Was weiß man zur Dunklen Energie?
Die
Lektüre des Sachbuchs „Alles Zufall im All?“ hat mich neugierig auf weitere
Themenfelder werden lassen. So wollte ich mehr zu Exoplaneten wissen (vgl. dazu
eine frühere Rezension zum Themenheft „Spektrum der Wissenschaft. Kompakt 02/2020“)
und auch über die Dunkle Energie möchte ich noch mehr erfahren. Deshalb
entschied ich mich für das Spektrum-der-Wissenschaft-Themenheft „Dunkle
Energie. Rätselhafter Antrieb des expandierenden Universums“ (05/19). So finde
ich erstaunlich, dass man zwar durch Beobachtungen weiß, dass das All
expandiert, aber bisher kaum etwas darüber weiß, warum dies so ist. Man geht
zwar davon aus, dass die Dunkle Energie ca. 70 Prozent der Gesamtenergie des
Kosmos ausmacht, aber die physikalischen Prozesse dahinter bleiben unklar (vgl.
Editorial). In dem vorliegenden Heft werden z.B. verschiedene Modelle der
Ausdehnung des Alls vorgestellt und auch der Streit um die Hubble-Konstante
wird thematisiert (= wie schnell dehnt sich das Universum aus?). Auch das kosmologische
Standardmodell wird in den Blick genommen und dessen Schwachstellen beleuchtet.
Nicht zuletzt erfahren wir etwas über das Röntgenteleskop „eRosita“. Kurzum:
Ein knapper, kompakter Überblick über das Thema der Dunklen Energie in
verständlicher, populärwissenschaftlich ansprechender Form. Was mir an den
Heften gut gefällt, ist der Umstand, dass auch Kontroversen der Forschung
deutlich werden. Das finde ich enorm bereichernd, zeigt es doch, dass es viel Uneinigkeit
gibt.
Beitrag
1: Rätselhaftes Phänomen. Brisante Dunkle Energie von Adam G. Riess und Mario
Livio
Dass
das Universum expandiert, erkannte man bereits in den 1920er Jahren, so die
Autoren. Heute wisse man darüber hinaus, dass sich die Expansion beschleunigt. Man
habe allerdings noch keine Erklärung dafür. Es werden verschiedene
Erklärungsansätze vorgestellt: 1. Das Vakuum selbst enthalte Energie, die das
Universum auseinandertreibt (= Kosmologische Konstante). Die Expansion dauert
also möglicherweise ewig an, 2. Die Dunkle Energie rühre von einem Kraftfeld
her, das den Kosmos durchziehe und dessen Stärke mit der Zeit zu- oder abnehmen
könne (= Quintessenz). Es käme zu einem „Big Rip“ oder „Big Crunch“, 3. Die
Gesetze der Schwerkraft seien bisher nicht richtig verstanden worden (= Es gibt
keine Dunkle Energie). Ist womöglich eine ganz neue Theorie nötig? Die Autoren
diskutieren im Zusammenhang mit den Modellen auch die Annahme eines
Multiversums, weisen aber auch darauf hin, dass eine solche Annahme höchst
spekulativ sei und sich nicht überprüfen ließe. Letztlich, so die Autoren,
werden mehr Daten benötigt, um genauere Annahmen treffen zu können. Riess und
Livio sind zuversichtlich, dass das kommende Jahrzehnt die Auflösung des
Rätsels um die Dunkle Energie mit sich bringt
Beitrag
2: Kontroverse um eine Konstante. Streit um Hubbles Erbe von Dominik J. Schwarz
Wie
schnell expandiert das Weltall? Genau um diese Frage geht es in dem Beitrag.
