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Donnerstag, 16. Oktober 2025

Schneider, Frank Holger - Ennos Tanz



Jugend und Reiselust




Den 14-jährigen Ich-Erzähler Enno zieht es in die Ferne. Zu Beginn des Buchs „Ennos Tanz“ möchte er ein Zugticket für Baden-Württemberg kaufen, mit dem er die restlichen zwei Wochen vom Juli die Gegend erkunden kann. Seine Eltern sind im Urlaub an der von ihm ungeliebten Ostsee und Enno möchte etwas erleben, und zwar ganz allein. Daran lässt er uns in Form eines inneren Dialogs teilhaben, den er mit uns Leser:innen führt. Die Sehnsucht nach Abenteuern und Reiselust bestimmen sein Handeln. Und es entwickelt sich ein Roadtrip in Form eines Abenteuerromans, bei dem Enno einige unvorhersehbare Ereignisse meistert.


Sein erstes Ziel ist Konstanz und er trifft auf seiner Reise immer wieder auf interessante, teils kuriose Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Dabei verbleibt er aber nie lange bei den Gelegenheitsbekanntschaften, sondern er lässt sich treiben. Es zieht ihn immer weiter, bis in ihm irgendwann der Wunsch aufkommt, wieder nach Hause zurückzukehren. Dabei entwickelt sich der Protagonist auch weiter und gelangt zu einer inneren Reife, die er vor Antritt der Reise noch nicht hatte.


Spannung entsteht bei der Lektüre dadurch, dass man sich fragt, welchen Leuten Enno noch begegnen wird und was er alles erleben wird. Man begleitet seine Reise mit Neugier und ist gespannt, was aus ihm wird. Dadurch, dass er immer wieder neue Abenteuer und auch Widrigkeiten erlebt, kommt keine Langeweile auf. Enno tritt seinen Roadtrip nicht in jedem Detail geplant und gut vorbereitet an, aber er ist handwerklich geschickt (so nimmt er sich z.B. ein selbst gebautes Zelt mit, in dem er übernachten will). Vieles lässt er einfach auf sich zukommen. Gleichzeitig hat er aber auch keine Angst vor der großen, weiten Welt. Er wirkt auf mich oft etwas unbedarft und leichtsinnig. Das passt gut zu seinem Alter, wie ich finde. Ihm fehlt oft noch der Weitblick. Auch fehlt ihm noch ein Unrechtsbewusstsein. Sein moralischer Kompass muss sich noch ausbilden. Auch das passt zu seiner Jugend. Das wird an vielen Stellen deutlich. So stiehlt er beispielsweise ein Fahrrad, um damit voranzukommen oder bricht in eine fremde Hütte in einem Schrebergarten ein, um dort übernachten zu können. Über die Konsequenzen seines Handelns macht er sich dabei nur wenig Gedanken. Gleichzeitig wiederum wirkt Enno aber auch kultiviert und belesen. Er ist kein „Zockertyp“ oder "Computernerd" wie z.B. Klapper von Kurt Prödel.


Das Werk hat mich inhaltlich an „Tschick“ erinnert. Aber es lässt sich ein Bogen bis hin zur Epoche der Romantik spannen. Man denke nur an Joseph von Eichendorffs „Das Leben eines Taugenichts“ oder an das Wander- oder Sehnsuchtsmotiv allgemein. In diese lange Tradition lässt sich auch dieses Buch von Frank Holger Schneider einordnen. Man könnte viele Bezüge zu dem Werk von Eichendorff oder zu anderen Werken mit einer ähnlichen Coming-of-Age-Thematik herstellen. Aus meinem Kontakt mit dem Autor weiß ich, dass er „Ennos Tanz“ auch als Hommage an Bücher wie „Die neuen Leiden des jungen W.“ oder „Fänger im Roggen“ verstanden wissen will. Damit ist auch ein Einsatz als Schullektüre für die Sek. I gut denkbar. Viele altersgemäße Themen ließen sich am Beispiel von „Ennos Tanz“ vertiefen, textuelle Vergleiche ließen sich herstellen und man könnte auch wunderbar über Genremerkmale (Stichwort: Abenteuerroman) sprechen und darüber, wie sehr die Grenzen zwischen Genres sich auch vermischen können. 


