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Donnerstag, 28. April 2022

Schwiecker, Florian und Michael Tsokos - Der dreizehnte Mann


4 von 5 Sternen


Die deutsche Antwort auf John Grisham?

Wer gerne Justiz-Krimis/Thriller liest, der kommt an John Grisham nicht vorbei. Problem hierbei: Die Handlung der Werke sind im amerikanischen Justizsystem angesiedelt, das spezielle Besonderheiten aufweist (z.B. der Einbezug einer Jury etc.). Mit dem Buch „Der 13. Mann“ legen Florian Schwiecker und Michael Tsokos nun einen Justizkrimi vor, der einmal das deutsche Gerichtswesen in den Blick nimmt. Und beide Autoren steuern eine große Sachkenntnis bei, die man dem Werk anmerkt. So hat Schwiecker viele Jahre als Strafverteidiger gearbeitet und Tsokos ist Professor für Rechtsmedizin. Reizvoll und gleichzeitig erschütternd ist darüber hinaus, dass beide Autoren sich von einer wahren Begebenheit zu ihrem fiktiven Fall haben inspirieren lassen, was dem ganzen Sachverhalt einen hohen Realismus verleiht. Doch worum geht es überhaupt?

Anja Liebig, erfolgreiche Berliner Lokalredakteurin, steht kurz vor der Veröffentlichung eines Artikels mit brisantem Inhalt, als Jörg Grünewald, einer der beiden exklusiven Interviewpartner vermisst wird. Handelt es sich bei ihm etwa um die Wasserleiche, die später aufgefunden wird? Wollte ihn jemand verschwinden lassen? Zusammen mit Jörg Grünewalds Freund und Leidensgenossen Timo Krampe versucht die Journalistin Unterstützung bei Berlins bekanntesten Strafverteidiger Rocco Eberhardt zu finden, um mehr über das Verschwinden von Grünewald herauszufinden. Dabei soll die Polizei aus einem ganz bestimmten Grund nicht in die Suche eingeschaltet werden. Denn Jörg Grünewald und Timo Krampe sind Opfer und Zeugen eines bisher nicht aufgeklärten Verbrechens, eines Skandals, der bis in die Berliner Politik hineinreicht.

Die große Stärke des Thrillers ist in meinen Augen, dass der gesamte Fall von Anfang bis Ende und mit Blick hinter die Kulissen aller Beteiligten sehr kenntnisreich und kompetent dargestellt wird. In vielen anderen Krimis endet die Handlung mit der Überführung des Täters, doch in „Der 13. Mann“ gibt es als spannendes Finale mit überraschenden Wendungen am Ende noch die Gerichtsverhandlung. Mit Rocco Eberhardt wird die Perspektive des Strafverteidigers einbezogen. Tobias Baumann ergänzt diesen Blickwinkel durch seine Tätigkeit als Privatermittler. Dann haben wir noch Dr. Justus Jarmer, Gerichtsmediziner, durch den wir einen interessanten Einblick in die Abläufe gerichtsmedizinischer Obduktionen erhalten. Claudia Spatzierer, eine Freundin von Rocco, gewährt Einsicht in die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. Mit Anja Liebig, die als Lokalredakteurin seit fünf Jahren über Geschehnisse in der Hauptstadt berichtet, wird auch der Blickwinkel der Presse in die Handlung integriert. Und als ob das noch nicht reicht, wird mit Markus Palme, Spitzenkandidat der SPD und Anwärter auf den Posten des Bürgermeisters, noch die Berliner Lokalpolitik ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Das ist äußerst gelungen, das entstehende Bild des Falls ist auf diese Weise facettenreich. Und die Charaktere wirken auf mich alle lebensecht und nicht klischeehaft.

Was ich ebenfalls loben möchte, ist der Umstand, dass im Zuge der Ermittlung und der Verhandlung juristische Abläufe nachvollziehbar beschrieben werden. So erfährt man etwas über das Instrument der Nebenklage oder eines Befangenheitsantrags sowie über Verteidigungsstrategien. Diesen Einblick ins deutsche Justizsystem fand ich interessant. Und es ist einmal eine andere Herangehensweise, als die rein polizeiliche Ermittlung, wie sie in vielen anderen Krimis dargestellt wird.

Allerdings gab es auch Dinge, die mein Lesevergnügen etwas geschmälert haben. So fand ich schade, dass die Gespräche und Kontakte der beteiligten Figuren sich meist auf Sachebene bewegten. Meist geht es um Berufliches, das Privatleben spielt kaum eine Rolle. Eine Ausnahme bildete lediglich die Beziehung zwischen Rocco und Claudia. Auch hätte ich mir bei den Charakteren noch ein paar „Ecken und Kanten“ mehr gewünscht. Begeistert hat mich zum Beispiel das Zusammenspiel von Kamil Gazal, dem Gangsterboss, und Rocco Eberhardt. Davon würde ich in Zukunft gerne mehr lesen (vielleicht im nächsten Band). Gazal habe ich als reizvolle Figur wahrgenommen, die noch mehr Potential bietet. Ausbaufähig ist auch noch die Gestaltung der psychologischen Tiefe der Figuren. Diese könnte durch noch mehr innenperspektivische Einschübe erreicht werden. Nicht zuletzt gab es nach meinem Empfinden ein paar wenige Stellen, wo die dargestellten Situationen aus dramaturgischen Gründen etwas unrealistisch dargestellt wurden. Aber gut, das sind Spitzfindigkeiten.

Zum Schluss noch ein paar Worte zur erzählerischen Gestaltung: Der Schreibstil liest sich flüssig, auch animiert die Offenheit des Geschehens zum stetigen Weiterlesen. Hinzu kommt, dass die Kapitel eine angenehme Länge hatten, dadurch wird dem Geschehen eine gute Dynamik verliehen. Am Ende des Buchs zieht die Spannung spürbar an, auch ein paar Wendungen sorgen für Überraschungseffekte. Insgesamt also absolut solide!

Fazit

Ein Justiz-Krimi, in dem die Lösung eines Falls kenntnisreich und differenziert von Anfang bis Ende dargestellt wird. Wer einen Einblick ins deutsche Justizsystem erhalten möchte, ist hier genau richtig. Ich vergebe 4 Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus!

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