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Montag, 20. Januar 2025

Hefter, Martina - Hey guten Morgen, wie geht es dir?


Über Internetbekanntschaften und das Zusammenleben mit einem Pflegebedürftigen



Juno, die mit einem pflegebedürftigen Mann zusammenlebt, um den sie sich kümmern muss, vertreibt sich nachts die Zeit mit sog. „love-scammern“. Sie denkt sich abstruse Geschichten aus und führt die Betrüger auf diese Weise selbst an der Nase herum. Möglicherweise baut sie auf diese Weise Frust ab und will es den Scammern mit gleicher Münze heimzahlen. Amüsant ist jedenfalls der Kontrast zwischen den teils tiefgründigen Messages von Juno und den oberflächlichen Komplimenten der Internetbekanntschaften, die überhaupt nicht auf das Geschriebene von Juno eingehen und darauf reagieren. Doch ein Betrüger reagiert eines Tages ungewöhnlich. Obwohl er enttarnt worden ist, probiert er weiter sein Glück. Doch Juno misstraut ihm weiterhin, auch wenn beide miteinander häufiger in Kontakt treten. Er ist jedenfalls der Erste, der genauer auf das eingeht, was sie schreibt.

 

Und mit der Zeit fasst Juno ein Stück weit Vertrauen, bleibt zwar vorsichtig und reserviert, aber es entspinnt sich eine Beziehung zwischen ihr und dem Scammer aus Nigeria. Sie fühlt sich hin und wieder ein wenig von ihm geschmeichelt und findet möglicherweise bei ihm die Aufmerksamkeit, die sie von ihrem Mann nicht mehr oft erhält. Denn außerhalb des virtuellen Raums hat Juno ihrem Mann nicht viel mitzuteilen und wirkt unglücklich, ja sogar traurig. Die Unterhaltungen mit ihrem Ehemann verlaufen recht unambitioniert und gleichen einem „Smalltalk“, doch sie macht sich auch stets große Sorgen um ihn (er hat MS). Und in beruflicher Hinsicht betreibt Juno als Künstlerin finanzielle Selbstausbeutung (wie sie selbst meint). Sie lebt v.a. vom Pflegegeld ihres Mannes. Beide leben in relativ bescheidenen Verhältnissen und haben nicht viel Geld auf der „hohen Kante“.


Punktuell wird auch immer wieder geschildert, wie beschwerlich das Leben für Juno und ihren Mann verläuft (z.B. wenn sie gemeinsam Zug fahren). Das, was die Handlung vorantreibt, sind die beiden Beziehungsdynamiken. Wie wird sich der Internetkontakt weiter entwickeln? Wird Juno irgendwann vielleicht sogar Vertrauen fassen? Und wird sich das Verhältnis Junos zu ihrem Mann auf irgendeine Art (zum Positiven?) verändern? Diese Fragen haben mich bei der Lektüre am meisten interessiert. Ich wollte z.B. auch wissen, ob der Scammer es ehrlich mit Juno meint oder ob er sie doch nur hinters Licht führt. Allgemeiner formuliert, entsteht beim Lesen eine zentrale Frage, die das menschliche Zusammenleben in der heutigen Zeit häufiger mit sich bringt (gerade im Hinblick auf die Interaktion in sozialen Netzwerken): Wie viel Vertrauen kann man zu einer Internetbekanntschaft haben? Bei Juno jedenfalls bleibt immer ein gewisses Misstrauen mit im Spiel, das merkt man. Sie hat stets die Sorge, getäuscht zu werden. Gleichzeitig sind die Dialoge im Internet immer auch ein „Fluchtpunkt“ für sie, um aus ihrem Alltag und den vielen Sorgen auszubrechen. Denn die Krankheit ihres Mannes bildet das zweite große Thema dieses tiefgründigen Romans: Wie gestaltet sich das Zusammenleben mit einem Schwerkranken? Wie wirkt es sich auf den Ehepartner aus? Auch hier kann man auf einer allgemeineren Ebene exemplarisch danach fragen, wie schwierig es für Angehörige ist, für jemanden verantwortlich zu sein, der sich nicht mehr allein um sich selbst kümmern kann. In meinen Augen behandelt der Roman wichtige, zeitgemäße Themen und das auf eine mitreißende Art und Weise. Auch sprachlich ist er gut zugänglich. Man nimmt Anteil an Juno und ihrem Schicksal. Von mir gibt es 5 Sterne und ich kann verstehen, warum das Buch den Deutschen Buchpreis erhalten hat. 

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