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Donnerstag, 21. Juli 2022

Winn, Raynor - Der Salzpfad


4 von 5 Sternen


Der Weg ist das Ziel

Raynor Winn und ihr Mann Moth müssen zwei harte Schicksalsschläge hinnehmen: Zuerst verlieren sie ihr Haus, dann wird bei Moth noch eine neurodegenerative Krankheit mit tödlichem Ausgang diagnostiziert. Und was machen die beiden? Sie lassen sich nicht unterkriegen, sie hadern nicht mit ihrem Schicksal, sondern sie werden aktiv. Sie wandern den 1014 km langen South West Coast Path, und zwar mittellos und obdachlos, nur mit zwei Rucksäcken und einem Zelt ausgestattet. Davon berichtet Raynor Winn in ihrem autobiographischen Bericht „Der Salzpfad“.

Allerdings darf man in diesem Buch nun keinen Reisebericht erwarten. Hintergründe zu den Orten oder Beschreibungen der Landschaft stehen nicht im Zentrum, nur ab und zu werden ein paar Fakten in den Erlebnisbericht integriert. Stattdessen geht es vielmehr darum, wie sich Raynor und Moth mit ihrem Schicksal arrangieren und versuchen, das Beste daraus zu machen. Es ist ein sehr persönliches Buch. Die Autorin berichtet sehr authentisch und offenherzig von den alltäglichen Sorgen, aber auch von den Momenten, die Kraft spenden. Und das Gefühl der Freiheit ist durchaus inspirierend, ab und zu hätte ich mir beim Lesen gerne selbst meine Wanderschuhe geschnappt und wäre losgewandert. Und man entwickelt während dieser abenteuerlichen Reise viel Mitgefühl für die beiden. Vor allem der Beginn der Wanderung ist beschwerlich, die Körper der beiden müssen sich erst an die Strapazen gewöhnen. Moth leidet aufgrund seiner Krankheit ständig an Schmerzen und Muskelsteifheit, es ist beeindruckend, wie er sich gegen seine Diagnose stemmt. Die Wanderung wird begleitet von steten Geldproblemen, von Hunger, aber auch von Momenten der Gastfreundschaft und vom Gefühl der Verbundenheit zwischen den Backpackern. Der Kampf gegen das Wetter und die kalte Jahreszeit setzt den beiden zu. Für beide ist es herausfordernd, jeden Tag aufs Neue einen Schlafplatz zu finden, und darauf zu hoffen, von den Mitmenschen in Ruhe gelassen zu werden.

Für mich ein lesenswertes Buch, das mir auch vor Augen geführt hat, dass man nicht viel benötigt, um glücklich zu sein. Und ich war tiefbeeindruckt davon, wie Raynor und Moth mit ihrer Situation umgehen, und wie mutig und optimistisch sie sich in dieses Abenteuer stürzen.

 

Fazit

Ein lesenswerter Erlebnisbericht, bei dem das Schicksal von Raynor und Moth und ihr Umgang mit Rückschlägen im Zentrum stehen. Eine inspirierende Lektüre, die ich gern weiterempfehle. Ich gebe 4 Sterne, weil sich im Laufe des Berichts doch einiges wiederholt.

Dienstag, 19. Juli 2022

Raina, Rahul - Bekenntnisse eines Betrügers


3 von 5 Sternen


Starker Beginn, dann deutlicher Qualitätsverlust

Das Debut „Bekenntnisse eines Betrügers“ von Rahul Raina startet vielversprechend, die ersten 130 Seiten haben mir gut gefallen. Leider lässt das Werk dann nach meinem Dafürhalten aber stark nach. Nachdem Rudi durch die Hilfe des Bildungsberaters Ramesh ein rekordverdächtig gutes Ergebnis bei den Aufnahmeprüfungen der Universität erzielt, „driftet“ die Handlung für mich zu sehr in Richtung Gangster-Komödie ab. Dabei wird die scharfzüngige und bissige Gesellschaftskritik immer mehr zur Nebensache und rückt zu sehr in den Hintergrund. Stattdessen verändert sich die Handlung mehr in Richtung eines unrealistischen Trips im Stil einer Komödie wie „Hang Over“. Das entsprach nicht meinem Geschmack. Und leider empfand ich die Darstellung auch nicht als sonderlich witzig, anders als im Klappentext versprochen.

Das ist sehr schade, denn der Beginn dieses Romans ließ etwas anderes erwarten: eine satirische Aufsteigergeschichte. Die lieblose Beziehung zum Vater wird gut dargestellt, ebenso die Begegnung mit der Nonne Claire, die Ramesh fördert und ihm eine Aufstiegschance ermöglicht. Hinzu kommt ein grober, emotional-expressiver und teils vulgärer Erzählton, der Rameshs Wut aufs System sehr gut deutlich werden lässt. Man spürt die Verachtung des Ich-Erzählers gegenüber seinem eigenen Heimatland. Zu viele Enttäuschungen hat er erlebt, zu viele Ungerechtigkeiten mitangesehen. Dementsprechend drastisch sind die Worte, mit denen Ramesh Indien beschreibt. Er hadert mit den Zuständen im Land, er beklagt vor allem die soziale Ungleichheit, die Korruption und kritisiert das Bildungssystem. Das alles ist erzählerisch gut gemacht und interessant zu lesen. Lediglich ein Nachwort mit Informationen zum indischen Bildungssystem und zu den Aufnahmeprüfungen an den Universitäten hätte ich mir noch gewünscht. So habe ich mich beispielsweise schon gefragt, ob das Ansehen eines erfolgreichen All-India-Kandidaten tatsächlich so immens ist.

