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Donnerstag, 11. April 2024

McFadden, Freida - Sie kann dich hören


Kampf der Geschlechter


Yehaa, Millie ist wieder da! Die Frau, mit der man sich besser nicht anlegt. Um den neuen Thriller von Freida McFadden zu beschreiben, reicht ein Wort, so viel kann ich schon verraten: KNALLER! Und ich will gleich gerne begründen, warum das so ist. Doch zuvor noch etwas anderes: Mit Ungeduld habe ich die Übersetzung von Band 2 der Trilogie um Millie herbeigesehnt, denn schon „Wenn sie wüsste“ war eines meiner Lieblingsbücher aus 2023 (vgl. dazu eine frühere Rezension auf meinem Blog). Die Erwartungshaltung war dementsprechend hoch. Und was soll ich sagen. Sie wurde nicht enttäuscht. Und so etwas kommt nach meiner Erfahrung selten vor. Dass eine Autorin in der Lage ist, in der gleichen Qualität noch einmal nachzulegen. Respekt! Nun freue ich mich auf Teil 3, der den Titel „Sie wird dich finden“ trägt und im November 24 erscheint. Und gleichzeitig bin ich ein wenig traurig, dass ich „Sie kann dich hören“ nun durchgelesen habe. Es war eines dieser Bücher, bei denen ich dachte: „Lass es bitte nicht enden!“ Aber irgendwann ist leider auch ein gutes Buch einmal durchgelesen. Schade!

 

Nun zur Besprechung: Schon der Einstieg reißt mit. Der Prolog in Form einer Vorausdeutung erregt direkt Aufmerksamkeit. Und schon im ersten Kapitel erleben wir Millie wieder in ihrer Paraderolle als Hausmädchen, die „untergebuttert“ wird und die Pflichten einer gut situierten, überheblichen Ehefrau zu übernehmen hat. Die soziale Ungleichheit zwischen den Figuren wird direkt greifbar. Es kommt zu Reibungen. Und Spannungen liegen in der Luft. Die beiden Frauen konkurrieren wie bei einem Wettbewerb miteinander. Und Millie wird schließlich entlassen und muss sich nach einer neuen Stelle umschauen. Toxische Weiblichkeit at its best! Millie scheint das Unglück förmlich anzuziehen…

 

Der Thriller enthält wieder alle Zutaten, die schon „Wenn sie wüsste“ so erfolgreich gemacht hat. Es geht um toxische Weiblich- und Männlichkeit. Millie ist das freundliche Mädchen, das nicht „nein“ sagen kann. Sie zeichnet sich durch eine große Hilfsbereitschaft aus, stellt ihre eigenen Interessen zurück und ordnet sich unter, um ihren Arbeitgebern zu gefallen. Auf der anderen Seite erleben wir die „Powerfrauen“, die sich als kontrollsüchtig erweisen und nach außen Perfektion zur Schau stellen wollen. Doch nicht nur das. Es gibt auch die mächtigen Männer, die anderen gegenüber (psychische) Gewalt ausüben und sie unterdrücken. Und es gibt diegefährlichen Männer, die Frauen gegenüber physische und sexuelle Gewalt anwenden. Darüber hinaus treten in dem Buch wieder „Arm-reich-Kontraste“ sowie Neid und Missgunst oder Eifersucht als negative Gefühle in Erscheinung. Auch Manipulation und Berechnung sowie Überheblichkeit begegnen uns. An vielen Stellen wird man als Leserin und Leser wütend, vor allem wenn den Protagonisten Ungerechtigkeiten widerfahren. Die Autorin lässt einen ganzen Schwall negativer Emotionen über das Lesepublikum schwappen.