Was ich mich bei der Lektüre lediglich die ganze Zeit gefragt habe, ist, zu welcher Zeit die Handlung spielt. Hier hätte ich mir noch mehr hilfreiche Kontextinformationen gewünscht, um eine zeitliche Einordnung vornehmen zu können. Es wirkte jedenfalls nicht wie die Gegenwart auf mich (Enno erinnert sich z.B. an Kate Winslet und Leonardo DiCaprio aus Titanic). Darüber hinaus hätte ich es toll gefunden, wenn Lotti als Figur noch eine größere Rolle gespielt hätte. Dieses Mädchen wirkt sehr mysteriös, weil sie sehr selbstständig und auch unabhängig wirkt. Einiges zu ihr bleibt im Dunkeln. Ich hätte gern mehr über sie erfahren.

Montag, 13. Oktober 2025

Wells, Benedict - Hard Land



Ein unvergesslicher Sommer in Grady





Missouri 1985: Die erste Liebe, der erste Sommerferien-Job, mittendrin der schüchterne, introvertierte Jugendliche Sam und seine Eltern, die mit einer Krebserkrankung und Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Benedict Wells legt mit „Hard Land“ ein sehr einfühlsam erzähltes Werk vor, das sehr realistisch und authentisch wirkt. Die Handlung spielt in den 80er Jahren und das Gefühl dieser Zeit und das der Jahreszeit werden sehr gut eingefangen (Assoziationen zum Film „stand by me – das Geheimnis eines Sommers“ stellen sich ein). Die Ereignisse werden von dem Ich-Erzähler Sam im Rückblick erzählt.

 

Der Inhalt bewegt und lässt mich als Leser traurig zurück. Über den Zeilen schwebt Melancholie. Und das zeigt sich auch bei den Figuren. Der Vater z.B. ist überfordert mit der Lebenssituation und hat Schwierigkeiten damit, seinem Sohn gegenüber Gefühle zu zeigen. Und der 15-jährige Sam wirkt auf mich verzweifelt. Die Krankheit seiner Mutter überfordert ihn und ihr Kampf gegen den Krebs erscheint ihm aussichtslos. Eine äußerst belastende Situation. Ein starker Kontrast entsteht, die beschwerliche Situation zu Hause auf der einen Seite und die entstehenden Freundschaften während der Ausübung des Ferienjobs auf der anderen Seite. Alltägliche Sorgen um die Mutter einerseits und das Ausleben der jugendlichen Freiheit andererseits.

 

Das Gefühl von Jugend, Freiheit, Leichtsinn und Unbekümmertheit kommt gut zum Ausdruck. Noch wissen die jugendlichen Protagonisten nicht, wohin sie ihr Leben treibt. Und die Begebenheiten des Cliquen-Lebens, von denen erzählt wird, sind atmosphärisch dicht und treffend aufgeladen. Es ist ein ereignisreicher Sommer für Sam: Liebeskummer und Sehnsucht, Gefühlschaos und Mutproben. Und zeitgleich: Angst vor dem Verlust der Mutter und Konfrontation mit dem Tod. Dieses Buch hat es in sich! Man wird bei der Lektüre emotional gefordert. Einerseits fühlt man sich selbst jung, wenn man das Buch liest und wird an die eigene Jugendzeit erinnert, andererseits ist da dieses Tieftraurige, wenn es um die belastende Familiensituation geht. Die Jugend von Sam wird überlagert von der Krebserkrankung der Mutter. Eine stetige Verschlechterung des Gesundheitszustands schwebt über allem. Es wird eine große Bandbreite von Emotionen beim Lesen hervorgerufen. Das ist beachtlich und der Autor hat das große Talent, eine intensive Wirkung zu erzeugen. 

 

Abschließend möchte ich noch auf die gelungene Integration einer weiteren Textebene in Form eines Gedichts eingehen. Dieses fiktive Gedicht trägt den Titel „Hard Land“ und taucht immer wieder auf. Es eröffnet wunderbare intertextuelle Interpretationsspielräume. Eine schöne Idee des Autors! Vor allem das Ende, fand ich klasse: Beide Textebenen verschmelzen kreativ miteinander. Und mit der Interpretation des Gedichts am Ende des Romans wird gleichzeitig eine mögliche Interpretation des Werks selbst eröffnet. Das hat mir richtig gut gefallen. Es gibt auch viele weitere intermediale und intertextuelle Verweise, die sich wunderbar vor dem Hintergrund des Ausgangstexts interpretieren lassen. Ein großartig kunstvolles Arrangement, wie ich finde! Von mir gibt es für dieses Buch 5 Sterne.

Freitag, 10. Oktober 2025

Scarlett, Sophie - Totgespritzt


Dem Mörder auf der Spur



Am Ufer eines Sees findet man eine unbekleidete Frau tot auf. Handelt es sich um einen Badeunfall oder ist sie ein Mordopfer? Danach ein Rückblick auf eine namenlose Zweitklässlerin, die gerade ihr Seepferdchen gemacht hat und ihre erste Schwimmerfahrung in einem See unternimmt. In einer Vorausdeutung wird bereits auf die Gefahr des Wassers hingewiesen. Man ahnt bereits Schlimmes. Was wird diesem Mädchen widerfahren? Und wie hängen die Ereignisse zusammen? Das sind die zentralen Fragen, die man sich stellt, wenn man die Lektüre von „Totgespritzt“ von Sopie Scarlett zu lesen beginnt. Und hinzu kommt noch ein weiterer Blickwinkel, der etwas später auftaucht: Ein sechsjähriger Junge erlebt hautnah den erbitterten Rosenkrieg zwischen seinen Eltern mit, die sich trennen. Die Mutter verhält sich ihm gegenüber regelrecht psychotisch. Handelt es sich bei diesem Jungen etwa um den Täter?


Vor unserem inneren Auge werden alle Facetten von Polizeiarbeit ausgebreitet: Die Spurensicherung, die rechtsmedizinische Untersuchung des Leichnams, die Informierung der nächsten Angehörigen über den Todesfall, Zeugenbefragungen und die Vernehmungen von Verdächtigen. Und wir lernen eine charismatische Ermittlerin kennen, die unter Panikattacken leidet: Johanna Baro. Es gibt viele Textstellen, die heftig unter die Haut gehen. Das Geschriebene kann oft emotionale Betroffenheit erzeugen. Das hat mir richtig gut gefallen. Auch der klare Schreibstil der Autorin überzeugt über weite Strecken und kann fesseln. Darüber hinaus wird den Figuren durch Rückblicke eine psychologische Tiefe verliehen. Das ist geglückt. Der Thriller offenbart viele gute Ansätze: So hat mir auch gefallen, wie Handlungsstränge parallel entwickelt werden und zusammen kulminieren (die Entwicklung des Täters auf der einen Seite, der Fortgang der Ermittlungen auf der anderen Seite). Später ist es dann die zeitgleiche Befragung von Zeugen durch die beiden polizeilichen Ermittler, die mich überzeugt hat. Beide Vernehmungen greifen gut ineinander und sind durch flotte Perspektivwechsel gut aufeinander abgestimmt. Die packendste Stelle war für mich, als wir nah am Täter drin sind und geschildert wird, wie dieser seine Tat plant und ausführt. Diese Passagen habe ich mich hoher innerer Anspannung gelesen. Das innere Erleben der Figuren ist oft nachvollziehbar und anschaulich greifbar. Eine atmosphärisch dichte Beschreibung, die treffend zur Situation passt, wird ebenfalls stellenweise gut deutlich. Der Wechsel zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitsebene ist vor allem in der ersten Hälfte des Buchs gut durchdacht. Kurzum: Die Autorin macht in ihrem Debut vieles richtig. 

Montag, 6. Oktober 2025

Robotham, Michael - Die weiße Krähe



Der Ringer




Philomena McCarthy entdeckt auf Streife die fünfjährige Daisy allein auf der Straße. Die Kleine meint, dass die Mutter in der Küche sitzt und nicht aufwachen will. Philomena geht der Sache nach und will Daisy nach Hause bringen. Dort kann sie dann nur noch den Tod der Mutter feststellen…


In einer anderen Perspektive wird uns parallel das Schicksal von Daisys Vater (Russell Kemp-Lowe) vor Augen geführt. Er ist Juwelier, wurde entführt und sitzt nun gefesselt auf einem Stuhl, versehen mit Plastiksprengstoff. Er wurde Opfer eines brutalen Raubüberfalls und muss fürchten, in die Luft gesprengt zu werden. Die Polizei bemüht sich darum, ihn zu befreien…


Der Auftakt ist also furios, man ist schnell drin im Geschehen und das Schicksal der kleinen Daisy erzeugt direkt emotionale Betroffenheit. Das ist gelungen arrangiert. Philomena wird für die Daisy nach der Tat zu einer wichtigen Bezugsperson.


Hinzu kommt ein weiterer Blickwinkel um Philomenas Vater (Edward McCarthy), in dem das Geschehen in der Londoner Unterwelt beleuchtet wird. Edward McCarthy bezeichnet sich selbst zwar als Immobilienentwickler, agiert in Wirklichkeit aber dubios. Zusammen mit seinen zwielichtigen Brüdern Daragh, Finbar und Clifton, die teilweise im Knast saßen, dreht er allerlei krumme Geschäfte und ist in Geldwäscheangelegenheiten verstrickt. Er bekommt es mit einem neuen mächtigen Gegner zu tun, dem sog. Ringer, der ihm das Geschäft zerstören und es übernehmen will. Als Edward erfährt, dass Russell Kemp-Lowe überfallen wurde, glaubt er, dass ein weiterer Anschlag auf ihn und sein Vermögen stattgefunden hat. Denn Russell hat etwas für Edward aufbewahrt…


Bei den Ermittlungen der Polizei stellt sich heraus, dass bei dem Überfall auf die Kemp-Lowes Profis am Werk gewesen sein müssen. Der leitende Ermittler DCI Brendan Keegan vermutet, dass das organisierte Verbrechen dahintersteckt. Irgendwann vermutet er sogar, dass Philomena etwas mit den Geschehnissen zu tun hat. Sie gerät ins Fadenkreuz. Der Ruf ihrer Familie lastet schwer auf ihr. Kann sie sich aus dieser Situation befreien und ihre Unschuld beweisen? Die Handlung läuft auf zwei Ebenen parallel auf einen Showdown zu. Einerseits will die Polizei wissen, wer den Raubüberfall ausgeführt hat, und zieht ihre Schlussfolgerungen aus den Ermittlungsergebnissen. Andererseits kommt es in der Londoner Unterwelt zu einem Machtkampf zwischen der McCarthy-Familie und den neuen Konkurrenten um den Ringer. Wer wird sich am Ende durchsetzen? Und wie hängt alles miteinander zusammen?


Der Fall ist insgesamt vertrackt. Die Ermittlungen führen immer wieder in verschiedene Richtungen. Viele verschiedene Figuren könnten ein Motiv für den Anschlag auf die Kemp-Lowes gehabt haben. Nichts ist eindeutig. Das hielt meine Neugier über das gesamte Buch hinweg aufrecht. Ich war sehr auf die Auflösung gespannt und wurde nicht enttäuscht. Das Agieren der Polizei sorgte bei mir häufiger für Kopfschütteln. Eine Textstelle verdeutlicht das Problem der Ermittlungen gut: „In Wahrheit arbeitet die Polizei eher mit einer Schuldvermutung als mit einer Unschuldsvermutung. Von dem Moment an, in dem sie einen Hauptverdächtigen ausgemacht hat, werden sämtliche Mittel darauf konzentriert, seine Schuld zu beweisen, nicht seine Unschuld“ (S. 358). 


Kritikpunkte: Zwischendurch hat das Buch auch seine Längen, manchmal hätte ich mir eine stringentere Entwicklung der Handlung gewünscht (was bei einem Umfang von 538 Seiten nicht verwunderlich ist). Seine Stärke hat der Thriller in meinen Augen ganz klar, wenn Edward McCarthy und der Ringer direkt aufeinandertreffen. Da begegnen sich einfach zwei eigenwillige Typen, die auch für unterschiedliche Stile stehen. Auf der einen Seite McCarthy als Gangster alter Schule und auf der anderen Seite der brutale, erbarmungslose Herausforderer, der McCarthy in die Ecke treibt. Aber leider kommt es nur selten zu solchen Konfrontationen. Ich komme auf 4 Sterne. Mich störte einfach, dass zwischendurch immer wieder Tempo aus der Handlung herausgenommen wurde. Dafür ist die Figurenzeichnung wiederum sehr gelungen.

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Prödel, Kurt - Klapper



Der Axe-Effekt




Im Jahr 2025 reaktiviert der Protagonist (genannt Klapper) seinen Counter-Strike-Account und stöbert durch seine alte Freundesliste. Erinnerungen an eine vergangene Zeit werden wach. Danach folgt ein Rückblick ins Jahr 2011. Der 15-jährige Klapper (richtiger Name: Thomas) sitzt in seinem Zimmer und hängt (wie so oft) schon seit Stunden vor dem Monitor. Er ist mehr so der Typ „Stubenhocker“. Die Umgebung und das Lebensgefühl des Pubertierenden werden dabei gut eingefangen. Seine Ferien verbringt er mit Zocken. Die Beziehung zu den Eltern ist problematisch, v.a. die zu seinem Vater (Ralph). Am Abendbrottisch führt Klapper kultivierte Gespräche mit Ralph, die aufgesetzt und erzwungen wirken. Von der Mutter erfahren wir nur, dass sie aufgrund ihrer Medikamente oft früh ins Bett geht und häufig einen leeren Blick aufweist. Hin und wieder verlässt sie das Haus unvermittelt, um einen Spaziergang zu machen. In der Schule ist Klapper Außenseiter. Mitschüler machen sich über seine Statur und das Knacken seiner Knochen und Gelenke lustig (daher auch sein Spitzname „Klapper“).


Nach dem Ende der Ferien begibt sich Klapper widerwillig wieder in die Schule. Er wirkt äußerst unsicher und wenig selbstbewusst. Mit Vivi-Marie wird der Klasse eine neue Mitschülerin vorgestellt. Sie ist das Gegenteil von Klapper. Sie wirkt sehr souverän, strahlt eine stoische Ruhe aus und hinterlässt einen burschikosen Eindruck. Sie wird die neue Sitznachbarin von Klapper und möchte von ihm „Bär“ genannt werden. In ihrer Gegenwart zeigt sich Klapper ziemlich nervös. Er hofft darauf, dass mehr aus ihm und Bär wird. Sie fasziniert ihn. Und als das Thema auf Counter-Strike kommt, merken beide, dass sie ein gemeinsames Interesse verbindet. Sie verabreden sich zum Zocken und nähern sich an. Doch aus Bärs Verhalten wird man nicht so richtig schlau. Sie wirkt immer etwas distanziert und übt auch keinen guten Einfluss auf Klapper aus. Er lässt sich ziemlich leicht von ihr lenken... 


Der Schreibstil gefällt mir sehr, sehr gut. Das Buch liest sich angenehm flott und flüssig. Es finden sich viele kreative, teils ironische Beschreibungen. Viel Witz ist zwischen und in den Zeilen erkennbar. Die Rückblicke ins Jahr 2011 nehmen deutlich mehr Raum ein als die Gegenwartsebene, was auch gut zum Geschehen passt. 2025 denkt Klapper, inzwischen IT-Fachkraft in einer Firma, an Vivi zurück, will sich aber auch nicht zu sehr seiner Erinnerung hingeben. Für ihn ist das Kapitel abgeschlossen. Irgendetwas muss damals passiert sein. Doch was? Das erfahren wir erst nach und nach. Das erzeugt ein gutes Maß an Neugier. Von mir gibt es 4,5 Sterne. Ich fühlte mich super unterhalten und habe das Buch sehr gern gelesen. Ich hätte mir lediglich noch ein paar mehr Informationen zu den Eltern von Bär und Klapper gewünscht.