Leider entwickelt sich die Handlung dann nach 130 Seiten in eine Richtung, die ich längst nicht mehr so fesselnd und aufschlussreich fand. Die Tiefgründigkeit geht verloren, facettenreich geschilderte Beziehungsverhältnisse gibt es nicht mehr. Die Aufsteigergeschichte verliert an Bedeutung. Das fand ich sehr schade. Stattdessen: Wenig Ernsthaftes, wenig Gesellschaftskritisches.

 

Fazit

Ein Roman, der interessant und gesellschaftskritisch startet, dann aber ab Seite 130 in meinen Augen enorm an Qualität verliert. Aus der anfangs noch tiefgründigen Gesellschaftskritik wird eine turbulente und oberflächliche Gangster-Komödie. Leider entsprach das nicht meinem Geschmack, deshalb nur 3 Sterne und eine eingeschränkte Leseempfehlung.

Freitag, 15. Juli 2022

Tursun, Mihrigul und Andrea C. Hoffmann - Ort ohne Wiederkehr. Wie ich als Uigurin Chinas Lager überlebte


5 von 5 Sternen


Verbrechen gegen die Menschlichkeit in China

Erschütternd, aufwühlend, verstörend! Dieses Buch geht unter die Haut und kann niemanden kalt lassen. In Zusammenarbeit mit der Investigativjournalistin Andrea C. Hoffmann berichtet die Uigurin Mihrigul Tursun in ihrem autobiographischen Bericht „Ort ohne Wiederkehr“ über die abstoßenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die chinesische Regierung an der ethnischen Minderheit muslimischen Glaubens v.a. im Nordwesten des Landes, in der Region Xinjiang verübt.

Die Autorin ist selbst Betroffene, hat drei Lageraufenthalte überlebt und psychische und physische Gewalt über sich ergehen lassen, die man sich nicht vorstellen kann. Viele Textstellen in diesem Buch sind nur schwer auszuhalten. Aus dem Nichts und ohne Vorankündigung bricht über Mihrigul und ihre Familie das Unheil herein: Die Inhaftierung und die Trennung der Mutter von ihren Kindern. In der Haft erlebt sie Gehirnwäsche, politische Indoktrination, totale Überwachung und unglaubliche physische und psychische Gewaltanwendung. Die Bedingungen im Gefängnis sind schrecklich. Und die grausame Behandlung der Kinder in staatlicher Obhut lässt den Leser bzw. die Leserin ebenfalls betroffen zurück. Die Lektüre wird fast unerträglich!

Und am Beispiel des Schicksals von Mihrigul Tursun wird deutlich, mit welch unglaublicher Härte ein kultureller Assimilationsdruck auf die Uiguren ausgeübt wird. Sie sollen „ihrer gesamten religiösen und kulturellen Identität beraubt werden, ihr historisches Gedächtnis ausgelöscht werden“ (S. 284, Nachwort). Das Privatleben vieler Familien wird lückenlos überwacht, das wird auch am Beispiel der Familie von Mihrigul deutlich. Die Staatsmacht ist allgegenwärtig, kontrolliert, schüchtert ein und schikaniert. Selbst im Ausland ist man vor dem langen Arm des Staatsapparats nicht sicher.

Und was man sich klar machen muss, wenn man das erschütternde Schicksal von Mihrigul Tursun liest: Große deutsche Unternehmen wie etwa BMW, Bosch, Siemens und VW stehen „im Verdacht, von der potenziellen Ausbeutung muslimischer Arbeiter aus Xinjiang zu profitieren“ (S. 278, Nachwort). Gerade in diesen Zeiten, wo man am Beispiel des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine feststellt, dass der Wunsch, „Wandel durch Handel“ zu erreichen, gescheitert ist, gewinnt auch die Frage des Umgangs mit China wieder an Bedeutung. Es stellt sich in meinen Augen folgende Frage: Können die deutsche Regierung und die deutsche Wirtschaft das Ergebnis des Berichts des Australien Strategic Policy Institute von Februar 2020 ignorieren? Nach diesem Bericht sind „mehr als eine Million der rund zwölf Millionen Uiguren von der chinesischen Regierung bereits in Lagern interniert worden“ (S. 277, Nachwort).


Fazit

Ein Augenzeugenbericht, der unter die Haut geht und mich emotional erschüttert hat. Am Beispiel von Mihrigul Tursun wird deutlich, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit in China an der uigurischen Minderheit verübt werden.   

Donnerstag, 14. Juli 2022

Burgess, Melvin - Voll verzählt?


5 von 5 Sternen


Förderung der Faszination für große Zahlen

Es gibt Kinderbücher, denen liegt manchmal einfach nur eine schöne, kreative Idee zugrunde. So auch hier. Melvin Burgess, vermutlich vielen durch „Billy Elliot“ bekannt, legt mit „Voll verzählt“ ein Buch vor, in dem er der Faszination großer Zahlen „huldigt“. Es ist ein unterhaltsames Buch. Paul, ein Angeber, behauptet, er könne bis 10 Millionen zählen. Und dann legt er los und hört nicht mehr auf. Und diese Idee erzeugt bei den jungen Leser:innen bzw. Zuhörer:innen Neugier. Denn sie wollen wissen, ob Paul es wirklich gelingt, so weit zu zählen, oder ob er vorher abbricht.

