um ein Gegeneinander der Geschlechter. Scheinbar
ist das ein Thema, das viele Leserinnen und Leser anspricht und emotionale
Beteiligung bei der Lektüre hervorruft. Es tauchen viele Klischees auf: Frauen,
die sich gegenseitig anfeinden, Männer, die (psychische und physische, teils
sexuelle) Gewalt gegenüber Frauen anwenden, Männer als Beschützer, Frauen, die
finanziell vom Mann abhängig sind etc. (das einzige Klischee, das nicht bedient
wurde: Wie agieren Männer eigentlich gegeneinander?). Alle negativen
Eigenschaften, die man(n) oder frau jeweils dem anderen Geschlecht zuschreibt,
kommen in diesem Buch vor. Hier werden keine Brücken zwischen den Geschlechtern
gebaut, sondern sie werden eingerissen. Und diese Botschaft des Buchs finde ich
irgendwie problematisch. Ich würde mir wünschen, dass auch ein friedliches
Miteinander zwischen den Geschlechtern und zwischen Angehörigen desselben
Geschlechts möglich ist (und nein, das ist jetzt keine Finte des Patriarchats
von meiner Seite). Wäre das nicht versöhnlicher? Aber dann würde natürlich
nicht so ein grandioser Thriller dabei herauskommen… dennoch empfehle ich jeder
Leserin und jedem Leser einmal darüber nachzudenken.
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