„Nur eine mesopotamische Geschichte…“
Salim,
ehemaliger Student und politischer Flüchtling aus dem Irak, verdingt sich im
lybischen Exil als Bauarbeiter. Seit seiner Flucht hat er von seiner großen
Liebe, Samia, nichts mehr gehört. Deshalb entschließt er sich, ihr einen
langen, persönlichen Brief mit einem Lebenszeichen zu schicken, und zwar vorbei
an der Zensur, mit Hilfe eines illegalen Netzwerks von Briefboten, die in der
gesamten arabischen Welt aktiv sind. In dem Roman „Brief in die
Auberginenrepublik“ begleiten wir nun die abenteuerliche Reise des Briefs, von
Libyen über Ägypten und Jordanien bis in den Irak. Abbas Khider reiht verschiedene
erzählerische Episoden aneinander, durch die wir einen kleinen,
ausschnittartigen Einblick in die Leben verschiedener Protagonisten in der
arabischen Welt erhalten. Auf diese Weise erfahren wir beiläufig etwas über die
Lebensbedingungen unter dem Regime von Gaddafi, von Mubarak und Hussein.
Nachdem
wir mehr über Salim und seine Lebensumstände erfahren haben, wird der Brief an
Haytham Mursi, einen Taxifahrer im Alter von 54 Jahren, weitergereicht. Dieser
unterhält sich mit seinen Fahrgästen beispielsweise über die Afrikanisierung
Libyens. Interessant an diesem Gespräch ist, wie die Reisenden ganz offenherzig
über bestehende Missstände im Land sprechen, es entwickelt sich ein
gefährliches Lästern über die Zustände in Libyen. Dabei ist auch die Angst vor
Repressalien stets greifbar. Als nächstes landet der Brief dann bei Majed
Munir, 41 Jahre alt und Reisebüroleiter, wohnhaft in Kairo, Ägypten. In dieser
Episode erfahren wir z.B. etwas über das Zusammenleben von Irakern und Ägyptern
in Kairo sowie über das Geschäft der illegalen Briefsendungen. Weiter geht die
Reise im Anschluss nach Jordanien. Wir begleiten den 52-jährigen
Lastwagenfahrer Latif Mohamed. An seinem Schicksal wird uns die Trauer eines
Vaters um seinen verstorbenen Sohn verdeutlicht. Sein Sohn Nori musste an die
Front und kehrte aus dem Irak-Iran-Krieg nie zurück. Latif macht sich dabei
auch selbst Vorwürfe, weil er seinen Sohn noch darin bestärkt hat, zurück an
die Front zu gehen, damit er nicht als Deserteur mit dem Tode bestraft wird. Dieser
Erzählabschnitt ist sehr emotional gestaltet. Die Reise endet dann in Bagdad,
Irak. Am Beispiel von Kamal Karim, 31 Jahre, lernen wir die Tätigkeit eines
einfachen Sicherheitspolizisten kennen, der aus der Not anderer Menschen Profit
schlägt. An seinem Schicksal wird deutlich, wie Macht korrumpieren kann. Danach
steigen wir die Hierarchieleiter weiter nach oben und begegnen Oberst Ahmed
Kader, 34 Jahre. Er hat sich innerhalb des irakischen Machtapparats weit nach
oben gearbeitet, kennt Saddam Hussein sogar persönlich, trifft ihn sogar hin
und wieder. Hier erhalten wir einen exemplarischen Einblick in die Denkweise
eines Mannes aus der Militärelite. Der Autor schreckt dabei nicht davor zurück
auch Grausamkeiten wie Folter in der Haft zu schildern. Zum Schluss des Romans
lenkt Khider unsere Aufmerksamkeit dann auf die naive und weltfremde Ehefrau
von Oberst Ahmed Kader: Miriam. Sie scheint sich nie darum gekümmert zu haben,
womit ihr Mann sein Geld verdient und was er dafür zu tun bereit ist. Sie
scheint ihr eigenes Land nicht richtig zu kennen und lebt eine Art Leben im
„Elfenbeinturm“.
Letztlich
hat mich Abbas Khider wie schon bei „Der Erinnerungsfälscher“ und „Ohrfeige“
mit seinem erzählerischen Talent überzeugt. Es gelingt ihm ein sehr
anschauliches Porträt der arabischen Welt zu zeichnen, wenn auch natürlich nur
skizzenhaft. Aber sein Blick in die Leben der Protagonisten hinein ist scharf
und pointiert. An vielen Stellen ist sein Erzählstil auch durchaus mal vulgär, ausdrucksstark,
emotional-expressiv und drastisch. Dadurch wirkt das Erzählte oft direkt aus
dem Leben gegriffen, es wirkt authentisch. Man gewinnt einen Eindruck von den
Lebensbedingungen und von den Zuständen in den erwähnten Ländern. Für mich sind
die Bücher von Abbas Khider unheimlich interessant und aufschlussreich, weil
sie eine fremde Lebenswelt porträtieren. Eine Lebenswelt, die geprägt ist von
Diktatur, Militarismus, politischer Flucht und Illegalität. Und je mehr Romane
ich von Abbas Khider lese, desto facettenreicher wird mein Bild über
exemplarische Erlebnisse eines irakischen Flüchtlings. In „Der
Erinnerungsfälscher“ ging es in erster Linie darum, wie Said von seinen
traumatisierenden Erinnerungen geprägt wurde. In „Ohrfeige“ werden dann die schweren
Anfangsjahre von Karim in der neuen Heimat Deutschland um die Jahrtausendwende
herum behandelt. In „Brief in die Auberginenrepublik“ wird dann anhand
verschiedener Episoden ein gesellschaftspolitisches Porträt der arabischen Welt
skizziert.
Fazit:
Wieder ein Roman von Abbas Khider, den ich mit Interesse gelesen habe und der mich vom erzählerischen Talent des Autors abermals überzeugt hat. Ein sehr aufschlussreicher Einblick in eine fremde arabische Lebenswelt um die Jahrtausendwende herum, die von Diktatur, Militarismus, politischer Flucht und Illegalität geprägt ist. Ich empfehle die Lektüre dieses Werks und vergebe volle 5 Sterne.
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