4 von 5 Sternen
Was weiß die Ameise?
Ein
totgeglaubter Bruder (Harold) taucht nach 30 Jahren unerwartet wieder auf. Er
ist Patient in einer psychiatrischen Anstalt und erscheint uns als gebrochener,
von Wahnvorstellungen geplagter Mann. Nach dem Besuch seines jüngeren Bruders
begeht er Selbstmord und hinterlässt Briefe, in denen Unfassbares geschildert
wird: die Erforschung eines über 11 km hohen Bergs, der aus dem Nichts
aufgetaucht ist. Darum geht es in dem Roman „Himmelfahrt. Mission in den Tod“
von Nicholas Binge. Und meine Neugier war von Anfang an geweckt: Ich wollte
wissen, worum es in den Briefen geht. Was hat Harold auf dem Berg entdeckt? Warum
ist er wahnsinnig geworden? Und wo kommt dieser Berg überhaupt plötzlich her?
Eines sei an dieser Stelle verraten, ohne zu viel zu verraten: Das Buch lässt
sich am ehesten dem Genre „Science-Fiction“ zuordnen.
Der
Erzählton ist eingängig und flüssig. Stellenweise geht es sogar recht humorvoll
zu (v.a. zu Beginn; Stichwort: Sicherheitsfreigabe). Und durch die Offenheit,
die erzeugt wird, fliegt man anfangs durch die Seiten. Harold schildert in seinen Briefen, wie er als Physiker
für ein Projekt engagiert wird, von dem er zunächst überhaupt nicht weiß, worum es
genau geht. Zentrale Informationen werden im vorenthalten (und wir als
Leser:innen wissen genauso wenig wie Harold). Und er wird noch vor dem
eigentlichen Beginn der Mission mit etwas konfrontiert, das rätselhaft
erscheint: Ein Mann, der den mysteriösen Berg bereits erkundet hat, die Zukunft
vorhersehen kann und sich dann selbst umbringt. Was hat es damit auf sich? Was
geht auf dem Berg Ungewöhnliches vor sich? Genügend Fragen, die zum Weiterlesen
animieren.
Ein
Team mit Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen soll den Gipfel des
Berges erklimmen und mehr herausfinden (sozusagen „Das Eulentor“ von Gruber in
umgekehrter Richtung). Man sollte allerdings über kleinere logische
Ungereimtheiten hinwegsehen können: 1. Wie sollen untrainierte Forscher in der
Lage sein ohne Vorbereitung einen solch hohen Berg zu besteigen? 2. Warum nimmt
man Naoko mit auf die Expedition, obwohl sie doch sichtlich angeschlagen von
der ersten Mission zurückgekehrt ist? Mich haben diese kleinen Logiklöcher aber
nicht weiter gestört und ich habe mit Interesse weitergelesen, um herauszufinden,
was es nun mit dem mysteriösen „Objekt“ auf sich hat. Eines sei verraten, ohne
zu viel vorwegzunehmen: Die Truppe um Harold stößt auf faszinierende Anomalien.
Und mit zunehmendem Handlungsverlauf las ich immer gebannter. Denn je näher das
Expeditionsteam dem Gipfel kommt, umso deutlicher werden die Auswirkungen des
Bergs auf die Teilnehmer der Mission. Der Berg verändert die Forscher und
fordert Opfer…
Die
Charakterisierung der Figuren ist für einen Thriller gelungen und fällt
tiefgründiger aus, als ich es erwartet hätte. Durch Rückblenden zu Harolds
Vergangenheit erfahren wir auch etwas von seiner früheren Tätigkeit als
Mediziner und über sein Familienleben. Fragt man sich zu Beginn noch, wozu
diese Rückblenden dienen (sie haben doch eine sehr „entschleunigende“ Wirkung),
so ergeben sie im weiteren Handlungsverlauf aber auf jeden Fall Sinn. Sie sind
also tatsächlich nötig und keineswegs redundant. Was mir auch gut gefallen hat:
Der Einbezug einer transzendentalen Bedeutungsebene sowie Bezüge zu den
Weltreligionen (mehr kann ich an dieser Stelle nicht preisgeben).
Allerdings
kann ich diesem Buch keine 5 Sterne geben. Dafür fehlten mir noch ein paar
Dinge. Für mich hätte es ruhig noch mehr „sience“ sein können (sicherlich
Geschmackssache), auch wenn ich das Ameisenbeispiel zur Veranschaulichung von
Multidimensionalität gelungen fand. Und das Ende hätte nach meinem Geschmack
noch „epochaler“ ausfallen können. Es war zwar alles logisch, in sich schlüssig
und man wird auch zum weiteren Nachdenken angeregt (Was ist freier Wille?
Inwieweit sind wir Menschen determiniert? Ist die Wirklichkeit nicht nur eine
subjektive Konstruktionsleistung des Gehirns?), aber irgendwie hätte ich
einfach noch mehr Erläuterungen erwartet. Für mich blieben einige Fragen unbeantwortet.
Nicht zuletzt hätte das Buch noch mehr Tempo vertragen können. So komme ich
abschließend auf 4 Sterne!
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