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Donnerstag, 23. Juni 2022

Tevis, Walter - Der Mann, der vom Himmel fiel


4 von 5 Sternen


Dezente Science-Fiction-Literatur

Der Autor Walter Tevis ist spätestens seit dem „Damengambit“ wieder in aller Munde. Sein Werk wird aktuell wiederentdeckt und neu übersetzt. Dazu gehört nun auch der Roman „Der Mann, der vom Himmel fiel“, der ursprünglich 1963 erschienen ist. Und man merkt dem Werk den Zeitgeist der 60er Jahre an, z.B. wenn die Hauptfigur Thomas Jerome Newton über die Gefahr der Kriegsführung spricht. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man das Buch liest.

Was das Buch in meinen Augen auszeichnet, ist die starke Hauptfigur des Außerirdischen Newton, der mysteriös wirkt. auf der einen Seite besitzt er eine den Menschen überlegene Intelligenz, doch auf der anderen Seite ist er körperlich so verletzlich und gebrechlich. Von Beginn an fragt man sich bei der Lektüre, was er vorhat, was sein Plan ist, welches Ziel er verfolgt. Das treibt die Handlung gut voran. Seine Fremdartigkeit wird nur recht dezent angedeutet, hin und wieder erfahren wir auch vage etwas über seine Heimatwelt. Das finde ich gut gemacht. Auch die psychischen Auswirkungen seines Aufenthalts auf der Erde kommen gut zum Ausdruck. Er vermisst seine Heimat, fühlt sich einsam, gibt sich dem Alkohol hin und wirkt in dieser Phase orientierungslos. Kurzum: Die Figur ist nicht statisch angelegt, sondern entwickelt sich. Das ist ebenfalls gelungen.

Auch die Figur des Nathan Bryce fand ich interessant angelegt, er schöpft schon früh Verdacht, dass es sich bei Newton um eine außergewöhnliche Person handeln muss. Später überschneiden sich dann auch die Wege von Newton und Bryce. Was mich während des Lesens aber etwas gestört hat, ich habe nie ganz ergründen können, was er denn nun eigentlich vorhat. Gleichzeitig treibt aber diese Uneindeutigkeit wieder die Handlung voran. Als Highlight des Buchs habe ich das Gespräch zwischen den beiden Protagonisten empfunden, in dem Newton Bryce seine Ziele offenlegt. Und hier zeigt sich, dass die Botschaft des Buchs durchaus Aktualitätsbezug aufweist.

Betty Jo hingegen blieb mir insgesamt zu blass. Wird das Kennenlernen mit Newton noch ziemlich ausführlich beschrieben, tritt sie danach für mich zu sehr in den Hintergrund. Das fand ich schade, hier wäre mehr drin gewesen.

Dass man wenig über das Innenleben der Figuren erfährt, liegt an der gewählten Erzählperspektive. Die Handlung wird aus einem distanzierten personalen Blickwinkel berichtet. Dadurch ist man nicht so nah dran an den Figuren und an ihren Gedanken und Gefühlen. Und gerade das lässt Leerstellen entstehen. Als Leser:in steckt man eher in der Beobachterrolle. Wie man das nun empfindet, muss jede/r für sich selbst beantworten. Für den einen mag genau das den Reiz beim Lesen ausmachen, ich hätte hingegen gern mehr über die Beweggründe von Newton und vor allem auch Bryce erfahren.

Das Ende des Buchs war für mich überraschend und zugleich irritierend. Der Umgang mit Newton und auch Newtons Handlungen waren nach meinem Dafürhalten nicht gänzlich plausibel. Das fand ich etwas schade.


Fazit

Ein Science-Fiction-Roman mit Aktualitätsbezug, in dem die Fremdartigkeit des Außerirdischen Thomas Jerome Newton nur sehr dezent thematisiert wird. Durch die gewählte Erzählperspektive ergeben sich einige Leerstellen. Klare Stärke des Werks: die Konzeption der Figur Newton. Es ist ein sehr gutes Buch, aber kein herausragendes. Deshalb vergebe ich 4 Sterne.

Mittwoch, 22. Juni 2022

Thiele, Markus - Die sieben Schalen des Zorns


5 von 5 Sternen


Das Gesetz – ein Segel?

In seinem sehr lesenswerten Roman „Die sieben Schalen des Zorns“ widmet sich der Autor dem sehr schwierigen Thema der Sterbehilfe und beleuchtet es vor allem unter Einbezug juristischen Wissens. Schon in seinem Vorwort macht Markus Thiele klar, dass es bei der Sterbehilfe verschiedene Formen gibt: „die aktive und passive Begehungsweise sowie die Beihilfe zur Selbsttötung“ (vgl. S. 9). Genau in diesem Spektrum von Möglichkeiten der Sterbehilfe siedelt der Autor den fiktiven Fall an. Und was ich toll finde: Der Autor ist selbst Fachmann. Als Rechtsanwalt versteht er es hervorragend, rechtliche Grauzonen erzählerisch angemessen und interessant aufzubereiten. Das macht er richtig gut. Man könnte im ersten Moment vielleicht befürchten, dass die Lektüre trocken ist oder die Figuren nur als Mittel zum Zweck herhalten, um juristische Sachverhalte zu veranschaulichen. Doch so ist es nicht! Im Gegenteil. Die Lektüre ist zwar fordernd und man lernt jede Menge dazu, aber der Erzählton ist nie langatmig. Und auch die Gestaltung der Figuren und ihrer Beziehungsverhältnisse zueinander ist gelungen. Die Charaktere wirken lebensecht, ihr Handeln ist plausibel, sie sind nicht flach, sondern mit Tiefe gezeichnet. Ich war positiv überrascht. Vor allem die Freundschaft zwischen Max und Jonas ist facettenreich und mit dramatischem Geschick gestaltet worden. Beide sind durch ein tragisches Schicksal auf besondere Weise miteinander verbunden. Und Jonas befindet sich in einer erheblichen Dilemma-Situation und man fragt sich, wie er sich in seiner Rolle als Staatsanwalt seinem Freund gegenüber verhalten wird. Auch die familiären Unterschiede zwischen Max und Jonas kommen gut zum Ausdruck: Während Max eine triste und lieblose Kindheit mit einem Vater erlebt hat, der ihn emotional vernachlässigt hat, ist Jonas in einem reichen und eher karrieristisch geprägten Elternhaus groß geworden. Die soziale Herkunft zwischen beiden könnte unterschiedlicher nicht sein. Und als Leser stellt man sich die Frage: Wird die Freundschaft zwischen Max und Jonas womöglich an dem Fall zerbrechen? Wie wird sich Jonas positionieren?

Auch Agnes ist eine reizvolle Figur, die der Handlung zusätzliche Spannung verleiht. Zwischen Max und Agnes wird Rivalität und Antipathie deutlich. Zwischenzeitlich fragt man sich, inwieweit auch die leibliche Tochter ihre Finger im Spiel hat. Will Sie Max möglicherweise etwas anhängen und ihn in ein schlechtes Licht rücken?

Was mich noch überzeugt hat: Thiele ist am Puls der Zeit. Durch sein Nachwort wird deutlich, dass der Hohe Rat von Den Haag eine vielleicht richtungweisende Entscheidung zum Thema „Sterbehilfe“ getroffen hat. Er erwähnt, dass einzelne Fraktionen im Deutschen Bundestag Gesetzesvorschläge eingebracht hätten, um die Sterbehilfe neu zu regeln (vgl. S. 389-391). Das verleiht dem Inhalt des Buches nicht nur Aktualität, sondern noch dazu einen hohen Grad an Realismus. Und ich fand bei der Lektüre v.a. solche Passagen interessant, in denen auch einmal strafrechtliche Grundsatzdebatten erzählerisch ansprechend vermittelt wurden. So wird gut deutlich, dass das Recht nicht statisch ist, sondern gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt.

Auch den Einblick in die Arbeit des Staatsanwalts habe ich mit Interesse gelesen (vgl. Kap. 16). Und die Darstellung des Prozesses ab S. 265 war für mich das Highlight des Buchs. Mir war nicht klar, welche Spielräume ein Staatsanwalt zur Verfügung hat. Hier merkt man einfach, dass der Autor vom Fach ist. Die Darlegungen wirken auf mich sehr realistisch. Und mich stimmte hoffnungsvoll, dass der Staatsanwalt das Ziel verfolgt, mit dem Angeklagten fair umzugehen, und im Zentrum des Interesses die Wahrheitsfindung steht. Das fand ich differenziert dargelegt.

Das einzige, was ich kritisch anmerken kann, ist der Umstand, dass dieses Buch bei der Lektüre schon fordernd ist. Es ist kein Buch, das man mal eben so herunterliest. Mich hat das aber überhaupt nicht gestört.


Fazit: 


Ein lesenswerter Roman, der sich vor allem juristisch mit dem Thema „Sterbehilfe“ beschäftigt. Man erhält interessante Einblicke in die deutsche Rechtsprechung und beiläufig werden juristische Grauzonen beleuchtet. Die Figuren und ihre Beziehungsverhältnisse zueinander sind ansprechend gestaltet worden. Die Lektüre des Buchs ist fordernd, aber es lohnt sich. Ich vergebe 5 Sterne!

Mittwoch, 15. Juni 2022

Schreiber, Chantal - Kurt. Einhorn - eine Mission


2 von 5 Sternen


Deutlicher Qualitätsverlust gegenüber Band 1 und 2


Nachdem ich meinen Kindern Band 1 und 2 vorgelesen habe, die ich als geeignet empfunden habe (vgl. frühere Rezensionen), hat uns der dritte Band „Kurt. Einhorn – eine Mission“ enttäuscht. Das Beste an dem Buch sind die Illustrationen, aber der Inhalt und die Sprachgestaltung sind fragwürdig.

Die Handlung ist verworren, es fehlt ein klarer roter Faden, die Ereignisse werden sprunghaft und recht unzusammenhängend aneinandergereiht. Das hatte zur Folge, dass meine Kinder dem Inhalt gar nicht mehr folgen konnten. Hinzu kommen ziemlich platte Dialoge, die ich teilweise zu abgedreht fand. Auch der vorkommende Sprachwitz stellt für die jungen Zuhörer:innen eine Überforderung dar. Gegenüber Band 2 wurde das sprachliche Niveau noch einmal erschwert. Und schon in Band 2 fand ich es grenzwertig.

Was auch sehr schade war, viele Charaktere aus den ersten Bänden tauchen selten oder teils gar nicht mehr auf, z.B. die Prinzessin, Tüdelü oder Trill. Bei meinen Töchtern wollte anders als bei Band 1 und 2 dieses Mal der Funke nicht überspringen. Sie haben irgendwann nicht mehr aufmerksam zugehört. Das einzige, was ihnen wieder gefallen hat, waren die textunterstützenden, farbigen Bilder, die durchaus gelungen sind. Sie wirken putzig und liebevoll gestaltet. Ich bin mir noch unsicher, ob wir den vierten Band lesen werden.


Fazit

Ein Kinderbuch, dem nun deutlich die Luft ausgeht. Waren Band 1 und 2 noch gelungen, ist der dritte Band eine Enttäuschung, die Handlung ist zu verworren, die Sprachgestaltung zu anspruchsvoll. Ich halte es zum Vorlesen für ungeeignet, vor allem für die vom Verlag angegebene Zielgruppe. Der Verlag sollte die Altersangabe von 5 – 7 Jahren überdenken. Keine Leseempfehlung! Wegen der gelungenen Bilder gebe ich zwei Sterne.

Dienstag, 14. Juni 2022

Allert, Judith und Marie Braner - So sind Familien. Lauter liebevolle Vorlesegeschichten.


5 von 5 Sternen


Was ist normal?


In dem Kinderbuch „So sind Familien“ von Judith Allert und Marie Braner aus dem Carlsen-Verlag lernen die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer im Rahmen von 14 Vorlesegeschichten verschiedene Familien und ihren Alltag kennen. Ich empfehle es zum Vorlesen für Kinder ab 5 Jahren.

 

Konzept

In diesem Buch werden keine „typischen“ Familien präsentiert, sondern Familien, wie sie tatsächlich existieren. Familien in ihrer bunten Vielfalt, aus dem Leben gegriffen, mit all ihren Problemen und Turbulenzen. Es wird bewusst von dem abgewichen, was als „normal“ gilt. Und das ist gut so, denn so, wie der Alltag der Figuren in diesem Buch dargestellt wird, so läuft es in der Realität ab. Da gibt es eine Familie, die sich eine Oma „borgt“, zwei Schwestern, von denen eine im Rollstuhl sitzt, eine Familie, die ein morgendliches Chaos erlebt, bevor es für die vier Kinder in die Schule und in den Kindergarten geht. Es gibt mehrsprachige Familien multinationaler Herkunft, Kinder, die bei Oma und Opa oder bei der Tante übernachten sollen, eineiige Zwillinge, die sich streiten, eine Familie mit zwei Mamas oder zwei Papas, eine Patchwork-Familie, eine Großfamilie etc. Auch der Tod wird in einigen Geschichten thematisiert. Kurzum: Wer seine Kinder für Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Familienmodellen sensibilisieren will und auf eine realistische Darstellung des Alltags Wert legt, sollte zu diesem Buch greifen. Und ich versichere, den Vorleser:innen, dass der Nachwuchs sich gut in den geschilderten Alltag hineinversetzen kann. Denn er ist realistisch und manchmal auch traurig!

Was auch sehr gelungen ist: Zu Beginn jeder Geschichte werden die Familien in Form eines Porträts namentlich mit realistischen Illustrationen eingeführt. So haben die jungen Zuhörer:innen direkt ein Bild von ihnen im Kopf und wissen, welche handelnden Figuren vorkommen. Meinen beiden hat das sehr gut gefallen, sie haben sich die verschiedenen Familien immer wieder angeschaut.

Auch haben die Geschichten eine ideale Vorleselänge, die meisten von ihnen umfassen 8 Seiten. Nur drei Geschichten weichen davon ab und sind 9 bzw. 10 Seiten lang.

 

Bebilderung und Sprachgestaltung

Die Bebilderung ist gelungen. Auf jeder Doppelseite gibt es mindestens eine Zeichnung. Es gibt auch zahlreiche großformatige Illustrationen, die durch ihren Realismus überzeugen (immerhin 30 Bilder, die mehr als eine halbe Seite umfassen auf 124 Seiten). Die Bilder laden zur Betrachtung ein, es gibt vieles darauf zu entdecken.

Auch die Sprachgestaltung ist lobenswert. Satzkonstruktionen und Wortschatz sind altersgerecht, wörtliche Rede sorgt für Lebendigkeit, ohne dass sie den Sprachduktus zu sehr dominiert. Beim Vorlesen bin ich nur über eine Stelle gestolpert: Auf S. 33 ist von Opa und Opa die Rede, obwohl hier Oma und Opa gemeint sind.

Und eine persönliche Randbemerkung erlaube ich mir in diesem Zusammenhang dann doch wieder: Ich mag es nicht, wenn Vokale und Konsonanten zur Intensivierung gedehnt werden und äußere mal wieder die Hoffnung, dass dieser Trend nicht immer mehr in Kinderbüchern um sich greift (z.B. „Stuuuunden“, S. 33; „Äääh, S. 34, „Suuuuper“, S. 65 etc.).

 

Fazit

Ein Kinderbuch mit einem überzeugenden Konzept und interessanten Geschichten: Es wird auf  Vielfalt, Authentizität und Realismus Wert gelegt. Es sollte mehr solcher Bücher geben, in denen die jungen Zuhörer:innen beiläufig Offenheit und Toleranz erleben und einen realistischen Einblick in den Alltag von anderen Familien erhalten. Von mir gibt’s 5 Sterne und eine klare Vorleseempfehlung!

 

Montag, 13. Juni 2022

Pfeiffer, Marikka - Lowinda Löwenzahn und der Vergissmeinnicht-Zauber


4 von 5 Sternen



Für magieinteressierte Kinder mit grünem Daumen


Das Kinderbuch „Lowinda Löwenzahn“ von Marikka Pfeiffer, mit Illustrationen vom Miriam Koch, besticht mit einer warmherzigen Geschichte über eine Fee, die zusammen mit ihren menschlichen Freunden ihren Garten beschützen will.

 

Zielgruppe

Nach meinem Dafürhalten ist dieses Buch perfekt geeignet für Eltern und Kinder mit einem grünen Daumen, die auch dem Thema „Umweltschutz“ etwas abgewinnen können. Auch sollte sich der Nachwuchs für magische Wesen und Magie interessieren. Wer z.B. „Petronella Apfelmus“ von Sabine Städing kennt und für gut befindet, der wird auch an diesem Buch seine Freude haben, zumal es in meinen Augen viele Parallelen gibt. Das Buch wird für junge Zuhörer:innen ab 8 Jahren empfohlen und dieses Alter halte ich auch für passend.

 

Inhalt

Gelungen ist, dass vor Beginn der eigentlichen Geschichte die handelnden Figuren in Form kleiner Zeichnungen und einem kurzen Porträt vorgestellt werden. So erhält man direkt eine Übersicht und kann bei Bedarf auch noch einmal zurückblättern. Die Namen der Protagonisten sind kreativ gewählt. Schöne Alliterationen kommen dabei zum Einsatz: z.B. „Berna Brombeere“, „Moro Mohn“.

Auch ist es möglich direkt mit Band 2 in die Reihe einzusteigen, weil die wichtigsten Inhalte aus dem vorherigen Band rekapituliert werden.

Im Kern geht es in diesem Band darum, dass durch ein Missgeschick ein „Vergiss-mein-doch-Zauber“ außer Kontrolle gerät und Lowinda Löwenzahn sowie die befreundeten Menschenkinder Luk und Polli Schaden vom Garten abwenden müssen. Es geht also mehr um die Gefahr des Schlafzaubers, weniger um das Mondscheinfest und die Betonierung des Gartens. Hier finde ich den Klappentext etwas irreführend. Denn Herr Birnbaum taucht erst spät auf und greift erst ab S. 98 relevant in die Handlung ein. Ich hätte es gut gefunden, wenn schon früher mehr spannungserregende Momente eingebaut worden wären. So wird es erst im letzten Drittel des Buchs richtig spannend.

 

Bebilderung und Sprachgestaltung

Der Text wird unterstützt durch einige schwarz-weiße Illustrationen, die textunterstützend sind, sich also auf den Inhalt des Gelesenen beziehen. Meistens sind es recht kleine Zeichnungen, großflächige Formate, die mehr als eine halbe Seite einnehmen, findet man kaum (ich habe insgesamt 7 solcher Zeichnungen auf den 144 Seiten gefunden). Das Buch ist also schon „textlastig“, es gibt auch einige Seiten ganz ohne Bild. Für Kinder ab 8 Jahren ist das aber altersangemessen. Dennoch hätte ich mehr Zeichnungen und auch mehr großformatige Illustrationen gut gefunden.

Positiv ist, dass ein Wortschatz aus Flora und Fauna vermittelt wird. Ohne überladen zu sein, findet man auch hin und wieder anspruchsvolle Lexik. Den verbalen Wortschatz empfand ich als vielfältig. Auch die Satzkonstruktionen sind punktuell mal etwas fordernd, so stößt man auch mal auf längere und komplexere Satzreihen oder Satzgefüge. Durch Sprechpausen sind diese aber gut auflös- und vermittelbar. Das finde ich grundsätzlich gut, weil die jungen Zuhörer:innen auf diese Weise beiläufig ihr sprachliches Repertoire erweitern können. Vielfältiger sprachlicher Input ist dafür hilfreich.

