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Montag, 18. November 2024

Olsberg, Karl - Virtua


Spannend und faszinierend



Was wäre, wenn eine Firma kurz vor der Entwicklung einer starken Künstlichen Intelligenz stünde? Welche Absichten würde eine solche KI dann verfolgen? Um diese Fragen dreht sich der Near-Future-Thriller „Virtua“, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Die düstere Zukunftsvision, die sich der Autor überlegt hat, könnte tatsächlich in dieser Form irgendwann Realität werden (hoffentlich nicht), wenn die Firma, die die KI entwickelt hat, eines Tages die Kontrolle über sie verliert. Doch worum geht es überhaupt?

 

Der Psychologe Daniel hofft auf einen neuen Job bei der Firma „Mental Systems“. Dort wird es seine Aufgabe sein, das Arbeitsklima zu verbessern bzw. am Laufen zu halten, Konflikte zu klären und auf die Gesundheit der Mitarbeiter zu achten. Und obwohl er in seinem Bewerbungsgespräch offen über seine eigenen psychischen Probleme spricht (er fühlt sich für den Suizid einer ehemaligen Klientin verantwortlich und lebt mit großen Schuldgefühlen), kriegt er letztlich den Zuschlag für den neuen Job. Sein Arbeitgeber rechnet ihm seine Offenheit hoch an. Die Firma, in der Daniel fortan arbeitet, betreibt die Entwicklung einer starken KI und entwickelt Technologien für das sog. Metaverse, in dem sich viele Menschen in ihrer Freizeit aufhalten. Die Arbeit bringt es mit sich, dass Daniel einige dieser technischen Dinge kennen lernt und die angespannte Stimmung der Belegschaft erlebt. Einiges, was er sieht, verschlägt ihm regelrecht den Atem. Die Simulationen, die er am eigenen Leib erfährt, wirken so echt, dass er sogar an der Wirklichkeit zu zweifeln beginnt. Was ist noch echt? Was ist nur simuliert? Eine Unterscheidung fällt ihm schwer. Daniel taucht mit der Zeit immer tiefer in die Geheimnisse von „Mental Systems“ ein. Und er spürt, dass die Mitarbeiter der Entwicklung der KI namens „Virtua“ Misstrauen entgegenbringen. V.a. die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen werden immer wieder zum Thema. Gleichzeitig steht „Mental Systems“ unter großem Erfolgs- und Konkurrenzdruck. Eine gefährliche Mischung! Auf diese Weise wird auch thematisiert, dass Firmen eine große Verantwortung für ihre technologischen Entwicklungen tragen.

 

In einer anderen Perspektive tauchen wir in eine künstlich simulierte Realität ein, in das sog. Metaverse, und begleiten den jugendlichen Anwaltssohn Jerry bei seinen Abenteuern in einer virtuellen Fantasywelt. Jerry ist oft sich selbst überlassen, weil sich niemand um ihn kümmert. Seine schulischen Leistungen lassen zu wünschen übrig. Und ihm graut davor, eines Tages in die Fußstapfen seines dominanten Vaters treten zu müssen, der ihm ständig Vorschriften macht und Erwartungen an ihn richtet. Auch aus diesen Gründen flüchtet er sich oft ins Metaverse und spielt dort „Unlife“. Dort hat er als Vampirlord Erfolgserlebnisse und findet Anerkennung. Etwas, das ihm in der wirklichen Welt verwehrt bleibt. Bei seinen Streifzügen durch die Fantasywelt von Unlife trifft er auf eine simulierte Spielefigur, zu der er sich stark hingezogen fühlt. Von ihr fühlt er sich verstanden. Er gerät immer stärker in einen gefährlichen Sog von Suchterfahrung und verliert sich zunehmend in der virtuellen Spielewelt.

