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Montag, 19. Mai 2025

Clark, Julie - Die unsichtbare Hand


Familiengeheimnisse



Im Alter von 10 Jahren wird die Ich-Erzählerin (Olivia) von Klassenkameraden darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Vater (Vincent), ein berühmter Schriftsteller, ein Mörder sein soll. Er soll seine eigenen Geschwister Danny und Poppy im Jahr 1975 ermordet haben, so die Gerüchte. Grund für diese Verdächtigungen ist, dass er als einziger die Nacht des Mords überlebt hat. Doch er selbst streitet sein ganzes Leben ab, etwas damit zu tun gehabt zu haben. Nichtsdestotrotz lasten die Anschuldigungen gegen ihren Vater schwer auf Olivia. Und gleichzeitig beginnt sie damals erstmals an ihrem eigenen Vater zu zweifeln. Später bricht sie den Kontakt zu ihm gänzlich ab.


Nach 30 Jahren der Funkstille erhält Olivia, die inzwischen als Ghostwriterin arbeitet und aufgrund eines Skandals in schwieriges berufliches „Fahrwasser“ geraten ist, von ihrem Vater unerwartet den Auftrag, für ihn seine Memoiren zu schreiben und das vorhandene Manuskript druckreif zu überarbeiten. Grund dafür ist eine schwere Erkrankung, die seine Schreibfähigkeit beeinträchtigt. Er leidet an der sog. Lewy-Körper-Demenz. Und aus finanziellen Erwägungen heraus beschließt sie die Offerte anzunehmen und tritt wieder mit ihm in Kontakt. Vor ihrem Umfeld aber verschweigt Olivia, dass es sich bei ihrem neuen Auftraggeber um ihren eigenen Vater handelt.


Als Olivia in ihre alte Heimat zurückkehrt, wird sie mit Erinnerungen an ihre Kindheit konfrontiert. Diese verlief alles andere als glücklich. Ihr Vater war aufgrund des Verlusts seiner Geschwister ein gebrochener Mann und schwer traumatisiert. Er flüchtete sich in Alkohol und Drogen. Olivias Mutter verließ die Familie früh und ließ ihre Tochter allein mit ihrem Vater zurück. Als sie wieder aufeinandertreffen, liegt Spannung in der Luft. Sie einigen sich schließlich darauf, die Zusammenarbeit für eine Woche zu testen, bevor sie gemeinsam entscheiden, wie es weitergeht. Für ihren Vater wird das Schreiben seiner Memoiren zu einer Form der Konfrontationstherapie. Er will die Zeit vor dem Doppelmord beleuchten und davon berichten. Er will sein jahrelanges Schweigen brechen und Stellung zu den Anschuldigungen nehmen, die immer wieder gegen ihn vorgebracht wurden. Und Olivia ist neugierig, mehr über die Vergangenheit zu erfahren. Wir tauchen ein in das Jahr 1975 und die zentrale Frage, die man sich während der Lektüre stellt, lautet: Was hat sich damals wirklich zugetragen?


Beim Lesen wird deutlich, dass die Krankheit des Vaters gut zum Ausdruck kommt und die Symptomatik nachvollziehbar beschrieben wird. Problematisch bei ihm ist z.B. der Umstand, dass sich Wahnvorstellungen und reale Erinnerungen vermischen können. Es stellt sich also die Frage, wie zuverlässig die Aussagen von Vincent überhaupt sind. Auch der Arbeitsprozess von Olivia, aus dem unfertigen Manuskript und den Erzählungen des Vaters sowie eigener Recherchearbeit ein in sich kohärentes Buch zu formen, wird interessant geschildert. Sie muss zahlreiche Hürden bewältigen. Dabei steht auch ihr Ruf als Ghostwriterin auf dem Spiel (vom Verlag und von Konkurrenten erhält sie Gegenwind). Auch die Charakteristik und die Beziehungskonstellationen der Figuren kommt sehr gut zum Ausdruck und ist differenziert angelegt. Dafür sorgen auch eingeschobene Kapitel mit Rückblicken in das Jahr 1975 aus der Ich-Perspektive von Vincent und dessen Schwester Poppy. Das größte Manko ist in meinen Augen aber die Spannungsarmut: Die Spannung baut sich langsam auf und der Spannungsbogen ist nur schwach spürbar. Das Tempo ist nicht allzu hoch. Für mich entstanden zu wenig Fragen, die ich beantwortet wissen wollte. Meine Neugier wurde wenig „angestachelt“. Alles dreht sich in erster Linie um die Rekonstruktion des Familiengeheimnisses von 1975. Aber richtig miträtseln konnte man dabei auch nicht. Schade!


Insgesamt fand ich das Buch, wie schon gesagt, nicht sehr packend (weder zu Beginn, noch im Mittelteil oder am Schluss). Es kann in meinen Augen bei Weitem nicht mit den ersten beiden Werken mithalten („Der Plan“ und „Der Tausch“). Thematisch entfernt es sich auch deutlich von diesen beiden ersten Büchern. Es geht nun weniger um starke Frauenfiguren, die sich gegen toxische Männlichkeit zur Wehr setzen. Die Autorin probiert mal etwas anderes und öffnet sich damit einem breiteren Lesepublikum (was ja gut ist!). Der Schreibstil bzw. die Übersetzung ist trotz der Spannungsarmut aber sehr angenehm und „Die unsichtbare Hand“ liest sich flüssig. Man bleibt an den Zeilen haften.  Man wird nur leider nicht mitgerissen. Deshalb ist es für mich auch nur ein durchschnittlicher Spannungsroman (als Thriller kann man das Buch nicht bezeichnen). Von mir gibt es dafür 3 Sterne.


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