 

Fazit

Eine warmherzig erzählte Geschichte mit gut ausgearbeiteten, gutartigen Figuren, die beiläufig eine schöne Umweltschutz-Botschaft vermittelt. Ideal geeignet für solche Kinder, die sich für Magie und magische Wesen interessieren und auch noch einen grünen Daumen haben. Mehr Illustrationen und spannungserregende Momente hätten dem Buch mehr als 4 Sterne beschert.

Weiler, Jan - Der Markisenmann


5 von 5 Sternen


„Unerhört…“


In seinem Roman „Der Markisenmann“ erschafft Jan Weiler charmante Figuren mit einem Hauch von Skurrilität und schildert warmherzig und emotional, wie sich die fünfzehnjährige Kim und ihr Vater behutsam während der Sommerferien 2005 einander annähern. Kim ist verhaltensauffällig und ein Beispiel für Wohlstandsverwahrlosung, sie fühlt sich auch aufgrund des Verhaltens ihres Stiefvaters Heiko in ihrer Familie als Außenseiterin und rebelliert. Mit ihrem Bruder Geoffrey kommt es zu einer Eskalation und als „Strafe“ muss Kim ihre Ferien bei ihrem leiblichen Vater Ronald Papen verbringen, einem Vertreter für Markisen.

 

Diese sechs Wochen werden für Kim zum Sommer ihres Lebens, sie lernt ihren Vater kennen, hilft ihm bei seiner Arbeit, erlebt die erste Urlaubsliebe und die Vater-Tochter-Beziehung verändert sich. Auch ein lange gehütetes Familiengeheimnis wird gelüftet. Und das alles wird einfühlsam und auch mit einem Hauch von schwarzem Humor erzählt, der aber in meinen Augen nie die Grenze des guten Geschmacks verletzt. Und zum Ende hin erhält das Werk auch noch Tiefe. Berichtet wird aus der Ich-Perspektive von Kim, und zwar rückblickend, mit einem zeitlichen Abstand von 17 Jahren zu diesem Sommer.

 

Besonders gefallen haben mir der humorvolle Erzählton und die stellenweise bildhafte und pointierte Sprache. Auch der „Ruhrpott-Charme“ kommt gut zum Ausdruck. Lustige Sprachschöpfungen tragen zur Abwechslung bei und laden zum Schmunzeln ein (zum Beispiel „die tektonischen Platten seiner Einkaufsplanung verschoben sich“, S. 89). Da wird das äußere Erscheinungsbild Duisburgs amüsant beschrieben, die Kneipe „Rosis Pilstreff“ wird grotesk dargestellt und ein gewöhnlicher Einkauf im Supermarkt wird zu einem psychologischen Abenteuer und zu einem Kampf gegen das System. Auch über das Fußballfachgesimpel zum MSV-Duisburg und über das geschilderte Skatturnier musste ich herzhaft lachen. Mein persönliches Highlight war das Verkaufsgespräch von Kim und Papen mit dem Mittelalter-Fan (vgl. S. 210 ff).

 

Auch die Figuren sind mir während der Lektüre sehr ans Herz gewachsen. Ronald Papen, der in einer Werkshalle wohnt, ist ein unglaublicher Optimist, hinter jeder Tür sieht er die Chance eines Verkaufs, er lässt sich auch von Rückschlägen und Absagen nicht unterkriegen. Er bleibt stets gutgelaunt und arbeitet akribisch weiter. Er übt seinen Beruf mit einer unnachahmlichen Hingabe aus. Auch der Nerd Alik mit seiner multinationalen Herkunft ist ein interessanter Charakter. Die Freunde von Papen (eine „Schicksalsgemeinschaft von Frühverrenteten, Nichtsnutzen und Träumern“) sind herrlich skurril, aber jederzeit warmherzig. Man möchte mit Lutz, Achim, Oktopus und Heiko direkt ein Bier trinken gehen. Heiko, der Stiefvater von Kim, erscheint zunächst als überkandidelter Großkotz, also als eine Art Kontrastfigur zu Papen, doch der Blick des Lesers auf ihn verändert sich im Laufe der Lektüre. Das ist gut gemacht! Überhaupt ist positiv anzumerken, dass sich die Charaktere im weiteren Verlauf der Handlung weiterentwickeln, sie sind also nicht statisch angelegt. Das hat mir sehr gut gefallen.

 

Fazit

Ein warmherzig verfasster Roman mit liebenswerten, skurrilen Charakteren, die sich im Laufe der Handlung weiterentwickeln. Das Ende verleiht dem Roman eine angenehme Tiefe, so dass auch eine gewisse Ernsthaftigkeit bei der Lektüre entsteht. Viele Stellen laden zum Schmunzeln ein. Das Werk überzeugt mit seinem humorvollen Erzählton und jeder Menge „Ruhrpott-Charme“. Ich gebe volle 5 Sterne und empfehle es auf jeden Fall weiter.

Donnerstag, 9. Juni 2022

Faber, Henri - Ausweglos


4 von 5 Sternen


Nicht so gut wie „Kaltherz“

Nachdem ich den Thriller „Kaltherz“ von Henri Faber gelesen habe und sehr begeistert war (vgl. eine frühere Rezension), wollte ich auch sein Debut lesen, in der Hoffnung, dass auch „Ausweglos“ ein solch grandioser Thriller ist wie „Kaltherz“. Doch ist er das? In meinen Augen leider nicht ganz. Ich will gerne erklären, warum.

 

Hohe Spannungsintensität

Anders als in „Kaltherz“ empfand ich die Sogwirkung beim Lesen als nicht ganz so intensiv. So nimmt die Darstellung der Beziehung zwischen Linda und Noah doch viel Raum ein, was sich in meinen Augen negativ auf die Spannung ausgewirkt hat. Ich wollte vielmehr über den Mörder erfahren, weniger über das problematische Beziehungsleben der beiden. Allerdings schafft es Faber ähnlich wie bei „Kaltherz“ im Laufe der Handlung die Spannungsintensität zu steigern.

 

Unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende

Was Wendungen und die schlüssige Auflösung am Ende betrifft, ist der Autor auf jeden Fall kaum zu toppen. Hier offenbar sich das besondere Talent von Henri Faber. Er schafft es immer wieder, den Leser/ die Leserin zu überraschen und unvorhersehbare Wendungen zu konstruieren, und das gleich mehrfach. Das ist beachtlich! Und was ich in „Ausweglos“ innovativ finde, weil ich es in der Form so noch nicht gelesen habe: Es gibt zwei Enden. Allerdings hat mich das zweite Ende mehr begeistert und überzeugt als das erste. Beim ersten Ende fand ich sowohl das Motiv als auch die Darstellung des psychischen Zustands und der Medikation etwas unrealistisch. Allerdings wird die Gefühlswelt des Lesers/ der Leserin beim Lesen nicht ganz so auf den Kopf gestellt wie bei „Kaltherz“.