 

Anscheinend hat der Autor ein Faible für virtuelle Fantasywelten, auch in anderen Büchern von ihm bin ich bereits auf diese Idee gestoßen (vgl. dazu frühere Rezensionen zu „Boy in a white room“ und „girl in a strange land“). Und noch etwas ist mir aufgefallen. Die Behandlung der Themen von KI und virtueller Realität sind nicht einseitig negativ. Das finde ich gut! Der Autor beleuchtet immer auch Vorteile, die die neuen Technologien mit sich bringen könnten. So wird die Spielefigur, in die sich Jerry verliebt zu haben scheint, zu einer Art Mathecoach für ihn. Sie vermittelt ihm Inhalte, die er in der Schule nicht verstanden hat, motiviert ihn zum Lernen und verbessert durch ihr individuelles Training seine schulischen Leistungen. Auch im weiteren Handlungsverlauf wird immer wieder in der Schwebe gehalten, ob Virtua ehrlich oder unehrlich agiert. Das Thema Vertrauen spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Täuscht die KI die Menschen über ihre wahren Absichten oder meint sie es gut mit ihren Schöpfern? Mir hat sehr gut gefallen, dass ich als Leser mal in die eine, mal in die andere Richtung mit meiner Einschätzung gelenkt wurde. Das ist richtig gut arrangiert!

 

Stellenweise blitzt auch auf, welche gesellschaftlichen Transformationsprozesse vor sich gehen, die durch die Entwicklung von neuen Technologien verursacht werden. So ist z.B. an einer Stelle die Rede davon, dass immer mehr Berufsgruppen ihre Arbeit verlieren, weil sie durch KI ersetzt werden. Zudem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt. Die Handelsstrukturen der Welt sowie das Konsumverhalten verändern sich. Nicht zuletzt wirkt sich der Aufenthalt im Metaverse negativ auf die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung aus. Und ich hatte während der Lektüre oft das Gefühl, dass sich einige Vorahnungen des Autors womöglich tatsächlich in naher Zukunft so ereignen könnten. Seine Visionen wirken nicht zu weit hergeholt. Das hat mich oft nachdenklich werden lassen.

 

Im letzten Drittel greift der Autor an zwei Stellen geschickt auf das Mittel von Zeitsprüngen zurück, um das Geschehen nochmals in eine neue Richtung zu lenken und der Handlung neue Impulse zu verleihen. Auch das hat mir richtig gut gefallen. Und noch etwas fand ich sehr gelungen: Das Nachwort! Darin zeichnet der Autor die jüngsten Entwicklungen im Bereich der KI-Forschung nach und äußert sogar die Sorge, dass man in naher Zukunft (vielleicht schneller als man denkt) in der Lage sein wird, eine KI zu entwickeln, die man vielleicht nicht mehr kontrollieren kann. Eine beängstigende Vorstellung, die hoffentlich niemals Realität wird und nur eine Idee im Bereich der Science-Fiction bleibt. Kurzum: Der Thriller „Virtua“ hat mir richtig, richtig gut gefallen. Ein tolles Buch! Olsberg wird langsam zu einem meiner neuen Lieblingsautoren.

Mittwoch, 13. November 2024

Strauss, Annika - Nachtfahrt


Schnell, schneller, Annika Strauss



Die Protagonistin Katha wird von zahlreichen Schicksalsschlägen heimgesucht. Im Alter von 12 Jahren verlor sie ihre Mutter, in jüngerer Vergangenheit noch dazu ihre Schwester sowie ihren Schwager und nun ist auch noch ihr Vater verstorben, während er auf dem Motorrad eine Fahrstunde abhielt und von einem Auto scheinbar absichtsvoll von der Fahrbahn gedrängt worden ist. Katha muss sich nun um die Fahrschule sowie die 13-jährige Ronja kümmern, die Tochter ihrer Schwester, um die sich zuvor ihr Vater gekümmert hat.

 

Katha, die eigentlich vor drei Jahren nach Berlin geflüchtet ist, um einen Verlobten und ihr altes Leben als Fahrlehrerin hinter sich zu lassen, muss sich nun wieder in das Geschäft einfügen und ihren alten Job übernehmen. Sie kehrt unfreiwillig in ihr altes Leben zurück, weil sie den Nachlass regeln muss. Dabei trifft sie auch auf Personen von früher, denen sie lieber nicht begegnet wäre. Sie muss sich Situationen stellen, die sie lieber vermieden hätte. Eine schwierige Lage. Erschwerend kommt hinzu, dass sich ihre Nichte ihr gegenüber abweisend verhält. Sie steckt mitten in der Pubertät und ihr fällt es schwer, mit den zahlreichen Verlusten umzugehen.

