Dunkle Familiengeheimnisse
Nach
einem halben Jahr Suspendierung erhält die Pflegerin Kit McDeere eine neue
Chance: Sie soll die 71-jährige Klientin Lenora Hope pflegen, die einst als
junges Mädchen beschuldigt wurde, ihre gesamte Familie umgebracht zu haben (im
Jahr 1929), auch wenn ihre Schuld nie bewiesen worden ist. Aus Geldknappheit
und Mangel an Alternativen sagt Kit zu, hat allerdings kein gutes Gefühl dabei.
Darum geht es in dem Thriller „Hope’s End“ von Riley Sager. Und im Wesentlichen
geht es inhaltlich um das Aufdecken des Familiengeheimnisses von 1929. Was ist
an dem Tag wirklich passiert? Was sind die Hintergründe der Tat? Ist Lenora
wirklich schuldig?
Die
Geschichte wird auf zwei Zeitebenen präsentiert. Auf der Gegenwartsebene geht
es um die hoch betagte Lenora, die physisch stark eingeschränkt ist, aber noch
mit Hilfe einer Schreibmaschine mit ihrer Umwelt kommunizieren kann. Und auf
der Vergangenheitsebene geht es um von Lenora verfasste Aufzeichnungen, in
denen sie die Zeit um die Tat herum genauer schildert. Handelt es sich etwas um
ein spätes Schuldeingeständnis?
Lenora ist die letzte Überlebende eines Gewaltverbrechens. Man konnte ihr zwar nie eine Schuld an der Tat nachweisen, doch in der Stadt war ihr Ruf dennoch zerstört. Die Leute tratschten über sie und Lenora führt seitdem ein zurückgezogenes Leben in ihrem Anwesen auf der Steilküste, das ihr Vater einst erwirtschaftet hat. Kit hingegen stammt aus tristen, ärmlichen Verhältnissen. Sie hat einen Behandlungsfehler begangen und ist daraufhin suspendiert worden. Die Beziehung zu ihrem Vater ist gestört.
Wir
haben also interessante Zutaten in diesem Thriller: einen unterschiedlichen
sozialen Hintergrund der Figuren, eine hoch betagte Patientin mit einem dunklen
Geheimnis und nicht zuletzt einen abgeschiedenen Handlungsort mit
undurchschaubarem Hauspersonal. Eine Mischung, die anfangs für genügend
Spannung und Neugier sorgt. Zu Beginn schafft der Autor es, immer wieder neue
Fragen im Kopf der Leser:innen entstehen zu lassen, die zum Weiterlesen
animieren (z.B. auch die Frage, was aus Kits Vorgängerin geworden ist: der
Pflegerin Mary). Ich habe mich oft während der Lektüre gefragt, was Lenora zu
berichten hat und warum sie erst jetzt damit herausrückt. Und warum ist gerade
Kit die Auserwählte, der sie alles berichtet? Die Spannung war nach meinem
Empfinden eingangs stark ausgeprägt. Und die handelnden Figuren sind reizvoll
ausgearbeitet, d.h. mit Profil, Eigenheiten und Wiedererkennungswert.
Im
weiteren Handlungsverlauf hat mich das Buch dann aber leider zunehmend
verloren. Das lag an mehreren Dingen. Zum einen hat mich der Aspekt des
Übersinnlichen, der stellenweise durchklang nicht überzeugt. So etwas mag ich nicht.
Mich erreicht ein solcher Gruselfaktor nicht. Zum anderen werden nach und nach immer
mehr Familiengeheimnisse gelüftet. Und passagenweise erschien mir der
Spannungsbogen dann auch einmal zu sehr in die Länge gezogen (vor allem auf der
Ebene der gegenwärtigen Handlung). Ich tue mich auch schwer damit, dieses Buch
als Thriller durchgehen zu lassen. Ich würde eher allgemein von
Spannungsliteratur sprechen. Mir fehlten „Thrill-Elemente“, v.a. die
klassischen Wendungen, Überraschungen und Wow-Effekte. Es wird stattdessen eher
eine dunkle Familiengeschichte erzählt, die zunehmend abgedrehter wird. Was
mich auch irritiert hat: Warum geben so viele Figuren Kit bereitwillig darüber
Auskunft, was in der Nacht von 1929 passiert ist? Auch das Ende hat mich nicht
überzeugt. Vieles hat mich stutzig gemacht, es war nicht alles plausibel (eine
Parallele zum Vorgängerbuch „Night“). Ich empfand es als zu überdreht und zu
überladen. Schade! Ich komme auf drei Sterne!
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