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Freitag, 8. Dezember 2023

Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT 05/2019 (Hrsg.) - Dunkle Energie. Rätselhafter Antrieb des expandierenden Universums






Was weiß man zur Dunklen Energie?



Die Lektüre des Sachbuchs „Alles Zufall im All?“ hat mich neugierig auf weitere Themenfelder werden lassen. So wollte ich mehr zu Exoplaneten wissen (vgl. dazu eine frühere Rezension zum Themenheft „Spektrum der Wissenschaft. Kompakt 02/2020“) und auch über die Dunkle Energie möchte ich noch mehr erfahren. Deshalb entschied ich mich für das Spektrum-der-Wissenschaft-Themenheft „Dunkle Energie. Rätselhafter Antrieb des expandierenden Universums“ (05/19). So finde ich erstaunlich, dass man zwar durch Beobachtungen weiß, dass das All expandiert, aber bisher kaum etwas darüber weiß, warum dies so ist. Man geht zwar davon aus, dass die Dunkle Energie ca. 70 Prozent der Gesamtenergie des Kosmos ausmacht, aber die physikalischen Prozesse dahinter bleiben unklar (vgl. Editorial). In dem vorliegenden Heft werden z.B. verschiedene Modelle der Ausdehnung des Alls vorgestellt und auch der Streit um die Hubble-Konstante wird thematisiert (= wie schnell dehnt sich das Universum aus?). Auch das kosmologische Standardmodell wird in den Blick genommen und dessen Schwachstellen beleuchtet. Nicht zuletzt erfahren wir etwas über das Röntgenteleskop „eRosita“. Kurzum: Ein knapper, kompakter Überblick über das Thema der Dunklen Energie in verständlicher, populärwissenschaftlich ansprechender Form. Was mir an den Heften gut gefällt, ist der Umstand, dass auch Kontroversen der Forschung deutlich werden. Das finde ich enorm bereichernd, zeigt es doch, dass es viel Uneinigkeit gibt.

 

Beitrag 1: Rätselhaftes Phänomen. Brisante Dunkle Energie von Adam G. Riess und Mario Livio

Dass das Universum expandiert, erkannte man bereits in den 1920er Jahren, so die Autoren. Heute wisse man darüber hinaus, dass sich die Expansion beschleunigt. Man habe allerdings noch keine Erklärung dafür. Es werden verschiedene Erklärungsansätze vorgestellt: 1. Das Vakuum selbst enthalte Energie, die das Universum auseinandertreibt (= Kosmologische Konstante). Die Expansion dauert also möglicherweise ewig an, 2. Die Dunkle Energie rühre von einem Kraftfeld her, das den Kosmos durchziehe und dessen Stärke mit der Zeit zu- oder abnehmen könne (= Quintessenz). Es käme zu einem „Big Rip“ oder „Big Crunch“, 3. Die Gesetze der Schwerkraft seien bisher nicht richtig verstanden worden (= Es gibt keine Dunkle Energie). Ist womöglich eine ganz neue Theorie nötig? Die Autoren diskutieren im Zusammenhang mit den Modellen auch die Annahme eines Multiversums, weisen aber auch darauf hin, dass eine solche Annahme höchst spekulativ sei und sich nicht überprüfen ließe. Letztlich, so die Autoren, werden mehr Daten benötigt, um genauere Annahmen treffen zu können. Riess und Livio sind zuversichtlich, dass das kommende Jahrzehnt die Auflösung des Rätsels um die Dunkle Energie mit sich bringt

 

Beitrag 2: Kontroverse um eine Konstante. Streit um Hubbles Erbe von Dominik J. Schwarz