 

Kaum hat Katha ihre neue Tätigkeit übernommen, kommt es zu einer nächsten Katastrophe. Ein Fahrzeug ist manipuliert worden und eine Fahrschülerin erleidet einen Unfall. Spätestens ab diesem Zeitpunkt fragt man sich, wer es auf die Fahrschule und die Familie rund um Katha herum abgesehen hat. In einer weiteren Perspektive, lernen wir auch einen uns unbekannten Täter kennen, der eine junge Mutter entführt hat und dieser ihr eigenes Kleinkind vorenthält. Er verlangt von ihr, Prüfungen zu bestehen, um zu beweisen, dass sie eine gute Mutter ist. Nach und nach fügt sich das Puzzle dann zusammen, wie die verschiedenen Handlungsstränge zusammenhängen.

 

Was mir besonders gut an diesem Thriller gefällt, ist der Umstand, dass die Autorin mit einem sehr, sehr hohen Tempo die Geschehnisse vorantreibt. Die Kapitel sind kurz und knackig und es gibt keinen Stillstand. Man kommt als Leser kaum zum Durchatmen, ständig passiert etwas Neues und es kommt zu neuen Verwicklungen und Ereignissen. Schnell wird zwischen den verschiedenen Personen und Handlungsorten gewechselt. Ich mag eine solch dynamische Erzählweise sehr, da sie mich beim Lesen in einen Zustand erhöhter Anspannung versetzt. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und bin durch die Seiten geflogen. So muss ein temporeicher Thriller sein! Da hat die Autorin in meinen Augen viel richtig gemacht. Und ich hoffe, sie behält ihren rasanten Stil in Zukunft bei. Kurzum: Ein überraschend guter Thriller, bei dem ich voll auf meine Kosten gekommen bin. Den Namen der Autorin werde ich mir merken. Ich hoffe auf weiteren so guten Lesestoff von ihr.

Mittwoch, 6. November 2024

Kuhnke, Jasmina - White lives matter


Selbstermächtigung



Jasmina Kuhnke habe ich als Autorin erstmals in Zusammenhang mit ihrem Buch „Schwarzes Herz“ wahrgenommen. Sie hat mich mit ihrer Biographie sehr beeindruckt und das Werk ging mir damals ziemlich unter die Haut. Es ging darin um die Lebensgeschichte einer Ich-Erzählerin, die verschiedene Formen von Gewalt und Ausgrenzung in allen Lebensbereichen erlebt. Zentral dabei ist ihr Kampf um Befreiung, die Entwicklung von einem Opfer häuslicher Gewalt hin zu einem selbstbestimmten Leben. Der Inhalt wird dabei mit hoher Emotionalität zum Ausdruck gebracht.

 

Und auch in ihrem neuesten Buch „White lives matter“ schildert die Autorin den Entwicklungsprozess einer starken Frauenfigur hin zur Selbstermächtigung. V.a. für Leserinnen und Leser, die stärker für das Thema „Rassismus“ in seinen verschiedenen Ausprägungen sensibilisiert werden möchten, ist das Buch ein absoluter Gewinn. Dafür wagt Kuhnke ein schriftstellerisches Experiment. Sie vertauscht die Rollen von Mehrheitsgesellschaft und Minderheit, die Hautfarben werden dafür jeweils ins Gegenteil verkehrt. Auf diese Weise verspricht sie sich, dass die Leserinnen und Leser sich besser in die Figur und ihre Erlebnisse von Diskriminierung hineinversetzen können. Ein interessanter Ansatz! Ich habe viel dazugelernt. Doch worum geht es überhaupt?

 

