Schöne neue KI-Welt
In dem Kurzroman „Mirror World“ tauchen wir wieder ein in das Universum der Mirrors, die eine Weiterentwicklung des Smartphones darstellen und deren Ziel es ist, die Wünsche der Nutzer zu erfüllen. Sie fungieren als persönlicher Lebensberater und greifen massiv in das Privatleben der User ein. In den fünf Kapiteln, die inhaltlich zusammenhängen, wird gezeigt, wie verantwortungslos die Menschen die KI nutzen. Sie sind ohne Weiteres dazu bereit, Kontrolle abzugeben und sich manipulieren zu lassen. Sie vertrauen blind auf die Technik und stellen wenig in Frage.
In den einzelnen Kapiteln werden verschiedene Funktionsweisen eines Mirrors geschildert und an Beispielen verdeutlicht. Das erste Kapitel trägt den Titel „Mirror protect“ und zeigt, wie die KI die persönliche Gesundheit und Sicherheit eines Nutzers überwacht. Die Figur Robert Kreutzer ist Unternehmensberater und verpasst fast seinen Zug. Der Mirror gibt ihm Warnhinweise zum Blutdruck und warnt ihn vor einer bevorstehenden Katastrophe. Doch wie schafft es die KI, einen Terroranschlag zu antizipieren…? Die zweite Geschichte trägt den Titel „Mirror talk“ und verdeutlicht, wie die KI bei der Gesprächsführung hilft. Noch einmal ist Kreutzer die Hauptfigur. Der Mirror unterstützt ihn dabei, bei einer Konversation angemessene Antworten zu formulieren, damit er möglichst sympathisch wirkt. Kreutzer gelingt es zunächst, sich schlagfertig zu verkaufen, bis seine Gesprächspartnerin ihn darum bittet, seine Brille abzusetzen…
Im nächsten Kapitel wird die Funktionsweise „Mirror navigate“ veranschaulicht. In einer Kneipe wird einem Gast sein Portemonnaie geklaut. Mit Hilfe der KI nimmt der Betrunkene die Verfolgung des Diebs auf und begibt sich damit leichtsinnig in große Gefahr. Danach wird uns die Funktion „Mirror safe“ demonstriert. Die KI sorgt dafür (bzw. sie sollte dafür sorgen), dass man keine Schlüssel und Passwörter mehr benötigt. Problematisch wird es aber, wenn einem Bewohner wegen einer Prügelei trotz verschiedener Scans der Zutritt zur eigenen Wohnung versperrt bleibt und die Polizei informiert wird…Das letzte Kapitel heißt „Mirror view“. Mit Hilfe dieser Anwendung wird es möglich, seine eigene Nostalgie zu befriedigen und ein virtuell verjüngtes digitales Spiegelbild zu kreieren.
Insgesamt fand ich diesen Kurzroman sehr ansprechend geschrieben. Ich hätte mir aber noch umfangreichere Erzählungen gewünscht (womöglich auch in Form von in sich abgeschlossenen Kurzgeschichten ohne inhaltlichen Zusammenhang). Die einzelnen Kapitel fallen doch sehr knapp aus. Schade! Letztlich ein gelungener Weltenentwurf und eine beängstigende Zukunftsvision, die Olsberg darin entwirft. Der futuristische Kosmos rund um die Mirrors erhält dadurch noch einmal mehr Facetten. Und die darin versteckte Kritik an den leichtsinnigen Nutzern, die ohne nachzudenken, ihre Privatsphäre aufgeben, kann man durchaus auch auf die Gegenwart übertragen.
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