Was ist normal?
In
dem Kinderbuch „So sind Familien“ von Judith Allert und Marie Braner aus dem
Carlsen-Verlag lernen die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer im Rahmen von 14
Vorlesegeschichten verschiedene Familien und ihren Alltag kennen. Ich empfehle
es zum Vorlesen für Kinder ab 5 Jahren.
Konzept
In
diesem Buch werden keine „typischen“ Familien präsentiert, sondern Familien,
wie sie tatsächlich existieren. Familien in ihrer bunten Vielfalt, aus dem
Leben gegriffen, mit all ihren Problemen und Turbulenzen. Es wird bewusst von
dem abgewichen, was als „normal“ gilt. Und das ist gut so, denn so, wie der
Alltag der Figuren in diesem Buch dargestellt wird, so läuft es in der Realität
ab. Da gibt es eine Familie, die sich eine Oma „borgt“, zwei Schwestern, von
denen eine im Rollstuhl sitzt, eine Familie, die ein morgendliches Chaos erlebt,
bevor es für die vier Kinder in die Schule und in den Kindergarten geht. Es
gibt mehrsprachige Familien multinationaler Herkunft, Kinder, die bei Oma und
Opa oder bei der Tante übernachten sollen, eineiige Zwillinge, die sich
streiten, eine Familie mit zwei Mamas oder zwei Papas, eine Patchwork-Familie,
eine Großfamilie etc. Auch der Tod wird in einigen Geschichten thematisiert. Kurzum:
Wer seine Kinder für Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Familienmodellen
sensibilisieren will und auf eine realistische Darstellung des Alltags Wert
legt, sollte zu diesem Buch greifen. Und ich versichere, den Vorleser:innen,
dass der Nachwuchs sich gut in den geschilderten Alltag hineinversetzen kann. Denn
er ist realistisch und manchmal auch traurig!
Was
auch sehr gelungen ist: Zu Beginn jeder Geschichte werden die Familien in Form
eines Porträts namentlich mit realistischen Illustrationen eingeführt. So haben
die jungen Zuhörer:innen direkt ein Bild von ihnen im Kopf und wissen, welche
handelnden Figuren vorkommen. Meinen beiden hat das sehr gut gefallen, sie
haben sich die verschiedenen Familien immer wieder angeschaut.
Auch
haben die Geschichten eine ideale Vorleselänge, die meisten von ihnen umfassen
8 Seiten. Nur drei Geschichten weichen davon ab und sind 9 bzw. 10 Seiten lang.
Bebilderung
und Sprachgestaltung
Die
Bebilderung ist gelungen. Auf jeder Doppelseite gibt es mindestens eine
Zeichnung. Es gibt auch zahlreiche großformatige Illustrationen, die durch
ihren Realismus überzeugen (immerhin 30 Bilder, die mehr als eine halbe Seite
umfassen auf 124 Seiten). Die Bilder laden zur Betrachtung ein, es gibt vieles
darauf zu entdecken.
Auch
die Sprachgestaltung ist lobenswert. Satzkonstruktionen und Wortschatz sind
altersgerecht, wörtliche Rede sorgt für Lebendigkeit, ohne dass sie den Sprachduktus
zu sehr dominiert. Beim Vorlesen bin ich nur über eine Stelle gestolpert: Auf
S. 33 ist von Opa und Opa die Rede, obwohl hier Oma und Opa gemeint sind.
Und
eine persönliche Randbemerkung erlaube ich mir in diesem Zusammenhang dann doch
wieder: Ich mag es nicht, wenn Vokale und Konsonanten zur Intensivierung gedehnt
werden und äußere mal wieder die Hoffnung, dass dieser Trend nicht immer mehr in
Kinderbüchern um sich greift (z.B. „Stuuuunden“, S. 33; „Äääh, S. 34, „Suuuuper“,
S. 65 etc.).
Fazit:
Ein Kinderbuch mit einem überzeugenden Konzept und interessanten Geschichten: Es
wird auf Vielfalt, Authentizität und
Realismus Wert gelegt. Es sollte mehr solcher Bücher geben, in denen die jungen
Zuhörer:innen beiläufig Offenheit und Toleranz erleben und einen realistischen
Einblick in den Alltag von anderen Familien erhalten. Von mir gibt’s 5 Sterne und
eine klare Vorleseempfehlung!
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