Familiengeheimnisse
Nach 30 Jahren der Funkstille
erhält Olivia, die inzwischen als Ghostwriterin arbeitet und aufgrund eines Skandals
in schwieriges berufliches „Fahrwasser“ geraten ist, von ihrem Vater unerwartet
den Auftrag, für ihn seine Memoiren zu schreiben und das vorhandene Manuskript druckreif
zu überarbeiten. Grund dafür ist eine schwere Erkrankung, die seine Schreibfähigkeit
beeinträchtigt. Er leidet an der sog. Lewy-Körper-Demenz. Und aus finanziellen
Erwägungen heraus beschließt sie die Offerte anzunehmen und tritt wieder mit ihm
in Kontakt. Vor ihrem Umfeld aber verschweigt Olivia, dass es sich bei ihrem neuen
Auftraggeber um ihren eigenen Vater handelt.
Als Olivia in ihre alte Heimat
zurückkehrt, wird sie mit Erinnerungen an ihre Kindheit konfrontiert. Diese
verlief alles andere als glücklich. Ihr Vater war aufgrund des Verlusts seiner
Geschwister ein gebrochener Mann und schwer traumatisiert. Er flüchtete sich in
Alkohol und Drogen. Olivias Mutter verließ die Familie früh und ließ ihre
Tochter allein mit ihrem Vater zurück. Als sie wieder aufeinandertreffen, liegt
Spannung in der Luft. Sie einigen sich schließlich darauf, die Zusammenarbeit
für eine Woche zu testen, bevor sie gemeinsam entscheiden, wie es weitergeht.
Für ihren Vater wird das Schreiben seiner Memoiren zu einer Form der Konfrontationstherapie.
Er will die Zeit vor dem Doppelmord beleuchten und davon berichten. Er will
sein jahrelanges Schweigen brechen und Stellung zu den Anschuldigungen nehmen,
die immer wieder gegen ihn vorgebracht wurden. Und Olivia ist neugierig, mehr
über die Vergangenheit zu erfahren. Wir tauchen ein in das Jahr 1975 und die
zentrale Frage, die man sich während der Lektüre stellt, lautet: Was hat sich
damals wirklich zugetragen?
Beim Lesen wird deutlich, dass
die Krankheit des Vaters gut zum Ausdruck kommt und die Symptomatik nachvollziehbar
beschrieben wird. Problematisch bei ihm ist z.B. der Umstand, dass sich
Wahnvorstellungen und reale Erinnerungen vermischen können. Es stellt sich also
die Frage, wie zuverlässig die Aussagen von Vincent überhaupt sind. Auch der
Arbeitsprozess von Olivia, aus dem unfertigen Manuskript und den Erzählungen
des Vaters sowie eigener Recherchearbeit ein in sich kohärentes Buch zu formen,
wird interessant geschildert. Sie muss zahlreiche Hürden bewältigen. Dabei
steht auch ihr Ruf als Ghostwriterin auf dem Spiel (vom Verlag und von
Konkurrenten erhält sie Gegenwind). Auch die Charakteristik und die
Beziehungskonstellationen der Figuren kommt sehr gut zum Ausdruck und ist
differenziert angelegt. Dafür sorgen auch eingeschobene Kapitel mit Rückblicken
in das Jahr 1975 aus der Ich-Perspektive von Vincent und dessen Schwester
Poppy. Das größte Manko ist in meinen Augen aber die Spannungsarmut: Die
Spannung baut sich langsam auf und der Spannungsbogen ist nur schwach spürbar. Das
Tempo ist nicht allzu hoch. Für mich entstanden zu wenig Fragen, die ich beantwortet
wissen wollte. Meine Neugier wurde wenig „angestachelt“. Alles dreht sich in
erster Linie um die Rekonstruktion des Familiengeheimnisses von 1975. Aber
richtig miträtseln konnte man dabei auch nicht. Schade!
Insgesamt fand ich das Buch, wie
schon gesagt, nicht sehr packend (weder zu Beginn, noch im Mittelteil oder am
Schluss). Es kann in meinen Augen bei Weitem nicht mit den ersten beiden Werken
mithalten („Der Plan“ und „Der Tausch“). Thematisch entfernt es sich auch deutlich
von diesen beiden ersten Büchern. Es geht nun weniger um starke Frauenfiguren,
die sich gegen toxische Männlichkeit zur Wehr setzen. Die Autorin probiert mal
etwas anderes und öffnet sich damit einem breiteren Lesepublikum (was ja gut
ist!). Der Schreibstil bzw. die Übersetzung ist trotz der Spannungsarmut aber
sehr angenehm und „Die unsichtbare Hand“ liest sich flüssig. Man bleibt an den
Zeilen haften. Man wird nur leider nicht
mitgerissen. Deshalb ist es für mich auch nur ein durchschnittlicher Spannungsroman
(als Thriller kann man das Buch nicht bezeichnen). Von mir gibt es dafür 3
Sterne.
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