Noch dazu interessieren sich Kinder meiner Erfahrung nach spätestens ab der Einschulung für Zahlen und wollen wissen, wie weit man zählen kann. Diese Idee wird hier kreativ aufgegriffen. Auf diese Weise werden beiläufig die Lust am Zählen und die Faszination für große Zahlen gefördert. Immer wieder werden Zahlen in die Handlung eingeflochten, die beim Nachwuchs durchaus auf Interesse stoßen. Noch dazu wird das Vorstellungsvermögen für die Größe des Zahlenraums angeregt. So ist es schon sehr beeindruckend, wie der Lehrer, Mr. Clark, vorrechnet, wie lange man benötigt, um bis 10 Millionen zu zählen.

Einige wenige Leerstellen regen auch zum Nachdenken an. So kann man beispielsweise fragen, warum Paul so handelt, wie er es tut. Hier bieten sich einige Textstellen an. Im Buch gibt es z.B. einen schönen erzählerischen Wendepunkt, der zur Diskussion einlädt.

Sprachlich ist das Buch nicht schwierig zu verstehen, so dass man es auch schon Kindern ab 7 Jahren vorlesen kann. Es gibt lediglich einige abstraktere Passagen, die tatsächlich eher für ältere Kinder ab 9 bis 10 Jahren geeignet sind. Hier ist man dann schon als erwachsener Vorleser gefordert, Dinge zu erläutern. Auch die Kritik am Schulsystem, die immer wieder sehr deutlich wird, ist wohl eher etwas für Ältere.

 

Fazit:

Ein kreatives, unterhaltsames Kinderbuch mit einer tollen Grundidee. Es werden die Lust am Zählen und die Faszination für große Zahlen gefördert. Auch das Vorstellungsvermögen für die Größe des Zahlenraums wird angeregt. Einige Inhalte sind noch etwas abstrakt, so dass die Altersangabe des Verlags durchaus gerechtfertigt ist (ab 9 Jahren). Sprachlich ist das Buch aber prinzipiell auch für jüngere Kinder gut zu verstehen und als Vorleselektüre geeignet.

Dienstag, 12. Juli 2022

Mai, Manfred und Markus Grolik - 1:0 für Paul. Eine Fußballgeschichte


4 von 5 Sternen


Freundschaft durch Sport

Das Erstlesebuch „1:0 für Paul. Eine Fußballgeschichte“ aus der Reihe „Leserabe“ vom Ravensburger Verlag ist eine Geschichte, die eine schöne Botschaft vermittelt: Durch die gemeinsame Ausübung des Sports lassen sich sprachliche Barrieren überwinden, es entstehen Freundschaften, unabhängig von der Herkunft. Das finde ich sehr gelungen. Schließlich soll man mit Hilfe eines Erstlesebuchs nicht nur das Lesen trainieren, sondern im Idealfall auch noch eine bereichernde Geschichte lesen. Hier sind es nun Amir und Paul, die zusammenhalten und Freundschaft schließen.

Vom Anspruchsniveau ist das Buch geeignet für Leser in der 2. Klasse. Für geübte Leser kann es aber auch schon am Ende der ersten Klasse zum Einsatz kommen. Ergänzend zum Text findet man am Ende jedes Kapitels auch nachbereitende Fragen zum Textinhalt und auch noch sog. Leserätsel am Ende der Lektüre.

Hierzu ein paar Anmerkungen: Die nachbereitenden Fragen zum Textinhalt sind ausschließlich recht geschlossen gehalten, das finde ich etwas schade. Mit Hilfe dieser geschlossenen Fragen wird das selektive Verstehen trainiert, d.h. die Kinder suchen gezielt nach der Antwort auf die gestellte Frage. Dafür dürfen sie natürlich auch ruhig noch einmal in das Kapitel schauen, sonst ginge es ja nur um die Überprüfung einer Gedächtnisleistung. Das ist ein absolut zulässiges Übungsformat! Alternativ dazu hätte man aber auch noch durch W-Fragen das Globalverstehen trainieren können.

In den Rätseln im Anschluss an die Geschichte wird dann durch eine Text-Bild-Zuordnungsübung die Lesekompetenz auf Satzebene gefördert, in Form eines Silben-Salats wird die korrekte Schreibung eines Worts trainiert („Schienbeinschoner“) und mit Hilfe eines Gitterrätsels wird die Identifikation von Wörtern gefördert. Nicht zuletzt gibt es noch einen recht simplen multiple-choice-Test, in dem Sätze vervollständigt werden müssen. Die Aufgaben sind insgesamt recht simpel, in meinen Augen keine wirkliche Herausforderung für eine:n Zweitklässler:in, denn die Übungen sind auf Wort- und Satzebene angesiedelt, nicht auf der Ebene des Textverstehens. Gut gefunden hätte ich z.B. Richtig-falsch-Aufgaben zum Textinhalt.

Abschließend möchte ich mir auch noch einen Bemerkung zur gendergerechten Gestaltung des Buchs erlauben. An einer Stelle des Buchs kommt die Schwester von Paul vor, über die gesagt wird, dass sie meistens nicht mit ihm Ball spielen will. Ich finde, hier wird ein typisches Klischee bedient. Man hätte an dieser Stelle z.B. auch schreiben können, dass sie lieber mit ihren Freundinnen Ball spielt o.ä.

 

Fazit

Eine Geschichte mit einem schönen „Völkerverständigungs-Gedanken“, die vom Niveau gut für Zweitklässler:innen geeignet ist. Bei den Aufgabenformaten sehe ich aber Verbesserungspotential! Deshalb vergebe ich „nur“ 4 Sterne!

