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Donnerstag, 4. September 2025

Neumüller, Ralph Alexander - Das Stoffuniversum



Der Reisende




Der Ich-Erzähler Frank Kurath schläft ein und wacht am nächsten Tag in einer völlig neuen Umgebung auf, und zwar an der Seite einer ihm völlig Unbekannten. Er muss sich zunächst orientieren und alle relevanten Informationen zusammentragen, um seinen Platz in der fremden Welt möglichst unauffällig einzunehmen. Und es soll nicht seine einzige Reise bleiben...


Was es mit Kurath auf sich hat und warum er immer wieder woanders aufwacht, bleibt zunächst im Dunkeln und wird Schritt für Schritt aufgelöst. Anfangs wissen wir nur, dass die Situation für den Ich-Erzähler sehr belastend ist. Immer wieder verliert er die Bindung zu ihm nahestehenden Personen und muss sich an ein neues Leben anpassen. Er fühlt sich einsam und den Umständen hilflos ausgeliefert. Sein Leidensdruck ist groß. Als Leser fragte ich mich, wie es mit Frank Kurath weitergehen wird, ob er das Geheimnis seiner Reisen aufdecken wird und aus dem Teufelskreis ausbrechen kann. Das waren für mich genügend offene Fragen, um stets neugierig weiterzulesen. Ich will nicht zu viel verraten, aber eines Tages trifft Kurath einen Physiker, der ihm womöglich weiterhelfen kann. Und schon bald erfährt der Ich-Erzähler, dass er nicht allein mit seinem Problem ist…


Es ist immer wieder interessant, wie sich Kurath trotz völliger Ahnungslosigkeit in einer neuen Umgebung mit neuer Arbeit und neuen Arbeitskolleginnen und -kollegen behaupten kann. Zu 90% erwacht er in Wien, aber manchmal befindet er sich auch ganz woanders. Die Idee hinter den Reisen ist faszinierend. Innerhalb der verschiedenen Welten sind der Kenntnisstand, die geschichtlich-gesellschaftspolitische Entwicklung sowie der technologische Fortschritt der Gesellschaften unterschiedlich. Auch der körperliche Zustand, mit dem Kurath erwacht, ist veränderlich. Wie ist das möglich?


Da vorher nie klar ist, wie lange der Ich-Erzähler in einer Welt bleibt (Tage, Woche oder Monate), entstehen bei der Lektüre Offenheit, Ungewissheit und Dynamik. Das hat mir sehr gut gefallen. Insgesamt werden viele interessante und kreative Ideen im Roman verarbeitet. Besonders gefallen hat mir z.B., dass Kurath einen Überblick über Hunderte von Welten hat und dabei sogar gewisse Grundkonstanten entdeckt. Noch etwas: Es war mir an keiner Stelle zu abgedreht oder zu weit hergeholt. Alles fügt sich zu einem logischen und schlüssigen Gesamtbild zusammen. Ich habe das gesamte Buch durchweg gern gelesen und konnte es kaum aus der Hand legen. Ein größeres Kompliment kann ich einem Buch nicht machen. Das sind klare 5 Sterne! In meinen Augen ein würdiger DSFP-Preisträger!

Dienstag, 2. September 2025

Dambeck, Thorsten - Mars. Die Geheimnisse des roten Planeten

 

Faszination Mars




Im Vorwort wird verdeutlicht, woraus die Faszination für den Mars resultiert. Einerseits ist es die Fülle an Bildmaterial, die vom Planeten inzwischen verbreitet worden ist und zu futuristischen Träumereien einlädt, andererseits erscheint der Mars am ehesten als derjenige Himmelskörper, der der Erde am ähnlichsten ist und Leben beherbergt haben könnte. Darüber hinaus taucht immer wieder die Idee auf, schon bald einen interstellaren Flug zum Nachbarplaneten zu unternehmen. Wird es in naher Zukunft dazu kommen? Die Marsforschung floriert nach wie vor und es gibt einige Untersuchungsgegenstände, die für Faszination sorgen. So lassen sich Spuren von Wasser auf dem Mars beobachten und in geologischer Hinsicht findet man auf ihm sowohl sehr alte als auch jüngere Gesteine, die etwas über die Entwicklung des Planeten verraten. Was noch aussteht, ist, die von Rovern gesammelten Proben zur Erde zurückzuholen, um sie hier weiter zu untersuchen.



Kapitel 1 – Mythos Mars



Schon 1877 machte der Mars durch Beobachtungen des Italieners Giovanni Schiaparelli auf sich aufmerksam. Dieser erspähte etwas auf dem Nachbarplaneten, das er als „canali“ bezeichnete. Er will geometrische Formen auf dem roten Planeten ausgemacht haben. Man vermutete, dass Marsbewohner dahintersteckten. Einige Zeitgenossen bestätigten später diese Beobachtungen von Schiaparelli, andere bestritten sie. Die Kontoverse um die Kanäle dauerte bis Anfang des 20. Jh. an und wurde erst 1910 widerlegt. Und auch in der Literatur findet der Mars Erwähnung, so z.B. das Werk „auf zwei Planeten“ von Kurd Lasswitz (1897) sowie das Buch „Krieg der Welten“ von H. G. Wells.



Kapitel 2 – Der unruhige Planet



Inzwischen ist die Oberfläche des Mars aufgrund der Untersuchungen durch Rover die am besten untersuchte Planetenoberfläche des Sonnensystems. Der Planet ähnelt der Erde in seiner Tageslänge. Und auch die vereisten Kappen an Nord- und Südpol sind unserem Heimatplaneten ähnlich. Man findet zudem gewaltige Schildvulkane auf dem Mars (u.a. den Olympus Mons) sowie gewaltige Canyon-Systeme mit bis zu 10km tiefen Abgründen (z.B. das Vales Marineris). Der Planet besitzt eine Atmosphäre, die zu 96% aus CO2 besteht. Und auf ihm entwickeln sich heftige Stürme, die Staub und Sand bis in eine Höhe von 50km aufwirbeln können. Die durchschnittliche globale Temperatur des Mars beträgt -63 Grad (Zum Vergleich: Auf der Erde sind es +15 Grad). Ebenfalls gibt es auf dem roten Planeten, ähnlich wie auf der Erde, Jahreszeiten. Diese dauern etwa 6 Monate. Für eine vollständige Umrundung um die Sonne braucht der Planet 687 Tage. Ähnlich wie auf der Erde und auf dem Mond kann es auch auf dem Mars Erdbeben geben. Und es zeigt sich, dass der Mars früher einmal ein magnetisches Feld aufwies, das er verloren hat.

Eine der Fragen, die in dem Kapitel thematisiert werden, ist, wie der Olympus Mons so hoch werden konnte. Dafür sorgten v.a. die geringere Schwerkraft und das Ausbleiben von tektonischen Aktivitäten. Von seiner Flächenausdehnung ist der Berg gewaltig. Er entspricht der Landfläche Polens! Die Vulkane auf dem Mars sind schneller abgekühlt als auf der Erde. Man schätzt, dass die aktivste Phase mehrere Milliarden Jahre in der Vergangenheit liegt. Man hat bisher keine Vulkane entdecken können, die in den letzten 10.000 bis 20.000 Jahren ausgebrochen sind. Doch es gibt auch Forscher, die glauben, dass die vulkanische Aktivität noch nicht ganz zum Erliegen gekommen ist und sich zudem auf bestimmte Regionen beschränkt. Ein Nachweis dafür steht aber noch aus…

Das Valles Marineris ist das größte Talsystem im Sonnensystem. Wie konnten diese gewaltigen Strukturen entstehen? Antwort: Die Entstehung des Canyons ist eine Folge von sog. „Dehnungsspannungen“, durch die sich tektonische Brüche ausgebildet haben. Die Kruste ist einfach „aufgerissen“. Vermutlich flossen eine gewisse Zeit gewaltige Wassermassen durch das Valles Marineris.

Auch die Eisschichten an den Polarregionen werden näher in den Blick gerückt. Heute weiß man, dass die Polkappen zu 90% aus Wassereis bestehen. Sie sind deutlich kälter auf der Erde und erreichen Rekordtemperaturen von bis zu -153 Grad. Im Zuge des Wechsels der Jahreszeiten nehmen die Eismengen zu und ab. Seismologen haben auch untersucht, wie der Planet aufgebaut ist. Bei einem Asteroideneinschlag, der einen 150m großen Krater auf der Oberfläche hinterließ und 2021 stattfand, entdeckte man am Rand des Kraters Brocken aus Wassereis. Diese müssen aus der Tiefe an die Oberfläche befördert worden sein. Mit Hilfe seismologischer Untersuchungen konnte man auch etwas zur Beschaffenheit der Kruste sowie der des Planetenkerns des Nachbarplaneten herausfinden. Man geht davon aus, dass der Mars einen Eisenkern besitzt (so wie die Erde). Anders als auf der Erde ist der Mars-Kern aber komplett geschmolzen (aber was hat diese Feststellung für Konsequenzen, hier hätte ich mir noch Erklärungen gewünscht). Auch interessant: Auf dem Mars gibt es nur eine einzige Kontinentalplatte, die globale Ausmaße hat. Eine Plattentektonik wie auf der Erde ist ihm fremd.

