Rissiges Familienidyll
Lisa und Simon feiern ihren gemeinsamen Hochzeitstag, nachdem Simon für drei Wochen auf Dienstreise in Polen war (er arbeitet als Förster). Ein Ausfall des Stromgenerators stört jedoch den Verlauf der Party und beendet sie unvermittelt. Gleichzeitig erhält Simon auf sein Handy eine anonyme Nachricht mit Glückwünschen zum Hochzeitstag. Gibt es da einen Zusammenhang? Er fühlt sich beobachtet und man weiß nicht, wer dahintersteckt. Ein mysteriöser Einstieg ins Buch, der Neugier erzeugt.
Kurz darauf erfahren wir, dass Lisa im Hotel ihres Vaters arbeitet und dort als Buchhalterin aushilft. Als sie am nächsten Morgen dort eintrifft, erfährt sie, dass die Heizung ausgefallen ist und eine fremde alleinstehende Frau sich als Gästin dort einquartiert hat. Als Lisa die Fremde bittet, das Hotel aufgrund des Heizungsausfalls zu verlassen, möchte diese der Bitte nicht nachkommen und unbedingt bleiben. Und als Leser fragt man sich sofort, was es mit dem Hotelgästin auf sich hat…
Der Roman wird multiperspektivisch erzählt. Es wechseln sich insgesamt vier Blickwinkel ab. Neben Lisa und Simon lernen wir auch Lisas Vater Carl und dessen Lebensgefährtin Margret kennen. Carl wirkt dabei sehr störrisch, misstrauisch und beratungsresistent. Er zeigt sich wenig offen für Neuerungen, v.a. was Modernisierungen des Hotels betrifft. Vor notwendigen Investitionen scheut er zurück. Die Beziehung zu seiner Tochter gestaltet sich nicht einfach. Er nimmt von ihr keine Ratschläge an und lässt ihr trotz der Hilfe wenig Wertschätzung zuteilwerden. Lisa erscheint uns hingegen als die gute Seele, die sich aufmerksam und aufopferungsvoll um ihr Umfeld kümmert. Simon wird den Leserinnen und Lesern als naturverbunden präsentiert. Er übt seinen Beruf mit großer Leidenschaft aus, das merkt man.
Bald schon mischt sich die Fremde (Daniela) neugierig in interne Familienangelegenheiten ein und führt sehr vertrauliche Gespräche mit Lisa, die sich ihr gegenüber sehr offenherzig verhält. Mit ihren vielen Nachfragen berührt Daniela teils wunde Punkte bei Lisa. Was führt sie nur im Schilde? Sie erscheint uns sehr undurchsichtig und agiert intrigant-manipulativ. Im weiteren Handlungsverlauf wird klar, dass die verschiedenen Beziehungsverhältnisse innerhalb der Familie von Lisa problematisch sind und Potential für Konflikte in sich bergen.
Es handelt sich bei diesem Buch um einen psychologischen Spannungsroman, der von den zwischenmenschlichen Reibungen lebt. Diese werden sehr gut eingefangen und um sehr atmosphärische Naturbeschreibungen, die immer mal wieder im Buch vorkommen, ergänzt. Der Wechsel der verschiedenen Perspektiven ist gut getimt. Hin und wieder wird ein- und dieselbe Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschildert. Das hat mir gut gefallen. Und was noch lobenswert ist: Für jede dargestellte Figur wird ein individuelles Profil klar erkennbar (Vorsicht vor folgenden Triggerthemen: Borderline-Störung, suizidales Verhalten). Die Charakterisierungen sind gelungen! Von mir gibt es 4 Sterne. Warum nicht 5 Sterne? Ich habe bei der Lektüre eine „Sogwirkung“ vermisst. Das Buch entwickelt sich eher ruhig und atmosphärisch, weniger temporeich. Der Grad an Spannung hätte nach meinem Empfinden noch stärker ausfallen können.
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