Wichtig, aktuell und lehrreich
Drösser
wirft einen Blick zurück ins 17. Jh. Damals sei man der Auffassung gewesen, dass eine
Maschine niemals wie ein Mensch sprechen könnte. Inzwischen sei ChatGPT aber
soweit ausgereift, dass die Kommunikationen mit der KI menschlich klingt. Der
Autor skizziert den Turing-Test und erläutert, ob ChatGPT ihn bestehen kann.
Und es zeigt sich, dass die Anwendung das Testverfahren meistert. Das wird an
einem Beispieldialog deutlich. So etwas habe bisher keine KI geschafft! Abschließend
stellt Dösser die Frage, ob das Programm ggf. sogar intelligent sei. Die Antwort darauf
ist gar nicht so leicht. Denn die Anwendung schneidet bei Intelligenztests gut
ab. Was wiederum sagt das über IQ-Tests aus? Was messen diese eigentlich?
Spannende Fragen, wie ich finde. Der Autor liefert gute Denkanstöße!
Kapitel
2 – Large Language Models – Die Masse macht’s
Welche
Algorithmen und Mechanismen verbergen sich hinter ChatGPT? Der Autor erläutert,
wie sich Sprache mit Hilfe von statistischen Verfahren analysieren lässt. Das
Programm benötige v.a. jede Menge Beispiele, um zu lernen. Auf diese Weise
sammele die KI Daten darüber, wie häufig Wörter in welchen Texten und in
welchen Kombinationen sie vorkommen. Kookurrenzen werden ermittelt, d.h.
gemeinsame Auftretenswahrscheinlichkeiten von Wörtern. Die Anwendung untersuche das gesamte Umfeld, in dem ein Wort auftauche. Die Beziehung von Wörtern zu
anderen Wörtern könne anhand von riesigen Datenmengen ausgewertet werden. Und
das, ohne dass die Bedeutung eine Rolle spiele. Faszinierend! Und auch
erstaunlich, was am Ende dabei herauskommt. Je größer die Textmenge, die die KI
verarbeite, desto besser die Qualität des Sprachmodells. Hinzu komme das
Feintuning durch menschliche Mitarbeiter. Diese beurteilten den von der KI
produzierten „output“ als gut oder weniger gut und legten Regeln fest, nach
denen das Programm operiere. Nicht zuletzt wird in diesem Kapitel eine Frage
thematisiert, die ich mir auch schon häufig gestellt habe: Generiert die KI
einen ähnlichen „output“, wenn man einen identischen „prompt“ eingibt? Mich
führt das zur folgenden Frage: Wie viel Ähnlichkeit zwischen einzelnen Texten
besteht, wenn 100 Personen die gleiche Abfrage an die KI richten? Wie viel
Varianz kann das Programm erzeugen? Bisher habe ich noch keine Informationen
dazu gefunden. Und der Autor weist auch auf ein weiteres Problem der KI hin.
Weiß ChatGPT keine Antwort, so denke es sich eine Antwort aus, die nicht
unbedingt inhaltlich korrekt sei. Das System fängt also an zu „halluzinieren“,
wie der Autor es nennt. Jedem Nutzer sollte also klar sein, dass er bei der
Nutzung des Programms in der Lage sein muss, Halluzinationen zu erkennen und
den output zu hinterfragen. Dafür benötigt es weiterhin solides menschliches
Hintergrundwissen. Und wer ChatGPT ausprobiert hat, der dürfte meiner Ansicht
nach auch bereits festgestellt haben, dass die KI bei ihren Antworten nicht
sehr in die Tiefe geht. Der output ist oft nicht sehr detailreich (zumindest
zum jetzigen Zeitpunkt).
