„Unerhört…“
In
seinem Roman „Der Markisenmann“ erschafft Jan Weiler charmante Figuren mit
einem Hauch von Skurrilität und schildert warmherzig und emotional, wie sich
die fünfzehnjährige Kim und ihr Vater behutsam während der Sommerferien 2005
einander annähern. Kim ist verhaltensauffällig und ein Beispiel für
Wohlstandsverwahrlosung, sie fühlt sich auch aufgrund des Verhaltens ihres
Stiefvaters Heiko in ihrer Familie als Außenseiterin und rebelliert. Mit ihrem
Bruder Geoffrey kommt es zu einer Eskalation und als „Strafe“ muss Kim ihre
Ferien bei ihrem leiblichen Vater Ronald Papen verbringen, einem Vertreter für
Markisen.
Diese
sechs Wochen werden für Kim zum Sommer ihres Lebens, sie lernt ihren Vater
kennen, hilft ihm bei seiner Arbeit, erlebt die erste Urlaubsliebe und die Vater-Tochter-Beziehung
verändert sich. Auch ein lange gehütetes Familiengeheimnis wird gelüftet. Und
das alles wird einfühlsam und auch mit einem Hauch von schwarzem Humor erzählt,
der aber in meinen Augen nie die Grenze des guten Geschmacks verletzt. Und zum
Ende hin erhält das Werk auch noch Tiefe. Berichtet wird aus der
Ich-Perspektive von Kim, und zwar rückblickend, mit einem zeitlichen Abstand
von 17 Jahren zu diesem Sommer.
Besonders
gefallen haben mir der humorvolle Erzählton und die stellenweise bildhafte und
pointierte Sprache. Auch der „Ruhrpott-Charme“ kommt gut zum Ausdruck. Lustige
Sprachschöpfungen tragen zur Abwechslung bei und laden zum Schmunzeln ein (zum
Beispiel „die tektonischen Platten seiner Einkaufsplanung verschoben sich“, S.
89). Da wird das äußere Erscheinungsbild Duisburgs amüsant beschrieben, die
Kneipe „Rosis Pilstreff“ wird grotesk dargestellt und ein gewöhnlicher Einkauf
im Supermarkt wird zu einem psychologischen Abenteuer und zu einem Kampf gegen
das System. Auch über das Fußballfachgesimpel zum MSV-Duisburg und über das
geschilderte Skatturnier musste ich herzhaft lachen. Mein persönliches
Highlight war das Verkaufsgespräch von Kim und Papen mit dem Mittelalter-Fan
(vgl. S. 210 ff).
Auch
die Figuren sind mir während der Lektüre sehr ans Herz gewachsen. Ronald Papen,
der in einer Werkshalle wohnt, ist ein unglaublicher Optimist, hinter jeder Tür
sieht er die Chance eines Verkaufs, er lässt sich auch von Rückschlägen und
Absagen nicht unterkriegen. Er bleibt stets gutgelaunt und arbeitet akribisch
weiter. Er übt seinen Beruf mit einer unnachahmlichen Hingabe aus. Auch der
Nerd Alik mit seiner multinationalen Herkunft ist ein interessanter Charakter. Die
Freunde von Papen (eine „Schicksalsgemeinschaft von Frühverrenteten, Nichtsnutzen
und Träumern“) sind herrlich skurril, aber jederzeit warmherzig. Man möchte mit
Lutz, Achim, Oktopus und Heiko direkt ein Bier trinken gehen. Heiko, der Stiefvater
von Kim, erscheint zunächst als überkandidelter Großkotz, also als eine Art
Kontrastfigur zu Papen, doch der Blick des Lesers auf ihn verändert sich im
Laufe der Lektüre. Das ist gut gemacht! Überhaupt ist positiv anzumerken, dass
sich die Charaktere im weiteren Verlauf der Handlung weiterentwickeln, sie sind
also nicht statisch angelegt. Das hat mir sehr gut gefallen.
Fazit:
Ein warmherzig verfasster Roman mit liebenswerten, skurrilen Charakteren, die
sich im Laufe der Handlung weiterentwickeln. Das Ende verleiht dem Roman eine
angenehme Tiefe, so dass auch eine gewisse Ernsthaftigkeit bei der Lektüre entsteht.
Viele Stellen laden zum Schmunzeln ein. Das Werk überzeugt mit seinem
humorvollen Erzählton und jeder Menge „Ruhrpott-Charme“. Ich gebe volle 5
Sterne und empfehle es auf jeden Fall weiter.
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