Der Mentor
Den
Rezensionen zu Chris Carters neuestem Werk „Totenarzt“ habe ich sogar
entnommen, dass es „unblutiger“ sein soll. Das werde ich bestimmt bei nächster
Gelegenheit einmal überprüfen. Für mich war v.a. der dargestellte Sadismus des
Täters das, was unter die Haut geht. Und ob auch das in dem neuen Carter
weniger geworden ist, bleibt für mich abzuwarten. Und eigentlich finde ich es
schade, dass es vor allem die Gewaltdarstellungen sind, über die man bei
Carters Werk spricht. Denn in meinen Augen hätte es die gar nicht nötig. Der
Thriller wäre auch ohne diese Passagen spannend, weil der Autor packend
schreibt und auch ohne das Mittel von starker Brutalität Spannung erzeugen
würde, wie ich finde. Gleichzeitig ist die drastische Gewaltdarstellung aber
auch ein Merkmal, das Carters Thriller auszeichnet. Letztlich muss jede und
jeder selbst entscheiden, was er sich zumuten will.
Doch
nun erst einmal zum Inhalt: Man wird direkt von der ersten Seite an
mitgerissen. Die Handlung setzt sofort ein. Eine betrunkene Frau kehrt zurück
und erhält auf ihr Handy bedrohliche Nachrichten von einem Unbekannten. Er hat
sich scheinbar Zugang zu ihrer Wohnung verschafft und lauert ihr auf. Man kann
sich denken, wie das ausgeht… Die Ermittler Hunter und Garcia, die für
besonders brutale Verbrechen zuständig sind, nehmen sich der Sache an. Was sie
am Tatort sehen müssen, übersteigt alles, was sie bisher in ihrer beruflichen
Laufbahn zu sehen bekommen haben (da ich die übrigen Bände nicht kenne, kann
ich das nicht überprüfen). Und für alle Leserinnen und Leser von Cosy Crime
kann ich diese Passage wirklich nicht empfehlen. Es werden keine drastischen
Details bei der Schilderung ausgelassen.
Die
Vorstellung, mit welcher sadistischen Veranlagung der Täter den Mord ausgeführt
haben muss, geht unter die Haut. Danach werden dann die verschiedenen Abläufe
der Polizeiarbeit geschildert und es geschehen noch weitere Morde (ganz
klassisch). Ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Und er verfährt immer wieder
nach einem ähnlichen Muster. Bei allen Geschehnissen legt der Autor Wert auf eine
detaillierte Beschreibung und zeigt, dass er sich gut in den verschiedenen
Arbeitsbereichen auskennt. Auch die psychologische Ebene, die durchscheint,
wenn z.B. der Täter näher charakterisiert wird oder wenn die Krankheit der
Depression, die stellenweise eine Rolle spielt, thematisiert wird, ist profund
ausgearbeitet, gelungen und plausibel. Carter bringt Expertise mit, das merkt
man.
Der
Spannungsbogen ist durchweg hoch. Es wird schnell getaktet und mit hoher
Ereignishaftigkeit erzählt. Ständig passiert etwas Neues, neue Erkenntnisse
kommen zum Vorschein, ein neues Opfer wird gefunden oder die Zeugen liefern
wichtige Aussagen, die die Handlung wieder vorantreiben. Bei Carter gibt es
keinen Stillstand und keine Längen. Er versteht es auch hervorragend, immer
wieder bestimmte Erwartungshaltungen zum weiteren Handlungsverlauf bei den
Leserinnen und Lesern aufzubauen und dann zu bedienen oder zu durchbrechen. Die
Ermittlungen schreiten stetig voran. Und die Mordserie, die über den Roman
hinweg ausgebreitet wird, ist ausgeklügelt, ausgefallen, abwechslungsreich und
durchdacht. Und das alles kommt mir persönlich entgegen. Ich mag es, wenn Thriller
temporeich und kreativ gestaltet sind. Das ist hier definitiv der Fall. Und
hier ähnelt Chris Carter mit seiner dynamischen Schreibweise einem Arno Strobel
oder einem Max Bentow.
Und noch etwas ist mir positiv aufgefallen: Die Auflösung. Am Ende fügt sich bei Carter alles schlüssig zusammen. Alles greift logisch und nachvollziehbar ineinander. Kein Handlungselement bleibt offen. Das ist geschickt arrangiert und beweist einmal mehr, dass der Autor seinen Plot sehr gut durchdacht hat. Und noch etwas: Das Prinzip des Thrillers verändert sich gegen Ende von einem „whodunit“ zu einem „howcatchem“-Thriller. Ab einem gewissen Punkt, weiß man, wer der Täter ist. Von diesem Zeitpunkt an, liest man gebannt, ob und wie Hunter und Garcia den Mörder erwischen werden. Auch das ist außerordentlich gelungen arrangiert, wie ich finde.
Was ich an positiven Punkten benannt habe (Tempo, Dynamik, Ereignishaftigkeit), hat aber seinen Preis, was die Charakterzeichnung angeht. Hunter und Garcia kommen in diesem einen Band etwas konturenlos daher. Vielleicht ist das anders, wenn man die anderen Bände kennt. Aber in „Blutige Stufen“ empfand ich die Individualität der Ermittler nicht stark ausgeprägt, sie sind in ihrer jeweiligen Charakteristik kaum unterscheidbar. Das Privatleben der Ermittler spielt in diesem Band keine Rolle (und das hat mich auch nicht gestört). Aber für die beiden Hauptfiguren hätte ich mir doch mehr (individuelles) Profil und noch ein wenig mehr Tiefgründigkeit gewünscht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen