Aussage gegen Aussage
Inhaltlich
geht es um den Tatvorwurf einer Vergewaltigung. Während der Geschlechtsakt zunächst einvernehmlich vollzogen wird, überlegt es sich das (vermeintliche) Opfer anders und wünscht,
dass der Verkehr abgebrochen wird. Doch der (vermeintliche) Täter lässt nicht
von der Geschädigten ab und entlässt sie erst nach seinem Höhepunkt aus seiner
Gewalt. Ein Vorfall, der unter die Haut geht. Im Prozess steht Aussage gegen
Aussage. Denn der (vermeintliche) Täter stellt den Tatvorwurf als Racheakt an
ihm dar. Glaubt man hingegen den Anschuldigungen des Opfers, so kann man sich
vorstellen, was es für Qualen im Prozessverlauf durchlaufen muss, weil seine
Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird.
Im
Verlauf des Prozesses schildert die Geschädigte den Tathergang und die (psychischen,
beruflichen sowie familiären) Folgewirkungen. Deutlich werden dabei auch
Selbstvorwürfe. Sie gibt sich als Opfer sogar noch selbst die Schuld an dem
Vorfall. Unfassbar! Die Beweisführung stellt sich als schwierig heraus. Die
Richterin kann sich nur auf die Aussage des Opfers stützen. Andere,
überzeugende Beweismittel gibt es nicht. Eine äußerst schwierige Entscheidung,
die die Richterin zu treffen hat. Das ahnt man schon im Voraus. Denn die
Verteidigungsstrategie zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu „torpedieren“
und Zweifel zu säen. Auch die Polizistin, die das Opfer vernommen hat, und verschiedene
Gutachter kommen zu Wort. Das alles verdeutlicht, wie schwierig es ist, eine
Tat angemessen zu beurteilen.
Die
Lektüre fordert beim Lesen emotional heraus. Ich habe die Handlung mit großer
Anspannung gelesen. Das Maß an Spannung ist hoch. Neugierig verfolgt man das
Geschehen, ist gespannt auf die Auflösung und hofft auf ein gerechtes Urteil.
Das ganze Setting wirkt zudem unheimlich realistisch und authentisch. So könnte
ich mir vorstellen, spielt sich auch eine Verhandlung in der Realität ab. Und
für mich stellt sich heraus, dass letztlich nur die Beteiligten selbst wissen,
was sich tatsächlich ereignet hat. Die Rechtssprechung wirkt auf mich
überfordert. Wie will man Gerechtigkeit herstellen, wenn ggf. ein anderer zu
Unrecht bestraft wird? Entweder wird das Opfer dadurch bestraft, dass der Täter
auf freiem Fuß bleibt. Oder der Täter wird bestraft, obwohl er unschuldig ist.
Eine verfahrene Situation. Jede Leserin und jeder Leser möge die Verhandlung
selbst verfolgen und ein Urteil fällen. Ich verrate nur so viel: Ich bin froh,
dass ich nicht der vorsitzende Richter in einem solchen Verfahren bin. Klar ist
nur, dass einer der Beteiligten mit seiner Schuld wird leben müssen (entweder das
Opfer, das eine falsche Beschuldigung erhebt, oder der Täter, der eine
Vergewaltigung begangen hat). Eines kann ich versprechen: Wie man es von
Schirach kennt, hallt das Gelesene wieder lange nach…
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