Edenhofer, Ralph - Antarer. Besuch aus dem All



Erstkontakt



Bei einer Messstation für Gravitationswellen ereignet sich eine ungewöhnliche Signalstörung, die sich die leitende Technikerin Tony nicht erklären kann. Und ein Anruf in einem anderen Observatorium ergibt, dass auch dort das Signal empfangen wurde. Ein Messfehler wird ausgeschlossen. Die Quelle des Signals stammt irgendwo aus der Nähe des Sterns Antares. Die Forscher zerbrechen sich den Kopf darüber, womit sie es zu tun haben. Nach eingehender Analyse der Daten kommen sie zu dem Schluss, dass sich ein Objekt mit fünffacher Lichtgeschwindigkeit der Erde genähert und an ihr vorbeigerast sein muss. Kurz vor der Erde hat es gestoppt, bevor es dann weitergeflogen ist. Und kurze Zeit später stellt man fest, dass ein weiteres Objekt im Anflug auf die Erde ist. Das ist das Ausgangssetting des Romans und natürlich erwartet man nun die Schilderung eines sog. Erstkontakts.


Interessant ist, dass die Fremden kein Interesse an einer Kontaktaufnahme haben. Und das Objekt, das schließlich im Orbit der Erde verharrt, ist nur 5cm groß. Natürlich kommen bei der Lektüre typische Erstkontakt-Fragen in den Sinn: Was wollen die Aliens? Welche Absichten verfolgen sie? Wie sind sie beschaffen? Etc. Und da die Kontaktaufnahme lange hinausgezögert wird, verbleibt der Spannungsbogen über lange Zeit hinweg auf einem hohen Niveau. Man stößt auch auf klassische Elemente, die einen Roman mit einer solchen Thematik auszeichnen (z.B. das vorsichtige Militär, das eine Bedrohung vermutet, und die neugierige Wissenschaft, die an Erkenntnisgewinnen interessiert sind). Und die technologische Überlegenheit der Besucher sorgt auch dafür, dass ein Teil der Menschheit Angst entwickelt und sich unterlegen fühlt.


Das Thema „Erstkontakt“ ist ein klassisches Thema von Science-Fiction-Literatur. Es gibt zahlreiche Romane, die sich inhaltlich damit auseinandersetzen (vgl. hierzu zum Beispiel das Lexikon der deutschen Science-Fiction-Literatur 1988: S. 81 ff.). Ich denke dabei sofort an „Krieg der Welten“ von H.G. Wells aus dem Jahr 1898. Spannung entsteht v.a. dadurch, dass die ganze Zeit Ungewissheit über den Fortgang der Handlung entsteht. Es entsteht eine bedrohliche Atmosphäre. Die bereits genannten Fragen, die bei der Lektüre entstehen, erzeugen Neugier. Man ist gespannt, zu erfahren, ob es zu einem Konflikt oder zu einer Annäherung kommt. Auch will man wissen, wie die Kontaktaufnahme erfolgt und ob die Kommunikation gelingt.


Das Buch zeichnet sich durch eine angenehme Präsenz von „science“ aus. Es ist nicht nur „fiction“. Die den Menschen bekannten Gesetze der Physik werden auf den Prüfstand gestellt. Überlichtgeschwindigkeit, Warpblasen und Gravitationswellen spielen eine Rolle. Später ist es dann die Biologie, der Bedeutung zukommt (der Autor verweist im Nachwort auf ein Buch von Peter Wohlleben, von dem er sich inspirieren lassen hat: „Das geheime Leben der Bäume“). Die Forscher entdecken, dass es bei Bäumen zu Mutationen kommt, die auf ein Eingreifen der Besucher zurückgeführt werden. Wollen die Aliens etwa die irdische Umwelt verändern und den Planeten terraformen? Welche Maßnahmen ergreifen die Forscher, um die Ausbreitung der invasiven Mutation einzudämmen? Hier musste ich wieder an den Roman „Krieg der Welten“ von H.G. Wells denken, wo sich eine rote Pflanze auf der Erde ausbreitet. 