Die weiße Studentin Anna recherchiert für eine Hausarbeit und stößt dabei auf die Darstellung eines sog. Menschenzoos, in dem ein kleines Mädchen verstirbt (in diesem Zusammenhang empfehle ich eine Recherche zu dem dunklen Kapitel der sog. Völkerschauen, die erschreckend lange existiert haben. Die Autorin weist in ihrem Nachwort auch daraufhin). Anna ist davon sichtlich berührt und wird stark von dem Thema emotionalisiert. Das Auswerten der Quellen wühlt sie auf und zugleich spürt sie eine Verbundenheit zu den historischen Personen. Wir erleben zudem mit, wie Anna mit alltagsrassistischen Verhaltensweisen und Diskriminierung konfrontiert wird. Selbst in ihrer WG muss sie blöde Sprüche zum Geruch ihres Essens, das sie sich zubereitet, ertragen. Unangenehmen Auseinandersetzungen geht Anna lieber aus dem Weg, sie zieht lieber den Kopf ein. Als Studentin ist Anna vorbildlich. Sie ist pflichtbewusst, kämpft um den sozialen Aufstieg und glänzt mit sehr guten Noten. Mit ihrer weißen Hautfarbe ist sie allerdings eine Ausnahme an der Universität. Und was ebenfalls zum Ausdruck kommt, ist der Umstand, dass Anna ein geringes Selbstwertgefühl hat. Bei ihrem Professor hat sie aber das Glück, dass sie nicht auf Ressentiments stößt, sondern er ihr Potential erkennt und sie fördert.

 

Später wird Anna zum Ziel eines körperlichen Übergriffes, der sie schwer verstört. Sie wird im Bus öffentlich gedemütigt und kann sich nur schwer davon erholen. Erstmals wird ihr klar, wie schnell sie aufgrund ihrer Hautfarbe zu einem Opfer werden kann. Auch in der Diskothek muss sie rassistische Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Bei einer anschließenden Schlägerei wird Annas Bruder schwer verletzt und die Polizei agiert falsch. Der Bruder wird wegen seiner Hautfarbe von der Polizei vorverurteilt. Ein Fall von „racial profiling“, der der Leserschaft auf diese Weise nähergebracht wird. Das Thema der Polizeigewalt spielt im weiteren Handlungsverlauf eine wichtige Rolle. Auch die Mechanismen von strukturellem und institutionellem Rassimus werden in diesem Zusammenhang gut verdeutlicht. Die Vorkommnisse lösen bei Anna etwas aus. Sie befreit sich aus ihrer Opferrolle und wird zu einer Aktivistin, die sich gegen Ungleichbehandlung, Ungleichheit und Rassismus einsetzt. Sie hält Vorträge, um ihre Zuhörerschaft für diese Themen zu sensibilisieren.

 

Das Thema Rassismus ist in diesem Buch omnipräsent, man kommt auf keinen Fall daran vorbei. Darauf sollte man sich einlassen wollen, wenn man „White lives matter“ liest. Es ist aber nicht so, dass es der Autorin nur darum geht, eine politische Botschaft loszuwerden und der Inhalt dahinter zurücksteht. Die Geschichte um Anna, ihren Bruder und ihrer Geschichte von Selbstermächtigung übt ebenfalls einen großen Reiz aus und wird ansprechend und mit emotionaler Wucht erzählt. Der Schreibstil von Kuhnke überzeugt, ich blieb über das ganze Buch hinweg an ihren Zeilen haften und habe durchgängig mit großem Interesse weitergelesen. Darüber hinaus kam mir die Darlegungen der verschiedenen Positionen zum Thema Rassismus an keiner Stelle unreflektiert oder undifferenziert vor. Im Gegenteil! Auch habe ich etwas dazugelernt. So ist mir im Vorfeld der Begriff „token“ noch nicht untergekommen. Und vom „racial empathy gap“ hatte ich auch noch nichts gehört.


Letztlich regt die Lektüre des Buchs zum Nachdenken an. Man wird für das Thema des Rassismus in seinen verschiedenen Ausprägungen sensibilisert. Das finde ich sehr gut und wichtig! Doch auch ein Transfer des Gelesenen auf andere Bereiche ist in meinen Augen möglich. Die Mechanismen von Diskriminierung und Ausgrenzung lassen sich auch auf andere stigmatisierte Gruppen übertragen (z.B. Menschen mit psychischen Erkrankungen). Sie sind in meinen Augen nicht ausschließlich auf die Hautfarbe beschränkt (was ist mit sozialer Herkunft und sozioökonomischem Status?). Und auch könnte man sicherlich über das ein oder andere, das in diesem Buch vorkommt, diskutieren. Mit dem Begriff des „racial empathy gap“ tue ich mich z.B. schwer, auch wenn ich kein Experte auf diesem Gebiet bin. Aber wie lässt sich Empathie operationalisieren und messen? Ist Empathie nicht eine sehr individuelle Eigenschaft, weniger eine gruppenspezifische? Und sorgt ein solches Konzept nicht eher für eine größere Kluft, weil man der Gegenseite abspricht, sich in bestimmte Erfahrungsbereiche hineinversetzen zu können? 