Hubble sei dieser Frage mit Hilfe von Teleskopen nachgegangen und eine nach ihm
benannte Messgröße habe sich als Maß dafür etabliert, wie schnell sich das All
ausdehnt. Nach heutigem Kenntnisstand hat diese Hubble-Konstante einen Wert von
ca. 70km pro Sekunde pro Megaparsec (= 3,26 Mio. Lichtjahre): „Mit jedem
Megaparsec Entfernung (…) wächst die Expansionsgeschwindigkeit um 70 Kilometer
pro Sekunde“ (S. 18). Bis heute existiere aber ein fortwährender Streit um den
genauen Wert der Hubble-Konstante, deren Berechnung auch von der
Messgenauigkeit der Instrumente und der Messmethode abhängig sei. Je nach
Methode gelange man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und die Messgenauigkeit
hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verbessert. Vor allem mit dem
Hubble-Weltraumteleskop konnte schließlich eine exaktere Eingrenzung
vorgenommen werden (vgl. S. 23). Auch der Begriff der „Konstante“ wird
diskutiert. So weist der Autor darauf hin, dass mit der Konstante die aktuelle
(!) Geschwindigkeit der Ausdehnung des Alls angegeben wird. Da die
Expansionsgeschwindigkeit sich allerdings verändere, ändere sich damit auch die
Hubble-Konstante. Darüber hinaus wird im Beitrag erläutert, wie sich die
Entfernung von Himmelsobjekten überhaupt messen lässt. Auch hier gibt es
verschiedene Methoden und alle haben ihre Schwachpunkte (vgl. S. 26). Je nach
Methode erhalte man unterschiedliche Werte für die Hubble-Konstante. Auf der
einen Seite gibt es Forscher, die auf einen Wert von ca. 72 bis 75 km/s/Mpc kommen.
Auf der anderen Seite gibt es Wissenschaftler, die einen ca. 5-8 km/s/Mpc
niedrigeres Ergebnis erhalten. Doch wer hat nun Recht? Der Autor bringt den
Kompromiss-Vorschlag ins Spiel, dass weder die globale noch die lokale Messung
falsch ist. Die lokale Messung beziehe sich auf einen Bruchteil des bekannten
Kosmos, die globale Messung hingegen mittle den gesamten sichtbaren Bereich des
Universums: „Es ist also auch im Weltall naheliegend, dass die lokal gemessene
Expansionsgeschwindigkeit von Ort zu Ort kleine Variationen aufweist. Grund
hierfür könnten beispielsweise lokale Unterschiede in der Materiedichte sein“
(S. 30). Ob der Streit mit diesem Vorschlag beigelegt werden kann, bleibt
fraglich. Es bleibt also spannend.
Beitrag
3: Nobelpreise 2011. Das beschleunigte Universum von Thomas Bührke
In
diesem Beitrag werden drei Astronomen vorgestellt, die 2011 den Nobelpreis für
Physik erhielten, und zwar für ihre Entdeckung der beschleunigten Expansion des
Universums (Saul Perlmutter, Adam Riess, Brian Schmidt). Die Forscher machten
sich vor allem die Helligkeit von Supernovae zunutze, um Entfernungen und die
Ausdehnungsgeschwindigkeit zu berechnen. Man geht gegenwärtig davon aus, dass
die Dunkle Energie und ihr Verhalten der Grund für die beschleunigte Expansion
ist.
Beitrag
4: Dark Energy Survey. Inventur des dunklen Alls von Natalie Wolchover
In
diesem Beitrag wird das Teleskopexperiment Dark Energy Survey (DES) genauer
vorgestellt, mit dem die Materie und die Energieformen des Universums genauer
untersucht werden. Auf diese Weise soll die Menge an Dunkler Energie und
Dunkler Materie im Kosmos genauer bestimmt werden. Dafür wurden 26 Mio. Galaxien
in einem großen Bereich des südlichen Sternenhimmels beobachtet. Zentrale
Erkenntnis: „Das Universum besteht zu 74% aus Dunkler Energie und zu 21 Prozent
aus Dunkler Materie, während die normale, sichtbare Materie lediglich die
verbliebenen 5 Prozent ausmacht“ (S.
42). Im Beitrag wird auch näher erläutert, was der Unterschied zwischen Dunkler
Materie und Dunkler Energie ist. Auch wird wieder verdeutlicht, dass man je
nach Messinstrument abweichende Werte erhält, wenn man dunkle und sichtbare
Materie bestimmen will: „Planck hatte den Gesamtanteil an Materie (…) zu rund
33 Prozent des heutigen Kosmos bestimmt (…). Die neuen DES-Messungen ergaben 26
Prozent (…)“ (S. 44). Es bleibt spannend, ob mit größeren Datenmengen die
Unterschiede bestehen bleiben oder eben nicht.
