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Mittwoch, 12. Juni 2024

Morgan, J. O. - Der Apparat


Beam me up, Morgan!



Was wäre, wenn die Menschheit eine Transport-Technologie erfinden würde? Wie würde eine solche Erfindung das gesellschaftliche Leben und das Leben jedes einzelnen verändern? Um diese Fragen geht es in dem äußerst lesenswerten Buch „Der Apparat“ (2023) von J.O. Morgan, auf das ich durch die Vorstellung von @scifibloc aufmerksam geworden bin. Es handelt sich allerdings nicht um einen Roman, sondern um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die für sich stehen und aus einer jeweils anderen Perspektive die Erfindung thematisieren. Allerdings sind die einzelnen Geschichten nicht zusammenhanglos, sondern sie bauen aufeinander auf. So schreitet die Entwicklung des Apparats von Geschichte zu Geschichte immer weiter voran. Werden zu Beginn nur Gegenstände teleportiert, so sind es bald erste Versuchspersonen und später viele Touristen. Die Technologie durchdringt bald immer mehr Lebensbereiche der Menschen und wird für sie unverzichtbar. In späteren Geschichten ist die Erfindung so weit entwickelt, dass man innerhalb eines Hauses nicht einmal mehr die Treppe benutzen muss, um von Raum zu Raum zu gelangen.

 

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Einblick in die 11 verschiedenen Kurzgeschichten, die ich alle, d.h. ohne Ausnahme, sehr gerne gelesen habe. Alle Geschichten haben ein gutes, gleichbleibend hohes inhaltliches Niveau und regen immer wieder auch zum Nachdenken an. Sehr gelungen!

 

Geschichte 1 – Bringen Sie’s rein

Mr. und Mrs. Pearson erhalten die erstaunliche Möglichkeit, ein Gerät zu testen, mit dem sich Dinge teleportieren lassen (das erste teleportierte Objekt ist ein simpler Plastiklöffel). Mit anfänglichen Berührungsängsten nähern sie sich dem Apparat und sind sich unsicher, ob nicht doch Gefahren von ihm ausgehen. V.a. Mrs. Pearson beäugt das Gerät skeptisch. Ihr Mann hingegen ist technikbegeistert und sieht die großen Möglichkeiten. Das Paar streitet sich über die Vor- und Nachteile des Apparats für die Weltwirtschaft. Der Erzählton ist amüsant und das ganze Setting wirkt höchst skurril.  

 

Geschichte 2 – Einbahn

Die Technik hat erste Fortschritte gemacht. Eine ältere Dame zieht mit Hilfe eines Unternehmens um und lässt ihre Möbel mit Hilfe des Transporters teleportieren. Die Protagonistin misstraut diesem Ding noch. Ein altes Familienerbstück bringt sie lieber selbst von A nach B. Es wird die interessante Frage aufgeworfen, ob ein Replikat noch das Original sein kann.

 

Geschichte 3 – Der Erste, Mensch

Nun wird auch der Mensch von der Technologie erfasst. Es wird uns ein Mann beschrieben, dem bereits Gewebeproben entnommen wurden, die man erfolgreich durch das Gerät geschickt hat. Er will sich selbst durch die Maschine schicken lassen und ist menschliches Versuchsobjekt. Und er hat erstaunlich wenig Probleme damit, sich für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Interessant ist auch die Charakterzeichnung. Der erste Mensch, der teleportiert werden soll, stellt sich als Ekel heraus, der die Wünsche und Sorgen seiner Frau nicht respektiert. Er ist dominant, lässt keinen Widerspruch zu. Zweifel an der Richtigkeit des Projekts lässt er nicht aufkommen. Pflichtbewusstsein geht ihm über alles, er vertraut den Verantwortlichen des Forschungsprojekts blind. Wird die Teleportation glücken? Und kommt im Anschluss der gleiche Mann wieder heraus, der in das Gerät hineingegangen ist?

 

Geschichte 4 – Trial and Error

Die gesamte Logistik der Menschheit hat sich verändert. Anstelle von Flughäfen gibt es nun sog. Telehäfen. Noch scheint die Infrastruktur aber ausbaufähig. Es gibt nur wenige Geräte, die Schlangen sind noch lang.

