5 von 5 Sternen
Abwechslungsreiche und spannungsgeladene Geschichtslektion
Jean-Luc wird eines Tages zu
einer Befragung abgeholt und wir erfahren zunächst nicht, warum er überhaupt
mit zu einer Vernehmung ins Rathaus in Santa Cruz kommen soll und was ihn dabei
so nervös macht. Nicht zuletzt das Verhalten seiner Ehefrau Charlotte, die sich
unmittelbar nach Abfahrt ihres Mannes Sorgen macht, lässt erahnen, dass mehr
hinter der Ermittlung steckt. Später machen sich beide Sorgen, dass ihre
Familiengeschichte, die ein gut behütetes Geheimnis aufweist, genauer
beleuchtet wird. In Rückblenden, die nach Paris ins Jahr 1944 zurückgehen,
erfahren wir dann mehr über die biographischen Hintergründe der beiden
Hauptfiguren.
Der Roman ist kunstvoll arrangiert, wir haben zwei parallele Handlungen, die plausibel miteinander verflochten werden. Zum einen geht es um den Schicksal von Jean-Luc und Charlotte, zum anderen um das von Sarah und David Laffitte. Beide Paare sind miteinander durch den kleinen Samuel bzw. Sam verbunden. Hinzu kommt, dass die Handlung zwei Zeitlinien umfasst, was mir sehr gut gefallen hat, weil dadurch Spannung erzeugt wird. Einerseits geht es um den gegenwärtigen Lebensweg von Charlotte und Jean Luc in Santa Cruz sowie den von Sarah und David in Paris, jeweils im Jahr 1953, andererseits um die früheren Erlebnisse und die daraus entstehenden Verwicklungen in Paris und Ausschwitz in den Jahren 1944 und 1945. Und die erste Rückblende beginnt genau dann, wenn man wissen will, warum Jean-Luc befragt wird und was ihm vorgeworfen wird. Der Wechsel der Zeitebenen ist also bewusst gestaltet, die Stellen, an denen sie sich vollziehen, sind nicht zufällig gewählt, und das ist große Erzählkunst. Ein anderer Wechsel der Zeitlinie erfolgt nämlich direkt nach dem Besuch Jean-Lucs bei Charlottes Eltern, als unklar ist, ob der Streit zwischen ihm und ihren Eltern dazu führen wird, dass die Beziehung scheitert. Auch als wir erfahren, dass Sarah und David Laffitte nach Jean-Luc gesucht haben, kommt es erneut zu einem Wechsel der Zeitlinie. Das gefällt, weil man stets wissen will, wie die Handlung fortgeführt wird, und man darauf wartet, dass die Ebenen erneut wechseln. Hinzu kommen mehrere Ortswechsel, die insofern kunstvoll gestaltet sind, als sie u.a. dabei helfen, einen Identitätskonflikt deutlich werden zu lassen. Denn Charlotte fühlt sich in den USA längst nicht so wohl wie Jean-Luc. Sie vermisst ihre Heimat und bedauert, dass ihr Sohn Sam als Amerikaner aufwächst, ohne seine kulturellen Wurzeln kennenzulernen. Auch von den Erlebnissen in Ausschwitz, deren Lektüre aufgrund des geschilderten menschlichen Leids nur schwer auszuhalten ist, wird in zwei Kapiteln erzählt. Zudem wechselt die Erzählperspektive, abhängig davon aus welcher Sicht jeweils erzählt wird, was ebenfalls überzeugt: Während wir Charlotte aus der Ich-Perspektive folgen und ihre Gedanken und Gefühle unmittelbar nachvollziehen können, wird von Jean-Luc aus der Er-Perspektive erzählt. Dies hat die Funktion, dass wir das Geschehen als Leser mal mit Nähe und mal mit Distanz verfolgen. Außer aus der Sicht der beiden Hauptfiguren werden die Ereignisse auch aus den Blickwinkeln weiterer Charakteren geschildert: einmal aus der kindlichen Ich-Perspektive von Sam bzw. Samuel und aus der Sie-Perspektive von Sarah. Dies lässt ein differenziertes Bild verschiedener Standpunkte entstehen. Weiterhin gefällt mir die erzählerische Gestaltung eines Generationenkonflikts: Charlotte und ihr Vater sind unterschiedlicher Auffassung, was den Umgang mit der Besatzung betrifft. So wird beispielhaft der Riss deutlich, der inmitten des Krieges durch französische Familien geht, denn Charlotte beginnt gegen ihren Vater zu rebellieren und die bestehende Ordnung im Land immer mehr in Frage zu stellen, forciert auch durch die Gespräche mit Jean-Luc. Der Roman enthält viele berührende Textstellen, die aufwühlen und auch zum Nachdenken anregen. Die größte Leistung für mich ist vor allem die Darstellung des durch das Eingreifen der Justiz entstehenden Konflikts, der das Familienleben beider Paare betrifft. Als Leser ist man hin- und hergerissen, als es darum geht, was aus Samuel bzw. Sam wird.
Fazit:
Alles in allem handelt es sich
hier um einen abwechslungsreichen, spannungsgeladenen Roman, der durch eine
durchdachte erzählerische Gestaltung besticht und starke Emotionen beim Lesen auslöst.
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