Was mir noch positiv aufgefallen ist: Der Schreibstil ist angenehm, das Buch liest sich flüssig. Die Gruppendynamik innerhalb des Forschungsteams wird gut eingefangen, die handelnden Figuren haben ein klar erkennbares Profil. Und immer dann, wenn es droht, zu langatmig zu werden, kriegt das Geschehen gerade noch die Kurve (u.a. durch einen Zeitsprung von 16 Jahren). Lediglich der Inhalt der Privatgespräche der Figuren konnten bei mir nicht immer Begeisterung hervorrufen. Oft stand mir das Liebesleben zu sehr im Vordergrund. Und ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Darstellung der Kommunikation mit den Fremden. Wie das funktioniert, konnte ich mir nicht so richtig vorstellen.

Montag, 22. September 2025

Usami, Rin - Idol in Flammen



Einblick in die labile Psyche eines Fan-Girls



Lust auf einen Einblick in die instabile, labile Psyche eines Fan-Girls in Japan? Lust auf das Eintauchen in ein Phänomen der japanischen Pop-Kultur? Dann empfehle ich den Roman „Idol in Flammen“ von Rin Usami. Ein Buch, das in Japan zu einem großen Bestseller avancierte. Die Autorin selbst ist noch erstaunlich jung, 1999 geboren. Sie lebt heute in Tokio und hat bereits zwei wichtige Literaturpreise gewonnen.


In dem Buch wird eine zentrale Frage in den Blick genommen: Wie positioniert sich die Fanszene zu einer Musikgruppe, wenn der Sänger mit einem schweren Vorwurf konfrontiert wird?


Die Hauptfigur Akari ist so besessen von ihrem Idol Masaki, dass sie alles, was er sagt, transkribiert und in Ordnern abheftet. CDs, DVDs und Fotobände kauft sie gleich in dreifacher Ausführung. Und Fernsehprogramme über ihn zeichnet sie auf. Auf einem Blog veröffentlicht sie Betrachtungen zu ihm. Seine Handlungen und Aussagen werden bis ins kleinste Detail analysiert. Akari unterscheidet verschiedene Arten von Fans: „Es gibt so viele Arten, Fan zu sein, wie es Menschen gibt. Manche Fans bejahen religiös alles, was ihr Idol tut, andere meinen, ein echter Fan müsse auch Grenzen ziehen. Es gibt Fans, die in ihr Idol verliebt sind, aber kein Interesse an seiner Arbeit als Künstler haben, und Fans, die sich zwar keine Beziehung wünschen, aber trotzdem aktiv auf alle Posts reagieren. Dann gibt es die, die sich nur für die Musik interessieren und denen Skandale egal sind, und die, die aufs Geldausgeben für das eigene Idol fixiert sind, wobei anderen der Austausch in der Fangemeinde am wichtigsten ist.“ Was für eine differenzierte Darstellung!


Und auch die Gedanken von Masaki sind interessant. Was treibt ihn an, Musik zu machen? (vgl. S. 22: „Vielleicht hoffe ich, dass mich irgendwer da draußen, auch wenn es nur eine einzige Person ist, durchschaut und versteht. Sonst würde ich mir das alles nicht geben, dieses Leben in der Öffentlichkeit, meine ich“). Akari entwirft ein idealtypisches Bild von ihm, es entsteht eine Projektion ihrer eigenen Wünsche und Fantasien. Sie glaubt ihn zu durchschauen und zu verstehen. Sie ist mit ihren Gedanken so sehr bei ihrem Idol, dass sie die schulischen Pflichten vernachlässigt. Trotz des Skandals bleibt sie Masaki treu und hält zu ihm. Die Musik von Masaki erlebt Akari sehr intensiv: „Es fühlt sich an, als würde ich Masakis Gesang mit den Ohren aufnehmen und aus meinem eigenen Mund entweichen lassen. Seine Stimme und seine Augen legen sich über meine Stimme und meine Augen“ (S. 34).


Auch erhalten wir einen Einblick in den Blog von Akari und in das Treiben rund um den Blog herum (z.B. Kommentare und Austausch mit anderen Fans). Das Ausleben des Fan-Daseins ist für Akari das wichtigste („Aber eins weiß ich absolut sicher: Masakis Fan zu sein ist das Zentrum meines Lebens, die eine Konstante. Mein Idol ist meine Körpermitte, meine Wirbelsäule“). Was für ein Eingeständnis! Scheinbar versucht die Protagonistin ihre eigene innere Leere zu füllen. Man merkt, dass es um die Psyche von Akari nicht gut bestellt ist. Sie hat Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, scheint eine Essstörung zu entwickeln. Leistungsabfall in der Schule macht sich bemerkbar. Eine Abwärtsspirale beginnt. Akari entwickelt ein zunehmend stärker werdendes negatives Selbstbild. Sie wird so sehr von Masaki und den Skandal um ihn vereinnahmt, dass sie von ihrer Umwelt nicht viel mitbekommt.