 

Geschichte 5 – Gralssuche

Nun lernen wir einen mathematischen Analysten kennen, der im Hintergrund an der Verbesserung des Teleportationssystems arbeitet. Die Funktionsweise des Geräts wird beschrieben: Dinge werden analysiert, in Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Es geht um die exakte Übermittlung von komplexen Informationen in Form von Zahlen. Das Metier des Analysten sind genau diese Zahlen. Mit ihnen kennt er sich aus. Bei der Teleportation wird die ausgelesene Information in Zahlen übersetzt, die nicht verändert werden dürfen. Diesen Prozess gilt es zu verbessern und zu kontrollieren. Auch ein möglicher Missbrauch des Systems als Waffe muss bedacht werden. Doch eines Tages muss der Analyst einen Weg finden, den Teleporter umzuprogrammieren. Als seine Tochter an Krebs erkrankt, sucht er nach einer Möglichkeit, das infizierte Gewebe durch den Transport entfernen zu lassen. Wird die Maschine dieses Kunststück vollbringen können?

 

Geschichte 6 – Ein Missverständnis

Wir begegnen einer Journalistin, die auf Sensationsjagd ist. Gibt es etwa keine Skandale, die von der Firma, die für die Transporttechnologie zuständig ist, zurückgehalten werden? Die Protagonistin macht sich auf die Suche nach möglichen Vertuschungen. Bei ihren Recherchen stößt sie auf einen mysteriösen Umstand: Keiner weiß, wie die Transporter genau funktionieren. Man weiß zwar, dass sie funktionieren, aber was genau beim Teleport passiert, das bleibt im Dunkeln. Erstaunlich, dass die Menschheit trotzdem arglos auf diese Technologie zurückgreift. Ist es womöglich sogar denkbar, dass ein Objekt beim Transport komplett vernichtet wird und an anderer Stelle als Kopie wiederhergestellt wird? Wird überhaupt Information übertragen? Spannende Fragen, v.a. wenn man bedenkt, welche Konsequenzen solche Annahmen hätten (Was ist Existenz?).

 

Geschichte 7 – Letzte Abendmahle

Nun lernen wir einen aufgeweckten Jungen kennen, der zugleich ein Tüftler ist. Als seine Eltern einen Heimtransporter anschaffen, macht er sich heimlich daran, das Gerät näher zu untersuchen. Dabei entdeckt er einen Fehler und will das System auf eigene Faust optimieren. Was er jedoch nicht bedenkt, sind die Konsequenzen, die sein Eingriff mit sich bringt. Er bringt sich selbst und andere in große Schwierigkeiten und stiftet ein heilloses Chaos. Vor der Weltöffentlichkeit wird ihm schließlich der Prozess gemacht.

 

Geschichte 8 – Haushaltshilfe

Das Transportersystem wird erneut weiterentwickelt. Nun benötigt man nur noch eine Sende- und Empfangsschüssel und der Transport geht kabellos vonstatten. Es ist sogar möglich innerhalb eines Hauses von Raum zu Raum zu „springen“. Eine Treppe wird nicht mehr benötigt. Ein ganzes Dorf soll mit dieser Weiterentwicklung hochgerüstet werden. Doch eine Tochter redet ihrem betagten Vater ins Gewissen, sich nicht als Versuchskaninchen für dieses neuartige System zur Verfügung zu stellen.

 

Geschichte 9 – Ausgeschnitten

Die menschliche Gesellschaft wird von der Technologie immer stärker durchdrungen. Die Menschen werden immer abhängiger von der neuen Technik. Auch der Tourismus wird nun mit Hilfe von Transportern organisiert. Und es kommt erstmals zu einer (vermeintlichen) Katastrophe. Bei einem Schulausflug verliert eine Mutter ihre Tochter bei der Teleportation. Sie taucht nicht am Zielort auf und niemand von den Mitschülern hat gesehen, ob sie in den Transporter eingestiegen ist. Wo ist sie hin? Und wie lässt sich nachweisen, dass ihr etwas zugestoßen ist?

 

Geschichte 10 – Ein freier Weg

Es gibt keinen Weg an der Technik vorbei. Die Menschen können gar nicht mehr anders, als sie zu nutzen. Der Alltag wird vollständig von der Transport-Technologie bestimmt. In dieser Kurzgeschichte wird die Frage thematisiert, was man eigentlich während eines Transfers spürt. Wie fühlt es sich an, von A nach B teleportiert zu werden?


Geschichte 11 – Ferner, hin

Nun wird der Blick visionär geweitet. Zwei Männer verfolgen, wie eine Rakete einen Transporter zum Mond bringt. Ein schöner abschließender Ausblick: Die Menschheit beginnt, den Weltraum mit der neuen Technologie zu erobern. Ein Transport von der Erde zum Mond wird dann mehrere Minuten dauern. Dabei kann man wieder über einiges nachdenken: Was passiert in dieser Zeit mit der menschlichen Existenz, wenn man sich in einem solchen „Transport-Zwischenstadium“ befindet, zwischen „nicht mehr hier und noch nicht da“? 

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