Die deutsche Antwort auf John Grisham?
Wer
gerne Justiz-Krimis/Thriller liest, der kommt an John Grisham nicht vorbei.
Problem hierbei: Die Handlung der Werke sind im amerikanischen Justizsystem angesiedelt,
das spezielle Besonderheiten aufweist (z.B. der Einbezug einer Jury etc.). Mit
dem Buch „Der 13. Mann“ legen Florian Schwiecker und Michael Tsokos nun einen
Justizkrimi vor, der einmal das deutsche Gerichtswesen in den Blick nimmt. Und
beide Autoren steuern eine große Sachkenntnis bei, die man dem Werk anmerkt. So
hat Schwiecker viele Jahre als Strafverteidiger gearbeitet und Tsokos ist
Professor für Rechtsmedizin. Reizvoll und gleichzeitig erschütternd ist darüber
hinaus, dass beide Autoren sich von einer wahren Begebenheit zu ihrem fiktiven
Fall haben inspirieren lassen, was dem ganzen Sachverhalt einen hohen Realismus
verleiht. Doch worum geht es überhaupt?
Anja
Liebig, erfolgreiche Berliner Lokalredakteurin, steht kurz vor der
Veröffentlichung eines Artikels mit brisantem Inhalt, als Jörg Grünewald, einer
der beiden exklusiven Interviewpartner vermisst wird. Handelt es sich bei ihm
etwa um die Wasserleiche, die später aufgefunden wird? Wollte ihn jemand
verschwinden lassen? Zusammen mit Jörg Grünewalds Freund und Leidensgenossen
Timo Krampe versucht die Journalistin Unterstützung bei Berlins bekanntesten
Strafverteidiger Rocco Eberhardt zu finden, um mehr über das Verschwinden von
Grünewald herauszufinden. Dabei soll die Polizei aus einem ganz bestimmten
Grund nicht in die Suche eingeschaltet werden. Denn Jörg Grünewald und Timo
Krampe sind Opfer und Zeugen eines bisher nicht aufgeklärten Verbrechens, eines
Skandals, der bis in die Berliner Politik hineinreicht.
Die
große Stärke des Thrillers ist in meinen Augen, dass der gesamte Fall von
Anfang bis Ende und mit Blick hinter die Kulissen aller Beteiligten sehr
kenntnisreich und kompetent dargestellt wird. In vielen anderen Krimis endet
die Handlung mit der Überführung des Täters, doch in „Der 13. Mann“ gibt es als
spannendes Finale mit überraschenden Wendungen am Ende noch die
Gerichtsverhandlung. Mit Rocco Eberhardt wird die Perspektive des
Strafverteidigers einbezogen. Tobias Baumann ergänzt diesen Blickwinkel durch
seine Tätigkeit als Privatermittler. Dann haben wir noch Dr. Justus Jarmer,
Gerichtsmediziner, durch den wir einen interessanten Einblick in die Abläufe
gerichtsmedizinischer Obduktionen erhalten. Claudia Spatzierer, eine Freundin
von Rocco, gewährt Einsicht in die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. Mit Anja
Liebig, die als Lokalredakteurin seit fünf Jahren über Geschehnisse in der
Hauptstadt berichtet, wird auch der Blickwinkel der Presse in die Handlung
integriert. Und als ob das noch nicht reicht, wird mit Markus Palme,
Spitzenkandidat der SPD und Anwärter auf den Posten des Bürgermeisters, noch
die Berliner Lokalpolitik ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Das ist äußerst
gelungen, das entstehende Bild des Falls ist auf diese Weise facettenreich. Und
die Charaktere wirken auf mich alle lebensecht und nicht klischeehaft.
Was
ich ebenfalls loben möchte, ist der Umstand, dass im Zuge der Ermittlung und
der Verhandlung juristische Abläufe nachvollziehbar beschrieben werden. So
erfährt man etwas über das Instrument der Nebenklage oder eines
Befangenheitsantrags sowie über Verteidigungsstrategien. Diesen Einblick ins
deutsche Justizsystem fand ich interessant. Und es ist einmal eine andere
Herangehensweise, als die rein polizeiliche Ermittlung, wie sie in vielen
anderen Krimis dargestellt wird.
Allerdings
gab es auch Dinge, die mein Lesevergnügen etwas geschmälert haben. So fand ich
schade, dass die Gespräche und Kontakte der beteiligten Figuren sich meist auf
Sachebene bewegten. Meist geht es um Berufliches, das Privatleben spielt kaum
eine Rolle. Eine Ausnahme bildete lediglich die Beziehung zwischen Rocco und
Claudia. Auch hätte ich mir bei den Charakteren noch ein paar „Ecken und Kanten“
mehr gewünscht. Begeistert hat mich zum Beispiel das Zusammenspiel von Kamil
Gazal, dem Gangsterboss, und Rocco Eberhardt. Davon würde ich in Zukunft gerne
mehr lesen (vielleicht im nächsten Band). Gazal habe ich als reizvolle Figur
wahrgenommen, die noch mehr Potential bietet. Ausbaufähig ist auch noch die
Gestaltung der psychologischen Tiefe der Figuren. Diese könnte durch noch mehr
innenperspektivische Einschübe erreicht werden. Nicht zuletzt gab es nach
meinem Empfinden ein paar wenige Stellen, wo die dargestellten Situationen aus
dramaturgischen Gründen etwas unrealistisch dargestellt wurden. Aber gut, das
sind Spitzfindigkeiten.
Zum
Schluss noch ein paar Worte zur erzählerischen Gestaltung: Der Schreibstil
liest sich flüssig, auch animiert die Offenheit des Geschehens zum stetigen
Weiterlesen. Hinzu kommt, dass die Kapitel eine angenehme Länge hatten, dadurch
wird dem Geschehen eine gute Dynamik verliehen. Am Ende des Buchs zieht die
Spannung spürbar an, auch ein paar Wendungen sorgen für Überraschungseffekte.
Insgesamt also absolut solide!
Fazit:
Ein Justiz-Krimi, in dem die Lösung eines Falls kenntnisreich und differenziert von Anfang bis Ende dargestellt wird. Wer einen Einblick ins deutsche Justizsystem erhalten möchte, ist hier genau richtig. Ich vergebe 4 Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus!
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