 

Facettenreich gestaltete Figuren

Wie schon in „Kaltherz“ werden auch in „Ausweglos“ interessante und facettenreich gestaltete Figuren entworfen, z.B. Noah und Linda, ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch. Allerdings kann das Debut hier in meinen Augen keinesfalls mit „Kaltherz“ mithalten. Hier erkennt man klar, dass sich der Autor in seinem zweiten Werk weiterentwickelt hat. Denn eine Sache ist mir schon etwas negativ aufgefallen: Die Charaktere wirken oft überzeichnet und nicht so „lebensecht“. Das gilt vor allem für Elias Blom und seine Polizeikollegen, die innerhalb ihrer Abteilung regelrechte „Hahnenkämpfe“ ausfechten, das erschien mir doch teilweise stark übertrieben. Auch ist Kommissar Elias Blom längst kein so charismatischer und außergewöhnlicher Ermittler mit Kommissarin Kim Lansky. Eine auffällige Parallele zwischen beiden ist aber, dass sie im zwischenmenschlichen Umgang so ihre Probleme haben.

 

Dynamische erzählerische und sprachliche Gestaltung

Auch „Ausweglos“ punktet mit einer geschickt arrangierten mehrperspektivischen Gestaltung, so wie schon „Kaltherz“. Außer der Perspektive von Noah, Linda und Kommissar Elias Blom wird uns auch der Blickwinkel des Ringfingermörders dargeboten. Die Gedankenwelt des Mörders kennenzulernen, ist dabei äußerst verstörend und abschreckend. Die Perspektiven wechseln einander ab.

Auch greift der Autor schon hier auf ein ähnliches erzählerisches „Handwerkszeug“ zurück, um dem Geschilderten in hohes Tempo und eine gute Dynamik zu verleihen: kurze Kapitel und Cliffhanger.

Was die sprachliche Gestaltung betrifft, ist mir ein ganz klarer Unterschied zu „Kaltherz“ aufgefallen. Während der Autor in seinem zweiten Werk seinen gelungenen dynamischen Schreibstil wohldosiert einsetzt, um Spannung zu steigern, greift er in seinem ersten Werk permanent auf diesen Stil zurück und übertreibt es damit ein wenig. Ja, es strengt sogar ein wenig an. Als Leser war ich von der stetig anhaltenden Dynamik überfordert. Immer wieder ein dicht gestaffelter Satzbau, bestehend aus Aufzählungen, Komparationen, Parataxen, asyndetische Reihungen, knappen, abgehackten Sätze und Parallelismen. Ich konnte kaum Durchatmen beim Lesen. Man merkt einfach, wie an fast jeder Zeile gefeilt wurde. Das ist eigentlich auch beachtlich und es ist toll, dass Faber damit einen Stil erschafft, der durchaus Wiedererkennungswert hat. Aber diese sprachlichen Mittel zur Dramatisierung sollten nicht dauerhaft zum Einsatz kommen, sondern nur punktuell. Sonst wirkt die Sprache einfach „künstlerisch überformt“.

 

Wie fällt der Vergleich zwischen „Kaltherz“ und „Ausweglos“ nun aus? In meinen Augen ist „Kaltherz“ klar besser, der Autor hat sich weiterentwickelt, das spürt man. Die Sprache ist nicht so überformt, die Charaktere sind nicht so überzeichnet. Die Spannungsintensität ist höher. Trotzdem ist auch „Ausweglos“ ein sehr guter Thriller, aber von mir bekommt er eben „nur“ vier Sterne.

 

Fazit

Ein Thriller, der vor allem durch zahlreiche unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende besticht. Lesenswert, aber nicht so gut wie „Kaltherz“. 4 Sterne!

 

Montag, 6. Juni 2022

Ware, Ruth - Im dunklen, dunklen Wald


4 von 5 Sternen


Starkes Debut

Der Thriller „Im dunklen, dunklen Wald“ ist das überaus gelungene Debut von Ruth Ware, das mit einer überzeugende Figurenzeichnung und einigen Wendungen punktet. Die Autorin nimmt sich zunächst einmal Zeit, die Figuren Melanie, Nora, Nina, Flo, Tom und Clare einzuführen, die einen exzessiven Junggesellinenabschied feiern. Vor allem die Stimmung auf der Party wird dabei gut eingefangen, alles wirkt detailliert und authentisch, was auch an der gelungenen Dialoggestaltung liegt. Es wird deutlich, dass die vermeintlichen Freunde doch sehr gehässig miteinander umgehen. Man ist mittendrin im Geschehen. Das ist gut gemacht!

Auch die Darstellung der Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren ist lobenswert. Besonders gut hat mir das problematische Verhältnis von Nora und Clare gefallen. Beide sind als Kontrastfiguren angelegt, so stand Nora stets im Schatten von Clare, die ihre Umgebung mit ihrem Charme für sich einnehmen konnte.

Man merkt auch recht schnell, dass mit der Hauptprotagonistin Nora, aus deren Ich-Perspektive erzählt wird, etwas nicht stimmt. Es ist in der Vergangenheit etwas vorgefallen, das sie noch immer umtreibt. Als Leser:innen lösen wir dieses Rätsel nach und nach auf. Das treibt die Handlung gut voran. Eine erste gute Wendung nimmt die Handlung, als Clare ihrer ehemals besten Freundin Nora eröffnet, wen sie eigentlich heiratet. Gelungen sind auch die erzählerischen Einschübe aus der Gegenwart, in denen Nora sich im Krankhaus befindet und sich darum bemüht, sich daran zu erinnern, welches tragische Ereignis auf der Party vorgefallen ist. Auch das erzeugt eine gute Offenheit, so dass man weiterlesen möchte.

Ab S. 209 nimmt die Handlung dann stark an Tempo und Dynamik zu. Es kommt zu einem tragischen Zwischenfall. Von diesem Zeitpunkt an rückt Nora dann noch stärker in den Mittelpunkt, während die anderen Figuren in den Hintergrund treten. Nun beschäftigt den Leser/ die Leserinnen die Frage, was genau vorgefallen ist. Die Rekonstruktion der Ereignisse ist spannend und mit Sogwirkung gestaltet. Und ab S. 298 zieht das Tempo sogar noch einmal an, es ereignet sich erneut eine überraschende Wendung. Und die Auflösung am Ende ist gelungen. Kurzum: Ein Thriller, der seinen Namen zurecht trägt. Von mir 4 Sterne und eine Leseempfehlung!