Abschließend finden die beiden Marsmonde Erwähnung: Phobos und Deimos. Beide Monde sind sehr klein. Der Durchmesser von Phobos beträgt 26km und der von Deimos gerade einmal 16km. Zudem sind beide Monde nicht kugel-, sondern kartoffelförmig. Beide bewegen sich sehr schnell um ihr Zentralgestirn und weisen eine gebundene Rotation auf. Interessant fand ich in diesem Zusammenhang die Ausführungen darüber, wie einem Beobachter auf dem Mars die beiden Monde erscheinen mögen. Eine lange Zeit dachte man, dass es sich bei Phobos und Deimos um eingefangene Asteroiden handeln könnte. Inzwischen gibt es aber wieder Zweifel an dieser Theorie, weil sich die Umlaufbahnen von Deimos und Phobos so nur schwer erklären lassen. Alternativ könnten die Monde auch durch gewaltige Einschläge von Asteroiden auf der Planetenoberfläche entstanden sein (ähnlich wie der Erdmond). Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Es konkurrieren verschiedene Erklärungsmodelle miteinander. Zukünftige Missionen werden hier wahrscheinlich zu neuen Erkenntnissen führen. Bisher ist noch keine Sonde auf den Monden gelandet (was sich ändern soll). Berechnungen zu Phobos ergaben, dass er aufgrund seiner sinkenden Umlaufbahn irgendwann von der Schwerkraft des Mars zerrissen wird. Vermutlich wird dies in weniger als 39 Millionen Jahren der Fall sein.



Kapitel 3 – Die Mars-Atmosphäre



In diesem Kapitel geht es v.a. auch um die Wetterphänomene auf dem Mars. Der Planet kennt Jahreszeiten. Wolken sind auf ihm zu finden. Und auch Phänomene wie Raureif und Schneefall sind ihm nicht fremd. Ebenfalls beobachtbar sind Staubstürme, die sogar globale Ausmaße annehmen und den gesamten Planeten einhüllen können. Interessant ist auch der Umstand, dass Marsforscher immer wieder davon berichtet haben, dass sie Methan gemessen hätten. Was könnte der Ursprung dieses Gases sein? Welche Prozesse sind auf dem Mars am Werk? Eine Theorie besagt, dass es als Methanhydrat im Untergrund gespeichert ist, und regelmäßig durch Temperaturschwankungen freigesetzt wird. Doch auch ein biologischer Ursprung kann bisher nicht ausgeschlossen werden, auch wenn er zum gegenwärtigen Zeitpunkt unwahrscheinlich ist. Zukünftige Forschung wird diese Frage vermutlich besser beantworten können.

Auf dem Mars konnten immer schon mächtige Staubstürme beobachtet werden. Das gestaltet zukünftige Missionen besonders schwierig, denn der Staub kann elektrostatisch aufgeladen sein und technisches Gerät zerstören. Auch der Betrieb mit Solarzellen wird dadurch deutlich erschwert. Der Rover Opportunity wurde z.B. 2018 von einem solchen Sturm zur Strecke gebracht. Unklar ist bis heute, ob es innerhalb dieser Stürme auch Blitze gibt.



Kapitel 4 – Mars-Landschaften



In diesem Kapitel wird ein Überblick über die mit Mars-Rovern unternommenen Fahrten gegeben und es enthält viele spektakuläre (v.a. auch großformatige, hochauflösende) Fotos, die einen Eindruck vom Nachbarplaneten vermitteln. Das Visuelle steht hier also im Vordergrund. Ein Highlight dabei ist sicherlich das ausklappbare Panorama-Bild (S. 146 ff.). Insgesamt sind 115km der Wüsten auf dem roten Planeten befahren worden. In den Texten zu den Bildern wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass man Spuren von Wasser im Gestein entdeckt. In der Frühgeschichte des Mars muss es also Gewässer dort gegeben haben. Das belegen zahlreiche geologische Strukturen.



Kapitel 5 – Leben auf dem Mars?



