Hartung – ein tragischer Held?
Um
eines direkt gleich klarzustellen: Der Roman „Der Held vom Bahnhof
Friedrichstraße“ von Maxim Leo ist ein absolut geniales Buch, sehr amüsant
geschrieben, mit vielen Textstellen zum Lachen und Schmunzeln, aber auch mit
Tiefgang und Ernsthaftigkeit an den nötigen Stellen. Von der ersten bis zur
letzten Seite ist man neugierig, ob aus dem Helden Michael Hartung ein
tragischer Held wird oder nicht. Das Ende hat mich überzeugt. Doch worum geht
es?
Im
Mittelpunkt des Geschehens steht Michael Hartung, meist nur Hartung genannt,
der eines Tages unfreiwillig zum Helden gemacht wird. Eigentlich ist er jemand,
mit dem man zu Beginn eher Mitleid empfindet. Er verschläft viele technische
Neuerungen, hinkt der Zeit stets gnadenlos hinterher, lässt sich bei
geschäftlichen Dingen auch über den Tisch ziehen. Er wohnt in seiner eigenen
Videothek, hat Mietschulden. Das alles wird lustig geschildert. Die Tristesse
seines Alltags als Videothekenbesitzer und Filmliebhaber wird dann durchbrochen
von dem Reporter Alexander Landmann, der eine Story wittert. Landmann ist die
personifizierte Kritik am Journalismus, ein sozialer Aufsteiger, der im Zuge
der Medienkrise unter Erfolgsdruck steht und sich die Geschichte zurechtbiegt.
Denn statt Hartung genau zuzuhören und die richtigen Schlüsse aus dem Erzählten
zu ziehen, macht er aus ihm lieber einen Helden. Und Hartung lässt sich trotz
anfänglichen Zögerns das angebotene Geld für die Story nicht entgehen, und
erzählt dann das, was von ihm erwartet wird. Und schneller als gedacht ist dann
schon der Artikel erschienen und als Leser fragt man sich, wie kommt Hartung
nur aus der Nummer wieder heraus? Fliegt seine Lüge auf? Oder gibt er selbst
zu, dass er sich unfreiwillig hat zum Helden machen lassen? Wird Hartung zu
einem tragischen Helden?
Das
alles wird sehr amüsant beschrieben. Besonders köstlich empfand ich Landmanns
Ratschläge an Hartung, wie man sich in der Medienwelt zu benehmen hat. Hartung
wiederum, leichtgläubig wie er ist, verlässt sich ganz auf Landmann. Es ist
herrlich zu lesen, wie der Autor die Reporterfragen an Hartung mit einem
Augenzwinkern auf die Schippe nimmt oder wie immer wieder die stereotypen
Vorstellungen von Landmann über den Osten mit den skurrilen Erinnerungen
Hartungs an seine erlebte Realität kontrastiert werden. An vielen Stellen im
Buch werden ost- und westdeutsche Klischees herrlich karikiert. Und Hartung
mausert sich mehr und mehr zum Medienprofi, er ist erstaunlich redegewandt, er
schafft es, die gesamte Medienbranche an der Nase herumzuführen. Schmunzeln
musste ich an solchen Textstellen, als Hartung während der allmählichen
Verfertigung seiner Gedanken beim Sprechen absurde Ideen durch den Kopf gehen.
Einfach herrlich komisch, aber irgendwann auch tragisch. Denn im Laufe des
Buchs wird Hartung immer mehr als Identifikationsfigur für verschiedene
Interessen eingespannt und das macht ihm durchaus zu schaffen. Arrangiert er
sich anfangs noch mit seiner Lüge und wird sein Erfolg immer gewaltiger, so
zweifelt er im weiteren Verlauf der Handlung immer stärker an seinem Vorgehen.
Doch wie wird er sich entscheiden?
Wer
jetzt aber befürchtet, dass der Roman sich nur als eine reine Komödie entpuppt,
den kann ich beruhigen. Denn Maxim Leo vermag seinem Text auch Ernsthaftigkeit
zu verleihen, z.B. wenn der Historiker Holger Röslein mit dem Stasi-Oberleutnant
Teubner über das Freiheitsverständnis diskutiert oder wenn Hartung mit der
Professorin für Zeitgeschichte, Ariadne von Schulzenburg-Glochau, beim
Anbringen einer Gedenktafel am Bahnhof Friedrichsstraße über das Zustandekommen
von sog. historischen „Wahrheiten“ sinniert. Auch die Einführung der Figur des
ostdeutschen Bürgerrechtlers Harald Wischnewsky verleiht der Handlung mehr
Tiefe. An seinem Beispiel wird das Bild des „ewigen Zeitzeugen“ problematisiert
und karikiert. Besonders die Darstellung des Gesprächs zwischen ihm und Hartung
fand ich gelungen.
Fazit:
Ein fantastischer Roman mit einer sympathischen Hauptfigur und vielen weiteren sehr gut gezeichneten Charakteren, amüsant verfasst, aber auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit an passenden Stellen. Absolute Leseempfehlung!
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