Ein spannender Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie
Das
Sachbuch „Die Entdeckung der Milchstraße“ von Arndt Latußeck, Harald Lesch und
Cecilia Scorza-Lesch ist ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der
Astronomie. Thematisch geht es um die Geschichte der Erforschung unserer
Milchstraße. Wie ist sie entstanden? Wie hat sie sich entwickelt? Warum sieht
sie heute so aus, wie sie aussieht? Das Buch lässt sich in zwei Teile gliedern:
Im ersten Teil werden in lebendig geschriebenen biographischen Skizzen
historisch bedeutende Forscher:innen der letzten 250 Jahre vorgestellt.
Forscher:innen, die einen großen Beitrag zum Erkenntnisgewinn beigetragen
haben. Im zweiten Teil des Buchs sind die Kapitel dann thematisch sortiert.
Durch die Radioteleskopie und die Messung der Infrarotstrahlung gab es
gewaltige Erkenntnisfortschritte, die das gesamte Forschungsgebiet der
Astronomie dahingehend verändert haben, dass nicht mehr nur einzelne wichtige
Forscher:innen herausgehoben werden können. Das gesamt Forschungsgebiet wurde
stattdessen zunehmend komplexer und vielschichtiger.
Im
ersten Teil des Buchs geht es also um die Geschichte der Forscher:innen, die
das Rätsel der Milchstraße in den letzten 250 Jahren zu enthüllen versuchten.
Die Autoren verdeutlichen, dass die Menschheit sich immer wieder die Frage
gestellt hat, was es mit den Sternen eigentlich auf sich hat. Die
Himmelsbeobachtung habe für die Menschheitsgeschichte schon immer eine
alltagsrelevante Bedeutung gehabt, z.B. für die frühen Formen der
Landwirtschaft. Und einige besondere Menschen hätten mit ihrer Erforschung des
Himmels den Erkenntnisfortschritt wesentlich vorangebracht. In kurzen Porträts
werden diese historischen Persönlichkeiten und ihre Leistungen den Leser:innen
vorgestellt. Einen besonderen Stellenwert nimmt sicherlich Edwin Hubble ein.
Mit ihm beginnt die extragalaktische Astronomie. Eine wichtige Zäsur der
Forschungsgeschichte!
Den
Anfang macht Wilhelm Herschel, der die Milchstraße mit seinen selbst gebauten
Teleskopen durchforstete. Mit einer unglaublichen Besessenheit entwickelt er
eigene Spiegelteleskope, für die er die Spiegel sogar selbst herstellt. Seine
große Leistung: Die Entdeckung des Planeten Uranus. Später entdeckt er zusammen
mit seiner Schwester mehr als 2500 neue Sternhaufen und Nebelflecken. Er legt
auch den ersten Grundstein für die stellare Statistik, eine Methode, die bis
heute angewendet wird. Und Herschel und seine Schwester vollbringen noch viele
weitere Leistungen, von denen die Autoren berichten.
In
einem weiteren Kapitel wird Friedrich Wilhelm Bessel vorgestellt. Er widmete
sich u.a. den Problemen der Bahnberechnung von Kometen. Zudem wollte er der
erste sein, der Messungen von Sternparallaxen anstellt. Weitere Forscher:innen,
die in interessant ausgearbeiteten Skizzen mit ihren Leistungen präsentiert
werden, sind die folgenden: Jacobus Kapteyn, Henrietta Leavitt, Heber Doust
Curtis und Harlow Shapley, Edwin Hubble, Jan Oort, Edward Barnard, Arthur
Eddington, Robert Trümpler, William Morgan und Barton Bok.
Was
den Autoren in meinen Augen gut gelingt, ist es, den Forscherdrang und die
Leidenschaft der verschiedenen Forscher:innen herauszuarbeiten. Auch wird
anhand der biographischen Skizzen deutlich, dass die Lebensläufe nicht immer
ohne Krisen und Brüche verlaufen. Und es zeigt sich auch, was Wissenschaft
ausmacht: ständiges verifizieren und falsifizieren von Forschungsergebnissen.
Immer wieder müssen bestehende Meinungen angesichts neuer Beobachtungen
revidiert und geändert werden. Ein stetiger Prozess der Weiterentwicklung.
Spannend! Auch interessant: Oft sind es Amateurwissenschaftler, die mit ihrer
Besessenheit erstaunliche neue Erkenntnisse zu Tage fördern.
Nach
den biographischen Skizzen findet man lesenswerte thematisch sortierte Kapitel.