Wie schnell expandiert das Weltall? Genau um diese Frage geht es in dem Beitrag. Hubble sei dieser Frage mit Hilfe von Teleskopen nachgegangen und eine nach ihm benannte Messgröße habe sich als Maß dafür etabliert, wie schnell sich das All ausdehnt. Nach heutigem Kenntnisstand hat diese Hubble-Konstante einen Wert von ca. 70km pro Sekunde pro Megaparsec (= 3,26 Mio. Lichtjahre): „Mit jedem Megaparsec Entfernung (…) wächst die Expansionsgeschwindigkeit um 70 Kilometer pro Sekunde“ (S. 18). Bis heute existiere aber ein fortwährender Streit um den genauen Wert der Hubble-Konstante, deren Berechnung auch von der Messgenauigkeit der Instrumente und der Messmethode abhängig sei. Je nach Methode gelange man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und die Messgenauigkeit hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verbessert. Vor allem mit dem Hubble-Weltraumteleskop konnte schließlich eine exaktere Eingrenzung vorgenommen werden (vgl. S. 23). Auch der Begriff der „Konstante“ wird diskutiert. So weist der Autor darauf hin, dass mit der Konstante die aktuelle (!) Geschwindigkeit der Ausdehnung des Alls angegeben wird. Da die Expansionsgeschwindigkeit sich allerdings verändere, ändere sich damit auch die Hubble-Konstante. Darüber hinaus wird im Beitrag erläutert, wie sich die Entfernung von Himmelsobjekten überhaupt messen lässt. Auch hier gibt es verschiedene Methoden und alle haben ihre Schwachpunkte (vgl. S. 26). Je nach Methode erhalte man unterschiedliche Werte für die Hubble-Konstante. Auf der einen Seite gibt es Forscher, die auf einen Wert von ca. 72 bis 75 km/s/Mpc kommen. Auf der anderen Seite gibt es Wissenschaftler, die einen ca. 5-8 km/s/Mpc niedrigeres Ergebnis erhalten. Doch wer hat nun Recht? Der Autor bringt den Kompromiss-Vorschlag ins Spiel, dass weder die globale noch die lokale Messung falsch ist. Die lokale Messung beziehe sich auf einen Bruchteil des bekannten Kosmos, die globale Messung hingegen mittle den gesamten sichtbaren Bereich des Universums: „Es ist also auch im Weltall naheliegend, dass die lokal gemessene Expansionsgeschwindigkeit von Ort zu Ort kleine Variationen aufweist. Grund hierfür könnten beispielsweise lokale Unterschiede in der Materiedichte sein“ (S. 30). Ob der Streit mit diesem Vorschlag beigelegt werden kann, bleibt fraglich. Es bleibt also spannend.

 

Beitrag 3: Nobelpreise 2011. Das beschleunigte Universum von Thomas Bührke

In diesem Beitrag werden drei Astronomen vorgestellt, die 2011 den Nobelpreis für Physik erhielten, und zwar für ihre Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums (Saul Perlmutter, Adam Riess, Brian Schmidt). Die Forscher machten sich vor allem die Helligkeit von Supernovae zunutze, um Entfernungen und die Ausdehnungsgeschwindigkeit zu berechnen. Man geht gegenwärtig davon aus, dass die Dunkle Energie und ihr Verhalten der Grund für die beschleunigte Expansion ist.

 

Beitrag 4: Dark Energy Survey. Inventur des dunklen Alls von Natalie Wolchover

In diesem Beitrag wird das Teleskopexperiment Dark Energy Survey (DES) genauer vorgestellt, mit dem die Materie und die Energieformen des Universums genauer untersucht werden. Auf diese Weise soll die Menge an Dunkler Energie und Dunkler Materie im Kosmos genauer bestimmt werden. Dafür wurden 26 Mio. Galaxien in einem großen Bereich des südlichen Sternenhimmels beobachtet. Zentrale Erkenntnis: „Das Universum besteht zu 74% aus Dunkler Energie und zu 21 Prozent aus Dunkler Materie, während die normale, sichtbare Materie lediglich die verbliebenen 5  Prozent ausmacht“ (S. 42). Im Beitrag wird auch näher erläutert, was der Unterschied zwischen Dunkler Materie und Dunkler Energie ist. Auch wird wieder verdeutlicht, dass man je nach Messinstrument abweichende Werte erhält, wenn man dunkle und sichtbare Materie bestimmen will: „Planck hatte den Gesamtanteil an Materie (…) zu rund 33 Prozent des heutigen Kosmos bestimmt (…). Die neuen DES-Messungen ergaben 26 Prozent (…)“ (S. 44). Es bleibt spannend, ob mit größeren Datenmengen die Unterschiede bestehen bleiben oder eben nicht.

 

Beitrag 5: Kosmologischer Streit. Dunkle Energie gibt es nicht? Nicht so hastig! Von Dan Scolnic und Adam G. Riess

In diesem Beitrag wird ein von J.T. Nielsen, A. Guffanti und S. Sarkar publizierter Artikel diskutiert. Ihr Artikel sei von Medien aufgegriffen worden, um die Existenz Dunkler Energie in Zweifel zu ziehen. Die Autoren erläutern jedoch, dass die Forscher wichtige Details in einem großen Teil der Daten ignoriert hätten. Nach Riess und Scolnic gibt es keinen Zweifel daran, dass die Dunkle Energie existiert und das Universum beschleunigt expandiert. Es sei lediglich unklar, was die genaue Natur der Dunklen Energie ist.

 

Beitrag 6: Überraschende Beobachtung. Ärger für das Standardmodell? Von Jan Hattenbach

Das beobachtbare Universum macht nur 5 % der Materie aus, 95 % des Kosmos bleiben im Dunkeln. Der Autor weist in seinem Beitrag auf Schönheitsfehler des Standardmodells hin. So gebe es für die Dunkle Energie bisher keine passende physikalische Erklärung. Keiner wisse, was hinter dieser Energieform stecke. Und auch die Dunkle Materie sei bisher noch nicht entdeckt worden. Alle Anstrengungen, hypothetische Materiepartikel zu finden, seien bislang erfolglos geblieben. Und der Autor weist noch auf einen Aspekt hin: Die Bewegung von kleineren Satellitengalaxien würden dem Standardmodell nicht gerecht. In diesem Zusammenhang wird auf das Illustris-Projekt hingewiesen, ein Computermodell, das über 40.000 simulierte Galaxien enthält. Und Illustris reproduziere das „echte“ Universum verblüffend gut, allerdings mit der Ausnahme der Satellitengalaxien. Stößt die Simulation hier möglicherweise an seine Grenzen? Das Standardmodell bietet jedenfalls noch genug offene Fragen, an denen weiter geforscht werden muss.

 

Beitrag 7: De-Sitter-Universen. Führt die Stringtheorie ins Sumpfland? Von Nathalie Wolchover

In diesem Beitrag wird die These eines angesehenen String-Theoretikers diskutiert. Cumrun Vafa und sein Team behaupten, dass ein Universum wie das unsere nach der String-Theorie eigentlich nicht möglich ist. Unser Bild vom Kosmos widerspreche der String-Theorie in zwei Punkten: 1. in Bezug auf die Expansion des Kosmos und 2. in Bezug auf die Annahme einer inflationären Phase. Unklar sei auch, ob die Dunkle Energie eine variable oder konstante Größe ist. Anders ausgedrückt: Nimmt die Geschwindigkeit der Expansion immer weiter zu? Oder verändert sich das Tempo der Ausdehnung mit der Zeit? Momentan gehe man eher von der ersten Annahme aus (= Big Rip), aber denkbar sei auch das andere Szenario. Ein „Big Rip“ ist nach Vafa allerdings nicht möglich. Nur die Annahme einer veränderlichen Größe sei mit der String-Theorie vereinbar. Und auch die Inflationstheorie steht im Widerspruch zur Argumentation von Vafa. Letztlich zeigt diese ganze Diskussion in meinen Augen, wie spekulativ dieser ganze Forschungsbereich ist. Vielleicht ist es ja auch genau andersherum, wie Wolchover konstatiert: Widerlegt das Vorhandensein der Dunklen Energie evtl. die String-Theorie? Das Problem an der String-Theorie sei, dass sich ihre Vorhersagen nicht experimentell überprüfen lassen. Mehrere Dimensionen ließen sich nicht beobachten.

 

Beitrag 8: Außerirdische Zivilisationen. Wie Lebewesen der Dunklen Energie entkommen könnten. Von Robert Gast

Dieser Beitrag ist eher mit einem großen Augenzwinkern zu verstehen und mutet wie Science-Fiction an. Ausgangsfrage ist die Folgende: Wie könnte eine außerirdische Zivilisation mit dem Problem des expandierenden Universums umgehen? Das Problem sei, dass der Kosmos durch die Dunkle Energie immer weiter gestreckt wird und dass das Licht benachbarter Himmelsobjekte in schätzungsweise 100 Mio. Jahre die potentiellen Beobachter gar nicht mehr erreicht. Der Autor schlägt den Bau von Dyson-Sphären vor, um die Position von Sternen zu verschieben. Würde ein Gasriese mit einer Hohlkugel ummantelt, auf dessen Innenseite Solarzellen und ein Spiegel befestigt sind, so ließen sich Sterne bewegen. Auf diese Weise könnte eine hoch entwickelte Zivilisation der Dunklen Energie ein Schnippchen schlagen. Problem dabei ist allerdings, dass die Sterne nicht zu schwer sein dürfen.

 

Beitrag 9: Röntgenteleskop EROSITA. Auf Tuchfühlung mit der Dunklen Energie von Alexander Stirn.

In diesem Beitrag wird das Röntgenteleskop EROSITA genauer vorgestellt. Das Projekt wird mit all seinen Herausforderungen und Hürden skizziert und es wird erläutert, was EROSITA leisten soll. Der Himmel soll nach Röntgenquellen abgesucht werden. Dafür werden ca. 100.000 Galaxienhaufen in den Blick genommen. Auf diese Weise hofft man darauf, Hinweise auf die Dunkle Energie zu finden. Ziel ist es, Masse, Anzahl und Entfernung der beobachteten Himmelsobjekte zu bestimmen und daraus etwas über die Dichte des Universums zu unterschiedlichen Zeitpunkten herauszufinden.

 

Beitrag 10: Urknall und Kosmologie. Quasare sprechen für neue extreme Dunkle Energie. Von Andreas Müller

Ein großes Streitthema unter Astronomen ist das Maß der Expansionsgeschwindigkeit des Alls und die Frage, ob die Dunkle Energie statisch oder variabel ist. Im Beitrag wird eine Arbeit vorgestellt, in der Quasare als sogenannte „Standardkerze“ genutzt werden. Dies ist aufgrund ihrer enormen Helligkeit möglich. Und man stellte fest: „Je weiter ein Quasar entfernt ist, je weiter er also in der kosmischen Vergangenheit liegt, desto weniger stark war er von der Dunklen Energie erfasst worden“ (S. 77). Daraus schlussfolgern die Forscher, dass die Energiedichte der Energieform mit der Zeit zunimmt. In diesem Fall wäre die Dunkle Energie eine variable und keine statische Größe. Und auch für den Streit um die Hubble-Konstante liefert die Quasar-Methode nützliche Erkenntnisse.

 

Beitrag 11: GW170817. Hubble-Kontroverse könnte sich schneller aufklären lassen als gedacht. Von Robert Gast

In diesem Beitrag geht es noch einmal um das Thema der „Hubble-Konstante“ und um die Frage, wer Recht hat, was die Ausdehnungsgeschwindigkeit angeht. Es wird nun eine andere Messmethode vorgestellt, basierend auf den Zusammenstößen von Neutronen-Sternen. Dank der beim Crash freigesetzten Gravitationswellen und anhand der Rotverschiebung der Strahlung lässt sich die Fluchtgeschwindigkeit ermitteln. Man kommt auf einen Wert von 70km/sec/Mpc Problem: Man konnte bisher nur einmal ein solches Ereignis beobachten, was noch nicht ausreicht, um einen präzisen Wert des Tempos zu ermitteln. Die Messunsicherheit ist zu groß. Es bleibt also spannend, was in Zukunft noch für Erkenntnisfortschritte erzielt werden.


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