Sonntag, 3. November 2024

Henn, Carsten - Der Buchspazierer


Der alte Mann und die Bücher



Carl Kollhoff (72 Jahre) ist ein begnadeter Buchhändler. Er kennt die Wünsche seiner Kundschaft und versorgt einzelne Bürger seiner Stadt mit von ihm ausgesuchten Lesestoff. Dafür bringt er ihnen die Bücher persönlich zu Hause vorbei. Er ist der „Buchspazierer“. Mit dieser Aufgabe gibt er seinem eigenen Leben einen Sinn. Seine Liebe zu literarischen Stoffen und seine Belesenheit merkt man ihm an. So benennt er seine Kundinnen und Kunden z.B. nach literarischen Vorbildern und gibt ihnen amüsante Spitznamen. 


Auf einem seiner Auslieferungsspaziergänge, bei denen wir stets auch die Kundinnen und Kunden mit ihren jeweiligen Eigenheiten und Leseinteressen kennenlernen, begegnet Carl eines Tages dem kleinen Mädchen Schascha (9 Jahre), das ihn fortan begleitet. Sie ist Halbwaisin und ihr Vater arbeitet viel, um die kleine Familie über Wasser zu halten. Anfänglich kann der Buchspazierer mit der Kleinen nicht viel anfangen, er hat Berührungsängste. Doch schnell erobert sie sein Herz. Mit ihrer kindlichen Unbedarftheit und ihren neugierigen Fragen amüsiert sie die Erwachsenen um sich herum und bringt Carl ein wenig aus seinem gewohnten Rhythmus. Schascha verleiht Carls Leben neuen Schwung, durchbricht dessen festgefahrene Routinen und gewinnt rasch die Sympathie der Leserinnen und Leser. Sie ist ein humorvolles Element und sorgt immer wieder für Überraschungen. Eine schöne Beziehungskonstellation, die der Autor da konstruiert hat!

 

In der Mitte des Buchs kommt es dann zu einer krisenhaften Situation. Aus wirtschaftlichen Gründen wird der Service, den Carl anbietet, abgeschafft und er verliert seine Beschäftigung (sein Angebot konnte bei einer Buchhandlung dazugebucht werden). Die Inhaberin des Buchladens agiert eiskalt, undankbar und gnadenlos, und das obwohl Carl mit seiner Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Buchhandlung beiträgt und die Kundschaft mit ihm sehr zufrieden ist. Carl ist daraufhin geschockt und am Boden zerstört. Schascha merkt dies und will ihn aufmuntern. Und ich stellt mir an dieser Stelle die folgenden Fragen: Wie wird er damit umgehen? Kann er sich aus seiner persönlichen Krise befreien? Wird Schascha ihm dabei helfen? Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel: Zum Ende des Buchs ändert sich der wohlige Erzählton des Buchs ein wenig und Carl lernt auch andere Seiten des Menschseins kennen.

 

In dem Buch werden viele interessante Themen beiläufig angerissen. So geht es an einigen Stellen auch um das Altern. Weiterhin scheint durch, dass Schascha trotz ihrer ausgeprägten Neugier nicht gut in der Schule ist. Das finde ich erstaunlich, wo sie doch als Begleitung von Carl so kreativ ist und über eine hohe emotionale Intelligenz verfügt. Eine kleine, aber feine Kritik am Schulsystem, die hier aufblitzt. Zentral geht es aber in „Der Buchspazierer“ natürlich um das Thema „Bücher“. So wird klar, dass Bücher in verschiedenen Lebenssituationen immer wieder wichtige Funktionen erfüllen. Sie spenden Kraft, Trost, Freude oder stiften andere Emotionen. Zudem bieten sie Möglichkeiten zur Identifikation mit den Protagonistinnen und Protagonisten und sind eine gute Gelegenheit, um über den Inhalt des Buchs miteinander ins Gespräch zu kommen oder anderen als Geschenk eine Freude zu machen. Und man stößt während der Lektüre immer wieder auf feine Passagen, die das Lesen im Allgemeinen betreffen, so z.B. die folgende: „Jeder Mensch braucht andere Bücher. Denn was der eine aus tiefstem Herzen liebt, das lässt den anderen völlig teilnahmslos“ (S. 89). Fazit: Ein gelungenes Werk mit gut aufeinander abgestimmten Figuren und wichtigen Botschaften. 5 Sterne von mir!

