Grandiose Darstellung eines psychischen Ausnahmezustands
In
dem Roman „Der fürsorgliche Mr. Cave“ von Matt Haig geht es um die psychischen
Abgründe von Terence Cave, ein gebildeter, konservativer, kultivierter und
belesener Antiquitätenhändler, zugleich Vater einer Tochter. Und diese Tochter,
Bryony, ist alles, was Terence nach dem Tod seines Sohnes Reuben und anderen
Schicksalsschlägen geblieben ist. Er macht sich ständig Sorgen um sie, verfolgt
und beobachtet sie, er wirkt regelrecht kontrollsüchtig, teilweise kreisen
seine Gedanken nur um sie und er ist gar nicht im Moment präsent. Der Beginn
ihrer Pubertät und ihre Attraktivität verstärken seine Ängste um sie
zusätzlich. Die Tochter zieht sich daraufhin zurück, geht auf Abstand, beginnt
zu lügen, um sich Freiräume zu schaffen, und Terence verstärkt seine
Überwachung. Er lässt ihr fortan keinen Freiraum mehr, stellt Regeln auf,
belauscht sie sogar, seine Übergriffigkeit steigert sich dann darin, dass er
seine Tochter auch vor Freunden bloßstellt. Lediglich Cynthia, Bryonys
Großmutter und Schwiegermutter von Terence, erscheint als „beschwichtigendes
Element“. Sie bemüht sich darum, ihren Schwiegersohn zu beruhigen, ihm ins
Gewissen zu reden. Und sie hat Verständnis für Bryonys Freiheitsdrang. Doch Terence
psychischer Zustand verschlechtert sich und es kommt zur Eskalation der
Situation.
Die
Gestaltung von Terence labilem Zustand ist in meinen Augen hervorragend
gelungen, aber man muss sich als Leser auf diese psychologisch angehauchte
Literatur einlassen und dafür gewappnet sein, dass dieses Werk keine „leichte
Kost“ ist. Matt Haig versteht es meisterhaft die krisenhafte psychische
Verfassung von Terence darzustellen. Die Charakterzeichnung ist herausragend.
Wir sind dabei, wenn Terence Blackouts, Sinnestäuschungen und
Bewusstseinseintrübungen erlebt, wir sind nah an den teils absurden Wahnideen
dran, die er entwickelt. Und wir nehmen als Leser Terence Selbstentfremdung
wahr. Das lässt einen als Leser nicht kalt, man blickt in seelische Abgründe
und das erschüttert. Das in dieser Form erzählerisch zum Ausdruck zu bringen,
ist herausfordernd, aber der Autor setzt es nach meinem Dafürhalten stark um.
Auch die Briefform, die Haig wählt, fand ich gelungen. Es wirkt, als ob der
Vater seine Tochter direkt ansprechen und ihr sein Verhalten erklären und
begründen wolle. Das einzige, was ich mich beim Lesen gefragt habe, warum
bemerkt niemand im Umfeld von Terence seinen katastrophalen Zustand? Er
bräuchte dringend Hilfe. Und im Hinblick auf die Briefform könnte man fragen,
ob Terence in seiner psychischen Verfassung überhaupt zu so viel
Selbstreflexion in der Lage wäre, wie es in seinen Darlegungen den Anschein
macht. Aber nun gut, das sind Spitzfindigkeiten. Und letztlich hat mich der
Roman so überzeugt, dass ich ihm volle fünf Sterne gebe. Klare Leseempfehlung,
wenn man psychologisch gefärbte Literatur mag.
Fazit:
Ein Roman, bei dem man in seelische Abgründe blickt, keine leichte Kost, aber herausragend in der Darstellung des psychischen Zustands von Terence Cave.
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