Beitrag
5: Kosmologischer Streit. Dunkle Energie gibt es nicht? Nicht so hastig! Von
Dan Scolnic und Adam G. Riess
In
diesem Beitrag wird ein von J.T. Nielsen, A. Guffanti und S. Sarkar
publizierter Artikel diskutiert. Ihr Artikel sei von Medien aufgegriffen
worden, um die Existenz Dunkler Energie in Zweifel zu ziehen. Die Autoren
erläutern jedoch, dass die Forscher wichtige Details in einem großen Teil der
Daten ignoriert hätten. Nach Riess und Scolnic gibt es keinen Zweifel daran,
dass die Dunkle Energie existiert und das Universum beschleunigt expandiert. Es
sei lediglich unklar, was die genaue Natur der Dunklen Energie ist.
Beitrag
6: Überraschende Beobachtung. Ärger für das Standardmodell? Von Jan Hattenbach
Das
beobachtbare Universum macht nur 5 % der Materie aus, 95 % des Kosmos bleiben
im Dunkeln. Der Autor weist in seinem Beitrag auf Schönheitsfehler des
Standardmodells hin. So gebe es für die Dunkle Energie bisher keine passende
physikalische Erklärung. Keiner wisse, was hinter dieser Energieform stecke.
Und auch die Dunkle Materie sei bisher noch nicht entdeckt worden. Alle
Anstrengungen, hypothetische Materiepartikel zu finden, seien bislang erfolglos
geblieben. Und der Autor weist noch auf einen Aspekt hin: Die Bewegung von kleineren
Satellitengalaxien würden dem Standardmodell nicht gerecht. In diesem
Zusammenhang wird auf das Illustris-Projekt hingewiesen, ein Computermodell,
das über 40.000 simulierte Galaxien enthält. Und Illustris reproduziere das
„echte“ Universum verblüffend gut, allerdings mit der Ausnahme der
Satellitengalaxien. Stößt die Simulation hier möglicherweise an seine Grenzen?
Das Standardmodell bietet jedenfalls noch genug offene Fragen, an denen weiter
geforscht werden muss.
Beitrag
7: De-Sitter-Universen. Führt die Stringtheorie ins Sumpfland? Von Nathalie
Wolchover
In
diesem Beitrag wird die These eines angesehenen String-Theoretikers diskutiert.
Cumrun Vafa und sein Team behaupten, dass ein Universum wie das unsere nach der
String-Theorie eigentlich nicht möglich ist. Unser Bild vom Kosmos widerspreche
der String-Theorie in zwei Punkten: 1. in Bezug auf die Expansion des Kosmos
und 2. in Bezug auf die Annahme einer inflationären Phase. Unklar sei auch, ob
die Dunkle Energie eine variable oder konstante Größe ist. Anders ausgedrückt:
Nimmt die Geschwindigkeit der Expansion immer weiter zu? Oder verändert sich
das Tempo der Ausdehnung mit der Zeit? Momentan gehe man eher von der ersten
Annahme aus (= Big Rip), aber denkbar sei auch das andere Szenario. Ein „Big
Rip“ ist nach Vafa allerdings nicht möglich. Nur die Annahme einer
veränderlichen Größe sei mit der String-Theorie vereinbar. Und auch die
Inflationstheorie steht im Widerspruch zur Argumentation von Vafa. Letztlich
zeigt diese ganze Diskussion in meinen Augen, wie spekulativ dieser ganze
Forschungsbereich ist. Vielleicht ist es ja auch genau andersherum, wie
Wolchover konstatiert: Widerlegt das Vorhandensein der Dunklen Energie evtl.
die String-Theorie? Das Problem an der String-Theorie sei, dass sich ihre
Vorhersagen nicht experimentell überprüfen lassen. Mehrere Dimensionen ließen
sich nicht beobachten.