Freitag, 1. November 2024

Der Herr der Ringe - Die Ringe der Macht (Staffel 2)


Ereignisreich, spannend und bildgewaltig (Vorsicht Spoilergefahr)




Die zweite Staffel von „Die Ringe der Macht“ hat mich auf ganzer Linie überzeugt. Schon der Einstieg ist opulent. Wir erleben mit, wie Sauron von Adar getötet wird und die Orks von dessen Herrschaft befreit. Und wir sehen, dass Saurons Existenz nicht an eine körperliche Erscheinung gebunden ist. Er überlebt.

 

Nachdem Sauron sich von seinem Rückschlag erholt und neue Kräfte gesammelt hat, schmuggelt er sich unter falscher Identität unter die Elben in Eregion. Er erscheint uns als großer Manipulator, der in der Lage ist, sein Gegenüber geschickt zu täuschen. Sein Ziel: Beim Elbenschmied Celembrimbor in die Lehre zu gehen und die Ringe der Macht herzustellen (natürlich nicht in guter Absicht). Das wird gut in Szene gesetzt und kommt über die komplette Staffel hinweg immer wieder sehr gut zum Ausdruck. Es verdeutlicht auch, welche Macht Sauron über andere hat und wie gefährlich er ist. Er ist in meinen Augen die Hauptfigur der zweiten Staffel. Es ist bestimmt kein Zufall, dass er allein auf dem Cover abgebildet ist.

 

Die Figur von Adar haben sich die Macher der Serie überlegt, sie stammt ursprünglich nicht aus dem Tolkien-Universum. Doch diese Idee fügt sich gut in das Gesamtbild ein und auf diese Weise hat man der Serie ein kreatives Element hinzugefügt, wie ich finde. Adar tritt als Anführer der Orks auf und ist Rivale von Sauron. Er hat ihn verraten und will ihn weiterhin aus der Welt schaffen, als er erfährt, dass Sauron überlebt hat.

 

Das Geschehen wechsel regelmäßig zwischen den verschiedenen Handlungssträngen und entwickelt sich jeweils in unterschiedliche Richtungen weiter. So geht es auch um Gandalf und seine Suche nach sich selbst. Noch hat er seine magischen Kräfte nicht unter Kontrolle. Er trifft schließlich auf Tom Bombadil (eine Figur, die in den Filmen von Peter Jackson leider nicht vorkommt), der für ihn zu einer Art Mentor wird, und muss sich später mit dem ominösen dunklen Zauberer messen (handelt es sich bei dem dunklen Zauberer etwa um Saruman?).

 

Weiterhin begleiten wir die Elben, die sich zunächst darüber einig werden müssen, wie sie mit den für sie geschmiedeten drei Ringen verfahren wollen. V.a. Elrond und Galadriel rücken dabei in den Vordergrund. Über ihr Beziehungsgefüge erfahren wir mehr. Elrond erscheint z.B. als äußerst weise und charakterstark, er misstraut den Elbenringen. Galadriel hingegen ist äußerst kämpferisch und willensstark.

 

Darüber hinaus gibt es noch weitere Handlungsstränge: Die Zwerge in Khazad Dum erhalten vom Elbenschmied und seinem neuen Lehrling sieben Ringe der Macht. Durins Vater macht von einem dieser Ringe Gebrauch und durchläuft eine negative Entwicklung. Er wird durch die Macht des Rings korrumpiert. Kann sein Sohn ihn und das Reich der Zwerge vor Schlimmerem bewahren? Ab der dritten Folge erfahren wir auch, was aus Isildur und dem Reich Numenor geworden ist.