Fazit

Ein Thriller, der gemächlich startet, dann aber ab S. 209 an Tempo und Dynamik zunimmt. Was mich v.a. überzeugt hat: die Figurengestaltung, die Darstellung der Beziehungsverhältnisse und die überraschenden Wendungen, die zum Weiterlesen animieren. Da der Thriller aber so gemächlich startet, ziehe ich einen Stern ab und vergebe 4 Sterne. Trotzdem Leseempfehlung, vor allem für solche Leser:innen, die auch Henri Faber, Judith Merchant und Romy Hausmann mögen.

Khider, Abbas - Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch


5 von 5 Sternen


Wohltemperiertes Deutsch

Für alle, die sich gerne einmal mit den Besonderheiten und Schwierigkeiten der deutschen Sprache beschäftigen möchten, ist das Büchlein „Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch“ von Abbas Khider eine äußerst amüsante Lektüre. Der Autor geht darin auf einige grammatische Herausforderungen des Deutschen ein und verdeutlicht damit, dass die Aneignung des Deutschen als Fremdsprache kein leichtes Unterfangen darstellt. Auf vergnügliche Weise wird man als Muttersprachler sensibilisiert für die Stolpersteine der eigenen Sprache, die man ja intuitiv erlernt hat. Es wird humorvoll dargestellt, wie eine Vereinfachung der Grammatik umgesetzt werden könnte.

So macht der Autor beispielsweise erheiternde Vorschläge dazu, wie man den Satzbau im Nebensatz oder das Artikelsystem erleichtern könnte oder wie man das Problem der trennbaren Verben lösen könnte. Nicht zuletzt schlägt Khider vor, den Bestand der Präpositionen zu reduzieren. Ich finde die Abstraktionsleistung von Khider dabei absolut bewundernswert. Er demonstriert nämlich nicht nur, wie gut er die Regeln des Deutschen kennt, sondern er setzt sich äußerst kreativ, originell und mit einem Augenzwinkern mit diesen auseinander. Mir hat die Lektüre dieses schmalen Büchleins viel Spaß bereitet. Und für meinen Geschmack hätte es sogar noch umfangreicher ausfallen können. Viele Themen bleiben ausgespart. Der Autor selbst räumt ein, dass er auch noch auf die Verwendung von ES, auf die Komposita, die Modalverben, das Passiv, die Zahlwörter, die Hilfsverben, die indirekte Rede oder den Konjunktiv eingehen könnte. Vielleicht bringt Khider ja noch eine Fortsetzung heraus, wünschenswert wäre es.

Lustig finde ich vor allem, wie der Autor Analogien und Beispiele verwendet, um die Besonderheiten der deutschen Grammatik zu beschreiben. Da werden Pronomen mit dem Föderalismus in Bezug gesetzt. Die Deklination wird verglichen mit einem Bestrafungsinstrument. Und die Verbendstellung im Nebensatz gleicht den Verspätungen bei der Deutschen Bahn. Herrlich! Ich habe bei der Lektüre viel geschmunzelt.

Gut hat mir auch gefallen, dass Abbas Khider einige biographische Erlebnisse und Anekdoten in die Darstellung miteinfließen lässt. In den literarischen Werken von ihm frage ich mich ja stets, was von den geschilderten Inhalten wohl autobiographisch sein mag, was fiktiv (vgl. meine Rezensionen zu „Der Erinnerungsfälscher“, „Ohrfeige“, „Brief in die Auberginenrepublik“, „Der falsche Inder“). Hier gibt der Autor einmal etwas Persönliches von sich preis. Das fand ich toll!

Das einzige, was mich punktuell einmal gestört hat. Es gibt schon einige Passagen, in denen Khider mit seinem bissigen Humor etwas übers Ziel hinausschießt und mal die eine oder andere Grenze des guten Geschmacks überschreitet. Das entsprach nicht immer so ganz meinem Geschmack. Es hat mich jetzt aber nicht so gestört, dass ich dafür einen Stern abziehen würde. Auch hätten mich mehr Vergleiche zum Arabischen interessiert. Kurzum: Absolute Leseempfehlung für solche Leser, die an den Besonderheiten der deutschen Sprache interessiert sind und 5 Sterne.

Fazit

Ein kreatives, originelles und amüsantes Werk, in dem der Autor eine profunde Kenntnis der deutschen Sprache beweist. Die Vorschläge zur Vereinfachung sowie die verwendeten Analogien und Beispiele sind lustig zu lesen. Auch die biographischen Erfahrungen des Autors habe ich mit Interesse gelesen. In einigen Passagen war mir der Humor dann aber doch zu scharfzüngig. Trotzdem 5 Sterne und klare Empfehlung, allerdings für solche Leser, die an der deutschen Sprache interessiert sind.

Sonntag, 5. Juni 2022

Leister, Hans - Das U-Boot


2 von 5 Sternen


Hat meine Erwartungen nicht erfüllt

Mit großer Vorfreude habe ich mich an die Lektüre des Thrillers „Das U-Boot“ von Hans Leister begeben, in freudiger Erwartung darauf, dass ich einen packenden apokalyptischen Endzeit-Thriller lesen werde. Leider hat das Buch meine hohen Erwartungen nicht erfüllen können. Ich erkläre gerne, woran das liegt.

 

Die erste Buchhälfte

Die ganze Handlung startet nach meinem Gefühl sehr langsam und gemächlich, es dauert lange, bis „Das U-Boot“ Fahrt aufnimmt und mit voller Kraft voraus fährt. Hinzu kommt ein Erzählton, den ich als dröge, nüchtern und emotionslos empfunden habe. Auch der Erzählstil ist simpel. Mitreißend wird es erst, wenn das Buch schon fast zur Hälfte ausgelesen ist. Das dauerte mir persönlich zu lang. Mir fehlen v.a. in der ersten Hälfte des Buchs spannungserregende Ereignisse, die die Handlung vorantreiben. Es bleibt auch unklar, worauf die Handlung überhaupt hinausläuft. Es fehlen das Tempo und die Dynamik.