 

Dieses Mal erhalten wir auch mehr Einblick in das Privatleben von Millie. McFadden entwickelt parallele Handlungsstränge. Wir begleiten Millie bei Veranstaltungen im Rahmen ihres Studiums als Sozialarbeiterin und lernen ihren Freund kennen, der möchte, dass sie bei ihm einzieht. Doch Millie ist noch nicht bereit, sich völlig auf ihn einzulassen. Sie erscheint wankelmütig, weiß nicht genau, was sie will, und stößt ihren Freund mit ihrem Verhalten auch immer wieder vor den Kopf. Sie verbiegt sich sehr, um ihm zu gefallen und sich alles offen zu halten. Sehr sympathisch wirkte das auf mich nicht (oder ist das mein männlicher Blick auf Millie?)…

 

Weitere Zutaten, die den Thriller zu etwas Besonderem machen: Immer wieder und an vielen Stellen wird die Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser durchbrochen. Es gibt viele überraschende Wendungen und im weiteren Handlungsverlauf entsteht eine immer stärkere Sogwirkung. Die Autorin konstruiert geschickt eine scheinbar ausweglose, äußerst verfahrene Situation (genial!). Das Tempo ist hoch, es gibt keine Längen, die Dialoghaftigkeit ist stark ausgeprägt, es gibt immer wieder neue inhaltliche Entwicklungen, das Spannungslevel bewegt sich auf einem hohen Niveau. Der Einbau von gut getimten Perspektivwechseln lässt den Inhalt noch einmal in einem anderen Licht erscheinen. Top! Die Handlung blieb für mich unvorhersehbar und trotzdem greift am Ende alles plausibel ineinander. Die Überraschungen entstehen nicht aus dem „Nichts“, sondern sie sind clever frühzeitig angelegt worden. All das überzeugt. Und noch etwas, was die Autorin genial arrangiert: Sie lenkt die Meinung des Lesepublikums zu den Figuren mal in die eine, mal in die andere Richtung.

 

Noch etwas: Ich empfand die Ähnlichkeit zwischen „Wenn sie wüsste“ und „Sie kann dich hören“ nicht als zu groß. Das Buch kann für sich stehen. Es ahmt nicht einfach dasselbe Strickmuster noch einmal nach. Diese Befürchtung hatte ich zunächst, aber sie hat sich als unbegründet erwiesen! Beide Bücher sind jeweils für sich genommen genial. Und meiner Meinung nach ist die Fortsetzung um Millie genauso gut gelungen wie der Einstieg in die Trilogie. Ich bin mir zum jetzigen Zeitpunkt sehr sicher, dass auch dieses Buch wieder in die Bestseller-Listen einschlagen und sich dort lange halten wird. McFadden zündet einfach ein Feuerwerk an cleveren Ideen. Das ist mir in dieser Form noch nicht begegnet. Für mich setzt die Autorin hier neue Maßstäbe.

 

Abschließend etwas, was mich ein wenig zum Nachdenken gebracht hat: In diesem Buch geht es an vielen Stellen immer wieder um ein Gegeneinander der Geschlechter. Scheinbar ist das ein Thema, das viele Leserinnen und Leser anspricht und emotionale Beteiligung bei der Lektüre hervorruft. Es tauchen viele Klischees auf: Frauen, die sich gegenseitig anfeinden, Männer, die (psychische und physische, teils sexuelle) Gewalt gegenüber Frauen anwenden, Männer als Beschützer, Frauen, die finanziell vom Mann abhängig sind etc. (das einzige Klischee, das nicht bedient wurde: Wie agieren Männer eigentlich gegeneinander?). Alle negativen Eigenschaften, die man(n) oder frau jeweils dem anderen Geschlecht zuschreibt, kommen in diesem Buch vor. Hier werden keine Brücken zwischen den Geschlechtern gebaut, sondern sie werden eingerissen. Und diese Botschaft des Buchs finde ich irgendwie problematisch. Ich würde mir wünschen, dass auch ein friedliches Miteinander zwischen den Geschlechtern und zwischen Angehörigen desselben Geschlechts möglich ist (und nein, das ist jetzt keine Finte des Patriarchats von meiner Seite). Wäre das nicht versöhnlicher? Aber dann würde natürlich nicht so ein grandioser Thriller dabei herauskommen… dennoch empfehle ich jeder Leserin und jedem Leser einmal darüber nachzudenken.

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