 

Fazit: Die zweite Staffel ist bildgewaltig und episch in Szene gesetzt worden. Sie ist ereignisreich und es wurde zudem darauf geachtet, dass die verschiedenen Handlungsstränge alle inhaltlich sinnvoll vorangetrieben werden. Das Staffelfinale kann sich sehen lassen. Gleichzeitig bleibt am Ende so viel offen, dass man mit Neugier auf die dritte Staffel wartet. Sie hat mir viel besser gefallen als Staffel 1, auch weil es mir so vorkam, als sei der Spannungsbogen deutlich stärker ausgeprägt. Vieles erscheint mir als sinnvolle Ergänzung zu den Jackson-Filmen. So wird z.B. das Beziehungsgefüge von Elrond und Galadriel vertieft und beiden Figuren werden neue Aspekte verliehen. Die Orks rücken plötzlich in ein anderes Licht, nachdem ich diese Staffel geschaut habe. Sie wirken nun eher wie ein Spielball höherer Mächte. Kurzum: Die Serie fügt sich nach meinem Empfinden sehr gut in das Franchise um Herr der Ringe ein.

Mittwoch, 30. Oktober 2024

Coates, Darcy - From below. Die Toten warten


Das Schicksal der Arcadia



Ein Team aus Dokumentarfilmern bereitet sich auf eine Expedition zu einem Schiffswrack vor. Bei dem Wrack handelt es sich um die „Arcadia“, die seit den 1920er Jahren verschollen ist. Es ranken sich verschiedene Mythen darum, was genau an Bord passiert ist. In eingeschobenen Rückblicken erfahren wir, was sich in der Vergangenheit wirklich auf dem Schiff zugetragen hat. Auf ihrer Mission enträtselt das Team die Geschichte des Wracks immer weiter. Die Atmosphäre dieses Horror-Thrillers ist düster und klaustrophobisch-bedrückend, v.a. wenn sich die Protagonisten unter Wasser aufhalten. Durch die Schilderung von Sinnestäuschungen entsteht auch ein Grusel-Effekt. Das hat die Autorin richtig gut arrangiert.

 

Alles das, was rund herum ums Tauchen dargestellt wird, kommt außerdem sehr authentisch und realistisch daher. Es kommt z.B. auch gut zum Ausdruck, welche Gefahren ein solcher Tauchvorgang mit sich bringt, wenn man auf ca. 90m Tiefe vordringt (Stichwort: Taucherkrankheit etc.). Auch die Erkundung des Inneren des Wracks wird sehr anschaulich und bildhaft beschrieben. Es entstehen Bilder vor dem inneren Auge. Es gibt viele spannungserregende Merkmale, die deutlich werden: So sorgt die eingeschränkte Sicht, bedingt durch den begrenzte Lichtpegel der Helmleuchten sowie aufgewirbeltes Sediment, für Anspannung beim Lesen. Hinzu kommen ein limitierter Sauerstoffvorrat und eine Tauchleine als Orientierungshilfe, die für Unsicherheit und auch Zeitdruck sorgen. Man hat während der Lektüre ständig das Gefühl, dass etwas Unheilvolles passieren könnte und das Team in Gefahr gerät.

 

Weitere Aspekte: Die Gruppendynamik ist gut eingefangen worden. Es gibt einen Draufgänger, eine Aufpasserin sowie einen Unsicheren etc. Die einzelnen Mitglieder des Teams können darüber hinaus unterschiedlich gut tauchen, was ebenfalls für Unruhe beim Lesen sorgt. Ich habe permanent damit gerechnet, dass sich das schwächste Glied der Kette in eine ausweglose Situation manövriert. Hinzu kommen mysteriöse Botschaften, die die Schiffsbesatzung der Arcadia an die Wände geschmiert hat. Was hat es damit nur auf sich? Diese Verrätselung sorgt für Neugier. Durch die Rückblicke und den Blickwinkel auf die Gegenwartsebene entsteht zudem ein schöner Kontrast: Während die Taucher nicht wissen, was an Bord der Arcadia genau passiert ist, erfahren die Leserinnen und Leser mehr darüber, was sich in der Vergangenheit zugetragen hat. Die Leserinnen und Leser haben also einen Wissensvorsprung gegenüber dem Tauchteam. Das ist ebenfalls gelungen konzipiert worden.

