Ronja Von Rönne mit Berührungsängsten
Bei
ihrem neuen Buch „Ende in Sicht“ hat sich Ronja von Rönne nach meinem Empfinden
leider (!) „vergaloppiert“. Und ich wäre so gern in einen Begeisterungssturm
verfallen, denn das Thema ihres Buchs ist wichtig: Es geht um den Wunsch zu
sterben. Zugegeben, von Rönne sucht sich ein schweres Thema aus, eines, an das
sich andere gar nicht erst herantrauen würden. Aber sie schafft es leider
nicht, die dahinterliegende Krankheit, die Depression, angemessen zu
thematisieren. Stattdessen lese ich Oberflächliches und wenig Ernsthaftes. Und
das, obwohl die Autorin selbst Betroffene ist und in Interviews auch offen
darüber spricht, ihr Buch ja sogar damit bewirbt. Und das, obwohl die
Volkskrankheit „Depression“ mehr Tiefgründigkeit verdient, als ihr in diesem
Buch zuteil wird. Bei beiden Figuren, Hella und Juli, habe ich mich nach den
Beweggründen für den Todeswunsch gefragt. Doch diese kommen im Buch nicht
plausibel zum Ausdruck, vor allem bei Hella nicht. Während des Lesens habe ich
mich immer wieder gefragt, was in beiden Figuren vor sich geht. Doch von Rönne
– warum auch immer – meidet an zentralen Stellen die Innenperspektive, scheinbar
hat die Autorin hier selbst Berührungsängste. Krisenhafte Gedanken kommen nur
selten und oberflächlich zum Ausdruck. Stattdessen kommt Hella – was mich
irritiert hat – viel Lebensfreude zum Ausdruck, als sie mit Juli ins Schwimmbad
geht und ihren alten Schwarm Erwin wiedertrifft. Das passt nicht so recht
zusammen. Auch fehlte mir zwischen den beiden Figuren ein offenes Gespräch, in
dem das Leiden beider Personen einmal deutlich wird, ich hätte gedacht, dass
sie auf diese Weise zueinander finden, sich gegenseitig dabei unterstützen, aus
dem Loch herauszufinden. Fehlanzeige. Auf ein solches Gespräch wartet man im
Buch vergeblich. Im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung in der Schweiz hätte
ich mit kritischen Nachfragen von Juli gerechnet, irgendeine Form der
Problematisierung würde ich erwarten (vielleicht auch im Nachwort). Doch
Fehlanzeige! Auch davor drückt sich die Autorin, stattdessen reisen die beiden
Figuren in einer Art Roadtrip von einem Abenteuer zum nächsten. Das wird der
Krankheit Depression nicht gerecht, lässt sie sogar recht gewöhnlich und
harmlos erscheinen. Des Öfteren habe ich mich gefragt, was unterscheidet Juli
und Hella eigentlich von „gesunden“ Leuten. Dabei ist doch davon auszugehen,
dass ein Mensch, der suizidale Gedanken verfolgt, der dann sogar einen
Selbstmordversuch unternimmt, in einer schweren psychischen Krise steckt,
vermutlich befindet er sich in einem Zustand schwerer Depression. Doch von den
Symptomen dieses Krankheitsbildes findet man kaum etwas bei Juli und Hella, bei
Juli zwar noch mehr als bei Hella, aber insgesamt bleibt es einfach
oberflächlich. Auch was die Gestaltung des Beziehungsverhältnisses beider
Hauptfiguren angeht, bin ich enttäuscht. Ich dachte, beide nähern sich auf
ihrem Trip einander an, schließen Freundschaft, unterstützen sich gegenseitig,
finden durch ihr gemeinsames Leid zueinander, stattdessen herrscht vor allem
von Julis Seite aus große Distanz, teils sogar Aggressivität und vor allem
Undankbarkeit. Das macht die Figur Juli unsympathisch, und ihr Verhalten lässt
sich in meinen Augen nicht mit der Krankheit Depression rechtfertigen. Worüber
ich noch gestolpert bin, ist eine Textstelle in der Juli über ihre Therapie
spricht (S. 118), hier wird der Eindruck vermittelt, dass die Therapie für Juli
wenig erfolgreich war. Da habe ich mich schon gefragt, ob das nicht eine
frustrierende Botschaft ist, die an dieser Stelle vermittelt wird.
Als
absolut katastrophal habe ich das Ende empfunden, hier wird mit der Angst des
Lesers um eine der Protagonistinnen gespielt, der Leser wird „auf die Folter
gespannt“, ob sich Juli nun umgebracht hat oder nicht. Das Ende empfand ich
angesichts des Themas „Suizid“ als geschmacklos und absolute
Grenzüberschreitung. Dieses Buch spaltet. Es spaltet die Leser/innen in zwei
Lager, in diejenigen, die von der Krankheit vermutlich wenig Ahnung haben und
in diesem Buch lediglich Unterhaltung sehen, und in diejenigen, die sich mehr
oder weniger mit der Krankheit auskennen und mehr Tiefgang erwartet haben. Und
ich finde, dieses Buch leistet den Betroffenen einen „Bärendienst“, denn wie
sollen solche Leser, die keine Ahnung von der Thematik haben, ein realistisches
Bild von der Krankheit „Depression“ erhalten? Es wird keinerlei
„Empathieförderung“ betrieben.
Das
Buch hätte mindestens mit einer „Triggerwarnung“ versehen werden sollen, noch
besser wäre es in dieser Form vom Verlag gar nicht erst herausgegeben worden.
Eine solche Warnung würde zumindest die Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass
dieses Buch bei solchen Lesern, die eine entsprechende Krankheitsgeschichte
haben, als extrem belastend empfunden werden kann.
Noch
etwas: Das Buch wird mit einer flapsigen Bemerkung von Stuckrad-Barre beworben.
Diese Aussage von Stuckrad-Barre ist geschmacklos, denn damit werden
angekündigte Suizidversuche der Autorin in kokettierender Art und Weise auf die
Schippe genommen. Das ist für mich erneut Effekthascherei und eine
Grenzüberschreitung. Letztlich bleibt mir nur meine Enttäuschung darüber zum
Ausdruck zu bringen, dass der Verlag in dieser Form ein Buch zu diesem so
wichtigen Thema herausgibt.
Nach
der Lektüre des Buchs habe ich mich natürlich auch gefragt, ob Ronja von Rönne
absichtlich die Erwartungshaltung ihrer Leser/innen durchbricht, doch falls ja,
dann ist mir nicht klar geworden, warum sie dies tut, einen tieferen Sinn darin
erkenne ich nicht. Zurück bleibt einfach Enttäuschung, ich hatte ganz klar eine
andere Erwartungshaltung an das Buch. Für Leute, die sich etwas mehr Substanz
wünschen und an diesem Thema interessiert sind, empfehle ich hier das sehr
lesenswerte Buch „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ von Matt Haig.
Abschließend
noch ein Satz zum Hörbuch, das ich mir angehört habe, weil ich auf Ronja von
Rönne neugierig war: Es ist toll, dass die Autorin selbst als Sprecherin ihres Buchs
auftritt. Schließlich kann sie selbst am besten einschätzen, welche Inhalte sie
auf welche Weise intoniert haben möchte. Aber ein Mehrwert hatte die
sechsstündige CD gegenüber dem Buch jetzt auch nicht.
Fazit:
Ein Buch zum Thema Suizid, das (leider!) wenig Ernsthaftes und zu viel Oberflächliches bietet, die Krankheit „Depression“ wird nicht angemessen thematisiert.
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