Weitere Symptome, die sich bei der Protagonistin zeigen: Antriebslosigkeit und Traurigkeit. Sie leidet ganz offensichtlich unter eine Depression. Und ihr familiäres Umfeld reagiert wenig sensibel und empathisch, setzt sie sogar noch unter Druck, eine Arbeit zu finden. Doch trotz dieses überaus labilen psychischen Zustands steigert sie sich immer weiter in die Begeisterung um Masaki hinein („Ich bin nicht ich, wenn ich nicht Masakis Fan bin. Ein Leben ohne ihn ist nur noch ein Warten auf den Tod“, S. 112). Und außer den bewegenden Einblick in die fragile Psyche, die nach meinem Empfinden sehr treffend und feinfühlig gestaltet wurde, lernt man beiläufig auch noch etwas über die japanische Musikszene und Pop-Kultur. Wer sich dafür interessiert, der sollte im Internet vor allem die Begriffe „Idol-Kultur“, „Idol“ und „Japan“ genauer recherchieren.


Bleibt abschließend noch eine Bemerkung zur Rezeption dieses Werks. „Idol in Flammen“ erhielt im Feuilleton damals keine große Beachtung, wenn ich der Zusammenfassung auf perlentaucher.de Glauben schenken darf. Die psychologische Bedeutung des Werks wurde ebenfalls nicht angemessen gewürdigt, wenn man sich die Zusammenschau durchliest. U.a. stieß ich auf die Rezension von Miriam Zeh (Deutschlandfunk Kultur, Stand: 20.09.2025), der ich aber in zwei zentralen Punkten nicht zustimmen kann. So ist für mich z.B. unklar, warum die Rezensentin dem Buch einen didaktischen Impetus zuschreibt. Für mich war kein erhobener Zeigefinger erkennbar, auch empfand ich den Inhalt des Buchs nicht als belehrend. Und macht das Ende des Romans nicht deutlich, dass die Obsessivität von Akari gar nicht so unerschütterlich zu sein scheint? Und noch eine letzte Bemerkung: Ist Akari nicht schon allein aufgrund ihrer Erkrankung eine rätselhafte Figur? So stellt sich doch z.B. die Frage, ob die Depression evtl. Ursache oder Folge des betriebenen Fankults ist. Oder ist die Erkrankung weder Ursache noch Folge für das obsessive Fan-Dasein? Ist das Fan-Dasein vielleicht mehr eine Begleiterscheinung der Erkrankung? Ist es vielleicht der einzige kleine Bereich im Leben, der Akari noch Freude bereitet? Wie schafft es Akari, einseitig so viel Energie für ihre Leidenschaft aufzubringen und andere Dinge dafür so zu vernachlässigen? Passt das zu einer depressiv erkrankten Person? Ich bin kein Psychologe und kann das nicht beantworten, aber es gibt doch viele Rätsel auf. Eine These: Kann Akari womöglich ihre Freiheit, Kreativität und Erfolgserlebnisse nur im Fankult ausleben? Sicher ist für mich nur, dass man zahlreiche Belege im Text findet, die darauf hindeuten, dass Akari unter einer Depression leidet. Und diese Diagnose ist implizit im Text zu finden, man muss sie herauslesen. Ist das nicht rätselhaft genug in Bezug auf diese Figur?


Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Rezension deutlich machen konnte, dass es sich nicht um ein oberflächliches Werk handelt, wie es in Rezensionen (z.B. auf vorablesen.de) behauptet wird. Das ist in meinen Augen definitiv nicht der Fall! Im Gegenteil: In diesem schmalen Büchlein steckt einfach unglaublich viel. 5 Sterne von mir! Das Werk ist nicht nur in interkultureller Hinsicht interessant, sondern auch in psychologischer.