Montag, 11. Juli 2022

Khider, Abbas - Palast der Miserablen


5 von 5 Sternen


„Shams – eine Sonne aus dem dunkelsten Loch der Hauptstadt“

Der Roman „Palast der Miserablen“ ist der letzte Roman von Abbas Khider, der mir noch fehlt, um mir einen Gesamtüberblick über das Werk dieses Autors zu verschaffen. Alle anderen Romane aus der Feder von Khider habe ich gelesen (vgl. frühere Rezensionen). Und auch dieses Buch fügt sich wie ein Puzzlestück ein in ein größeres Gesamtbild.

Dieses Mal wird ein detaillierter und realistisch anmutender Blick auf die Lebensumstände im Irak um die Jahrtausendwende herum geworfen. Wir begleiten das Schicksal des Jungen Shams Hussein, aus dessen Perspektive in Ich-Form berichtet wird. Und in keinem der anderen Bücher von Khider wird ein solch intensiver und facettenreicher Blick auf den Irak gerichtet wie in diesem. Das Thema der „Flucht“ bleibt dieses Mal interessanterweise weitestgehend ausgespart.

Wir tauchen ein in ein Land, das von Krieg erschüttert und heimgesucht wird. Wir begleiten eine vierköpfige Familie aus ärmlichen Verhältnissen, die sich aus dem Süden des Landes auf den Weg Richtung Bagdad macht, um dort ihr Glück zu versuchen und eine neue Heimat zu finden. Immer wieder eingeschoben werden kurze Kapitel einer anderen Zeitebene, in denen sich der Ich-Erzähler in Haft befindet und mit den grausamen Bedingungen dort kämpft. Beide Handlungsstränge laufen auf eine Katastrophe zu und kulminieren in einem bedrückenden, offenen Ende.

Die Zustände im Land werden sehr anschaulich dargestellt. Die Armut im Land ist förmlich greifbar. Das Leid der Familie, die mit den Wirren des Krieges zu ringen hat, wird schonungslos aufgezeigt. Das ist schon sehr emotional und belastend. Wir erleben ganz einfache Leute, die mit dem Umständen umzugehen versuchen und das Beste daraus zu machen. Und zwischen den Zeilen schwingt punktuell auch feiner Humor und feine Ironie mit, trotz der geschilderten Widrigkeiten. Und was auch andere Werke des Autors auszeichnet: Es wird nichts beschönigt, es wird kein Blatt vor den Mund genommen. Das konfliktreiche Familienleben wird dabei ebenso beschrieben wie der tägliche Überlebenskampf in der sog. Blechstadt, einem Armenviertel in der Nähe eines Müllbergs. Und auch das alltägliche Dorfleben wird in all seiner Schrulligkeit, aber auch Grausamkeit dargestellt. Die Darlegung wirkt dabei sehr authentisch und realistisch. Punktuell gibt es auch einmal schwer auszuhaltende Passagen, in denen Gewalt eskaliert. Insbesondere die schwierige Rolle der Frau in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft wird dabei immer wieder mal thematisiert. In diesem Zusammenhang fand ich die Gestaltung der Beziehung des Ich-Erzählers zu seiner Schwester sehr interessant.

 

Fazit

Ein Werk von Khider, in dem einmal die Lebensbedingungen im Irak um die Jahrtausendwende herum thematisiert werden. Anders als in den anderen Büchern des Autors geht es dieses Mal nicht um das große Thema „Flucht“, sondern es wird am Beispiel einer einfachen vierköpfigen Familie ein schonungsloser Blick auf den grausamen und harten Alltag geworfen. Die Schilderung des täglichen Überlebenskampfs in der Diktatur unter Saddam Hussein geht unter die Haut. Betroffen verfolgt man das Schicksal der Hauptfigur Shams Hussein. Ich vergebe 5 Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus.

Freitag, 8. Juli 2022

Ravensburger Verlag (Hrsg.) - Wieso? Weshalb? Warum? Erstleser, Band 8. Ozeane

 


4 von 5 Sternen



Kinder-Sachbuch mit Leseaufgaben

Ich beschränke mich bei meiner Rezension zum Erstleser-Buch „Ozeane“ aus der Reihe „Wieso, weshalb, warum?“ auf die Betrachtung der inhaltlichen Kohärenz der zu lesenden Informationstexte und die Beurteilung der Aufgabenformate.

Das Kinder-Sachbuch ist in vier große Kapitel unterteilt, zu denen jeweils sogenannte Leserätsel im Anschluss gelöst werden müssen: 1. Kapitel „Was sind Ozeane und Meere“, 2. Kapitel „Warum sind Ozeane so geheimnisvoll“, 3. Kapitel „Wer lebt in den Ozeanen“, 4. Kapitel „Weshalb sind die Ozeane in Gefahr?“.

Nach meinem Dafürhalten ist die inhaltliche Kohärenz der Kapitel 1, 2 und 4 gewährleistet. Lediglich beim dritten Kapitel hatte ich den Eindruck, dass die Inhalte recht unverbunden nebeneinander stehen. Hier würde ich die Übergänge zwischen den einzelnen Fragestellungen „glatter“ gestalten, indem eine stärkere inhaltliche Verknüpfung vorgenommen wird. Ein roter Faden sollte erkennbar sein. Sonst wirkt die Darstellung zwischen den einzelnen Unterkapiteln etwas sprunghaft.

