Ein Thriller, der aus der breiten Masse herausragt
Thriller
gibt es einige. Nur wenige ragen aus der breiten Masse heraus. „Kaltherz“ von
Henri Faber ist ein solcher Thriller, der herausragt. Er vereint alle Zutaten,
die ein genialer Thriller braucht, lediglich das Kriterium „innovativ“ könnte
noch besser umgesetzt sein.
Hohe Spannungsintensität
Man
ist von der ersten Seite an gefesselt, und diese Sogwirkung wird bis zum
Schluss durchgehalten. Das schafft nicht jeder Thriller. Und der Autor schafft
es in meinen Augen sogar noch, die Intensität an Spannung im Laufe des Buchs zu
steigern. Ab S. 250 habe ich so gebannt und besessen gelesen, dass ich das Buch
kaum aus der Hand legen konnte.
Unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende
Jeder
herausragende Thriller sollte unerwartete Wendungen bereithalten und die
Erwartungen der Leser durchbrechen. Das Ende sollte so schlüssig sein, dass
nichts offen bleibt und die Handlung plausibel abgeschlossen wird. Diese Punkte
erfüllt „Kaltherz“ nicht nur, das Buch geht sogar nach meiner Meinung darüber
hinaus, es wirbelt die Gefühlswelt des Lesers ganz schön durcheinander und
stellt sie auf den Kopf.
Facettenreich gestaltete Figuren
Hier
bietet „Kaltherz“ einiges Lobenswertes. Wir haben die Eltern, die ihre Tochter
vermissen: Clara und Jakob. Beide sind als interessante Kontrastfiguren
angelegt. Während Clara in Selbstvorwürfen versinkt und ihr Leben aufgrund der
Verzweiflung am liebsten beenden möchte und depressiv wirkt, hält Jakob die
Fassade aufrecht. Er ist karriereorientiert und lässt sich trotz des
Schicksalsschlags nicht aus der Bahn werfen. Er verbiegt sich regelrecht für
seinen Job, spielt nach außen die Show eines starken Mannes. Gelungen ist in
meinen Augen die Darstellung der Paarbeziehung zwischen Jakob und Clara, die
beide auf ihre individuelle Weise unter dem Verlust ihrer Tochter leiden und
sich voneinander entfremden.
Hinzu
kommt eine außergewöhnliche Ermittlerin: Kommissarin Kim Lansky, eine
Einzelgängerin. Sie ist unangepasst, eigenwillig, impulsiv, eckt überall an.
Den Fall übernimmt sie von einem verstorbenen Kollegen. Ungewöhnlich ist ihre
Herkunft: Sie ist eine soziale Aufsteigerin. Sie benimmt sich rüpelhaft, teils
durchtrieben. Ihre Ermittlungsmethoden sind ungewöhnlich und unkonventionell. Ihre
Ausdrucksweise ist schnodderig. Im Umgang mit Clara und Jakob wirkt sie
unbeholfen.
Dynamische erzählerische und sprachliche Gestaltung
Positiv
hervorzuheben ist die geschickte mehrperspektivische Gestaltung. Außer der
Perspektive von Clara, Jakob und Kommissarin Lansky wird uns auch der kindliche
Blickwinkel der vermissten Marie dargeboten. Letzterer ist nur schwer
auszuhalten, er ist bedrückend und verstörend zu lesen. Die Gestaltung des
infantilen Sprachduktus ist in erzählerischer Hinsicht gelungen. Maries Verwirrung
und Verunsicherung ist förmlich greifbar. Die Perspektiven werden im Wechsel
dargeboten, wie es bei vielen mehrperspektivischen Thrillern der Fall ist.
Weitere
Punkte, die ich hier als äußerst gelungen bewerte: Die Gestaltung von kurzen
Kapiteln und Cliffhangern, die dem Geschehen eine gute Dynamik verleihen. Und
ein dynamischer Schreibstil, der dem Erzählten ein hohes Tempo verleiht. Man
findet viele asyndetische Reihungen und Parataxen, so dass ein stakkatoartiger
Erzählton entsteht. Das steigert die Spannung an vielen Stellen noch einmal
zusätzlich.
Was gibt es zu bemängeln? In meinen Augen fast nichts. Das einzige, worüber ich beim Lesen hin und wieder nachgedacht habe: Sind die Figuren nicht punktuell mal etwas überzeichnet, ist das alles noch lebensecht? Insbesondere Lanskys Stil, Ermittlungen auf eigene Faust und ganz alleine durchführen zu wollen, fand ich manchmal etwas naiv und gedankenlos. Allerdings hat mich dieser Punkt nicht so gestört, dass ich dem Thriller dafür einen Stern abziehen würde. Denn in meinen Augen wiegen die erwähnten Pluspunkte diesen „kleinen Makel“ wieder auf. Er erfüllt nach meinem Dafürhalten fast alles, was ein brillanter Thriller braucht. Lediglich das „innovative Element“ fehlt mir.
Fazit:
Ein herausragender Thriller, der eine hohe Spannungsintensität, unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende sowie eine dynamische erzählerische und sprachliche Gestaltung aufweist und der nicht zuletzt facettenreich gestaltete Figuren beinhaltet. Was will man mehr? Klare Empfehlung!
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