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Donnerstag, 18. April 2024

Drösser, Christoph - Was macht KI mit unserer Sprache


Wichtig, aktuell und lehrreich


Welche Auswirkung hat die Nutzung von KI-Programmen für unser tägliches Leben? Das ist die zentrale Frage, die Christoph Drösser in seinem Debattenband „Was macht KI mit unserer Sprache“ vertieft. Schon in seinem Vorwort weist der Autor darauf hin, dass die Technik sich rasant entwickelt und der Inhalt des Buchs in naher Zukunft schon wieder veraltet sein kann. Ihm ist es wichtig zu betonen, dass er die technische Entwicklung weder verdammen noch bejubeln will. Ihm geht es um eine neutrale, nüchterne Betrachtungsweise und Bestandsaufnahme.



Kapitel 1 – Der Traum von der sprechenden Maschine

Drösser wirft einen Blick zurück ins 17. Jh. Damals sei man der Auffassung gewesen, dass eine Maschine niemals wie ein Mensch sprechen könnte. Inzwischen sei ChatGPT aber soweit ausgereift, dass die Kommunikationen mit der KI menschlich klingt. Der Autor skizziert den Turing-Test und erläutert, ob ChatGPT ihn bestehen kann. Und es zeigt sich, dass die Anwendung das Testverfahren meistert. Das wird an einem Beispieldialog deutlich. So etwas habe bisher keine KI geschafft! Abschließend stellt Dösser die Frage, ob das Programm ggf. sogar intelligent sei. Die Antwort darauf ist gar nicht so leicht. Denn die Anwendung schneidet bei Intelligenztests gut ab. Was wiederum sagt das über IQ-Tests aus? Was messen diese eigentlich? Spannende Fragen, wie ich finde. Der Autor liefert gute Denkanstöße!

 

Kapitel 2 – Large Language Models – Die Masse macht’s

Welche Algorithmen und Mechanismen verbergen sich hinter ChatGPT? Der Autor erläutert, wie sich Sprache mit Hilfe von statistischen Verfahren analysieren lässt. Das Programm benötige v.a. jede Menge Beispiele, um zu lernen. Auf diese Weise sammele die KI Daten darüber, wie häufig Wörter in welchen Texten und in welchen Kombinationen sie vorkommen. Kookurrenzen werden ermittelt, d.h. gemeinsame Auftretenswahrscheinlichkeiten von Wörtern. Die Anwendung untersuche das gesamte Umfeld, in dem ein Wort auftauche. Die Beziehung von Wörtern zu anderen Wörtern könne anhand von riesigen Datenmengen ausgewertet werden. Und das, ohne dass die Bedeutung eine Rolle spiele. Faszinierend! Und auch erstaunlich, was am Ende dabei herauskommt. Je größer die Textmenge, die die KI verarbeite, desto besser die Qualität des Sprachmodells. Hinzu komme das Feintuning durch menschliche Mitarbeiter. Diese beurteilten den von der KI produzierten „output“ als gut oder weniger gut und legten Regeln fest, nach denen das Programm operiere. Nicht zuletzt wird in diesem Kapitel eine Frage thematisiert, die ich mir auch schon häufig gestellt habe: Generiert die KI einen ähnlichen „output“, wenn man einen identischen „prompt“ eingibt? Mich führt das zur folgenden Frage: Wie viel Ähnlichkeit zwischen einzelnen Texten besteht, wenn 100 Personen die gleiche Abfrage an die KI richten? Wie viel Varianz kann das Programm erzeugen? Bisher habe ich noch keine Informationen dazu gefunden. Und der Autor weist auch auf ein weiteres Problem der KI hin. Weiß ChatGPT keine Antwort, so denke es sich eine Antwort aus, die nicht unbedingt inhaltlich korrekt sei. Das System fängt also an zu „halluzinieren“, wie der Autor es nennt. Jedem Nutzer sollte also klar sein, dass er bei der Nutzung des Programms in der Lage sein muss, Halluzinationen zu erkennen und den output zu hinterfragen. Dafür benötigt es weiterhin solides menschliches Hintergrundwissen. Und wer ChatGPT ausprobiert hat, der dürfte meiner Ansicht nach auch bereits festgestellt haben, dass die KI bei ihren Antworten nicht sehr in die Tiefe geht. Der output ist oft nicht sehr detailreich (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt).

 