Im Anschluss an Kapitel 1 findet man zwei Aufgaben, in denen vor allem die Identifikation von Wörter gefördert wird. Die Leser:innen sollen in einem Gitter Wörter erkennen und danach Buchstaben zu Wörtern sortieren und sie Bildern zuordnen. Klassische Aufgabenformate, die gelungen sind. Lediglich beim Gitterrätsel hätte die Arbeitsanweisung etwas verständlich ausfallen können, in dem noch die Leserichtung angegeben wird („waagerecht und senkrecht“). Die Aufgaben zu Kapitel 2 sind hingegen nicht so gelungen. So ist bei dem Labyrinth verwirrend, dass dort zwei Delfine abgebildet sind. Einer hätte gereicht, und zwar der untere. Das Aufgabenformat der Silbenschreibung in Form eines Gitters fand ich verwirrend und unlogisch, vor allem weil mir nicht klar geworden ist, in welcher Reihenfolge die Silben anzuordnen sind. Die Aufgaben, die sich an Kapitel 3 und 4 anschließen, sind hingegen wieder gelungen und durchdacht: z.B. ein Kreuzworträtsel als inhaltliche Nachbereitung des Gelesenen und die Verknüpfung von Substantiven zu inhaltlich korrekten Komposita. Auch das Lesequiz in Form von multiple-choice-Aufgaben am Ende ist gelungen, wenn auch etwas zu einfach. Lobenswert ist auch, dass auf den letzten Seiten die Lösungen angegeben werden, so dass eine Überprüfung möglich ist und kein Frust aufkommt. Und was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat: Das sogenannte Leselotto. Hier wird Lesekompetenz durch Text-Bild-Zuordnung gefördert. Klasse!

 

Fazit

Ein weitestgehend gelungenes Kinder-Sachbuch. Lediglich die inhaltliche Kohärenz des dritten Kapitels sowie die Aufgaben am Ende des zweiten Kapitels hätten durchdachter sein können. Wegen dieser „kleineren“ inhaltlichen Schwächen vergebe ich 4 Sterne.

Donnerstag, 7. Juli 2022

Bervoets, Hanna - Dieser Beitrag wurde entfernt


5 von 5 Sternen


Die Offenlegung eines „kranken“ Systems

Gute Literatur schafft es in meinen Augen, zum Reflektieren anzuregen und Fremdverstehen zu fördern. Noch dazu mag ich es, wenn sie eine gesellschaftspolitische Relevanz hat. Hanna Bervoets legt mit ihrem Werk „Dieser Beitrag wurde entfernt“ einen Roman vor, der diese Anforderungen erfüllt. In einer verdichteten Schreibweise mit hoher Intensität schildert sie am Beispiel von Kayleigh und ihrer Freundin Sigrid die belastende Tätigkeit im Bereich der Content-Moderation und zeigt auf, wie sich die Beschäftigung mit gewalthaltigen Inhalten auf die Betroffenen auswirkt. Gezeigt wird eine abschreckende und verstörende Arbeitswelt.

Die Darstellung der Arbeitsbedingungen wirkt sehr realistisch. Der unglaubliche Leistungsdruck und die übergriffige Überwachung der Mitarbeiter:innen wird gut deutlich. Psychologische Unterstützung fehlt weitestgehend. Ich war geschockt und habe mich darüber gewundert, dass die Angestellten das mit sich machen lassen und so wenig hinterfragen. In ihrem Nachwort macht die Autorin deutlich, dass sie sorgfältig für ihren Roman recherchiert hat. Sie führt weiterführende Literatur zu dem Thema an. Auf diese Weise wirkt ihr Werk fast dokumentarisch, der Inhalt bleibt aber natürlich fiktiv. Im Zentrum steht nicht die Charakterzeichnung und -entwicklung, im Zentrum steht die Offenlegung eines „kranken“ Systems, in dem jeder einzelne leidet. Der Roman ähnelt eher einer soziologischen Studie, in der die Missstände aufgezeigt werden.

Auch die erzählerische Gestaltung verleiht dem Ganzen ein hohes Maß an Authentizität. Die Ich-Erzählerin adressiert in einer Art Erlebnisbericht in Form eines Briefs einen Anwalt. Das fand ich sehr passend und gelungen! Auch wenn die näheren Umstände des Falls und was letztlich daraus wird im Dunkeln bleiben. Das fand ich zwar schade, kann aber nachvollziehen, dass die Autorin hier lieber eine Leerstelle entstehen lassen wollte.

Der Einstieg in den Roman erfolgt unmittelbar, man ist sofort mittendrin im Geschehen. Und man wird auch sofort mitgerissen, weil man wissen will, was der Protagonistin passiert ist, was sie erlebt hat, warum sie gekündigt hat. Und ich habe das Buch mit einer großen Anspannung gelesen. Immer wieder musste ich innehalten, um das Gelesene zu verarbeiten. Man ist als Leser sehr gefordert, viele Stellen verstören durch die konkrete Erwähnung von gewalthaltigen Inhalten. Es gibt immer wieder Schockmomente beim Lesen. In diesem Zusammenhang habe ich mich schon gefragt, ob das wirklich sein muss, ob diese Drastik gerechtfertigt ist. Oder bedient die Autorin gar mit den schockierenden Beispielen den Voyeurismus der Leser:innen? Ist das bedenklich? Meiner Meinung nach wäre eine Schonung der Leserschaft hier fehl am Platze. Denn erst durch die Erwähnung dieser Beispiele wird der Kontrast zu den absurden Richtlinien richtig deutlich.

Als verstörend habe ich beim Lesen empfunden, dass es bei der Beurteilung von gewalthaltigen medialen Inhalten als Content-Moderator weniger um den Inhalt selbst geht, als vielmehr um das Überprüfen von Richtlinien. Und diese Richtlinien sind nicht unbedingt in sich konsistent und logisch. Offensichtlich gewalthaltigen Inhalten wird die Anstößigkeit abgesprochen, weil sie den absurden Richtlinien noch entsprechen.