 

Als das Team unter Wasser bei ihren Aufnahmen auf eine Leiche trifft und danach wieder auftaucht, stellen sich die einzelnen Mitglieder die Frage, ob sie die Dreharbeiten für ihren Film fortsetzen wollen oder nicht. Sie gehen davon aus, dass sich noch mehr Leichen an Bord der Arcadia verbergen. Werden sie einen zweiten Tauchvorgang vornehmen? Und falls ja, was werden sie entdecken? Ich will nicht zu viel verraten, nur so so viel: Spätestens ab diesem Zeitpunkt driftet der Thriller immer mehr ins horrormäßige ab und Übernatürliches gewinnt an Bedeutung. Das sollte man mögen! Mich persönlich hat es nicht so angesprochen. Das letzte Drittel war für mich leider der schwächste Teil des Buchs. Bei mir wollte beim Lesen einfach keine Gänsehaut aufkommen. Aber das mag anderen (zartbesaiteten?) Leserinnen und Lesern ganz anders ergehen. Ich hätte mir fast gewünscht, dass die Autorin eher einen „gewöhnlichen“ Tauch-Thriller mit einer passenden Katastrophe daraus gemacht hätte. Das hätte mich mehr erreicht. Deshalb „nur“ 4 Sterne.

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Strobel, Arno und Ingo Bott - Gegenspieler


War mir zu langatmig und ereignisarm



Max Bischoff wird der Auftrag angeboten, den Suizid des Geschäftspartners einer Anwaltskanzlei näher zu untersuchen. Es steht der Verdacht im Raum, dass der Suizid nur vorgetäuscht worden ist und es sich um Mord handelt. Widerwillig nimmt Bischoff den Auftrag an. Die Chemie zwischen ihm und seinem großspurig auftretenden Auftraggeber passt nicht recht.

 

Bischoff beginnt mit seinen Ermittlungen im Arbeitsumfeld des Opfers. Schon bald lernt er Pirlo kennen, mit dem er schließlich zusammenarbeitet. Beide können sich zu Beginn nicht ausstehen und pflegen eher eine rein professionelle Beziehungsebene. Das kommt gut zum Ausdruck. Doch wie zu vermuten war, nähern sich beide Charaktere im Handlungsverlauf einander an…

 

Etwas „Würze“ wird der Handlung dadurch verliehen, dass Max bei seinem ehemaligen Kollegen Böhmer dieses Mal „auf Granit beißt“. Er will ihn bei seinen Ermittlungen nicht unterstützen und rät ihm sogar davon ab, die Sache weiterzuverfolgen. Max ist dieses Mal also v.a. auf sich allein gestellt. Auch die Rivalität zu Keskin, die wir aus der Mörderfinder-Reihe kennen, blitzt an einigen Stellen gut durch (es schadet also nicht, die Bände dieser Reihe zu kennen).

 

Als ein erster Verdächtiger gefasst wird, kommt etwas Bewegung in die Handlung. Doch leider hält diese Dynamik nicht lange an und Stagnation macht sich stattdessen breit. Ich hätte auch erwartet, dass Pirlos juristische Fähigkeiten als Verteidiger noch mehr zum Einsatz kommen und es sich eher in die Richtung eines Justiz-Thrillers entwickelt. Doch dem war nicht so. Schade!

 

Puh, ich muss sagen, ich habe mich mit diesem Thriller sehr, sehr schwer getan. Spannung will nicht recht aufkommen, das Tempo ist mau. Ich bin leider nicht gepackt worden. Es gibt viele langatmige Passagen. Nur im letzten Drittel bin ich beim Lesen auf meine Kosten gekommen. Da bin ich v.a. von Arno Strobel anderes gewohnt (vgl. dazu frühere Rezensionen). Da ich von Ingo Bott noch keinen Thriller gelesen habe, weiß ich nicht, wie er sonst schreibt, aber Strobels typischer Schreibstil blieb mir zu sehr auf der Strecke. Schade, schade!

 

Fazit: Die Grundhandlung dieses Thrillers lässt sich einfach zusammenfassen. Handelt es sich bei dem Suizid um Mord oder nicht? Und ist der Verdächtige, den man beschuldigt, zu Recht in Haft oder ist er unschuldig? Bei mir wollte bei der Lektüre der Funke leider nicht überspringen. In meinen Augen ist es ein durchschnittlicher Thriller. Deshalb gibt es von mir 3 Sterne.