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Donnerstag, 26. Oktober 2023

Gruber, Andreas - Der Judas-Schrein






Ein phantastischer Kriminalroman


Der Polizist Körner, der einen Einsatz vermasselt hat und kurz vor der Suspendierung steht, wird an einen Einsatzort in seiner alten Heimat geschickt. In dem Dorf, wo er aufgewachsen ist, aber schon seit 27 Jahren nicht mehr war, ist ein Mord passiert, den es aufzuklären gilt. Körner nimmt den Auftrag nur widerwillig an. Das Opfer ist schrecklich entstellt und gerade einmal 14 Jahre alt. Und die Bewohner des Dorfes scheinen ein dunkles Geheimnis zu hüten, das weit in die Vergangenheit reicht. Darum geht es in dem phantastischen Krimi „Der Judas-Schrein“ von Andreas Gruber.

 

Die Atmosphäre ist sehr düster und bedrohlich. Durch das drohende Hochwasser wird die Dramatik zusätzlich forciert. Und wie man es von dem Autor aus anderen Büchern gewohnt ist, überzeugt die Charakterzeichnung auf Anhieb. Die Figuren erhalten allesamt ein klares Profil. V.a. Körner ist ein interessanter Typ. Auch der Handlungsort ist gut gewählt. Das Dorf, in dem Körner mit seinem Team ermittelt, wirkt äußerst trostlos und mysteriös. Die Handlung gleicht zu Beginn einem normalen Krimi. Tatortsicherung, Ermittlungsarbeit, Zeugenbefragung, Einblicke in das Privatleben von Körner. Und abweisende Dorfbewohner, die etwas zu verbergen scheinen. Die phantastischen Elemente tauchen erst später auf, als es um die Enträtselung der Todesursache des Mädchens geht. Etwas Unerklärliches muss passiert sein.

 

In eingeschobenen Rückblickskapiteln werden weitere Perspektiven eröffnet, die die Handlung weiter verrätseln. Wir erhalten Einblick in Bergbauarbeiten von 1937, bei denen die Männer auf etwas Ungewöhnliches stoßen. Was mag es damit auf sich haben? Und hat es etwas mit dem Fall in der Gegenwart zu tun? Darüber hinaus stößt Körner bei seinen Recherchen auf Unterlagen aus dem Jahr 1864. Wie hängen die Unterlagen, das Grubenunglück und der gegenwärtige Fall zusammen? Das ist eine zentrale Frage, die man sich während der Lektüre stellt.


Der Autor setzt geschickt immer wieder neue spannungserregende Impulse und hält so die Neugier der Leser:innen sowie die Spannungskurve aufrecht. Ich hätte mir lediglich noch ein höheres Tempo gewünscht. Einige Darstellungen gerieten mir doch etwas zu weitschweifig. Letztlich ist das Buch vor allem etwas für Leser:innen, die sich mit phantastischen Elementen in einem Krimi arrangieren können. Wer z.B. die Serie „Akte X“ mochte, der wird auch hier auf seine Kosten kommen. Es ist auf jeden Fall einmal etwas anderes. Vom Spannungsniveau kann der Roman in meinen Augen aber nicht mit „Das Eulentor“ mithalten. 

Freitag, 20. Oktober 2023

Gruber, Andreas - Die letzte Fahrt der Enora Time






Science-Fiction von Andreas Gruber


Der Erzählband „Die letzte Fahrt der Enora Time“ von Andreas Gruber enthält 11 Science-Fiction-Kurzgeschichten, er stammt ursprünglich aus dem Jahr 2001 und erhielt damals u.a. den Deutschen-Phantastik-Preis. Er war lange vergriffen, wurde dann aber noch einmal vom Autor überarbeitet und im Luzifer-Verlag 2018 neu veröffentlicht.

 

Die Geschichten stellen eine große Bandbreite an Themen dar. Es gibt Geschichten, die eher in Form von „near-future-Science-Fiction“ daherkommen, aber auch solche Erzählungen, die man als epische „space-opera“ ansehen kann (wenn auch in verknappter Form). Es gibt Science-Fiction, die sich dem Thema „KI“ widmet, die auf der Erde, in extraterrestrischen Welten oder aber auch auf Raumschiffen spielt. Auch düstere Dystopien kommen vor. Kurzum: Für jede:n Leser:in wird wohl etwas dabei sein, das ihn:sie interessiert. Und was das Schöne an Kurzgeschichten ist: Man ist immer sofort mittendrin. Es gibt keine lange Einleitung, als Leser:in befindet man sich sofort in der Mitte des Geschehens.

 

Was mir auch gut gefallen hat: Gruber schreibt zu jeder Kurzgeschichte ein knappes Vorwort, in dem er Autobiographisches preisgibt. So berichtet er u.a. auch von schriftstellerischen Erfahrungen oder gibt Einblicke in seinen kreativen Schaffensprozess. Wir lernen seine Vorlieben kennen oder das, was ihn geprägt oder während des Schreibens beschäftigt hat. Sehr lesenswert! So erhält jede Erzählung zugleich auch noch eine persönliche Note des Autors.

 

In der ersten Geschichte mit dem Titel „Ecke 57th Street“ geht es z.B. um das Thema einer Mensch-Maschine-Transformation, in „Duell mit dem Mintauer“ wird auf einem fremden Planeten russisch Roulette gespielt. Weitere (teils auch phantastische) Inhalte: Ein Mann landet in einem mysteriösen Hotel, in dem verschiedenen Dimensionen zu verschmelzen scheinen („Das Motel“). Ein Raumschiff entwickelt ein Bewusstsein und macht sich selbstständig („Rendezvous“). Ein Jude möchte kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein Aktiengeschäft rückgängig machen, um mit seiner Familie aus Deutschland zu fliehen. Dafür greift dafür in den Ablauf der Zeit ein. Diese Geschichte mit dem Titel „Zeitreise Inc. – Wir korrigieren alles“ hat mir am besten gefallen.

 

Eine weitere Erzählung, die mir ebenfalls sehr gut gefallen hat, nennt sich „Das Planspiel“. Darin geht es um einen allwissenden Obdachlosen, bei dem man rätselt, was es damit auf sich hat. Ebenfalls lesenswert: Eine phantastische Liebegeschichte, in der die Angebetete nicht altert („Joyce“).

 

Letztlich handelt es sich um eine Sammlung, die eine große erzählerische Bandbreite offenbart. Zwar haben mir thematisch nicht alle Erzählungen zugesagt, aber einige Highlights konnte ich ausfindig machen („Zeitreise Inc.“, „Das Planspiel“ und „Joyce“). Andreas Gruber kann nicht nur Krimis/Thriller, er kann auch Science-Fiction. Nach der Lektüre würde ich mir regelrecht wünschen, dass der Autor auch einmal einen längeren Science-Fiction-Roman schreibt. Ideen dafür scheint er genug zu haben. Und einen angenehmen Schreibstil hat er auch. Insbesondere seine Figurenzeichnung lässt klare Konturen erkennen.


Mittwoch, 18. Oktober 2023

Zeh, Juli - Adler und Engel




3 von 5 Sternen



Durchwachsenes Debut von Juli Zeh


Max ist am Boden zerstört und befindet sich in einer tiefen Krise. Während eines Telefonats hat sich seine Freundin Jessie selbst umgebracht. Max wirft seinen Job als gut bezahlter Jurist hin. Einzige Ansprechpartnerin für ihn ist Clara, eine Radiomoderatorin, die sich (aus selbstsüchtigen Gründen) für den Fall interessiert. Sie will den Suizid und seine Folgen für Max im Rahmen ihrer Diplomarbeit behandeln. Darum geht es in dem Debutroman „Adler und Engel“ von Juli Zeh. Ein Werk mit einem deprimierenden Grundton.

 

Max konsumiert Kokain, irrt nachts durch die Straßen. Sein Verhalten ist höchst selbstzerstörerisch. Gegenüber Clara schildert er seine Beziehung zu Jessie. Er fertigt Tonbandaufnahmen an und blickt zurück in die schmerzhafte Vergangenheit. Max berichtet z.B., wie er Jessie im Internat kennen gelernt hat und beschreibt ihre gegenseitigen Annäherungen. Und Jessie ist kein Unschuldslamm, ihr Vater ist kriminell, sie dealt mit Drogen. Erst durch sie wird Max in den Drogensumpf hineingezogen. Und die Beziehung zu ihr verläuft alles andere als einfach. Mit seinem attraktiven Mitbewohner Shershah hat Max starke Konkurrenz. Und die Dreiecksbeziehung sorgt für Unfrieden.

 

Auf mich wirkte Max sehr leidensfähig und gleichzeitig blauäugig, Jessie macht die ganze Zeit einen sehr unnahbaren Eindruck. Es ist keine harmonische Liebesbeziehung zwischen den beiden. Sie leben unbedarft zusammen, der Konsum und der Verkauf von Drogen macht ihnen nichts aus. Trotz seiner Drogenprobleme wird Max später ein erfolgreicher Jurist mit großem Improvisationstalent. Doch Jessie vereinsamt. Max ist selten zu Hause. Noch dazu steigert sie sich in Ängste hinein, sie wirkt ab einem gewissen Zeitpunkt regelrecht psychotisch.

 

Beim Lesen hat die Schilderung der vergangenen Handlung den größeren Reiz auf mich ausgeübt, weniger die Darstellung der gegenwärtigen Handlung um Clara. Mich hat vor allem interessiert, zu erfahren, was Jessie zu ihrem Suizid veranlasst hat und ob Max aus seinem Loch herausfindet. Kann er sich selbst therapieren, wenn er mit Clara die Vergangenheit aufarbeitet? Wie entwickelt sich die Dreiecksbeziehung zwischen Max, Jessie und Shershah weiter? Diese Fragen erregten bei mir Neugier und bewegten mich zum Weiterlesen.

 

Es gab allerdings auch Aspekte an dem Roman, die mir nicht so zugesagt haben. Die Dialogführung z.B. konnte mich oft nicht so recht überzeugen. Die Gespräche zwischen den Figuren wirkten auf mich an vielen Stellen unnatürlich, künstlich. Im letzten Drittel wurde mir der Inhalt des Buchs zu unwirklich und verschwommen, zu wenig greifbar. Das Gelesene erreichte mich nicht mehr richtig, meine Neugier nahm ab. Aber das mag anderen Leser:innen anders ergehen.

 

Das Buch ist sicherlich für solche Leser:innen geeignet, die sich für die Schilderung einer problematischen, krisenhaften Beziehung zwischen zwei gebrochenen Charakteren interessieren, die eine Abwärtsspirale durchlaufen. Es ist kein Buch, das für gute Laune sorgt. Der Inhalt kann sicherlich von einigen als belastend empfunden werden, vor allem was das selbstzerstörerische Verhalten der Figuren angeht. Darauf sollte man sich also einstellen. Von mir gibt es 3 Sterne.


Dienstag, 17. Oktober 2023

Lesch Harald, Cecilia Scorza-Lesch und Arndt Latusseck - Die Entdeckung der Milchstraße




5 von 5 Sternen



Ein spannender Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie


Das Sachbuch „Die Entdeckung der Milchstraße“ von Arndt Latußeck, Harald Lesch und Cecilia Scorza-Lesch ist ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie. Thematisch geht es um die Geschichte der Erforschung unserer Milchstraße. Wie ist sie entstanden? Wie hat sie sich entwickelt? Warum sieht sie heute so aus, wie sie aussieht? Das Buch lässt sich in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil werden in lebendig geschriebenen biographischen Skizzen historisch bedeutende Forscher:innen der letzten 250 Jahre vorgestellt. Forscher:innen, die einen großen Beitrag zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben. Im zweiten Teil des Buchs sind die Kapitel dann thematisch sortiert. Durch die Radioteleskopie und die Messung der Infrarotstrahlung gab es gewaltige Erkenntnisfortschritte, die das gesamte Forschungsgebiet der Astronomie dahingehend verändert haben, dass nicht mehr nur einzelne wichtige Forscher:innen herausgehoben werden können. Das gesamt Forschungsgebiet wurde stattdessen zunehmend komplexer und vielschichtiger.

 

Im ersten Teil des Buchs geht es also um die Geschichte der Forscher:innen, die das Rätsel der Milchstraße in den letzten 250 Jahren zu enthüllen versuchten. Die Autoren verdeutlichen, dass die Menschheit sich immer wieder die Frage gestellt hat, was es mit den Sternen eigentlich auf sich hat. Die Himmelsbeobachtung habe für die Menschheitsgeschichte schon immer eine alltagsrelevante Bedeutung gehabt, z.B. für die frühen Formen der Landwirtschaft. Und einige besondere Menschen hätten mit ihrer Erforschung des Himmels den Erkenntnisfortschritt wesentlich vorangebracht. In kurzen Porträts werden diese historischen Persönlichkeiten und ihre Leistungen den Leser:innen vorgestellt. Einen besonderen Stellenwert nimmt sicherlich Edwin Hubble ein. Mit ihm beginnt die extragalaktische Astronomie. Eine wichtige Zäsur der Forschungsgeschichte!

 

Den Anfang macht Wilhelm Herschel, der die Milchstraße mit seinen selbst gebauten Teleskopen durchforstete. Mit einer unglaublichen Besessenheit entwickelt er eigene Spiegelteleskope, für die er die Spiegel sogar selbst herstellt. Seine große Leistung: Die Entdeckung des Planeten Uranus. Später entdeckt er zusammen mit seiner Schwester mehr als 2500 neue Sternhaufen und Nebelflecken. Er legt auch den ersten Grundstein für die stellare Statistik, eine Methode, die bis heute angewendet wird. Und Herschel und seine Schwester vollbringen noch viele weitere Leistungen, von denen die Autoren berichten.

 

In einem weiteren Kapitel wird Friedrich Wilhelm Bessel vorgestellt. Er widmete sich u.a. den Problemen der Bahnberechnung von Kometen. Zudem wollte er der erste sein, der Messungen von Sternparallaxen anstellt. Weitere Forscher:innen, die in interessant ausgearbeiteten Skizzen mit ihren Leistungen präsentiert werden, sind die folgenden: Jacobus Kapteyn, Henrietta Leavitt, Heber Doust Curtis und Harlow Shapley, Edwin Hubble, Jan Oort, Edward Barnard, Arthur Eddington, Robert Trümpler, William Morgan und Barton Bok.

 

Was den Autoren in meinen Augen gut gelingt, ist es, den Forscherdrang und die Leidenschaft der verschiedenen Forscher:innen herauszuarbeiten. Auch wird anhand der biographischen Skizzen deutlich, dass die Lebensläufe nicht immer ohne Krisen und Brüche verlaufen. Und es zeigt sich auch, was Wissenschaft ausmacht: ständiges verifizieren und falsifizieren von Forschungsergebnissen. Immer wieder müssen bestehende Meinungen angesichts neuer Beobachtungen revidiert und geändert werden. Ein stetiger Prozess der Weiterentwicklung. Spannend! Auch interessant: Oft sind es Amateurwissenschaftler, die mit ihrer Besessenheit erstaunliche neue Erkenntnisse zu Tage fördern.

 

Nach den biographischen Skizzen findet man lesenswerte thematisch sortierte Kapitel. So geht es z.B. um die Frage, wie es um die innere Struktur der Milchstraße bestellt ist. Weitere Fragestellungen: Warum weist unsere Galaxie eine spiralförmige Struktur auf? Was weiß man heute über den Aufbau der Milchstraße? Und was befindet sich in ihrem Zentrum? Wie ist unsere Galaxie entstanden und wie hat sie sich entwickelt? Wie wird sie sich in Zukunft noch verändern? Doch auch in diesem Zusammenhang wird immer wieder auf wichtige Forschungsarbeiten und relevante Forscher:innen verwiesen (wenn auch nicht immer chronologisch). Es wird gut deutlich, dass die beobachtende Astronomie mit ihrer Beobachtung des sichtbaren Lichts irgendwann an ihre Grenzen stößt. Neue Methoden müssen her. Mit der Radioastronomie wird ein gänzlich neues Kapitel in der Forschung aufgeschlagen. Und die Auswertung der Infrarotstrahlung sorgt noch einmal für einen Schub. Fortan verzweigt sich die Wissenschaft immer weiter. Es entsteht sogar eine Art archäologische Astronomie, die mit Hilfe von Computermodellen Kollisionen und Verschmelzung unserer Galaxie mit anderen Galaxien rekonstruieren kann. Es entstehen zahlreiche neue Forschungsfelder. Die Bedeutung einzelner Forscher wird abgelöst durch Forschungsteams, die sich Arbeiten aufteilen und gemeinsam an Fragen forschen. Auch die Menge an auszuwertenden Daten nimmt immer weiter zu. Es wird klar, dass sich das Gesicht der Forschung im Laufe der Zeit völlig verändert hat. Und der Erkenntnisfortschritt geht einher mit dem technischen Fortschritt. Und für mich war während der Lektüre doch erstaunlich, was man heute schon alles über unsere Heimatgalaxie weiß, auch wenn natürlich noch viele, viele Fragen offen bleiben.

 

Aufschlussreich ist dieses Buch sicherlich für alle diejenigen, die am Prozess des Zustandekommens wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert sind. Den Autoren gelingt es sehr gut, einen roten Faden der Erkenntnisfortschritte nachzuzeichnen. Es wird gut deutlich, wie die verschiedenen Erkenntnisse der einzelnen Forscher:innen aufeinander aufbauen und sich gegenseitig befruchten. Nachfolger greifen auf Ergebnisse von Vorgängern zurück und entwickeln sie weiter, um schließlich neue Entdeckungen anzustellen. So funktioniert Wissenschaft. Faszinierend zu lesen. Mit der Zeit wird das Bild des Kosmos immer differenzierter. Und im Zuge des Erkenntnisgewinns wird auch immer klarer, wie gewaltig die Ausdehnung des Universums sein muss. Die Durchmessung des Raums wird immer differenzierter und präziser. Die Kenntnisse über physikalische Gesetzmäßigkeiten nehmen immer weiter zu. Es entstehen immer neue Theorien. Es wird immer komplexer, immer neue Fragen werden aufgeworfen. Kontroversen in der Forschungsgemeinschaft entstehen, die teils erbittert geführt werden. Das alles wird ansprechend und nachvollziehbar von den Autoren nachgezeichnet.

 

Die Porträts lesen sich allesamt äußerst lebendig und spannend. Es ist keine trockene Geschichte, die dargeboten wird, sondern es wird ein faszinierender Blick in die Vergangenheit eröffnet. Und auch die thematisch sortieren Kapitel sind verständlich verfasst. Ich hatte an keiner Stelle Probleme, den Inhalten zu folgen. Das Buch ist also auch für kosmologisch interessierte Laien geeignet. Man wird nach meinem Empfinden als Leser nicht überfordert, zumal sich auch viele hilfreiche Abbildungen im Text finden (insgesamt 87 Abbildungen, teils in Farbe!), die das Gelesene teilweise noch einmal nachvollziehbar veranschaulichen. Auch sogenannte „Zwischenstopp-Kapitel“, in denen die Autoren das vermittelte Wissen noch einmal kompakt zusammenfassen, sind hilfreich, um nicht den Überblick zu verlieren. Kurzum: Das gesamte Buch ist lebendig, abwechslungsreich und in einem anschaulichen und verständlichen Stil verfasst. Es liest sich stellenweise spannend wie ein Krimi. Es gibt keine sperrigen Textstellen. So macht das Lesen komplexer Wissenschaft Spaß! Ich gebe 5 Sterne!

Sonntag, 15. Oktober 2023

Ryan, Anthony - Ein Fluss so rot und schwarz




4 von 5 Sternen


Military-Horror-Thriller


In seinem Military-Horror-Thriller „Ein Fluss so rot und schwarz“ macht Anthony Ryan viel richtig, um ein hohes Maß an Spannung zu erzeugen. Schon das Amnesie-Motiv zu Beginn erzeugt Interesse und Neugier. Man fragt sich, was es mit den Protagonisten auf sich hat, warum sie keine Erinnerung mehr besitzen. Wie geht es mit ihnen weiter? Nehmen sie an einem Experiment teil? Man wird als Leser:in direkt von der ersten Seite an mitgerissen und in die Handlung hineingezogen. Das hat mir richtig gut gefallen.

 

Die Protagonisten rätseln, was ihre Mission ist und wer sie sind. Insbesondere das erste Drittel des Romans fand ich unheimlich spannend, weil man als Leser:in (wie die Figuren) ständig auf der Suche nach Hintergrundinformationen ist. Man möchte mehr über die Mission bzw. das Experiment (oder das, was auch immer es ist) erfahren. Das ganze Setting hat verschiedene Assoziationen bei mir hervorgerufen, vor allem an solche Filme und Serien wie „Predator“, „Alien“ und „The walking dead“.

 

Thematisch geht es um das Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen. Inwieweit sind die Protagonisten bereit, unhinterfragt fremde Befehle auszuführen und sich unterzuordnen, auch wenn ihnen zentrale Informationen vorenthalten werden? Wie verhält man sich in einer solchen Situation? Auf welcher Grundlage trifft man dann Entscheidungen? Wie behauptet man sich, wenn man keine Erinnerungen mehr hat? Spannende Fragen, wie ich finde. Eines wird auf jeden Fall gut deutlich: Der Umgang der Figuren miteinander ist hart, schonungslos und schroff. Große Gefühlskälte ist spürbar. Das macht den Ernst der Lage gut spürbar.

 

Bei einem Buch mit einem solchen Setting, kommt es natürlich auch auf die Auflösung am Ende an. Es wird eine große Erwartungshaltung aufgebaut, weil man als Leser:in ja wissen will, was es nun mit dem Gedächtnisverlust und den anderen Hintergründen auf sich hat. Anthony Ryan muss die sehr anspruchsvolle Aufgabe erfüllen, die Leser:innen nicht zu enttäuschen. Ob das gelingt, das möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Das möge jede:r selbst herausfinden.

 

Trotzdem kann ich für dieses Buch keine 5 Sterne vergeben, und ich begründe gern warum: 1. Der Klappentext verrät für mich schon zu viel, das fand ich etwas schade. 2. Die Figurenzeichnung ist nicht sonderlich ausgefeilt. Die Charaktere kommen eher flach und eindimensional daher (wohl ein Preis, den man für das hohe Maß an Spannung bezahlen muss). 3. Die vielen spannungserregenden Impulse, die der Autor setzt, gleichen sich im weiteren Handlungsverlauf zu sehr. Mehr Abwechslung wäre hier gut gewesen. 4. Auch habe ich überraschende Wendungen vermisst.

 

Für wen ist das Buch geeignet? In meinen Augen ist es v.a. für solche Leser:innen empfehlenswert, die auf geradlinig erzählte actionreiche Military-Horror-Inhalte stehen, die ohne viel Schnick Schnack daherkommt. Die Handlung stagniert nicht und wird sauber mit hohem Tempo vorangetrieben. Es passiert ständig etwas Neues. Potentielle Leser:innen sollten aber nicht zu anspruchsvoll sein, was die Figurenzeichnung betrifft. Von mir gibt es 4 Sterne, vor allem weil die Spannung stark ausgeprägt ist.

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Kuhlmann, Torben - Die graue Stadt




5 von 5 Sternen




Ein Plädoyer für Vielfalt und Eigensinn


Für jüngere Kinder ist ein Kinderbuch ohne Illustrationen kein gutes Kinderbuch. Inhalt und Bilder gehen stets „Hand in Hand“. Nun gibt es Kinderbücher mit einer schönen Geschichte, in denen die Illustrationen mal mehr oder weniger gelungen sind. Oder es gibt Kinderbücher mit wunderschönen Illustrationen, in denen aber die Geschichte, die erzählt wird, zu wünschen übrig lässt. Ganz selten gibt es Kinderbücher, in denen sowohl Illustrationen als auch die dazugehörige erzählte Geschichte vollkommen überzeugen. Besonders dann, wenn Text und Bild miteinander eng verzahnt sind. Nach meinem Dafürhalten sind die Kinderbücher von Torben Kuhlmann ein Beispiel für Kinderbücher, in denen Inhalt und Illustrationen gleichermaßen gelungen sind. Die Zeichnungen laden zum längeren und mehrfachen Betrachten ein, weisen viele zu entdeckende Details auf und sind sehr facettenreich gestaltet worden. Auch passen sie wunderbar zum Erzählten. Es gibt viele schöne perspektivische Darstellungen, einige Bilder wirken geradezu fotorealistisch. Kuhlmanns Zeichenstil ist nach meinem Empfinden unverkennbar. Mit seinen Mäuseabenteuern („Lindbergh“, „Edison“, „Armstrong“ und „Einstein“) und seinem neuen Buch „Die graue Stadt“ hat der Autor in meinen Augen großartige kunstvolle Werke erschaffen. Es sind Bücher, die man sich ins Regal stellt, die man immer einmal wieder hervorholt und anschaut.

 

In seinem neuesten Werk „Die graue Stadt“ weckt der Inhalt beim Nachwuchs Interesse und Neugier. Vor allem die gewählte Farbmetapher finde ich sehr gelungen und auch für Kinder verständlich vermittelt. Robin zieht um und lebt fortan in einer neuen Stadt, in der grauen Stadt. Sie hebt sich von der grauen Masse durch ihren gelben Regenmantel ab. Sie liebt Farben, malt bunte Bilder und passt sich nicht ihrer grauen Umgebung an. In der Stadt sucht sie nach Buntheit, ordnet sich nicht der schulischen Disziplin unter. Mit der Zeit entdeckt sie weitere bunte Orte, an denen sich Kreativität und Kunst entfalten. Wie treffend! Ein Plädoyer für Vielfalt, Trotz, Originalität und Eigensinn. Darüber hinaus lernt man beiläufig etwas zu den Themen „Brechung des Lichts“ und „Verfahren der Farbmischung“ dazu. Die Geschichte um Robin wird spannend erzählt. Der Nachwuchs hört gebannt und aufmerksam zu, was aus Robin wird, ob sie sich weiter behaupten kann oder ob sie irgendwann in der grauen Masse untergeht. Eine wichtige Botschaft, die dieses Buch vermittelt!

 

Schon die Mäuseabenteuer von Kuhlmann haben mich überzeugt und meine Kinder begeistert (vgl. meine Rezension zu „Armstrong“). Völlig zu Recht haben die Bücher des Autors inzwischen Kultstatus erreicht und sind mittlerweile in über 30 Sprachen übersetzt worden. Die Geschichten, die er erzählt sind originell, pfiffig und vermitteln nebenbei auch noch nützliches Wissen. Hinzu kommen die vielen kunstvollen, optisch hervorragend in Szene gesetzten Zeichnungen, die ästhetisch und ansprechend daherkommen. Kurzum: Kuhlmanns Werke sind rundum gelungen, bei ihnen stimmt alles. Das Buch „Die graue Stadt“ bildet hier keine Ausnahme.

Montag, 9. Oktober 2023

Eschbach, Andreas - Solarstation






Wendungsreicher, spannender Weltraum-Thriller


Andreas Eschbach zählt zu meinen Lieblingsautoren. Sein Schreibstil liest sich unglaublich flüssig und er hat immer wieder tolle kreative Ideen, was die Plots seiner Bücher angeht. Er ist in der Lage ein hohes Maß an Spannung zu erzeugen, ohne dass die Figurenzeichnung darunter leidet. Einige Bücher habe ich bereits in jüngster Zeit rezensiert („Der schlauste Mann der Welt“ und „Freiheitsgeld“). Sein Durchbruch gelang ihm mit dem Roman „Das Jesusvideo“ (1998), das ich damals verschlungen habe. Seit diesem Zeitpunkt ist Eschbach bei mir als „must read“ gesetzt. Doch zuvor gab es schon zwei andere Bücher: „Die Haarteppichknüpfer“ (1995) und „Solarstation“ (1996). Beide Romane erhielten jeweils den Deutschen Science-Fiction-Preis. Tatsächlich habe ich diese beiden Werke bisher noch nicht gelesen. Das möchte ich unbedingt nachholen. Den Anfang macht „Solarstation“.

 

Auf den ersten Seiten nimmt sich der Autor genügend Zeit, um die Raumstation „Nippon“ und das Zusammenspiel der größtenteils japanischen Crew in den Blick zu nehmen. Vor allem das Leben und Agieren in der Schwerelosigkeit wird sehr gut und anschaulich beschrieben. Die Räumlichkeiten der Station und die einzelnen Mannschaftsmitglieder erhalten starke Konturen. Beim Lesen entstehen Bilder vor dem inneren Auge. Der Schreibstil ist gewohnt flüssig, wie man es von Eschbach kennt. Die Geschehnisse werden aus der Ich-Perspektive von Leonard erzählt, so dass man nah an der Gefühls- und Gedankenebene des Protagonisten dran ist. All das überzeugt und es wirkte auf mich realistisch und glaubhaft.

 

Experimente zur Energieübertragung von der Station zur Erde gelingen nicht. Der Kommandant vermutet Sabotage. Dann kommt es zu einem Mord (der erste Mord im Weltraum!) und der Kontakt zur Erde bricht ab, die Station wird von einer feindlichen Macht übernommen. Denkt man zunächst, es läuft auf einen Krimi in Agatha-Christie-Manier hinaus, so täuscht man sich. Nein, es geht nicht nur um die Frage, wer ist der Mörder unter uns. Es wird sehr actionreich und entwickelt sich hin zu einer Art Geiselnahme-Drama. Folgende Fragen entstehen während der Lektüre: Was hat der Mörder vor? Wird man ihn finden? Und was hat die feindliche Übernahme zu bedeuten? Was ist der Plan? Und gelingt es der gefangenen Crew, den Plan zu vereiteln und sich aus ihrer Gefangenschaft zu befreien? Genügend Fragen, die Spannung und Neugier erzeugen. Der Spannungsbogen ist durchgängig hoch und zum Ende (v.a. im letzten Drittel) zieht die Spannungskurve noch einmal zusätzlich an. Es werden immer wieder Impulse gesetzt, es gibt immer wieder neue Entwicklungen. Die Handlung stagniert an keiner Stelle. Ich habe das Buch kaum noch aus der Hand legen können. So muss in meinen Augen ein gutes Buch sein!


Danke an Andreas Eschbach für dieses Leseerlebnis! Wieder einmal bin ich nicht enttäuscht worden. Es gelingt ihm, einen wendungsreichen Weltraumthriller zu schreiben, der zu keinem Zeitpunkt unglaubwürdig, überdreht oder überladen wirkt. Und immer wenn ich dachte, noch mehr Spannung geht nicht, setzt der Autor noch einen drauf. Was will man mehr?

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Sager, Riley - Hope's End




3 von 5 Sternen



Dunkle Familiengeheimnisse


Nach einem halben Jahr Suspendierung erhält die Pflegerin Kit McDeere eine neue Chance: Sie soll die 71-jährige Klientin Lenora Hope pflegen, die einst als junges Mädchen beschuldigt wurde, ihre gesamte Familie umgebracht zu haben (im Jahr 1929), auch wenn ihre Schuld nie bewiesen worden ist. Aus Geldknappheit und Mangel an Alternativen sagt Kit zu, hat allerdings kein gutes Gefühl dabei. Darum geht es in dem Thriller „Hope’s End“ von Riley Sager. Und im Wesentlichen geht es inhaltlich um das Aufdecken des Familiengeheimnisses von 1929. Was ist an dem Tag wirklich passiert? Was sind die Hintergründe der Tat? Ist Lenora wirklich schuldig?


Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen präsentiert. Auf der Gegenwartsebene geht es um die hoch betagte Lenora, die physisch stark eingeschränkt ist, aber noch mit Hilfe einer Schreibmaschine mit ihrer Umwelt kommunizieren kann. Und auf der Vergangenheitsebene geht es um von Lenora verfasste Aufzeichnungen, in denen sie die Zeit um die Tat herum genauer schildert. Handelt es sich etwas um ein spätes Schuldeingeständnis?


Lenora ist die letzte Überlebende eines Gewaltverbrechens. Man konnte ihr zwar nie eine Schuld an der Tat nachweisen, doch in der Stadt war ihr Ruf dennoch zerstört. Die Leute tratschten über sie und Lenora führt seitdem ein zurückgezogenes Leben in ihrem Anwesen auf der Steilküste, das ihr Vater einst erwirtschaftet hat. Kit hingegen stammt aus tristen, ärmlichen Verhältnissen. Sie hat einen Behandlungsfehler begangen und ist daraufhin suspendiert worden. Die Beziehung zu ihrem Vater ist gestört.

 

Wir haben also interessante Zutaten in diesem Thriller: einen unterschiedlichen sozialen Hintergrund der Figuren, eine hoch betagte Patientin mit einem dunklen Geheimnis und nicht zuletzt einen abgeschiedenen Handlungsort mit undurchschaubarem Hauspersonal. Eine Mischung, die anfangs für genügend Spannung und Neugier sorgt. Zu Beginn schafft der Autor es, immer wieder neue Fragen im Kopf der Leser:innen entstehen zu lassen, die zum Weiterlesen animieren (z.B. auch die Frage, was aus Kits Vorgängerin geworden ist: der Pflegerin Mary). Ich habe mich oft während der Lektüre gefragt, was Lenora zu berichten hat und warum sie erst jetzt damit herausrückt. Und warum ist gerade Kit die Auserwählte, der sie alles berichtet? Die Spannung war nach meinem Empfinden eingangs stark ausgeprägt. Und die handelnden Figuren sind reizvoll ausgearbeitet, d.h. mit Profil, Eigenheiten und Wiedererkennungswert.

 

Im weiteren Handlungsverlauf hat mich das Buch dann aber leider zunehmend verloren. Das lag an mehreren Dingen. Zum einen hat mich der Aspekt des Übersinnlichen, der stellenweise durchklang nicht überzeugt. So etwas mag ich nicht. Mich erreicht ein solcher Gruselfaktor nicht. Zum anderen werden nach und nach immer mehr Familiengeheimnisse gelüftet. Und passagenweise erschien mir der Spannungsbogen dann auch einmal zu sehr in die Länge gezogen (vor allem auf der Ebene der gegenwärtigen Handlung). Ich tue mich auch schwer damit, dieses Buch als Thriller durchgehen zu lassen. Ich würde eher allgemein von Spannungsliteratur sprechen. Mir fehlten „Thrill-Elemente“, v.a. die klassischen Wendungen, Überraschungen und Wow-Effekte. Es wird stattdessen eher eine dunkle Familiengeschichte erzählt, die zunehmend abgedrehter wird. Was mich auch irritiert hat: Warum geben so viele Figuren Kit bereitwillig darüber Auskunft, was in der Nacht von 1929 passiert ist? Auch das Ende hat mich nicht überzeugt. Vieles hat mich stutzig gemacht, es war nicht alles plausibel (eine Parallele zum Vorgängerbuch „Night“). Ich empfand es als zu überdreht und zu überladen. Schade! Ich komme auf drei Sterne!

 

Dienstag, 3. Oktober 2023

Gavric, Iris und Matthias Renger - Shitmoves




4 von 5 Sternen



Manipulationstechniken erkennen und abwehren


Das Sachbuch mit dem etwas reißerischen Titel „Shitmoves“ von Iris Gavric und Matthias Renger thematisiert rhetorische Tricks der Kommunikation im menschlichen Miteinander. Ziel dieser Tricks ist es, andere beim Disput zu diskreditieren und ihre Argumente auszuhebeln. Das Buch soll dazu befähigen, solche Tricks zu erkennen und Wissen dazu vermitteln, wie man sich bei solch unsauberer Kommunikation behaupten kann. Der Erzählton ist durchgängig locker und unterhaltsam. Man findet viele auflockernde direkte Leser:innenansprachen. Es liest sich sehr eingängig.

 

Ich werde in dieser Rezension nur wenige rhetorische Tricks erläutern, um einen ersten Eindruck vom Inhalt zu vermitteln. Es ist nicht mein Anliegen, hier jeden Move vollständig darzustellen. Das würde den Umfang des vorliegenden Textes sprengen. Und ich möchte den Begriff „Shitmove“ auch gern meiden und greife stattdessen lieber auf „rhetorischer Trick“ oder „Manipulationstechnik“ zurück, die mir passender und weniger reißerisch erscheinen.

 

Der erste rhetorische Trick, der behandelt wird, ist der sog. „Diss-Move“. Er wird an einem Beispiel eines Wortgefechts zwischen Thomas Gottschalk und Götz George anschaulich und nachvollziehbar erläutert. Der „Diss-Move“ ist ein persönlicher Angriff, bei dem die Identität des Gegenübers direkt angegriffen wird. Vor allem ein gekränktes Ego sehen die Autoren als Auslöser für die Anwendung dieses rhetorischen Tricks. Und diese Technik habe eine vernichtende Wirkung. Der Angesprochene fühle sich massiv verletzt und verunsichert. Als Reaktion auf diesen Trick empfehlen die Autoren, gelassen zu bleiben und nach dem Grund des persönlichen Angriffs zu fragen („Warum greifst du mich an? Was ist dein eigentliches Problem?“). Man solle nicht den Fehler begehen, selbst persönlich zu werden.  

 

Eine weitere Technik, die häufig zum Einsatz kommt, ist der sog. „implizite Angriff“, bei dem man sich oft auf Sarkasmus beruft und das Hintertürchen auflässt, vom Gegenüber missverstanden worden zu sein. Dem „impliziten Angriff“ empfehlen die Autoren stets mit Klarheit zu begegnen. Man könne den Angreifer fragen, was er bzw. sie denn genau meine. Weitere Manipulationstechniken, die im Buch vorgestellt werden, sind u.a. die folgenden: Der als Kompliment getarnte Angriff, der Opfer-Trick, das Aufbauen einer Drohkulisse oder das Entweder-Oder-Prinzip etc.

 

Was mir grundsätzlich gefällt, ist, dass die Autoren jede Manipulationstechnik an einem konkreten Beispiel anschaulich und nachvollziehbar erläutern (oft aus den Bereichen „Werbung“, „Politik“ oder „öffentliches Leben“) und auch mögliche Reaktionen aufzeigen, wie man den rhetorischen Tricks begegnen kann. Das ist äußerst hilfreich und es sensibilisiert überhaupt erst für solche Techniken! Der Anhang macht es sogar möglich, die Beispiele noch einmal selbst zu recherchieren. Die Autoren geben Links zu den entsprechenden Videos bei youtube an. Oft ging es mir bei der Lektüre so, dass mir anhand des Geschilderten auch Beispiele aus der eigenen Erfahrung in den Sinn kamen. Zwar haben mich die Ausführungen zu möglichen Verteidigungsstrategien auf manipulative Angriffe nicht durchweg überzeugt, aber oft bieten sie eine erste Orientierungsmöglichkeit. Ebenfalls gelungen ist die Übersicht, die nach der Darlegung jedes Tricks noch einmal als Zusammenfassung dargeboten wird. Das erleichtert die Orientierung und wirkt zudem sehr übersichtlich.

 

Was ich sehr wichtig und gut finde, ist, dass die Autoren darauf hinweisen, dass viele dieser Tricks unbewusst angewendet werden, oft auch als Verteidigungsstrategie (das hätten Gavric und Renger in meinen Augen sogar noch häufiger erwähnen können). Schließlich kann man nicht jeden Versuch des Einsatzes einer Manipulationstechnik als bewusst eingesetztes Mittel interpretieren. Ich finde es schwierig, dem Gegenüber zu unterstellen, dass er anderen stets bewusst manipulativ begegnet. Wo kommen wir hin, wenn wir dem Kommunikationspartner direkt eine böse Absicht unterstellen? Sollte man etwa wirklich jede Äußerung auf die „rhetorische Goldwaage“ legen? Wenn wir beginnen, der Gegenseite stets schlechte Intentionen zu unterstellen, so wird der zwischenmenschliche Umgang miteinander immer komplizierter werden. Ein reibungsloses gemeinsames Miteinander ist dann kaum noch möglich. Wie will man z.B. aufrichtig und ernst gemeinte Komplimente von solchen unterscheiden, die jemand in der Kommunikation unehrlich als rhetorischen Trick einsetzt? Ist es nicht der einfachste Weg, den Interaktionspartner zunächst einmal zu fragen, wie er seine Äußerung gemeint haben könnte, bevor man etwas missversteht oder als Manipulationsversuch auslegt?

 

Es handelt sich in meinen Augen um ein äußerst lehrreiches Buch, das Manipulationstechniken sehr anschaulich und nachvollziehbar bewusst macht und einen möglichen Umgang damit aufzeigt. Nach der Lektüre ist man in der Lage, entsprechende rhetorische Tricks zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Trotzdem sollte man vorsichtig damit sein, seinem Kommunikationspartner stets manipulative Intentionen zu unterstellen (siehe meine Ausführungen oben). Gefahr dieses Buchs: Man begegnet seinen Mitmenschen nach der Lektüre mit mehr Misstrauen und unterstellt ihnen mehr böse Absichten. Dessen sollte man sich ebenfalls bewusst sein. Und ich hätte es hilfreich gefunden, wenn die Autoren noch deutlich mehr Bezüge zur Argumentationstheorie und zur Analyse von Argumentationsstrukturen hergestellt hätten. Das ein oder andere Nachschlagewerk als Tipp zur weiterführenden Lektüre hätte ich passend gefunden. Die Autoren geben im Text hin und wieder zu erkennen, dass sie in der antiken Rhetorik bewandert sind, und sie übertragen dieses Wissen über die Antike auf moderne Kontexte. Das finde ich sehr gelungen. Aber ein Literaturverzeichnis fehlt mir leider! Von mir gibt es 4 Sterne.

Montag, 2. Oktober 2023

Kuhlmann, Torben - Armstrong






Ein rundum gelungenes Kinderbuch


Wusstet ihr schon, dass vor Neil Armstrong schon jemand auf dem Mond war? Und wusstet ihr, dass die Menschen ohne die Vorarbeit einer berühmten Maus vermutlich nie zum Mond gereist wären? Darum dreht sich die amüsante und pfiffig erzählte Geschichte „Armstrong“ von Torben Kuhlmann, der mit seinen Mäuseabenteuern (neben „Armstrong“ gibt es auch noch „Edison“, „Lindbergh“ und „Einstein“) inzwischen Kultstatus erreicht hat. Die Abenteuer wurden mittlerweile schon in über 30 Sprachen übersetzt. Und erst durch sein neuestes Buch „Die graue Stadt“, das ich ebenfalls bald rezensieren werde, bin ich auf den Autor aufmerksam geworden. „Armstrong“ ist Kuhlmanns drittes Bilderbuch.

 

Eine kleine Maus beobachtet jede Nacht den Nachthimmel und findet heraus, dass der Mond eine riesige Kugel aus Stein ist. Doch die anderen Mäuse wollen davon nichts wissen. Sie glauben, der Mond bestehe aus Käse. Von einer alten Maus erhält die kleine Maus jedoch Unterstützung. Sie erzählt ihr von der Geschichte der lange zurückliegenden Mäuseluftfahrt und gibt der kleinen Maus viele hilfreiche Ratschläge mit auf den Weg. Die kleine Maus besucht daraufhin Vorlesungen, sie konstruiert sich selbst einen Raumanzug, baut sich ein Weltraumkatapult und absolviert einen ersten Testflug. Und es stellen sich die folgenden Fragen, die jeder selbst herausfinden möge: Wird die kleine Maus es schaffen, ihren Plan in die Tat umzusetzen und den Mond zu besuchen? Und wenn ja, was wird sie auf dem Mond vorfinden? Wird sie wohlbehalten zurückkehren?

 

Im Anschluss an die Geschichte gibt es noch eine kurze Geschichte der Raumfahrt. Mit kurzen, nicht zu schwer verständlichen Sachtexten werden wegweisende Forscher (z.B. Galileo Galilei) und wichtige Ereignisse der Raumfahrt (z.B. Sputniks Flug, die Hündin Laika, Juri Gagarin, Alan Shepard und Neal Armstrong) vermittelt.

 

Und was das Buch neben der originellen Geschichte zusätzlich ausmacht, sind die vielen kunstvollen, optisch hervorragend in Szene gesetzten Zeichnungen, die äußerst ästhetisch und ansprechend daherkommen. Sie ergänzen und unterstützen den erzählten Text sehr passend. Ich habe selten ein Kinderbuch in der Hand gehabt, das so wunderschöne Illustrationen aufweist. Es ist ein Buch, das zum mehrfachen und längeren Betrachten einlädt. Ein Buch, das man sich in den Schrank stellt und immer wieder hervorholt, um es anzuschauen. Die Bilder strotzen vor Detailreichtum und Kreativität.

 

Kurzum: Ein Buch, das bei den jungen Zuhörer:innen für Interesse und Aufmerksamkeit sorgt. Inhalt und Bilder sind gleichermaßen ansprechend. Der Nachwuchs wird nicht nur auf kindgerechte Weise an das Thema „Raumfahrt“ herangeführt und kann einer amüsanten Geschichte lauschen. Die vielen Illustrationen laden zusätzlich zum Verweilen ein. Ein rundum gelungenes Werk, bei dem in meinen Augen alles stimmt.

Sonntag, 1. Oktober 2023

Tsokos, Michael - Mit kalter Präzision




3 von 5 Sternen


Realistisch und betulich


Was in meinen Augen den Reiz des neuen Thrillers „Mit kalter Präzision“ von Michael Tsokos ausmacht, ist der hohe Grad an Realismus und Authentizität. Der Autor selbst ist vom Fach und das merkt man jeder Zeile an. Die medizinische Seite kommt unglaublich glaubhaft und stimmig daher. Das findet man in dieser Form nicht in vielen anderen Thrillern. Man erhält als Leser:in einen sehr lebensechten Eindruck vom Arbeitsalltag einer Rechtsmedizinerin. Die Bedeutung der Rechtsmedizin für die Aufklärung eines Falls kommt gut zum Ausdruck. Am Beispiel der Schwester von Sabine Yao wird auch eine interessante psychologische Seite in den Roman miteinbezogen. Auch das hat mir gut gefallen. Nebenbei wird auch noch Wissen zu einem historisch bedeutsamen Fall der Rechtsmedizin vermittelt (Otto Prokop und der Fall Hans Hetzel, vgl. S. 182). Klasse!

 

Zwar gelingt es dem Autor nach meinem Empfinden nicht, ein hohes Maß an Spannung zu erzeugen. Oft geraten Schilderungen zu weitschweifig und zu ausführlich. Vom klar erkennbaren roten Faden wird oft abgewichen. Und der Fall wird recht betulich, behäbig und gemütlich vorangetrieben. Auch der Schreibstil liest sich überwiegend trocken und sachlich. Eine hohe Informationsdichte zeichnet den Erzählton aus. Aber dafür gelingt Tsokos etwas anderes: Die rechtsmedizinische Beschreibung der Tat und die Darstellung der behördlichen Abläufe wirken allesamt wirklichkeitsnah. Im Zentrum steht die Frage, ob der potentielle Täter eines Mordes überführt werden kann oder nicht. Und wie kann die Rechtsmedizinerin Yao dabei behilflich sein? Weitere spannungserregende Impulse habe ich vermisst. Zum Ende hin zieht das Tempo dann aber an, durch flotte Perspektivwechsel entsteht passagenweise sogar eine gewisse Dynamik. Kurzum: Das Finale ist stark, alles was davor kommt, fand ich eher durchschnittlich, allerdings mit überzeugender rechtsmedizinischer Darstellung. Von mir gibt es 3 Sterne!


Brandhorst, Andreas - Splitter der Zeit






„Wellen im Ozean der Zeit“


Von Andreas Brandhorst habe ich mit großer Begeisterung „Das Erwachen“ gelesen. Wer so ein Buch schreibt, der hat was drauf. Sein neues Buch „Splitter der Zeit“ gab es für 5 Euro als E-Book. Genug Gründe für mich, das Werk zu lesen und es zu rezensieren. Und eines kann ich einleitend bereits festhalten: Der Weltenbau, den Brandhorst sich überlegt hat, ist eindrucksvoll, durchdacht und in sich konsistent. Der Anhang umfasst sagenhafte 59 Seiten, ist mit unglaublich viel Liebe zum Detail ausgestaltet und lässt in meinen Augen keine Wünsche offen.

 

Das Buch selbst lässt sich am ehesten der „Military-Science-Fiction“ zuordnen. Es werden immer mal wieder Kampfhandlungen geschildert. Die Menschheit muss sich gegen eine überlegene Spezies behaupten, die aus der Zukunft kommt und aus diesem Grund strategische Vorteile hat: gegen die Honta. Es herrscht schon seit mehr als hundert Jahren Krieg. Und die Honta greifen auf eine neuartige Strategie zurück: Sie unterwandern die Menschheit und hoffen so, den endgültigen Sieg zu erringen. Die Handlung spielt in weit entfernter Zukunft. Wir begleiten die Hauptfigur Cameron, der als siebenjähriges Kind bei einem Angriff der Honta seine Mutter verliert, über das gesamte Buch hinweg. An ihm sind wir nah dran. Er steht im Mittelpunkt der Handlung, die geradlinig erzählt wird (d.h. ohne viele Perspektivwechsel oder verschiedene Zeitebenen).

 

Cameron durchläuft eine Ausbildung zum Soldaten, reift zu einer Führungsfigur heran und offenbart ein besonderes Talent: Er ist ein starker analytischer Denker mit einer unglaublich guten Intuition. Und er ahnt den nächsten Angriff der Honta bereits voraus. Als Leser fragt man sich: Wird Cameron mit seiner Ahnung Recht behalten? Werden sich die Menschen verteidigen können?

 

Auch die Honta sind interessant konzipiert worden. Es handelt sich um eine nicht-lineare Spezies, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen überblickt und ein anderes Verständnis von Zeit besitzt. Angehörige der Honta können sowohl als Individuum als auch als Schwarm agieren, indem sie sich synchronisieren. Diese Idee bereichert den Roman in meinen Augen ungemein.

 

Interessant fand ich die Ausführungen zur Geschichte der Erde, zur Vergangenheit der Menschheit und zu den Hintergründen des Kriegs (Wo kommen die Honta her? Warum brach der Krieg aus? etc.). Nach meinem Geschmack hätte das durchaus noch breiter entfaltet werden können. Was mich im weiteren Handlungsverlauf ebenfalls überzeugt hat: Die Gestaltung der Kommunikation zwischen Cameron und der Honta-Königin. Es wird gut deutlich, wie sich Honta und Menschen voneinander unterscheiden und wie sie einen Weg finden müssen, einander zu verstehen. Die Honta haben eine andere Wahrnehmung von Zeit. Auch die Beschreibung der Gesetzmäßigkeiten des interstellaren Zwischenraums las ich gebannt. 


Was ich hingegen nicht so gut fand, war der Umstand, dass es lange dauert, bis die Handlung Fahrt aufnimmt. Der Beginn des Romans las sich nach meinem Empfinden etwas schleppend. Und auch zwischendurch hatte das Buch immer wieder Längen, die den Lesegenuss etwas trübten. Nach meinem Empfinden gab es keinen durchgängig hohen Spannungsbogen. Später entwickelt sich der Inhalt dann in eine Richtung, die mir nicht mehr zugesagt hat. Vieles fand ich verwirrend und/ oder zu abgedreht.