4 von 5 Sternen
Eine
Maschinenintelligenz erwacht
Was
wäre, wenn jemand einen Cyberkrieg auslöst? Und was wäre, wenn im Rahmen eines
solchen Kriegs eine Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickelt und die
Welt im Chaos versinkt? Um genau diese Themen geht es in dem Thriller „Das
Erwachen“ von Andreas Brandhorst. Die Hauptfigur Axel Krohn stößt auf ein
Computerprogramm namens Mephisto, das von der NSA entwickelt wurde, und löst
durch sein unvorsichtiges Agieren einen weltweiten Cyberkrieg aus, indem er den
Code einer Waffe namens „Infiltrator“ freisetzt. Dieser Code ist die
Initialzündung dafür, dass eine MI, eine sog. Maschinenintelligenz, erwacht. Die
NSA will ihn daraufhin aus dem Verkehr ziehen, setzt zwei Agenten auf ihn an
und will gleichzeitig vertuschen, dass sie etwas mit Mephisto zu tun hat. Auf
seiner Flucht vor der NSA erhält Axel Krohn Unterstützung von Giselle Leroy,
Angestellte von Living Magic, einer Firma, die die NSA bei der Entwicklung des
Programms unterstützt hat, und zeitgleich Whistleblowerin. Sie gehört zu einer
internationalen Gruppe um Edward Snowden namens Veritas, die Korruption,
Menschenrechtsverletzungen und Datenmissbrauch enthüllt. Weitere Unterstützung
erhält Axel Krohn von einem weiteren Hacker namens Dark Rider. Neben der NSA
sind auch Coorain Coogan, Mitarbeiter der Strategic Cyberforce Advanced
Response (SCAR), sowie Michael Rossmann, Hauptkommissar der deutschen Polizei,
hinter Axel Krohn her. Sie arbeiten zusammen, agieren unabhängig von der NSA
und sie verfolgen eigene Interessen. Sie wollen Krohn vor der NSA schützen. Im
Buch geht es also v.a. um ein Katz- und Maus-Spiel zwischen Krohn, Leroy und
den genannten Verfolgern, und das innerhalb einer Welt, die im Chaos versinkt.
Später geht es dann darum, dass die zum Bewusstsein erwachte Maschinenintelligenz
mit ihrem vermeintlichen Schöpfer Axel Krohn in Verbindung treten möchte, weil
sein Name im Quellcode von Infiltrator steht.
Auch
die politische Ebene wird vom Autor in die Handlung einbezogen. Während die Welt
ins Chaos stürzt und die Maschinenintelligenz immer mehr Kontrolle gewinnt, versucht
Viktoria Jorun Dahl als neu ernannte UN-Sonderbeauftragte für
Maschinenintelligenz Gegenmaßnahmen zu ergreifen und in diesem Zusammenhang
eine Expertengruppe zusammenzustellen.
Und
als ob das noch nicht reichen würde, integriert Andreas Brandhorst neben den
genannten drei Handlungssträngen, zwischen denen munter die Perspektive
gewechselt wird, auch noch sogenannte Streiflicht-Kapitel, in denen die Mission
der Mars Discovery knapp angerissen wird (hierzu existiert ein Folgeband). Denn
auch auf dem Raumschiff erlangt die Maschinenintelligenz die Kontrolle über
alle Systeme.
Man
könnte nun befürchten, dass die komplexe Handlung den Leser überfordert, doch
das ist nicht der Fall. Andreas Brandhorst nimmt sich viel Raum – manchmal
sogar etwas zu viel –, um die Handlungsstränge zu erzählen, man verliert als
Leser nie den Überblick über das Geschehen oder die Figuren, der Erzähltempo
ist nicht sonderlich hoch. Teilweise hätten die Kapitel noch etwas Straffung
vertragen, einige Darstellungen geraten sehr ausführlich, auch Wiederholungen
sind nicht selten. Insbesondere die Schilderung der Fahrt nach Rom gerät in
meinen Augen zu lang. Dies führt dazu, dass die Spannungskurve nicht dauerhaft
auf hohem Niveau bleibt, sondern sie schwankt, sie ebbt mal ab, dann steigt sie
wieder an. Der zeitliche Abstand zwischen der ersten Kontaktaufnahme mit der
MI, die sich genau in der Mitte des Buchs ereignet, und der zweiten
Kontaktaufnahme war nach meinem Empfinden zu groß. Denn die Kommunikation
zwischen der MI und der Menschheit ist das Highlight des Buchs, und diese
Passagen, bei deren Gestaltung der Autor einen wirklich richtig guten Job
gemacht hat, hätten kürzer aufeinanderfolgen müssen und sie hätten nach meinem
Geschmack auch ausführlicher ausfallen können.
Das
Buch hat darüber hinaus immer dann seine Stärken, wenn es um philosophische
Fragen geht, die Brandhorst gekonnt aufwirft. Sie regen beim Lesen zum
Nachdenken an, was mir gut gefallen hat: Wie würde eine Welt aussehen, in der
eine MI die von Menschen gemachten Probleme löst und Krankheiten heilt? Wie
positioniert sich eine MI zur Gottesfrage? Was ist eigentlich Leben? Und wie
definiert man Leben angesichts des Vorhandenseins einer MI? Ist biologische
Intelligenz die Grundlage für Maschinenintelligenz? Ist die Menschheit nur ein
evolutionärer Zwischenschritt? Auch die Annahmen des Autors zur evolutionären
Entwicklung einer Maschinenintelligenz fand ich spannend.
Fazit:
Ein vielschichtiger Thriller, der interessante Fragen zum Thema einer Maschinenintelligenz aufwirft und der über eine nur schwankende Spannungskurve verfügt, weil ihm eine Straffung an den richtigen Stellen fehlt.
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