Beitrag
8: Außerirdische Zivilisationen. Wie Lebewesen der Dunklen Energie entkommen
könnten. Von Robert Gast
Dieser
Beitrag ist eher mit einem großen Augenzwinkern zu verstehen und mutet wie
Science-Fiction an. Ausgangsfrage ist die Folgende: Wie könnte eine
außerirdische Zivilisation mit dem Problem des expandierenden Universums
umgehen? Das Problem sei, dass der Kosmos durch die Dunkle Energie immer weiter
gestreckt wird und dass das Licht benachbarter Himmelsobjekte in
schätzungsweise 100 Mio. Jahre die potentiellen Beobachter gar nicht mehr
erreicht. Der Autor schlägt den Bau von Dyson-Sphären vor, um die Position von
Sternen zu verschieben. Würde ein Gasriese mit einer Hohlkugel ummantelt, auf
dessen Innenseite Solarzellen und ein Spiegel befestigt sind, so ließen sich
Sterne bewegen. Auf diese Weise könnte eine hoch entwickelte Zivilisation der
Dunklen Energie ein Schnippchen schlagen. Problem dabei ist allerdings, dass
die Sterne nicht zu schwer sein dürfen.
Beitrag
9: Röntgenteleskop EROSITA. Auf Tuchfühlung mit der Dunklen Energie von
Alexander Stirn.
In
diesem Beitrag wird das Röntgenteleskop EROSITA genauer vorgestellt. Das
Projekt wird mit all seinen Herausforderungen und Hürden skizziert und es wird
erläutert, was EROSITA leisten soll. Der Himmel soll nach Röntgenquellen
abgesucht werden. Dafür werden ca. 100.000 Galaxienhaufen in den Blick
genommen. Auf diese Weise hofft man darauf, Hinweise auf die Dunkle Energie zu
finden. Ziel ist es, Masse, Anzahl und Entfernung der beobachteten
Himmelsobjekte zu bestimmen und daraus etwas über die Dichte des Universums zu
unterschiedlichen Zeitpunkten herauszufinden.
Beitrag
10: Urknall und Kosmologie. Quasare sprechen für neue extreme Dunkle Energie.
Von Andreas Müller
Ein
großes Streitthema unter Astronomen ist das Maß der Expansionsgeschwindigkeit
des Alls und die Frage, ob die Dunkle Energie statisch oder variabel ist. Im
Beitrag wird eine Arbeit vorgestellt, in der Quasare als sogenannte
„Standardkerze“ genutzt werden. Dies ist aufgrund ihrer enormen Helligkeit
möglich. Und man stellte fest: „Je weiter ein Quasar entfernt ist, je weiter er
also in der kosmischen Vergangenheit liegt, desto weniger stark war er von der
Dunklen Energie erfasst worden“ (S. 77). Daraus schlussfolgern die Forscher,
dass die Energiedichte der Energieform mit der Zeit zunimmt. In diesem Fall
wäre die Dunkle Energie eine variable und keine statische Größe. Und auch für
den Streit um die Hubble-Konstante liefert die Quasar-Methode nützliche
Erkenntnisse.
Beitrag
11: GW170817. Hubble-Kontroverse könnte sich schneller aufklären lassen als
gedacht. Von Robert Gast
In diesem Beitrag geht es noch einmal um das Thema der „Hubble-Konstante“ und um die Frage, wer Recht hat, was die Ausdehnungsgeschwindigkeit angeht. Es wird nun eine andere Messmethode vorgestellt, basierend auf den Zusammenstößen von Neutronen-Sternen. Dank der beim Crash freigesetzten Gravitationswellen und anhand der Rotverschiebung der Strahlung lässt sich die Fluchtgeschwindigkeit ermitteln. Man kommt auf einen Wert von 70km/sec/Mpc Problem: Man konnte bisher nur einmal ein solches Ereignis beobachten, was noch nicht ausreicht, um einen präzisen Wert des Tempos zu ermitteln. Die Messunsicherheit ist zu groß. Es bleibt also spannend, was in Zukunft noch für Erkenntnisfortschritte erzielt werden.
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