Manipulationstechniken erkennen und abwehren
Das
Sachbuch mit dem etwas reißerischen Titel „Shitmoves“ von Iris Gavric und
Matthias Renger thematisiert rhetorische Tricks der Kommunikation im
menschlichen Miteinander. Ziel dieser Tricks ist es, andere beim Disput zu
diskreditieren und ihre Argumente auszuhebeln. Das Buch soll dazu befähigen,
solche Tricks zu erkennen und Wissen dazu vermitteln, wie man sich bei solch
unsauberer Kommunikation behaupten kann. Der Erzählton ist durchgängig locker
und unterhaltsam. Man findet viele auflockernde direkte Leser:innenansprachen. Es
liest sich sehr eingängig.
Ich
werde in dieser Rezension nur wenige rhetorische Tricks erläutern, um einen
ersten Eindruck vom Inhalt zu vermitteln. Es ist nicht mein Anliegen, hier
jeden Move vollständig darzustellen. Das würde den Umfang des vorliegenden
Textes sprengen. Und ich möchte den Begriff „Shitmove“ auch gern meiden und
greife stattdessen lieber auf „rhetorischer Trick“ oder „Manipulationstechnik“ zurück,
die mir passender und weniger reißerisch erscheinen.
Der
erste rhetorische Trick, der behandelt wird, ist der sog. „Diss-Move“. Er wird
an einem Beispiel eines Wortgefechts zwischen Thomas Gottschalk und Götz George
anschaulich und nachvollziehbar erläutert. Der „Diss-Move“ ist ein persönlicher
Angriff, bei dem die Identität des Gegenübers direkt angegriffen wird. Vor
allem ein gekränktes Ego sehen die Autoren als Auslöser für die Anwendung
dieses rhetorischen Tricks. Und diese Technik habe eine vernichtende Wirkung.
Der Angesprochene fühle sich massiv verletzt und verunsichert. Als Reaktion auf
diesen Trick empfehlen die Autoren, gelassen zu bleiben und nach dem Grund des
persönlichen Angriffs zu fragen („Warum greifst du mich an? Was ist dein
eigentliches Problem?“). Man solle nicht den Fehler begehen, selbst persönlich
zu werden.
Eine
weitere Technik, die häufig zum Einsatz kommt, ist der sog. „implizite Angriff“,
bei dem man sich oft auf Sarkasmus beruft und das Hintertürchen auflässt, vom
Gegenüber missverstanden worden zu sein. Dem „impliziten Angriff“ empfehlen die
Autoren stets mit Klarheit zu begegnen. Man könne den Angreifer fragen, was er
bzw. sie denn genau meine. Weitere Manipulationstechniken, die im Buch
vorgestellt werden, sind u.a. die folgenden: Der als Kompliment getarnte Angriff,
der Opfer-Trick, das Aufbauen einer Drohkulisse oder das Entweder-Oder-Prinzip
etc.
Was
mir grundsätzlich gefällt, ist, dass die Autoren jede Manipulationstechnik an
einem konkreten Beispiel anschaulich und nachvollziehbar erläutern (oft aus den
Bereichen „Werbung“, „Politik“ oder „öffentliches Leben“) und auch mögliche Reaktionen
aufzeigen, wie man den rhetorischen Tricks begegnen kann. Das ist äußerst hilfreich
und es sensibilisiert überhaupt erst für solche Techniken! Der Anhang macht es
sogar möglich, die Beispiele noch einmal selbst zu recherchieren. Die Autoren
geben Links zu den entsprechenden Videos bei youtube an. Oft ging es mir bei
der Lektüre so, dass mir anhand des Geschilderten auch Beispiele aus der
eigenen Erfahrung in den Sinn kamen. Zwar haben mich die Ausführungen zu
möglichen Verteidigungsstrategien auf manipulative Angriffe nicht durchweg
überzeugt, aber oft bieten sie eine erste Orientierungsmöglichkeit. Ebenfalls
gelungen ist die Übersicht, die nach der Darlegung jedes Tricks noch einmal als
Zusammenfassung dargeboten wird. Das erleichtert die Orientierung und wirkt
zudem sehr übersichtlich.
Was
ich sehr wichtig und gut finde, ist, dass die Autoren darauf hinweisen, dass
viele dieser Tricks unbewusst angewendet werden, oft auch als
Verteidigungsstrategie (das hätten Gavric und Renger in meinen Augen sogar noch
häufiger erwähnen können). Schließlich kann man nicht jeden Versuch des
Einsatzes einer Manipulationstechnik als bewusst eingesetztes Mittel interpretieren.
Ich finde es schwierig, dem Gegenüber zu unterstellen, dass er anderen stets
bewusst manipulativ begegnet. Wo kommen wir hin, wenn wir dem
Kommunikationspartner direkt eine böse Absicht unterstellen? Sollte man etwa wirklich
jede Äußerung auf die „rhetorische Goldwaage“ legen? Wenn wir beginnen, der
Gegenseite stets schlechte Intentionen zu unterstellen, so wird der zwischenmenschliche
Umgang miteinander immer komplizierter werden. Ein reibungsloses gemeinsames
Miteinander ist dann kaum noch möglich. Wie will man z.B. aufrichtig und ernst
gemeinte Komplimente von solchen unterscheiden, die jemand in der Kommunikation
unehrlich als rhetorischen Trick einsetzt? Ist es nicht der einfachste Weg, den
Interaktionspartner zunächst einmal zu fragen, wie er seine Äußerung gemeint
haben könnte, bevor man etwas missversteht oder als Manipulationsversuch
auslegt?
Es
handelt sich in meinen Augen um ein äußerst lehrreiches Buch, das Manipulationstechniken
sehr anschaulich und nachvollziehbar bewusst macht und einen möglichen Umgang
damit aufzeigt. Nach der Lektüre ist man in der Lage, entsprechende rhetorische
Tricks zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Trotzdem sollte man
vorsichtig damit sein, seinem Kommunikationspartner stets manipulative Intentionen
zu unterstellen (siehe meine Ausführungen oben). Gefahr dieses Buchs: Man
begegnet seinen Mitmenschen nach der Lektüre mit mehr Misstrauen und
unterstellt ihnen mehr böse Absichten. Dessen sollte man sich ebenfalls bewusst
sein. Und ich hätte es hilfreich gefunden, wenn die Autoren noch deutlich mehr
Bezüge zur Argumentationstheorie und zur Analyse von Argumentationsstrukturen hergestellt
hätten. Das ein oder andere Nachschlagewerk als Tipp zur weiterführenden
Lektüre hätte ich passend gefunden. Die Autoren geben im Text hin und wieder zu
erkennen, dass sie in der antiken Rhetorik bewandert sind, und sie übertragen
dieses Wissen über die Antike auf moderne Kontexte. Das finde ich sehr
gelungen. Aber ein Literaturverzeichnis fehlt mir leider! Von mir gibt es 4
Sterne.
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