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Freitag, 12. April 2024

Schirach, Ferdinand von - Sie sagt. Er sagt.


Aussage gegen Aussage


Bleiben wir beim Geschlechterkampf. In meiner vorherigen Rezension ging es um das neue Buch von McFadden, in dem dieses Gegeneinander der Geschlechter deutlich wird. Und auch in von Schirachs neuem Werk, das ebenfalls verfilmt worden ist, prallen Geschlechtsgenossen aufeinander, wenn auch mit deutlich mehr Tiefgang sowie Substanz und in Form eines Einakters. Der Autor sucht sich ein äußerst schwieriges Thema aus. Eines, das zudem höchst aktuell und brisant ist. Man denke an die Geschehnisse um Rammstein, an den Kachelmann-Prozess oder das Strafverfahren gegen Andreas Türck sowie an die „me-too-Bewegung“. Und es tritt wieder der typische „Schirach-Stil“ deutlich hervor. Die Pointiertheit und die Klarheit des Ausdrucks, die ich sehr mag und schätze.

Inhaltlich geht es um den Tatvorwurf einer Vergewaltigung. Während der Geschlechtsakt zunächst einvernehmlich vollzogen wird, überlegt es sich das (vermeintliche) Opfer anders und wünscht, dass der Verkehr abgebrochen wird. Doch der (vermeintliche) Täter lässt nicht von der Geschädigten ab und entlässt sie erst nach seinem Höhepunkt aus seiner Gewalt. Ein Vorfall, der unter die Haut geht. Im Prozess steht Aussage gegen Aussage. Denn der (vermeintliche) Täter stellt den Tatvorwurf als Racheakt an ihm dar. Glaubt man hingegen den Anschuldigungen des Opfers, so kann man sich vorstellen, was es für Qualen im Prozessverlauf durchlaufen muss, weil seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird.

 

Im Verlauf des Prozesses schildert die Geschädigte den Tathergang und die (psychischen, beruflichen sowie familiären) Folgewirkungen. Deutlich werden dabei auch Selbstvorwürfe. Sie gibt sich als Opfer sogar noch selbst die Schuld an dem Vorfall. Unfassbar! Die Beweisführung stellt sich als schwierig heraus. Die Richterin kann sich nur auf die Aussage des Opfers stützen. Andere, überzeugende Beweismittel gibt es nicht. Eine äußerst schwierige Entscheidung, die die Richterin zu treffen hat. Das ahnt man schon im Voraus. Denn die Verteidigungsstrategie zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu „torpedieren“ und Zweifel zu säen. Auch die Polizistin, die das Opfer vernommen hat, und verschiedene Gutachter kommen zu Wort. Das alles verdeutlicht, wie schwierig es ist, eine Tat angemessen zu beurteilen.

 

Die Lektüre fordert beim Lesen emotional heraus. Ich habe die Handlung mit großer Anspannung gelesen. Das Maß an Spannung ist hoch. Neugierig verfolgt man das Geschehen, ist gespannt auf die Auflösung und hofft auf ein gerechtes Urteil. Das ganze Setting wirkt zudem unheimlich realistisch und authentisch. So könnte ich mir vorstellen, spielt sich auch eine Verhandlung in der Realität ab. Und für mich stellt sich heraus, dass letztlich nur die Beteiligten selbst wissen, was sich tatsächlich ereignet hat. Die Rechtssprechung wirkt auf mich überfordert. Wie will man Gerechtigkeit herstellen, wenn ggf. ein anderer zu Unrecht bestraft wird? Entweder wird das Opfer dadurch bestraft, dass der Täter auf freiem Fuß bleibt. Oder der Täter wird bestraft, obwohl er unschuldig ist. Eine verfahrene Situation. Jede Leserin und jeder Leser möge die Verhandlung selbst verfolgen und ein Urteil fällen. Ich verrate nur so viel: Ich bin froh, dass ich nicht der vorsitzende Richter in einem solchen Verfahren bin. Klar ist nur, dass einer der Beteiligten mit seiner Schuld wird leben müssen (entweder das Opfer, das eine falsche Beschuldigung erhebt, oder der Täter, der eine Vergewaltigung begangen hat). Eines kann ich versprechen: Wie man es von Schirach kennt, hallt das Gelesene wieder lange nach…

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