Gleichzeitig wird deutlich, wie sich die moralischen Maßstäbe und die Wirklichkeitswahrnehmung der Mitarbeitenden verschieben. Der innere Kompass gerät aus dem Gleichgewicht. Eine Verrohung in der Belegschaft ist die Folge. So wird z.B. deutlich, dass Sprache aus dem zu sichtenden Material in den eigenen Sprachgebrauch übernommen wird. Einige glauben plötzlich an Verschwörungstheorien. Gleichzeitig ist beängstigend, dass die Protagonistin so wenig in Frage stellt. Ihr geht es in erster Linie darum, Ziele zu erfüllen und die Richtlinien korrekt anzuwenden. Sie scheint das Gesehene gar nicht groß an sich heranzulassen, verdrängt es lieber und flüchtet sich stattdessen in Alkohol und Sex. Ihre Freundin Sigrid reagiert da anders. Ihr psychischer Zustand verschlechtert sich zusehends. Und es ist gut, dass die Autorin hier einen Kontrast zwischen den beiden Figuren angelegt hat, um zu einer differenzierteren psychologischen Darstellung der Folgen der Tätigkeit zu gelangen.

Zum Ende hin werden die Handlungsweisen der Figuren zunehmend irrationaler. Man ist als Leser:in sehr gefordert, sich den Sinn und den Zusammenhang zu erschließen. Vieles bleibt nebulös und unausgesprochen. Das wird nicht jede/r mögen. Auch bleibt viel offen, am Ende hatte ich mehr Fragen als Antworten im Kopf, mit denen ich mich allein gelassen fühlte. Das hat mich aber nicht so gestört, dass ich dafür einen Stern abziehen würde.

 

Fazit: 

Ein Roman, der seine Leserschaft fordert. Es ist ein schwieriges Thema, dass die Autorin hier behandelt, aber sie macht es in meinen Augen sehr gut. Ich empfehle das Buch solchen Leserinnen und Lesern weiter, die bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen, wie der Konsum gewalthaltiger Medien sich auf Betroffene auswirkt, und die sich auch von einigen schockierenden Beispielen, die zur Veranschaulichung dienen, nicht abschrecken lassen. Auch sollte man sich darauf einlassen können, die Offenheit des Werks auszuhalten. Ich vergebe 5 Sterne und spreche eine Empfehlung aus. Denn ich mag Literatur mit gesellschaftspolitischer Relevanz, die zum Nachdenken anregt.

Mittwoch, 6. Juli 2022

Clark, Julie - Der Tausch


5 von 5 Sternen


Ein Leben jenseits der Angst

Von der Autorin Julie Clark ist mit das Buch „Der Plan“ in sehr guter Erinnerung geblieben (vgl. eine frühere Rezension). Aus diesem Grund entschied ich mich, auch ihr Debut „Der Tausch“ zu lesen, das immerhin auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste gelandet ist. Zu Recht übrigens! Denn der Thriller überzeugt nicht nur durch seine Figurenzeichnung, sondern auch durch die geschickte erzählerische Komposition und einen ausgeklügelten Spannungsbogen.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die packende Erzählweise. Man ist dicht dran an den Figuren, aus deren Ich-Perspektive berichtet wird. Und man ist sofort drin in der Geschichte. Bei Claire fragt man sich sofort, was für einen Plan sie ausgeheckt hat, wie er im Detail aussieht, wie sie ihn umsetzt, ob ihr jemand auf die Schliche kommt. Das treibt die Handlung gut voran und erzeugt Spannung, und das schon auf den ersten Seiten.

Und die Spannung wird dann noch weiter forciert. Mit Eva kommt eine weitere interessante Figur hinzu, die zu Beginn sehr mysteriös wirkt. Auch bei ihr wissen wir nichts über ihre Hintergründe. Erst nach und nach in Rückblicken erfahren wir mehr über ihre abenteuerliche, kriminelle Vergangenheit und ihre schwere Kindheit.

Und beide Handlungsstränge laufen auf einen gut konstruierten Höhepunkt zu: Man will auf der einen Seite wissen, was in Evas Vergangenheit passiert ist. Warum musste sie fliehen? Und auf der anderen Seite möchte man herausfinden, ob Claire die Flucht gelingt oder ob ihr Mann ihr auf die Schliche kommt.

Auch die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren sind gut ausgearbeitet. Als besonders gelungen habe ich die Darstellung der fast mütterlichen Beziehung zwischen Eva und ihrer Nachbarin Liz empfunden. Und auch das Verhältnis zwischen Eva und Dex wird facettenreich beschrieben. Man merkt sofort, dass zwischen beide professionelle Distanz herrscht und Eva ständig auf der Hut sein muss, bei dem, was sie tut.

Kritisch anmerken kann man zwar, dass es schon arg viele Zufälle gibt, die die Handlung beeinflussen, aber das hat mich nicht gestört. Irgendwie müssen die Fäden ja am Ende zusammenlaufen.

 

Fazit

Ein rundum gelungener Thriller, den ich aufgrund der überzeugenden Figurenzeichnung, der geschickten erzählerischen Komposition und des sehr gut arrangierten Spannungsbogens sogar als herausragend bezeichnen würde. Solche Highlights wie „Der Tausch“ findet man nicht oft. Ich werde die Autorin definitiv weiter im Auge behalten, vergebe 5 Sterne und spreche eine absolute Empfehlung aus.