Kapitel
3 – ChatGPT konkret: Grundkurs in Prompt-Engineering
Hier
werden uns einige „prompts“ und beispielhafte Ergebnisse von ChatGPT
vorgestellt, die zeigen, was das Programm zu generieren in der Lage ist und
welche Befehle möglich sind. So ist ChatGPT in der Lage, innerhalb von wenigen
Sekunden komplexe mathematische Textaufgaben zu lösen. Erstaunlich! Auch unvollständige
Satzkonstruktionen kann das Programm kreativ ergänzen. Es beantwortet Fragen
und kann auch komplexe, längere Texte zusammenfassen. Letzteres finde ich faszinierend,
bin ich bisher davon ausgegangen, dass eine Person, die einen Text
zusammenfasst, Entscheidungen treffen muss, welche Informationen wichtig und
unwichtig sind. Und obwohl das Programm den Inhalt von Texten nicht einmal
versteht und solche Entscheidungen gar nicht trifft, kann es diese „Operation“ dennoch
ohne Probleme ausführen. Faszinierend! Sogar komplexe wissenschaftliche Abhandlungen
bricht die KI auf zentrale Aussagen herunter. Und die Ergebnisse lassen sich
Schritt für Schritt weiter optimieren, indem man z.B. die Anzahl der Wörter, das
Sprachniveau oder den Stil vorgibt. Und ChatGPT kann noch mehr: Es liefert sogar
Vorschläge für Power-Point-Präsentationen und kann musterhafte Textschemata
reproduzieren (z.B. Bewerbungen, Lebensläufe, Anschreiben, Zeitungsberichte
etc.). Es lassen sich Dialoge in der Fremdsprache mit dem System trainieren und
die KI kann bei der Interaktion ein direktes feedback zu Fehlern geben (was
bedeutet das für den Sprachenunterricht?). Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind
mannigfach. Auch kreativer output ist generierbar (z.B. eine unheimliche Gute-Nacht-Geschichte
mit der Eiskönigin für den Nachwuchs, einen Erstleser-Text für Leselernende
etc.). Lediglich mit Humor hat ChatGPT noch Schwierigkeiten. Und der Autor
weist daraufhin, dass mit dem Prompt-Engineering sogar ein neuer Berufszweig
entsteht, bei dem es um folgende Fragestellung geht: Wie befragt man die KI, um
ein optimales Ergebnis herauszubekommen? Und es entstehen für viele
Berufszweige neue Herausforderungen. Kann z.B. ein Lektor noch herausfinden, ob
ein Text von einem Menschen oder von einer KI verfasst worden ist? Wie gehen
Lehrkräfte an den Bildungsinstitutionen mit diesen neuen Möglichkeiten um? Etc.
Und der Autor stellt eine zentrale, berechtigte Frage: Werden wir uns in
Zukunft auf Programme wie ChatGPT verlassen und wird die menschliche Kreativität
verkümmern?
Kapitel
4 – Das Ende des Besinnungsaufsatzes – ChatGPT in Schule und Hochschule
Welche
Auswirkungen wird KI auf Bildungseinrichtungen haben? Soll man KI verbieten
oder soll man den verantwortungsvollen Umgang damit vermitteln? Kann es evtl.
im Sinne eines Coachings sinnvoll integriert werden, um Wissenslücken zu
schließen? Diesen Fragen widmet Dösser ein eigenes Kapitel. Das finde ich gut
und äußerst wichtig. Denn auf Schulen und Hochschulen kommen viele neue
Herausforderungen zu, wie er ausführt: Wie ist z.B. zukünftig mit Hausaufgaben
umzugehen? Schulische Aufsatzformen wie die Erörterung lassen sich ohne
Weiteres mit Hilfe des Programms generieren. ChatGPT macht Vorschläge für
Pro-und Kontra-Argumente. Was ist noch eigene Leistung der Lernenden, was ist
KI-generiert? Dösser liefert abermals wichtige Denkanstöße. Und ich finde seine
Anregung, das Programm wie einen Tutor zu nutzen, hilfreich. Wenig lernförderlich wäre es, sich auf dem von
der KI generierten output einfach auszuruhen. Da stimme ich Dösser absolut zu!
Und noch etwas gibt er zu bedenken: Mit Meinungsbildung und Bewertung hat das
Programm (noch) Schwierigkeiten. Gerade in diesem Bereich sind die Lernenden
also weiterhin gefordert!
Kapitel
5 – Sind wir nicht alle ein bisschen ChatGPT?
Hier möchte ich einen Gedanken von Dösser herausgreifen, den ich wirklich interessant finde. Und zwar stellt er die Frage, ob eine KI überhaupt kreative Produkte hervorbringen kann. Schließlich weist ChatGPT kein Gefühl und keine menschliche Erfahrung auf. Bleibt Kreativität nicht etwas genuin Menschliches? Zumindest bei der transformatorischen Kreativität sieht Dösser Grenzen. Denn die KI bewegt sich in einem Rahmen, der von außen durch den Menschen vorgegeben ist. Diesen Rahmen könne sie nicht überwinden. Dennoch glaubt der Autor, dass auch kreative Berufe durch Programme wie ChatGPT zukünftig verändert werden.
Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ich den Titel des Buchs etwas unpassend finde. Erst auf den letzten Seiten stellt Dösser einige wenige Überlegungen dazu an, wie sich die Sprache durch die Anwendung von KI-Systemen verändern kann. Er befürchtet eine Homogenisierung von Sprache und eine Abnahme von Sprachvielfalt. Doch ist diese Sorge berechtigt? Meines Wissens fehlt es in diesem Bereich noch an linguistischen Untersuchungen. Der von der KI generierte Output böte hier in meinen Augen noch viele Möglichkeiten der Erforschung. Insgesamt aber ein kluges Buch, das Drösser hier vorgelegt hat. Ich bin an vielen Stellen ins Nachdenken gekommen und habe auch wieder etwas dazugelernt. Was will man mehr?
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