So geht es z.B. um die Frage, wie es um die innere Struktur der Milchstraße
bestellt ist. Weitere Fragestellungen: Warum weist unsere Galaxie eine
spiralförmige Struktur auf? Was weiß man heute über den Aufbau der Milchstraße?
Und was befindet sich in ihrem Zentrum? Wie ist unsere Galaxie entstanden und
wie hat sie sich entwickelt? Wie wird sie sich in Zukunft noch verändern? Doch
auch in diesem Zusammenhang wird immer wieder auf wichtige Forschungsarbeiten und
relevante Forscher:innen verwiesen (wenn auch nicht immer chronologisch). Es
wird gut deutlich, dass die beobachtende Astronomie mit ihrer Beobachtung des
sichtbaren Lichts irgendwann an ihre Grenzen stößt. Neue Methoden müssen her. Mit
der Radioastronomie wird ein gänzlich neues Kapitel in der Forschung
aufgeschlagen. Und die Auswertung der Infrarotstrahlung sorgt noch einmal für
einen Schub. Fortan verzweigt sich die Wissenschaft immer weiter. Es entsteht
sogar eine Art archäologische Astronomie, die mit Hilfe von Computermodellen
Kollisionen und Verschmelzung unserer Galaxie mit anderen Galaxien
rekonstruieren kann. Es entstehen zahlreiche neue Forschungsfelder. Die
Bedeutung einzelner Forscher wird abgelöst durch Forschungsteams, die sich
Arbeiten aufteilen und gemeinsam an Fragen forschen. Auch die Menge an
auszuwertenden Daten nimmt immer weiter zu. Es wird klar, dass sich das Gesicht
der Forschung im Laufe der Zeit völlig verändert hat. Und der
Erkenntnisfortschritt geht einher mit dem technischen Fortschritt. Und für mich
war während der Lektüre doch erstaunlich, was man heute schon alles über unsere
Heimatgalaxie weiß, auch wenn natürlich noch viele, viele Fragen offen bleiben.
Aufschlussreich
ist dieses Buch sicherlich für alle diejenigen, die am Prozess des
Zustandekommens wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert sind. Den Autoren
gelingt es sehr gut, einen roten Faden der Erkenntnisfortschritte
nachzuzeichnen. Es wird gut deutlich, wie die verschiedenen Erkenntnisse der
einzelnen Forscher:innen aufeinander aufbauen und sich gegenseitig befruchten.
Nachfolger greifen auf Ergebnisse von Vorgängern zurück und entwickeln sie
weiter, um schließlich neue Entdeckungen anzustellen. So funktioniert
Wissenschaft. Faszinierend zu lesen. Mit der Zeit wird das Bild des Kosmos
immer differenzierter. Und im Zuge des Erkenntnisgewinns wird auch immer
klarer, wie gewaltig die Ausdehnung des Universums sein muss. Die Durchmessung
des Raums wird immer differenzierter und präziser. Die Kenntnisse über
physikalische Gesetzmäßigkeiten nehmen immer weiter zu. Es entstehen immer neue
Theorien. Es wird immer komplexer, immer neue Fragen werden aufgeworfen.
Kontroversen in der Forschungsgemeinschaft entstehen, die teils erbittert
geführt werden. Das alles wird ansprechend und nachvollziehbar von den Autoren
nachgezeichnet.
Die
Porträts lesen sich allesamt äußerst lebendig und spannend. Es ist keine
trockene Geschichte, die dargeboten wird, sondern es wird ein faszinierender
Blick in die Vergangenheit eröffnet. Und auch die thematisch sortieren Kapitel
sind verständlich verfasst. Ich hatte an keiner Stelle Probleme, den Inhalten
zu folgen. Das Buch ist also auch für kosmologisch interessierte Laien geeignet.
Man wird nach meinem Empfinden als Leser nicht überfordert, zumal sich auch
viele hilfreiche Abbildungen im Text finden (insgesamt 87 Abbildungen, teils in
Farbe!), die das Gelesene teilweise noch einmal nachvollziehbar
veranschaulichen. Auch sogenannte „Zwischenstopp-Kapitel“, in denen die Autoren
das vermittelte Wissen noch einmal kompakt zusammenfassen, sind hilfreich, um
nicht den Überblick zu verlieren. Kurzum: Das gesamte Buch ist lebendig,
abwechslungsreich und in einem anschaulichen und verständlichen Stil verfasst.
Es liest sich stellenweise spannend wie ein Krimi. Es gibt keine sperrigen
Textstellen. So macht das Lesen komplexer Wissenschaft Spaß! Ich gebe 5 Sterne!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen