Ein
Telekinet auf der Flucht
Das
Jugendbuch „Die seltene Gabe“ von Andreas Eschbach ist kurzweilige,
unterhaltsame Lektüre für zwischendurch, die sich durch einen geschickt
arrangierten Spannungsbogen auszeichnet. Im Zentrum steht die 17-jährige
Gymnasiastin Marie, die allein zu Hause ist (ihre Eltern sind auf Kreuzfahrt).
In ihrer Heimatstadt gehen ungewöhnliche Dinge vor sich. Sie bemerkt eine
erhöhte Polizeipräsenz, weiß aber nicht, was vor sich geht. Aus ihrer
Vorratskammer verschwinden Lebensmittel und als Leser:in weiß man zunächst
nicht, was dahintersteckt. Im Kleiderschrank ihrer Eltern entdeckt sie dann Armand,
der auf der Flucht ist. Man sucht nach ihm. Doch wer ist er? Und was hat es mit
seinem Talent für übersinnliche Kräfte auf sich? Was will man von ihm? Und
erzählt er der Ich-Erzählerin die Wahrheit?
Typisch
Eschbach entstehen zu Beginn der Lektüre viele Fragen, auf die man als Leser:in
eine Antwort haben will. In meinen Augen ist das ein großes Talent des Autors,
Neugier zu erzeugen und auf diese Weise zum Weiterlesen zu animieren. Das wird
auch in anderen Werken, die ich von ihm kenne, immer wieder deutlich. Und genau
das schätze ich an Eschbach. Und es gibt noch eine Stärke, die auch dieses Buch
wieder auszeichnet: Die Charakterzeichnung. Die Figuren kommen nicht flach und
eindimensional daher. Sie besitzen Tiefe und es werden auch immer wieder
moralische Themen ins Blickfeld der Leser:innen gerückt. Hier geht es um die
folgenden Fragen: Was macht jemanden zum Außenseiter? Und was darf
Wissenschaft? Geschickt ist auch, dass mit Marie und Armand eine interessante
Beziehungskonstellation im Zentrum der Handlung steht, die nicht statisch
angelegt ist. Beide durchlaufen eine emotionale Achterbahnfahrt.
Der Inhalt hat mich sehr an solche Superheldenfiguren wie „X-Men“ erinnert, nur dass es hier um parapsychologische Talente geht. Ich hätte mir sogar gewünscht, dass der Blick auf die begabten Jugendlichen noch etwas erweitert worden wäre. Hier hätte das Buch noch mehr Potential gehabt. Auch ein direktes Duell zwischen dem flüchtenden Telekinet und seinem Verfolger Pierre hätte ich mir noch gewünscht. Aber nun gut, dafür hat das Werk in anderer Hinsicht eine klare Stärke: Durch die Flucht der Jugendlichen wird Dynamik und Tempo erzeugt. Es passiert ständig etwas, die Flüchtenden werden immer wieder mit neuen Situationen und Hürden konfrontiert. Es entsteht eine hohe Ereignishaftigkeit. So etwas mag ich. Und es stellen sich in Zusammenhang mit der Flucht direkt weitere Fragen: Wird die Flucht glücken? Was ist das Ziel der Flucht? Und wird die 17-jährige Ich-Erzählerin zu ihrem „Entführer“ halten oder ihn verraten? Kurzum: Eine Lektüre, die gut unterhält, schnell gelesen ist und keine Langeweile aufkommen lässt. Von mir gibt es dafür 5 Sterne
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