Das Gesetz – ein Segel?
In
seinem sehr lesenswerten Roman „Die sieben Schalen des Zorns“ widmet sich der
Autor dem sehr schwierigen Thema der Sterbehilfe und beleuchtet es vor allem
unter Einbezug juristischen Wissens. Schon in seinem Vorwort macht Markus
Thiele klar, dass es bei der Sterbehilfe verschiedene Formen gibt: „die aktive
und passive Begehungsweise sowie die Beihilfe zur Selbsttötung“ (vgl. S. 9).
Genau in diesem Spektrum von Möglichkeiten der Sterbehilfe siedelt der Autor
den fiktiven Fall an. Und was ich toll finde: Der Autor ist selbst Fachmann.
Als Rechtsanwalt versteht er es hervorragend, rechtliche Grauzonen erzählerisch
angemessen und interessant aufzubereiten. Das macht er richtig gut. Man könnte
im ersten Moment vielleicht befürchten, dass die Lektüre trocken ist oder die
Figuren nur als Mittel zum Zweck herhalten, um juristische Sachverhalte zu
veranschaulichen. Doch so ist es nicht! Im Gegenteil. Die Lektüre ist zwar
fordernd und man lernt jede Menge dazu, aber der Erzählton ist nie langatmig.
Und auch die Gestaltung der Figuren und ihrer Beziehungsverhältnisse zueinander
ist gelungen. Die Charaktere wirken lebensecht, ihr Handeln ist plausibel, sie
sind nicht flach, sondern mit Tiefe gezeichnet. Ich war positiv überrascht. Vor
allem die Freundschaft zwischen Max und Jonas ist facettenreich und mit
dramatischem Geschick gestaltet worden. Beide sind durch ein tragisches
Schicksal auf besondere Weise miteinander verbunden. Und Jonas befindet sich in
einer erheblichen Dilemma-Situation und man fragt sich, wie er sich in seiner
Rolle als Staatsanwalt seinem Freund gegenüber verhalten wird. Auch die familiären
Unterschiede zwischen Max und Jonas kommen gut zum Ausdruck: Während Max eine
triste und lieblose Kindheit mit einem Vater erlebt hat, der ihn emotional
vernachlässigt hat, ist Jonas in einem reichen und eher karrieristisch
geprägten Elternhaus groß geworden. Die soziale Herkunft zwischen beiden könnte
unterschiedlicher nicht sein. Und als Leser stellt man sich die Frage: Wird die
Freundschaft zwischen Max und Jonas womöglich an dem Fall zerbrechen? Wie wird
sich Jonas positionieren?
Auch
Agnes ist eine reizvolle Figur, die der Handlung zusätzliche Spannung verleiht.
Zwischen Max und Agnes wird Rivalität und Antipathie deutlich. Zwischenzeitlich
fragt man sich, inwieweit auch die leibliche Tochter ihre Finger im Spiel hat.
Will Sie Max möglicherweise etwas anhängen und ihn in ein schlechtes Licht
rücken?
Was
mich noch überzeugt hat: Thiele ist am Puls der Zeit. Durch sein Nachwort wird
deutlich, dass der Hohe Rat von Den Haag eine vielleicht richtungweisende
Entscheidung zum Thema „Sterbehilfe“ getroffen hat. Er erwähnt, dass einzelne
Fraktionen im Deutschen Bundestag Gesetzesvorschläge eingebracht hätten, um die
Sterbehilfe neu zu regeln (vgl. S. 389-391). Das verleiht dem Inhalt des Buches
nicht nur Aktualität, sondern noch dazu einen hohen Grad an Realismus. Und ich
fand bei der Lektüre v.a. solche Passagen interessant, in denen auch einmal
strafrechtliche Grundsatzdebatten erzählerisch ansprechend vermittelt wurden.
So wird gut deutlich, dass das Recht nicht statisch ist, sondern
gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt.
Auch
den Einblick in die Arbeit des Staatsanwalts habe ich mit Interesse gelesen
(vgl. Kap. 16). Und die Darstellung des Prozesses ab S. 265 war für mich das Highlight
des Buchs. Mir war nicht klar, welche Spielräume ein Staatsanwalt zur Verfügung
hat. Hier merkt man einfach, dass der Autor vom Fach ist. Die Darlegungen
wirken auf mich sehr realistisch. Und mich stimmte hoffnungsvoll, dass der
Staatsanwalt das Ziel verfolgt, mit dem Angeklagten fair umzugehen, und im
Zentrum des Interesses die Wahrheitsfindung steht. Das fand ich differenziert
dargelegt.
Das einzige, was ich kritisch anmerken kann, ist der Umstand, dass dieses Buch bei der Lektüre schon fordernd ist. Es ist kein Buch, das man mal eben so herunterliest. Mich hat das aber überhaupt nicht gestört.
Fazit:
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