Dienstag, 5. Juli 2022

Ware, Ruth - Woman in cabin 10


3 von 5 Sternen


Nicht so gut wie „Im dunklen, dunklen Wald“

Nachdem mich das Debut von Ruth Ware überzeugt hat (vgl. eine frühere Rezension), wollte ich noch mehr von ihr lesen. So entschied ich mich für das Werk „Woman in cabin 10“, bei dem die Autorin eine interessante Figur entwirft und einen beklemmenden Handlungsort wählt.

Die Journalistin Lo befindet sich in einem psychisch labilen Zustand. Kurz vor Antritt ihres Jobs auf dem Kreuzfahrtschiff Aurora, einem Luxuskreuzer der Extraklasse, wird sie Opfer eines Überfalls. Noch dazu hat sie ein Alkoholproblem und ist depressiv. All das verunsichert den Leser, man weiß nicht so recht, ob man den Wahrnehmungen von Lo trauen kann. Und ähnlich geht es auch den Mitreisenden auf der Aurora, als Lo meint, Zeugin eines Mordes geworden zu sein, ohne dass sich dafür jedoch überhaupt ein Nachweis finden lässt. Das ist erzählerisch schon gut gemacht. Ruth Ware bedient sich des Mittels einer unzuverlässigen Erzählerin und das hat mir auch sehr gut gefallen. So etwas mag ich. Was ebenfalls gut gelungen ist, sind die Einschübe von Vorausdeutungen in Form von Zeitungsberichten. Ich wollte als Leser genauer wissen, was denn nun eigentlich an Bord des Schiffes passiert ist. Auch der Handlungsort ist gut gewählt. Die Autorin beschreibt sehr gut die Extravaganz des Kreuzfahrtschiffs und fängt die Atmosphäre gut ein. An Bord befinden sich vor allem Passagiere einer höheren Gesellschaftsschicht. All das kommt gut zum Ausdruck.

Doch leider gibt es auch Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben. So reicht das Werk in Bezug auf Charakterzeichnung und Dialogführung nicht an das Debut „Im dunklen, dunklen Wald“ heran. Die Nebenfiguren bleiben blass und sind nicht so gut ausgearbeitet. Auch die Dialoggestaltung ist nicht so gut, wie sie im Erstlingswerk war. Auch was Tempo und Dynamik sowie überraschende Wendungen betrifft, kann „Woman in Cabin 10“ nach meinem Empfinden nicht mit dem Debut mithalten. Die Handlung vollzieht sich deutlich gemächlicher. Und was mich am meisten enttäuscht hat, war die Auflösung am Ende. Diese wirkte auf mich doch zu stark konstruiert. So bleiben also Licht und Schatten, wenn ich diesen Thriller beurteilen soll. Auf der einen Seite ist er erzählerisch gut gemacht, auf der anderen Seite gibt es auch einiges zu bemängeln. Ich vergebe 3 Sterne und spreche eine Leseempfehlung für solche Leser:innen aus, die das Mittel des unzuverlässigen Erzählens mögen und mit Abstrichen bei der Auflösung leben können.

 

Fazit

Ein durchschnittlicher Thriller aus der Feder von Ruth Ware. Erzählerisch gut gemacht, aber nicht so temporeich wie das Debut. Auch Charakterzeichnung und Dialogführung lassen zu wünschen übrig. Die Auflösung ist sehr konstruiert. Es gibt bestimmt bessere Bücher der Autorin. Dass Ruth Ware schriftstellerisches Potential hat, zeigt sie jedenfalls. Ich werde noch weitere Thriller von ihr lesen, um mir einen besseren Überblick über ihr Werk zu verschaffen.

Montag, 4. Juli 2022

Carlsen Verlag (Hrsg.) - Paw Patrol. Die Fellfreunde retten den Tag


5 von 5 Sternen


Motivierendes Erstlesebuch mit geringem Anspruchsniveau

Die „Paw Patrol“ ist aktuell eine der beliebtesten Kinder-Fernsehserien. Fast jedes Kind kennt diese kanadische Action-Abenteuer-Serie mit den niedlichen Welpen, die in mehr als 160 Ländern weltweit ausgestrahlt wird. Und sie spricht beide Geschlechter gleichermaßen an. Aus diesem Grund halte ich das Erstlese-Buch „Die Fellfreunde retten den Tag“ vom Carlsen Verlag für besonders motivierend, um das Lesen zu üben.

 

Anspruchsniveau und Zielgruppe

Vom Anspruchsniveau halte ich es für leichter als die mir bekannten Lesebücher aus der Leserabe-Reihe für die 1. Klasse vom Ravensburger Verlag. Es ist also gut geeignet für Leseanfänger, die eher noch am Anfang des Leseerwerbs stehen. Das liegt daran, dass auf einer Seite nicht so viele Zeilen zum Selbstlesen abgedruckt sind. Meistens sind es nur zwei bis drei Zeilen, maximal sind es fünf Zeilen, die auf einer Seite präsentiert werden. Umfangreiche Seiten mit fünf Zeilen kommen aber nur selten vor. Auch sind die Zeilen nicht zu lang geraten, meist sind es drei bis vier Wörter pro Zeile, die erlesen werden müssen. Das kommt gerade Leseanfängern zu Beginn des Leseerwerbs entgegen. Auch wurde vom Verlag darauf geachtet, dass die Sätze knapp ausfallen. Oft umfasst ein Satz eine Zeile, maximal zwei Zeilen. Kurzum: Das Buch ist so gestaltet, dass Lesebeginner:innen nicht von zu viel Text frustriert werden. Das ist gut! Für Leser:innen, die schon fortgeschrittener sind (z.B. am Ende von Klasse 1) ist dieses Buch aber ebenfalls motivierend, weil die Kinder merken, dass sie zügig viele Seiten schaffen. Ich finde eine solche Herangehensweise sinnvoller, als Kinder zu Beginn des Leseerwerbs zu überfordern. Nach meiner Erfahrung sind Lerner:innen gerade mit solchen Texten, die über fünf Zeilen pro Seite hinausgehen, noch etwas überfordert.