Bevor sich die Endzeit-Katastrophe ereignet, wird vor allem das Beziehungsverhältnis von Leah zu ihrem Freund Uri vertieft, und das in meinen Augen sehr klischeehaft und konstruiert. Da verzeiht sie ihm mal ebenso einen One-Night-Stand und will dann direkt schwanger werden und heiraten. Also ich weiß ja nicht, „lebensecht“ und realistisch wirkte das auf mich jedenfalls nicht. Hinzu kommt die sich wiederholende Schilderung von U-Boot-Manövern, die nach meinem Dafürhalten auch nicht sehr abwechslungsreich gestaltet worden sind. In einem zweiten Erzählstrang begleiten wir noch Tarik, den Tunnelbauer. Aber mir ist nicht klar geworden, wofür er diesen Tunnel konstruiert und was das überhaupt für ein Projekt ist, an dem er arbeitet. Das bleibt doch sehr mysteriös. Sehr nüchtern wird dann noch von einem tragischen Schicksal seines Sohns Chaled berichtet.

 

Die zweite Buchhälfte

Nach dem Beginn der Katastrophe liest sich das Buch zeitweise erst einmal deutlich besser. Allerdings hält das nicht sehr lange an, denn man wird einfach zu lange auf die Folter gespannt, was denn nun passiert ist. Und das Rätselraten nutzt sich nach meinem Empfinden mit der Zeit einfach ab. Es wird dadurch auch ein unheimlicher Erwartungsdruck im Hinblick auf die Gestaltung des Endes erzeugt, der nach meinem Dafürhalten dann aber nicht eingelöst wird. Die Auflösung am Ende fand ich doch sehr dünn. Und auch was auf S. 365-405 geschildert wird, hat mich nicht überzeugt. Ich habe diese Schwerpunktsetzung am Ende auch nicht wirklich nachvollziehen können, mir fehlte hier ein klarer roter Faden. Zu allem Überfluss fand ich auch die Figur Amany unrealistisch angelegt.

 

Man merkt meiner Rezension vermutlich die Enttäuschung an. Und ich wäre viel lieber in Lobgesänge verfallen. Ich könnte hier noch mehr bemängeln, z.B. was die Charakterzeichnung und die Gestaltung der Beziehungsverhältnisse betrifft. Aber ich verzichte darauf. Bilde sich jeder selbst ein Urteil von diesem Werk. Der Thriller lebt von zwei Fragen: Wann passiert endlich etwas? Warum passiert das? Und das trägt nicht das gesamte Buch. Ich vergebe wegen der positiven Grundidee und spannenden 50 Seiten in der Mitte des Buchs 2 Sterne.


Fazit

Ein Thriller, der mich leider sehr enttäuscht zurücklässt. Die apokalyptische Grundidee ist gut, der Klappentext klingt vielversprechend, doch die Erwartungen, die der Thriller weckt, werden nicht eingehalten. Die erste Buchhälfte ist langweilig und nach dem Beginn der Katastrophe nutzt sich das Szenario schnell ab. Die Auflösung am Ende ist dünn. Der Erzählton ist dröge. Keine Empfehlung von mir!

Ross, Jacob - Die Knochenleser


3 von 5 Sternen


Krimi in exotischer Umgebung

Der überaus intelligente Michael „Digger“ Digson, ausgestattet mit einer sehr guten Auffassungs- und Beobachtungsgabe, wird eines Tages Zeuge eines Mordes auf offener Straße. Bei den polizeilichen Ermittlungen kann er die Täter identifizieren und wird dann von Detective Superintendant Chilman für den Polizeidienst angeworben. Chilman steht kurz vor dem Ruhestand und ist eine interessant gestaltete Figur eines Vorgesetzten. Es wird deutlich, dass ihn ein alter Fall nicht loslässt. Für Digger wird er eine Art Mentor und Förderer. Er bewegt ihn dazu, sich in England zum Forensiker ausbilden zu lassen. Nachdem Chilman sich in den Ruhestand verabschiedet, bildet Digger dann mit Chilmans Tochter, Miss Stanislaus, ein gut eingespieltes und charismatisches Ermittlerduo, das weiter daran arbeitet, den Fall abzuschließen, der Chilman seit Jahren umtreibt.

Als gelungen habe ich die atmosphärische Beschreibung der Karibikinsel Camaho empfunden. Beim Lesen entsteht ein besonderes Flair, das sich wohltuend von deutschen oder auch skandinavischen Schauplätzen abhebt. Unterstützt wird die exotische, karibische Atmosphäre durch eine besondere Form der Sprachgestaltung: Die Figuren lassen bei Wörtern häufiger einmal die Endkonsonanten aus oder es kommt zu Kontraktionen von zwei Wörtern. Vermutlich soll auf diese Weise der besondere Sprachstil auf der Insel im Deutschen nachgeahmt werden. Auf mich hat diese Form des Sprechens lässig gewirkt. Mich würde tatsächlich interessieren, wie die Figuren im Original „The bone readers“ sprechen. Eine Anmerkung des Übersetzers Thomas Wörtche im Nachwort hätte ich mich durchaus interessiert.

Was ich ebenfalls als positiv empfunden habe, ist der Umstand, dass die Polizeiarbeit mitsamt der dazugehörigen Konkurrenzkämpfe und schwierigen Hierarchien beleuchtet wird. Zwischen Digger und dem neuen Vorgesetzten Malan kommt es zu Auseinandersetzungen, der Umgangston ist teils rüde. Die Chemie zwischen beiden stimmt nicht. Malan stört sich vor allem daran, dass Chilman auch aus seinem Ruhestand heraus noch Einfluss auf die Ermittlungsarbeit nehmen will. Diese Darstellung von „Mikropolitik“ innerhalb der Polizeibehörde fand ich reizvoll.

Den Fall selbst finde ich hingegen stellenweise etwas verworren dargelegt. Ich konnte nicht immer gut folgen. Er spielt auch über viele Seiten nur am Rande eine Rolle, er rückt erst am Ende wieder mehr in den Fokus. Die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen stand nach meinem Gefühl viel mehr im Zentrum als der Fall selbst. Das fand ich ungewöhnlich. Auch hat mich der Fall nicht so richtig mitgerissen. Was mich auch gestört hat: Die spezielle Fähigkeit des Knochenlesens, immerhin der Titel des Buchs, kam für mich viel zu selten zum Einsatz. Das besondere Talent, das Digger erlernt hat, wird erzählerisch kaum genutzt. Da hätte ich mehr erwartet. Auch die vielen Frauengeschichten von Michael Digson, die viel Raum einnehmen, haben mich nicht sonderlich interessiert.

Fazit

Ein Kriminalroman mit einem interessanten, charismatischen Ermittlerduo, einer exotischen Karibikatmosphäre und einer innovativen Sprachgestaltung, in dem vor allem die „Mikropolitik“ in der Polizeibehörde reizvoll gestaltet worden ist. Der Fall selbst hat mich nicht so mitgerissen, er wird auch etwas verworren dargelegt. Der Titel weckt zudem eine falsche Erwartungshaltung. Insgesamt solide und 3 Sterne. Für solche Leser, die einmal an einem exotischen Schauplatz interessiert sind.

Mittwoch, 1. Juni 2022

Hadfield, Chris - Die Apollo Morde


5 von 5 Sternen


Mit 160 Millionen Pferdestärken auf dem Weg zum Mond

Was wäre, wenn das Apollo-Programm nicht mit Apollo 17 aufgehört hätte und wenn mit Apollo 18 eine weitere geheime Mondmission stattgefunden hätte? Und was wäre, wenn diese Mission nicht nur den Mond zum Ziel gehabt hätte, sondern auch den sowjetischen Spionagesatelliten Almaz? In diesem Setting siedelt der Autor Chris Hadfield, der selbst einer der bekanntesten und erfahrensten Astronauten der Welt ist, die Handlung seines Astronauten-Spionage-Thrillers an.

Und man merkt, dass dieses Werk von jemandem verfasst wurde, der sich bestens mit der Materie auskennt. Mit unglaublicher Detailliertheit und auf packende Art und Weise wird diese Mission sehr anschaulich und noch dazu überaus authentisch geschildert, so z.B. die Beschreibung der Saturn V, der Raumanzüge, der Start- und Landevorgänge sowie des Aufenthalts in Schwerelosigkeit, ebenso die Darstellung des Funkverkehrs zwischen der Crew und Mission Control etc. Beim Lesen wird eine absolut realistische Atmosphäre erzeugt.

Und auch lernt man ein wenig über den Mond dazu: zum Beispiel was es mit den dunklen Flecken auf dem Mond auf sich hat, die man mit bloßem Auge von der Erde aus sieht, oder wie der Mond entstanden ist.

Zugleich wird man zurückversetzt in die Zeit des Kalten Krieges, in das technologische Wettrennen zwischen der Sowjetunion und den USA. Es wird eine alternative Vergangenheit entworfen, in der die USA Sabotageakte auf technologische Errungenschaften  der Sowjetunion verüben. Und ich konnte mich auf diese fiktive Geschichte fasziniert einlassen. Ich finde es unheimlich kreativ, wie der Autor auf reale Ereignisse Bezug nimmt und diese dann künstlerisch uminterpretiert: Denn den Spionage-Satelliten Almaz gab es tatsächlich und er ist tatsächlich durch eine Explosion irreparabel beschädigt worden. Ebenso existierte der Rover Lunochod, der im Thriller eine wichtige Rolle spielt. Und auch dieser hat tatsächlich wegen Überhitzung durch Mondstaub seine Funktionstüchtigkeit eingebüßt. Und wir begegnen bei der Lektüre sogar historischen Persönlichkeiten wie Al Shepard, Richard Nixon, Henry Kissinger oder Juri Andropow. In meinen Augen eine starke Umsetzung des Stoffs!

Zu loben ist nicht zuletzt auch die Übersetzung von Charlotte Lungstrass-Kapfer, das hochkomplexe Gebiet der Raumfahrt und die vielen technischen Details sind in meinen Augen sehr gut ins Deutsche übertragen worden. Das trägt zur gelungenen Atmosphäre bei. Und das war bestimmt ein hartes Stück Arbeit. Davor ziehe ich in dieser Rezension meinen Hut. Ungenauigkeiten gibt es lediglich bei der Transliteration russischsprachiger Ausdrücke und Sätze. Ich biete fürs nächste Mal gerne meine Hilfe an.

Fazit

Ein Astronauten-Spionage-Thriller, der durch sein Setting und seine Atmosphäre besticht. So realistisch und authentisch kann wohl nur jemand das Geschehen beschreiben, der selbst Astronaut ist. Für mich war die Lektüre bereichernd und interessant. Allerdings ist der Thriller bestimmt eher für solche Leser geeignet, die sich für Raumfahrt und Technik interessieren. Da dieses Werk meinen Interessen absolut entgegenkam, vergebe ich 5 Sterne. 

Morris, Brandon Q - Io


4 von 5 Sternen


Kann nicht mit „Enceladus“ und „Titan“ mithalten

Nachdem mich die ersten Bände „Enceladus“ und „Titan“ aus der Eismond-Reihe begeistern konnten (vgl. frühere Rezensionen auf kallfell-rezensionen.blogspot), bin ich nach der Lektüre von „Io“ aus der Feder von Brandon Q Morris etwas enttäuscht. Denn das, was die ersten Bände der Reihe so sehr ausgemacht hat, bleibt für mich dieses Mal auf der Strecke: Die detailreiche und sehr faszinierende Darstellung der Missionen auf fremden Lebenswelten. Für mich nimmt die Erkundung des Mondes Io zu wenig Umfang ein. Stattdessen merkt man dem Buch an, dass es „thrillerlastiger“ geworden ist. Auf einmal werden auch Geheimdienste auf der Erde in die Handlung eingebunden. Auch ist auffällig, dass die Figuren mehr psychologische Tiefe erhalten und mehr Zwischenmenschliches innerhalb der Crew nun eine Rolle spielt. So wird z.B. gut deutlich, dass der innere Zustand von Jiaying nicht gut ist, weil sie erpresst wird. Ihre neue Rolle als Verräterin belastet sie. Es ist spürbar, dass das Werk um einiges actionreicher als die Vorgänger geworden ist. Mir hat das nicht so zugesagt. Mir ist z.B. nicht klar, warum das Enceladus-Wesen nun auf einmal als Bedrohung angesehen wird und es vernichtet werden soll. Vieles erscheint mir zu konstruiert, das hat mich gestört. Deshalb reicht Io auch nicht an die beiden Vorgänger heran.

Am besten hat mir Folgendes gefallen: Der Aufenthalt auf dem Jupitermond Io und seine Erkundung sowie die Vertiefung der KI-Problematik um Marchenko. Letztere hätte in meinen Augen ruhig noch ausführlicher behandelt werden können. Die Intrige um Jiaying und das Geschehen auf der Erde haben mich hingegen nicht sehr mitgerissen.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass auch diesem Band ein umfangreiches Nachwort beigefügt wurde. Dieses Mal gibt es einen interessanten und lesenswerten Sachtext mit Hintergrundwissen zum Jupitermond Io. Ich habe ihn wieder mit viel Faszination gelesen. Ich vergebe 4 Sterne.

Fazit

Der dritte Band aus der Eismond-Reihe reicht nicht an die ersten beiden Teile heran. Es ist nun actionreicher und „thrillerlastiger“, auch erhalten die Figuren mehr psychologische Tiefe. Der Charme der ersten Bände geht in meinen Augen damit zu sehr verloren.