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Donnerstag, 16. Oktober 2025

Schneider, Frank Holger - Ennos Tanz



Jugend und Reiselust




Den 14-jährigen Ich-Erzähler Enno zieht es in die Ferne. Zu Beginn des Buchs „Ennos Tanz“ möchte er ein Zugticket für Baden-Württemberg kaufen, mit dem er die restlichen zwei Wochen vom Juli die Gegend erkunden kann. Seine Eltern sind im Urlaub an der von ihm ungeliebten Ostsee und Enno möchte etwas erleben, und zwar ganz allein. Daran lässt er uns in Form eines inneren Dialogs teilhaben, den er mit uns Leser:innen führt. Die Sehnsucht nach Abenteuern und Reiselust bestimmen sein Handeln. Und es entwickelt sich ein Roadtrip in Form eines Abenteuerromans, bei dem Enno einige unvorhersehbare Ereignisse meistert.


Sein erstes Ziel ist Konstanz und er trifft auf seiner Reise immer wieder auf interessante, teils kuriose Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Dabei verbleibt er aber nie lange bei den Gelegenheitsbekanntschaften, sondern er lässt sich treiben. Es zieht ihn immer weiter, bis in ihm irgendwann der Wunsch aufkommt, wieder nach Hause zurückzukehren. Dabei entwickelt sich der Protagonist auch weiter und gelangt zu einer inneren Reife, die er vor Antritt der Reise noch nicht hatte.


Spannung entsteht bei der Lektüre dadurch, dass man sich fragt, welchen Leuten Enno noch begegnen wird und was er alles erleben wird. Man begleitet seine Reise mit Neugier und ist gespannt, was aus ihm wird. Dadurch, dass er immer wieder neue Abenteuer und auch Widrigkeiten erlebt, kommt keine Langeweile auf. Enno tritt seinen Roadtrip nicht in jedem Detail geplant und gut vorbereitet an, aber er ist handwerklich geschickt (so nimmt er sich z.B. ein selbst gebautes Zelt mit, in dem er übernachten will). Vieles lässt er einfach auf sich zukommen. Gleichzeitig hat er aber auch keine Angst vor der großen, weiten Welt. Er wirkt auf mich oft etwas unbedarft und leichtsinnig. Das passt gut zu seinem Alter, wie ich finde. Ihm fehlt oft noch der Weitblick. Auch fehlt ihm noch ein Unrechtsbewusstsein. Sein moralischer Kompass muss sich noch ausbilden. Auch das passt zu seiner Jugend. Das wird an vielen Stellen deutlich. So stiehlt er beispielsweise ein Fahrrad, um damit voranzukommen oder bricht in eine fremde Hütte in einem Schrebergarten ein, um dort übernachten zu können. Über die Konsequenzen seines Handelns macht er sich dabei nur wenig Gedanken. Gleichzeitig wiederum wirkt Enno aber auch kultiviert und belesen. Er ist kein „Zockertyp“ oder "Computernerd" wie z.B. Klapper von Kurt Prödel.


Das Werk hat mich inhaltlich an „Tschick“ erinnert. Aber es lässt sich ein Bogen bis hin zur Epoche der Romantik spannen. Man denke nur an Joseph von Eichendorffs „Das Leben eines Taugenichts“ oder an das Wander- oder Sehnsuchtsmotiv allgemein. In diese lange Tradition lässt sich auch dieses Buch von Frank Holger Schneider einordnen. Man könnte viele Bezüge zu dem Werk von Eichendorff oder zu anderen Werken mit einer ähnlichen Coming-of-Age-Thematik herstellen. Aus meinem Kontakt mit dem Autor weiß ich, dass er „Ennos Tanz“ auch als Hommage an Bücher wie „Die neuen Leiden des jungen W.“ oder „Fänger im Roggen“ verstanden wissen will. Damit ist auch ein Einsatz als Schullektüre für die Sek. I gut denkbar. Viele altersgemäße Themen ließen sich am Beispiel von „Ennos Tanz“ vertiefen, textuelle Vergleiche ließen sich herstellen und man könnte auch wunderbar über Genremerkmale (Stichwort: Abenteuerroman) sprechen und darüber, wie sehr die Grenzen zwischen Genres sich auch vermischen können. 


Was ich mich bei der Lektüre lediglich die ganze Zeit gefragt habe, ist, zu welcher Zeit die Handlung spielt. Hier hätte ich mir noch mehr hilfreiche Kontextinformationen gewünscht, um eine zeitliche Einordnung vornehmen zu können. Es wirkte jedenfalls nicht wie die Gegenwart auf mich (Enno erinnert sich z.B. an Kate Winslet und Leonardo DiCaprio aus Titanic). Darüber hinaus hätte ich es toll gefunden, wenn Lotti als Figur noch eine größere Rolle gespielt hätte. Dieses Mädchen wirkt sehr mysteriös, weil sie sehr selbstständig und auch unabhängig wirkt. Einiges zu ihr bleibt im Dunkeln. Ich hätte gern mehr über sie erfahren.

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