 

Bebilderung und Sprachgestaltung

Zum Bildmaterial muss ich nicht viel sagen, es handelt sich um großformatige Bilder aus der Serie. Schon allein dieser Umstand ist ebenfalls motivierend. Die zu lesenden Satzkonstruktionen sind alle sehr einfach gehalten, auch der Wortschatz ist sehr simpel. Es gibt also keine Stellen mit langen, schwer zu erschließenden Wörtern. Das garantiert den Leser:innen schnelle Erfolgserlebnisse. Und auch an die Ausspracheproblematik wurde gedacht: So wird auf den ersten beiden Seiten die Aussprache der englischsprachigen Namen geübt. Auf diese Weise wird einem möglichen Stolpern vorgebeugt, vor allem weil die Namen im zu lesenden Text auch andersfarbig markiert sind.

 

Verbesserungsvorschläge

Kürzere Kapitel wären sinnvoll. Auch die Unterteilung eines Kapitels in kürzere Unterkapitel wäre denkbar. Kinder lesen gerne ein ganzes Kapitel zu Ende und sind stolz auf sich, wenn sie ein ganzes Kapitel gelesen haben. Hier finde ich die beiden Geschichten mit einem Umfang von 28 Seiten und 17 Seiten zu lang geraten. Am Ende fände ich andere Aufgabenformate zur Nachbereitung des Textes besser. Auch dürfen es nach meinem Dafürhalten ruhig mehr Aufgaben sein.

 

Fazit:

Ein sehr motivierendes Erstlese-Buch mit Paw Patrol Setting, das vom Anspruchsniveau v.a. solchen Kindern entgegenkommen dürfte, die noch am Beginn ihres Leseprozesses stehen. Die Sprach- und die Zeilengestaltung sind bewusst einfach gehalten und durchdacht. Sie ermöglichen beim Lesen rasche Erfolgserlebnisse. Klare Empfehlung und 5 Sterne!

Dittert, Christoph - Fallender Stern


2 von 5 Sternen


Erstkontakt-Science-Fiction

Was wäre, wenn sich ein Asteroid der Erde nähert, von dem Funksignale gesendet werden? Was wäre, wenn es noch 30 Jahre dauert, bis dieser Asteroid die Erde erreicht? Und wie würde eine bemannte Mission aussehen, die sich zur Aufgabe macht, den Asteroiden zu erforschen? In diesem Setting siedelt Christoph Dittert seinen Science-Fiction-Roman „Fallender Stern“ an. Und ich hatte hohe Erwartungen an den Titel, schließlich erreichte er den vierten Platz beim Deutschen Science-Fiction-Preis 2021.

Leider hat mich die Umsetzung aber nur bedingt begeistert. Zum einen ist es der Erzählton, der mich nicht restlos überzeugt hat. Der Roman startet zunächst im Stil eines Jugendbuchs, weil die Protagonisten Amy und Eric noch so jung sind. Und im Laufe der Handlung verändert sich der Erzählton dann hin zu einer Art „Military-Science-Fiction“. Denn nach der Erforschung des Asteroiden verändert sich die Ausgangslage für die Menschheit drastisch. Das entsprach einfach nicht meinem Geschmack.

Was mich ebenfalls etwas ratlos zurückließ: Die große Distanz zum Geschehen. Ich hätte mir z.B. viel mehr Einblicke in die Arbeit der NASA erhofft, ich wäre gerne viel näher am Forschungsprojekt dran gewesen. Doch wir werden als Leser die ganze Zeit auf Abstand gehalten. Das fand ich schade!

Auch fand ich die Botschaft des Romans wenig hoffnungsvoll. Erstaunlich ist doch, wie wenig die Menschheit in der Lage ist die Kommunikationsversuche zu verstehen oder selbst zu kommunizieren. Es bleibt eine unüberbrückbare Sprachbarriere zurück, wir erfahren auch leider nichts Näheres über die Botschaft, die vom Asteroiden aus gesendet wird. Für mich wurde hier Potential verschenkt.

Noch eine Anmerkung zur Figurenzeichnung: Ich empfand die Darstellung des Familienlebens als sehr kitschig und klischeehaft, auch habe ich die psychologische Tiefe bei den Charakteren vermisst.

Der Roman hat in meinen Augen „nur“ eine einzige sehr gut geschilderte Passage, nämlich die, als ein Forschungsteam den Asteroiden erreicht und diesen näher erforscht. Das war für mich das einzige Highlight des Buchs.

 

Fazit

Ein Science-Fiction-Roman, in dem es um das Thema Erstkontakt geht. Leider wird man als Leser:in zu sehr auf Abstand vom interessanten Geschehen gehalten. Als zu pessimistisch empfand ich die Sprachlosigkeit, die zwischen Menschheit und Alien herrscht. Der Erzählton hat mich nicht so gut gefallen, er schwankt zwischen Jugendbuch und „Military-Science-Fiction“. Kurzum: Keine Empfehlung und nur zwei Sterne!