Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 17. Oktober 2023

Lesch Harald, Cecilia Scorza-Lesch und Arndt Latusseck - Die Entdeckung der Milchstraße




5 von 5 Sternen



Ein spannender Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie


Das Sachbuch „Die Entdeckung der Milchstraße“ von Arndt Latußeck, Harald Lesch und Cecilia Scorza-Lesch ist ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie. Thematisch geht es um die Geschichte der Erforschung unserer Milchstraße. Wie ist sie entstanden? Wie hat sie sich entwickelt? Warum sieht sie heute so aus, wie sie aussieht? Das Buch lässt sich in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil werden in lebendig geschriebenen biographischen Skizzen historisch bedeutende Forscher:innen der letzten 250 Jahre vorgestellt. Forscher:innen, die einen großen Beitrag zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben. Im zweiten Teil des Buchs sind die Kapitel dann thematisch sortiert. Durch die Radioteleskopie und die Messung der Infrarotstrahlung gab es gewaltige Erkenntnisfortschritte, die das gesamte Forschungsgebiet der Astronomie dahingehend verändert haben, dass nicht mehr nur einzelne wichtige Forscher:innen herausgehoben werden können. Das gesamt Forschungsgebiet wurde stattdessen zunehmend komplexer und vielschichtiger.

 

Im ersten Teil des Buchs geht es also um die Geschichte der Forscher:innen, die das Rätsel der Milchstraße in den letzten 250 Jahren zu enthüllen versuchten. Die Autoren verdeutlichen, dass die Menschheit sich immer wieder die Frage gestellt hat, was es mit den Sternen eigentlich auf sich hat. Die Himmelsbeobachtung habe für die Menschheitsgeschichte schon immer eine alltagsrelevante Bedeutung gehabt, z.B. für die frühen Formen der Landwirtschaft. Und einige besondere Menschen hätten mit ihrer Erforschung des Himmels den Erkenntnisfortschritt wesentlich vorangebracht. In kurzen Porträts werden diese historischen Persönlichkeiten und ihre Leistungen den Leser:innen vorgestellt. Einen besonderen Stellenwert nimmt sicherlich Edwin Hubble ein. Mit ihm beginnt die extragalaktische Astronomie. Eine wichtige Zäsur der Forschungsgeschichte!

 

Den Anfang macht Wilhelm Herschel, der die Milchstraße mit seinen selbst gebauten Teleskopen durchforstete. Mit einer unglaublichen Besessenheit entwickelt er eigene Spiegelteleskope, für die er die Spiegel sogar selbst herstellt. Seine große Leistung: Die Entdeckung des Planeten Uranus. Später entdeckt er zusammen mit seiner Schwester mehr als 2500 neue Sternhaufen und Nebelflecken. Er legt auch den ersten Grundstein für die stellare Statistik, eine Methode, die bis heute angewendet wird. Und Herschel und seine Schwester vollbringen noch viele weitere Leistungen, von denen die Autoren berichten.

 

In einem weiteren Kapitel wird Friedrich Wilhelm Bessel vorgestellt. Er widmete sich u.a. den Problemen der Bahnberechnung von Kometen. Zudem wollte er der erste sein, der Messungen von Sternparallaxen anstellt. Weitere Forscher:innen, die in interessant ausgearbeiteten Skizzen mit ihren Leistungen präsentiert werden, sind die folgenden: Jacobus Kapteyn, Henrietta Leavitt, Heber Doust Curtis und Harlow Shapley, Edwin Hubble, Jan Oort, Edward Barnard, Arthur Eddington, Robert Trümpler, William Morgan und Barton Bok.

 

Was den Autoren in meinen Augen gut gelingt, ist es, den Forscherdrang und die Leidenschaft der verschiedenen Forscher:innen herauszuarbeiten. Auch wird anhand der biographischen Skizzen deutlich, dass die Lebensläufe nicht immer ohne Krisen und Brüche verlaufen. Und es zeigt sich auch, was Wissenschaft ausmacht: ständiges verifizieren und falsifizieren von Forschungsergebnissen. Immer wieder müssen bestehende Meinungen angesichts neuer Beobachtungen revidiert und geändert werden. Ein stetiger Prozess der Weiterentwicklung. Spannend! Auch interessant: Oft sind es Amateurwissenschaftler, die mit ihrer Besessenheit erstaunliche neue Erkenntnisse zu Tage fördern.

 

Nach den biographischen Skizzen findet man lesenswerte thematisch sortierte Kapitel. So geht es z.B. um die Frage, wie es um die innere Struktur der Milchstraße bestellt ist. Weitere Fragestellungen: Warum weist unsere Galaxie eine spiralförmige Struktur auf? Was weiß man heute über den Aufbau der Milchstraße? Und was befindet sich in ihrem Zentrum? Wie ist unsere Galaxie entstanden und wie hat sie sich entwickelt? Wie wird sie sich in Zukunft noch verändern? Doch auch in diesem Zusammenhang wird immer wieder auf wichtige Forschungsarbeiten und relevante Forscher:innen verwiesen (wenn auch nicht immer chronologisch). Es wird gut deutlich, dass die beobachtende Astronomie mit ihrer Beobachtung des sichtbaren Lichts irgendwann an ihre Grenzen stößt. Neue Methoden müssen her. Mit der Radioastronomie wird ein gänzlich neues Kapitel in der Forschung aufgeschlagen. Und die Auswertung der Infrarotstrahlung sorgt noch einmal für einen Schub. Fortan verzweigt sich die Wissenschaft immer weiter. Es entsteht sogar eine Art archäologische Astronomie, die mit Hilfe von Computermodellen Kollisionen und Verschmelzung unserer Galaxie mit anderen Galaxien rekonstruieren kann. Es entstehen zahlreiche neue Forschungsfelder. Die Bedeutung einzelner Forscher wird abgelöst durch Forschungsteams, die sich Arbeiten aufteilen und gemeinsam an Fragen forschen. Auch die Menge an auszuwertenden Daten nimmt immer weiter zu. Es wird klar, dass sich das Gesicht der Forschung im Laufe der Zeit völlig verändert hat. Und der Erkenntnisfortschritt geht einher mit dem technischen Fortschritt. Und für mich war während der Lektüre doch erstaunlich, was man heute schon alles über unsere Heimatgalaxie weiß, auch wenn natürlich noch viele, viele Fragen offen bleiben.

 

Aufschlussreich ist dieses Buch sicherlich für alle diejenigen, die am Prozess des Zustandekommens wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert sind. Den Autoren gelingt es sehr gut, einen roten Faden der Erkenntnisfortschritte nachzuzeichnen. Es wird gut deutlich, wie die verschiedenen Erkenntnisse der einzelnen Forscher:innen aufeinander aufbauen und sich gegenseitig befruchten. Nachfolger greifen auf Ergebnisse von Vorgängern zurück und entwickeln sie weiter, um schließlich neue Entdeckungen anzustellen. So funktioniert Wissenschaft. Faszinierend zu lesen. Mit der Zeit wird das Bild des Kosmos immer differenzierter. Und im Zuge des Erkenntnisgewinns wird auch immer klarer, wie gewaltig die Ausdehnung des Universums sein muss. Die Durchmessung des Raums wird immer differenzierter und präziser. Die Kenntnisse über physikalische Gesetzmäßigkeiten nehmen immer weiter zu. Es entstehen immer neue Theorien. Es wird immer komplexer, immer neue Fragen werden aufgeworfen. Kontroversen in der Forschungsgemeinschaft entstehen, die teils erbittert geführt werden. Das alles wird ansprechend und nachvollziehbar von den Autoren nachgezeichnet.

 

Die Porträts lesen sich allesamt äußerst lebendig und spannend. Es ist keine trockene Geschichte, die dargeboten wird, sondern es wird ein faszinierender Blick in die Vergangenheit eröffnet. Und auch die thematisch sortieren Kapitel sind verständlich verfasst. Ich hatte an keiner Stelle Probleme, den Inhalten zu folgen. Das Buch ist also auch für kosmologisch interessierte Laien geeignet. Man wird nach meinem Empfinden als Leser nicht überfordert, zumal sich auch viele hilfreiche Abbildungen im Text finden (insgesamt 87 Abbildungen, teils in Farbe!), die das Gelesene teilweise noch einmal nachvollziehbar veranschaulichen. Auch sogenannte „Zwischenstopp-Kapitel“, in denen die Autoren das vermittelte Wissen noch einmal kompakt zusammenfassen, sind hilfreich, um nicht den Überblick zu verlieren. Kurzum: Das gesamte Buch ist lebendig, abwechslungsreich und in einem anschaulichen und verständlichen Stil verfasst. Es liest sich stellenweise spannend wie ein Krimi. Es gibt keine sperrigen Textstellen. So macht das Lesen komplexer Wissenschaft Spaß! Ich gebe 5 Sterne!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen