Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich...
Der historische Roman „Kinderklinik Weißensee. Jahre der Hoffnung“ von Antonia Blum spielt mit Ausnahme des ersten Kapitels in den Jahren 1918 bis 1919, also in einer Zeit des Umbruchs am Ende des Ersten Weltkriegs und zu Beginn Novemberrevolution, die letztlich zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich führte. Als medizinische Themen werden die Bekämpfung der Spanischen Grippe sowie der Typhus-Krankheit und nicht zuletzt der Umgang mit einer Rückenmarksverletzung in die Handlung integriert.
Als
Hauptfiguren agieren zwei Schwestern: die umsichtige und kompetente
Kinderkrankenschwester Emma sowie die durchsetzungsstarke und fleißige Marlene,
angehende Kinderärztin im Praktikum. Hinzu kommt der Partner von Marlene,
Maximilian, der zu Beginn des Buchs als Lazarettarzt tätig ist und somit die Gräuel
des Krieges hautnah erlebt. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg hat sich sein
Wesen verändert, er wirkt traumatisiert, stürzt sich wohl auch aus diesem Grund
in die Arbeit und distanziert sich immer weiter von seiner großen Liebe
Marlene. Weitere zentrale Nebenfiguren sind der intrigante Oberarzt Waldemar
Buttermilch, der Marlene das Leben schwer macht, der Nachbar Kurt Vogel, der
für Emma Gefühle hegt und als Journalist für die Zeitung „Vorwärts“ arbeitet,
sowie der Klinikdirektor Julius Ritter, der seine schützende Hand über Marlene
hält und als eine Art Mentor fungiert. Das Figurenensemble ist recht groß,
neben den genannten Figuren treten viele weitere auf; allerdings verliert man
nie den Überblick oder ist als Leser gar überfordert. Das mag auch daran
liegen, dass der Roman linear und personal erzählt wird, es kommt also zu
keinerlei Wechseln der Erzählerstandorte oder Perspektivänderungen, so dass
sich der Roman flüssig liest. Auch sind die Figuren gut aufeinander abgestimmt.
Warum
ich den Roman aber nicht als sehr gut empfunden habe, hängt damit zusammen,
dass für mich das Genre „Historischer Roman“ zu sehr vernachlässigt wird. Ich
hätte die Erwähnung von mehr gesellschaftspolitischen Ereignissen zu jener Zeit
besser gefunden. In meinen Augen handelt es sich mehr um einen „Liebesroman“,
zumal dieses Thema im Lauf des Buchs einen immer größeren Raum einnimmt. Im
Vordergrund stehen vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Max
und Marlene sowie zwischen Emma, Tomasz und Kurt. Hinzu kommt dann noch das
Intrigenspiel um Waldemar Buttermilch. Mich hätten weitere Patientenschicksale,
ähnlich wie das von Frieda Kunze oder das von Theodor, mehr interessiert. Auch
hätte man in meinen Augen die dunklen Seiten der Spanischen Grippe noch näher
ausführen und mehr beleuchten können. Mir erschien das im Roman dargestellte
gesellschaftliche Leben noch zu normal. Auch die dunklen Seiten des Krieges
hätten nach meinem Dafürhalten noch stärker zum Ausdruck gebracht werden
können. Zwar wird an Max deutlich, dass er von dem Erlebten traumatisiert
wurde, aber das erlebte Leid wird mir zu wenig konkretisiert und zu wenig
beschrieben. Ich hatte während des Lesens den Eindruck, dass die Autorin die
Leser zu sehr schonen wollte, die „heile Welt“ um Emma und Marlene sollte nicht
zu sehr ins Wanken geraten, Herausforderungen und Krisen sollten lösbar bleiben,
beim Leser sollten keine negativen Gefühle erzeugt werden. Zwar werden am Rande
auch negative Geschehnisse erwähnt, doch das meist so oberflächlich, dass sie nicht
unter die Haut gehen. So zumindest habe ich es beim Lesen empfunden.
Allerdings
will ich nicht unerwähnt lassen, dass es auch Ausnahmen gab, also Passagen, die
mich durchaus als Leser mitgenommen und emotionalisiert haben: Die Einlieferung
von Frieda Kunze mit der Diagnose Rückenmarksschock und die möglichen Folgen, die
Notoperation bei Theodor sowie die ungerechte Sonderprüfung von Marlene. Solche
lesenswerten Stellen hätte ich gerne noch mehr im Buch vorgefunden. Und ich
hätte es auch verkraftet, wenn nicht immer alles gut ausgeht. Schließlich
gehören doch zum Beruf des Arztes auch Rückschläge.
Fazit:
Ein Roman, der für mich mehr in Richtung „Liebesroman“ als in Richtung „Historischer Roman“ tendiert, der aber starke Frauenfiguren, ein gut abgestimmtes Figurentableau und einen interessanten historischen Kontext aufbietet. Auch gibt es durchaus erzählerische Highlights, also Passagen, in denen der Leser emotional mitgenommen wird.
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