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Dienstag, 19. April 2022

Faber, Henri - Kaltherz


5 von 5 Sternen


Ein Thriller, der aus der breiten Masse herausragt

Thriller gibt es einige. Nur wenige ragen aus der breiten Masse heraus. „Kaltherz“ von Henri Faber ist ein solcher Thriller, der herausragt. Er vereint alle Zutaten, die ein genialer Thriller braucht, lediglich das Kriterium „innovativ“ könnte noch besser umgesetzt sein.

Hohe Spannungsintensität

Man ist von der ersten Seite an gefesselt, und diese Sogwirkung wird bis zum Schluss durchgehalten. Das schafft nicht jeder Thriller. Und der Autor schafft es in meinen Augen sogar noch, die Intensität an Spannung im Laufe des Buchs zu steigern. Ab S. 250 habe ich so gebannt und besessen gelesen, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.

Unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende

Jeder herausragende Thriller sollte unerwartete Wendungen bereithalten und die Erwartungen der Leser durchbrechen. Das Ende sollte so schlüssig sein, dass nichts offen bleibt und die Handlung plausibel abgeschlossen wird. Diese Punkte erfüllt „Kaltherz“ nicht nur, das Buch geht sogar nach meiner Meinung darüber hinaus, es wirbelt die Gefühlswelt des Lesers ganz schön durcheinander und stellt sie auf den Kopf.

Facettenreich gestaltete Figuren

Hier bietet „Kaltherz“ einiges Lobenswertes. Wir haben die Eltern, die ihre Tochter vermissen: Clara und Jakob. Beide sind als interessante Kontrastfiguren angelegt. Während Clara in Selbstvorwürfen versinkt und ihr Leben aufgrund der Verzweiflung am liebsten beenden möchte und depressiv wirkt, hält Jakob die Fassade aufrecht. Er ist karriereorientiert und lässt sich trotz des Schicksalsschlags nicht aus der Bahn werfen. Er verbiegt sich regelrecht für seinen Job, spielt nach außen die Show eines starken Mannes. Gelungen ist in meinen Augen die Darstellung der Paarbeziehung zwischen Jakob und Clara, die beide auf ihre individuelle Weise unter dem Verlust ihrer Tochter leiden und sich voneinander entfremden.

Hinzu kommt eine außergewöhnliche Ermittlerin: Kommissarin Kim Lansky, eine Einzelgängerin. Sie ist unangepasst, eigenwillig, impulsiv, eckt überall an. Den Fall übernimmt sie von einem verstorbenen Kollegen. Ungewöhnlich ist ihre Herkunft: Sie ist eine soziale Aufsteigerin. Sie benimmt sich rüpelhaft, teils durchtrieben. Ihre Ermittlungsmethoden sind ungewöhnlich und unkonventionell. Ihre Ausdrucksweise ist schnodderig. Im Umgang mit Clara und Jakob wirkt sie unbeholfen.

Dynamische erzählerische und sprachliche Gestaltung

Positiv hervorzuheben ist die geschickte mehrperspektivische Gestaltung. Außer der Perspektive von Clara, Jakob und Kommissarin Lansky wird uns auch der kindliche Blickwinkel der vermissten Marie dargeboten. Letzterer ist nur schwer auszuhalten, er ist bedrückend und verstörend zu lesen. Die Gestaltung des infantilen Sprachduktus ist in erzählerischer Hinsicht gelungen. Maries Verwirrung und Verunsicherung ist förmlich greifbar. Die Perspektiven werden im Wechsel dargeboten, wie es bei vielen mehrperspektivischen Thrillern der Fall ist.

Weitere Punkte, die ich hier als äußerst gelungen bewerte: Die Gestaltung von kurzen Kapiteln und Cliffhangern, die dem Geschehen eine gute Dynamik verleihen. Und ein dynamischer Schreibstil, der dem Erzählten ein hohes Tempo verleiht. Man findet viele asyndetische Reihungen und Parataxen, so dass ein stakkatoartiger Erzählton entsteht. Das steigert die Spannung an vielen Stellen noch einmal zusätzlich.

Was gibt es zu bemängeln? In meinen Augen fast nichts. Das einzige, worüber ich beim Lesen hin und wieder nachgedacht habe: Sind die Figuren nicht punktuell mal etwas überzeichnet, ist das alles noch lebensecht? Insbesondere Lanskys Stil, Ermittlungen auf eigene Faust und ganz alleine durchführen zu wollen, fand ich manchmal etwas naiv und gedankenlos. Allerdings hat mich dieser Punkt nicht so gestört, dass ich dem Thriller dafür einen Stern abziehen würde. Denn in meinen Augen wiegen die erwähnten Pluspunkte diesen „kleinen Makel“ wieder auf. Er erfüllt nach meinem Dafürhalten fast alles, was ein brillanter Thriller braucht. Lediglich das „innovative Element“ fehlt mir.

Fazit

Ein herausragender Thriller, der eine hohe Spannungsintensität, unerwartete Wendungen und ein schlüssiges Ende sowie eine dynamische erzählerische und sprachliche Gestaltung aufweist und der nicht zuletzt facettenreich gestaltete Figuren beinhaltet. Was will man mehr? Klare Empfehlung!

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