Georg Wilhelm Pabst als tragische Figur
Daniel
Kehlmann dürfte den meisten durch sein Erfolgsbuch „Die Vermessung der Welt“
bekannt sein. Auch in seinem neuesten Werk „Lichtspiel“ widmet er sich einer
historischen Figur: Dem Regisseur Georg Wilhelm Pabst. Und eines gleich vorweg:
Der Roman hat mir sehr gut gefallen.
Schon
der Einstieg ist klasse. Franz Wilzek (eine fiktive Figur!), selbst Regisseur
und ehemaliger Kameraassistent von G. W. Pabst, wird in die Sendung „Was gibt
es Neues vom Sonntag“ von Heinz Conrads eingeladen. Was diese Rahmenhandlung so
besonders macht, ist der geistig verwirrte Zustand, in dem sich Wilzek befindet
und der gut zum Ausdruck kommt. Er wirkt orientierungslos und überfordert, hat
Schwierigkeiten sich zu erinnern und kann nicht angemessen auf die Fragen des
Moderators reagieren. Die Folge seiner Demenzerkrankung.
Danach
folgt ein Schwenk nach Hollywood. Pabst ist inmitten von Verhandlungen für
einen neuen Film. Man will ihn mit amerikanischer Freundlichkeit überreden,
einen Film zu drehen, der nicht nach seinem Geschmack ist. Pabst lehnt zunächst
ab, bleibt kategorisch bei seinem „Nein“. Eine sehr humorvolle Passage. Die
interkulturellen Missverständnisse, das schlechte Englisch von Pabst, all das
wurde hervorragend gestaltet und wirkt amüsant.
Danach
folgen immer wieder Sequenzen aus dem Leben des Regisseurs. Einzelne Stationen
werden szenenartig aneinander gereiht. Dazwischen immer wieder Zeitsprünge. Und
ich stoße bei meiner Lektüre immer wieder auf Highlights: z.B. die Unterredung
mit Greta Garbo, die eine von Pabst angebotene Rolle ablehnt. Sie ist zwar
dankbar, dass Pabst sie entdeckt hat, aber ihre Dankbarkeit kennt Grenzen. Auch
Pabsts Rückkehr mit dem Zug in seine Geburtsland blieb mir im Gedächtnis: Er
weiß genau, welche politischen Zustände im Land herrschen. Trotzdem verordnet
er sich, seiner Frau und seinem Sohn zu schweigen. Wie er wirklich über die politischen
Veränderungen denkt, erfahren wir nicht. Er bezeichnet sich selbst als nichtpolitischen
Menschen. Eine weitere gut arrangierte Textstelle ist Pabsts Gespräch mit
Goebbels. Es wird deutlich, dass Pabst eigentlich gar keine Absicht mehr hat,
weitere Filme zu drehen. Propaganda ist ihm zuwider. Doch der
Propagandaminister legt ihm Worte in den Mund und droht ihm subtil. Der
Regisseur kann sich nicht behaupten und knickt ein. Und man fragt sich als
Leser:in automatisch die alles entscheidende Frage: Wie hätte man selbst
gehandelt?
Deutlich
wird auch, was für eine tragische Figur Pabst ist. In den USA will sich der Erfolg
nicht so recht einstellen, sein erster Film schlägt nicht ein und er kassiert
Absagen von weiblichen Darstellerinnen. Er weicht zunächst in andere Länder wie
z.B. Frankreich aus, doch es gelingt ihm einfach nicht, an alte, erfolgreiche
Zeiten anzuknüpfen. Er entschließt sich in seine Heimat zurückzukehren, trotz
des Wissens um die dort herrschenden politischen Zustände. Und als er seinen Fehler
erkennt und ihn korrigieren will, bricht der Krieg aus, die Grenzen werden
geschlossen und Pabst sitzt mit seiner Familie fest. Es gibt kein Zurück mehr. Und
das Regime ist bereits auf ihn aufmerksam geworden. Er wird, wie schon erwähnt,
vom Propagandaminister Goebbels nach Berlin eingeladen und kann dem auf ihn
ausgeübten Druck nicht widerstehen. Er dreht wieder Filme und muss sich mit dem
Regime arrangieren.
Ich
bin mit der Erwartungshaltung an das Buch gegangen, dass Pabst ein Opportunist
ist. Dies würde ich nach der Lektüre aber nicht mehr so sehen. Pabst hält sich
einfach heraus, er will nicht sehen, was um ihn herum passiert. Er nimmt zwar
stellenweise wahr, was um ihn herum passiert (das wird v.a. bei den
dargestellten Dreharbeiten deutlich), schweigt aber dazu und behält seine
Gedanken für sich. Dennoch wird für mich an vielen Stellen deutlich, dass er
mit dem Regime hadert und längst nicht mit allem einverstanden ist. Doch er
harrt im Land aus und stürzt sich in die Arbeit. Das Drehen von Filmen ist
seine Ablenkung. Pabst wird zunehmend „umgebungsblind“, ihm geht es nur darum,
wieder einen großen Erfolg einzufahren. Das zeigt sich vor allem bei den
Dreharbeiten zu seinem Film „Der Fall Molander“. Und man kann sich wieder
fragen: Welche Wahl hat er auch? Er muss sich mit den Gegebenheiten
arrangieren. Hat er eine Alternative? Wenn ja, welche? Es lohnt sich auch, das
Vater-Sohn-Verhältnis genauer in den Blick zu nehmen, um Pabsts Ansichten zum
Krieg auszuloten. Eine Entfremdung zwischen den beiden wird nur allzu deutlich.
Und es zeigt sich auch am Beispiel des Sohnes, wie das Sein das Bewusstsein
bestimmt.
Was
mich während der Lektüre ständig umtreibt, ist die Frage, was tatsächlich
historisch verbürgt ist und was fiktiv ist. Kehlmann verwebt Fiktion und
Fakten. Es gibt fiktive Figuren wie z.B. Franz Wilzek aus der Rahmenhandlung
und weitere. Auch die Gespräche zwischen den Figuren sind fiktiv. Mich verunsichert
so etwas immer, denn ich möchte mir ungern etwas Falsches merken. Doch Kehlmann
geht es nicht darum, einen historischen Roman zu schreiben (hier empfehle ich
eher Bücher von Ulf Schiewe). Trotzdem hätte ich mir ein informativeres
Nachwort gewünscht, in dem der Autor evtl. darlegt, was Wirklichkeit ist und
was nicht. Mein Wunsch nach einem umfangreicheren Nachwort führt aber nicht zu
einem Sternabzug. So komme ich für dieses lesenswerte Buch auf 5 Sterne!
1 Kommentar:
Wie immer, finde ich deine Rezension sehr informativ. Womit ich beim Lesen auch immer Probleme habe, ist zu erkennen, was ist real und was ist fiktiv. Wenn das Buch irgendwann auf meinem SUB liegt, wird es sicher einen der vorderen Plätze einnehmen. VG
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