Kapitel 3 – ChatGPT konkret: Grundkurs in Prompt-Engineering

Hier werden uns einige „prompts“ und beispielhafte Ergebnisse von ChatGPT vorgestellt, die zeigen, was das Programm zu generieren in der Lage ist und welche Befehle möglich sind. So ist ChatGPT in der Lage, innerhalb von wenigen Sekunden komplexe mathematische Textaufgaben zu lösen. Erstaunlich! Auch unvollständige Satzkonstruktionen kann das Programm kreativ ergänzen. Es beantwortet Fragen und kann auch komplexe, längere Texte zusammenfassen. Letzteres finde ich faszinierend, bin ich bisher davon ausgegangen, dass eine Person, die einen Text zusammenfasst, Entscheidungen treffen muss, welche Informationen wichtig und unwichtig sind. Und obwohl das Programm den Inhalt von Texten nicht einmal versteht und solche Entscheidungen gar nicht trifft, kann es diese „Operation“ dennoch ohne Probleme ausführen. Faszinierend! Sogar komplexe wissenschaftliche Abhandlungen bricht die KI auf zentrale Aussagen herunter. Und die Ergebnisse lassen sich Schritt für Schritt weiter optimieren, indem man z.B. die Anzahl der Wörter, das Sprachniveau oder den Stil vorgibt. Und ChatGPT kann noch mehr: Es liefert sogar Vorschläge für Power-Point-Präsentationen und kann musterhafte Textschemata reproduzieren (z.B. Bewerbungen, Lebensläufe, Anschreiben, Zeitungsberichte etc.). Es lassen sich Dialoge in der Fremdsprache mit dem System trainieren und die KI kann bei der Interaktion ein direktes feedback zu Fehlern geben (was bedeutet das für den Sprachenunterricht?). Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind mannigfach. Auch kreativer output ist generierbar (z.B. eine unheimliche Gute-Nacht-Geschichte mit der Eiskönigin für den Nachwuchs, einen Erstleser-Text für Leselernende etc.). Lediglich mit Humor hat ChatGPT noch Schwierigkeiten. Und der Autor weist daraufhin, dass mit dem Prompt-Engineering sogar ein neuer Berufszweig entsteht, bei dem es um folgende Fragestellung geht: Wie befragt man die KI, um ein optimales Ergebnis herauszubekommen? Und es entstehen für viele Berufszweige neue Herausforderungen. Kann z.B. ein Lektor noch herausfinden, ob ein Text von einem Menschen oder von einer KI verfasst worden ist? Wie gehen Lehrkräfte an den Bildungsinstitutionen mit diesen neuen Möglichkeiten um? Etc. Und der Autor stellt eine zentrale, berechtigte Frage: Werden wir uns in Zukunft auf Programme wie ChatGPT verlassen und wird die menschliche Kreativität verkümmern?

 

Kapitel 4 – Das Ende des Besinnungsaufsatzes – ChatGPT in Schule und Hochschule

Welche Auswirkungen wird KI auf Bildungseinrichtungen haben? Soll man KI verbieten oder soll man den verantwortungsvollen Umgang damit vermitteln? Kann es evtl. im Sinne eines Coachings sinnvoll integriert werden, um Wissenslücken zu schließen? Diesen Fragen widmet Dösser ein eigenes Kapitel. Das finde ich gut und äußerst wichtig. Denn auf Schulen und Hochschulen kommen viele neue Herausforderungen zu, wie er ausführt: Wie ist z.B. zukünftig mit Hausaufgaben umzugehen? Schulische Aufsatzformen wie die Erörterung lassen sich ohne Weiteres mit Hilfe des Programms generieren. ChatGPT macht Vorschläge für Pro-und Kontra-Argumente. Was ist noch eigene Leistung der Lernenden, was ist KI-generiert? Dösser liefert abermals wichtige Denkanstöße. Und ich finde seine Anregung, das Programm wie einen Tutor zu nutzen, hilfreich.  Wenig lernförderlich wäre es, sich auf dem von der KI generierten output einfach auszuruhen. Da stimme ich Dösser absolut zu! Und noch etwas gibt er zu bedenken: Mit Meinungsbildung und Bewertung hat das Programm (noch) Schwierigkeiten. Gerade in diesem Bereich sind die Lernenden also weiterhin gefordert!

 

Kapitel 5 – Sind wir nicht alle ein bisschen ChatGPT?

Hier möchte ich einen Gedanken von Dösser herausgreifen, den ich wirklich interessant finde. Und zwar stellt er die Frage, ob eine KI überhaupt kreative Produkte hervorbringen kann. Schließlich weist ChatGPT kein Gefühl und keine menschliche Erfahrung auf. Bleibt Kreativität nicht etwas genuin Menschliches? Zumindest bei der transformatorischen Kreativität sieht Dösser Grenzen. Denn die KI bewegt sich in einem Rahmen, der von außen durch den Menschen vorgegeben ist. Diesen Rahmen könne sie nicht überwinden. Dennoch glaubt der Autor, dass auch kreative Berufe durch Programme wie ChatGPT zukünftig verändert werden.


Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ich den Titel des Buchs etwas unpassend finde. Erst auf den letzten Seiten stellt Dösser einige wenige Überlegungen dazu an, wie sich die Sprache durch die Anwendung von KI-Systemen verändern kann. Er befürchtet eine Homogenisierung von Sprache und eine Abnahme von Sprachvielfalt. Doch ist diese Sorge berechtigt? Meines Wissens fehlt es in diesem Bereich noch an linguistischen Untersuchungen. Der von der KI generierte Output böte hier in meinen Augen noch viele Möglichkeiten der Erforschung. Insgesamt aber ein kluges Buch, das Drösser hier vorgelegt hat. Ich bin an vielen Stellen ins Nachdenken gekommen und habe auch wieder etwas dazugelernt. Was will man mehr?

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