In diesem Kapitel dreht sich alles um die entscheidende Frage: Gab es Leben auf unserem Nachbarplaneten? Diese Frage ist bis heute noch nicht abschließend beantwortet. Bislang hat man allerdings noch keinen Nachweis für Leben gefunden. Auch die verschiedenen Sonden, die bislang Experimente auf dem Marsboden durchführten, fanden noch keine Bestätigung dafür, dass es womöglich Mikroben dort gegeben hat. Vielleicht sind aber auch die Messinstrumente und Methoden bisher nicht genau genug gewesen? Am erfolgversprechendsten erscheint wohl eine Untersuchung des Untergrunds, der vor Strahlung aus dem All und starken Temperaturschwankungen besser geschützt ist. Die „Unterwelt“ des Mars ist bislang noch nicht ausreichend genug untersucht worden. Keine Sonde grub tiefer als 30cm.

Abschließend erteilt der Autor der Vorstellung, dass der Mars irgendwann besiedelt werden könnte, eine Absage. Bislang sind die zu bewältigenden Herausforderungen einfach zu groß. Muskel- und Knochenschwund, ein geschwächtes Immunsystem und ein erhöhtes Krebsrisiko sind nur einige der Probleme, mit denen Astronaut:innen zu kämpfen hätten. Da der Mars kein Magnetfeld besitzt ist die kosmische Strahlung sehr gefährlich. Weiterhin ist mit mentalen Schwierigkeiten zu rechnen. Die Astronaut:innen werden unter großem Stress stehen. Und sie werden unter Schlafstörungen leiden, da der Tag-Nacht-Rhythmus unnatürlich verläuft. Sie wären in einer winzigen Kapsel eingesperrt, die die Insassen nur wenige Zentimeter vom lebensgefährlichen Weltraum trennt. Auf engstem Raum müsste man mehrere Monate mit anderen Mannschaftsmitgliedern auskommen.

Auch die futuristische Idee von Terraforming wird skeptisch beurteilt. Selbst wenn man das gesamte auf dem Mars befindliche Kohlendioxid freisetzen könnte, würde dieses nicht ausreichen, um den Planeten zu erwärmen. Menschliches Leben auf dem Mars bleibt also vorerst Science-Fiction.

Montag, 1. September 2025

Bentow, Max - Rabenland

 

333 Tage




Ein Mädchen irrt orientierungslos und panisch durch den Wald und wird von einem Auto erfasst. Sie wird sofort ins Krankenhaus gebracht. Es ist die 17-jährige Lilly Steiner, die von ihrer Familie seit 333 Tagen vermisst wird. Doch sie kann sich an nichts erinnern. Nils Trojan und Carlotta Weiß nehmen sofort die Ermittlungen auf. Wo hat das Mädchen gesteckt, was ist ihr widerfahren? Wurde sie entführt? Und wird sie sich wieder an das Vergangene erinnern? Das sind die zentralen Fragen, die man sich zu Beginn stellt. Das Amnesie-Motiv sorgt dafür, dass direkt Spannung entsteht und die Neugier der Leserinnen und Leser angefacht wird. Und dadurch, dass ein potentieller Entführer es weiter auf Lilly abgesehen haben könnte, entsteht eine Bedrohungssituation. Sehr geschickt!


Das Geschehen wird ereignis-, wendungs- und temporeich erzählt. Spannungsbögen werden immer mal wieder geschickt durch Zeitsprünge unterbrochen. Die Kapitel sind kurz und man ist schnell im Geschehen drin. So wie man es von Bentow kennt. So wie ich es mag. Die Ermittlungen enthüllen ständig etwas Neues, es gibt keinen Stillstand. Kurzum: Es wird nicht langweilig. Auch das bin ich von Bentow gewohnt und habe nichts anderes erwartet. Klasse!


Allerdings gibt es auch Punkte die mir nicht so gut gefallen haben. 1. Stellenweise werden die vorkommenden psychischen Erkrankungen der Protagonisten leider zu stereotyp und klischeehaft abgehandelt. 2. Carlotta Weiß bleibt dieses Mal sehr blass. Von ihrer Intuition und ihren Fähigkeiten, sich in den potentiellen Täter hineinzuversetzen, ist dieses Mal nicht viel zu spüren. Sehr schade! Stattdessen agiert sie in diesem Thriller mehr als Psychologin, führt die zentralen Gespräche mit Lilly und organisiert Ortsbegehungen mit der Amnesie-Patientin, um verlorengegangene Erinnerungen wieder aufzufrischen. 3. Ich bin kein Freund des Traum-Motivs (es sei denn in Form einer psychischen Spiegelung). Das wirkt auf mich stellenweise etwas konstruiert, v.a. wenn es sich lange Zeit so liest, als handele es sich bei den symbolischen Inhalten des Traums um eine Art Zukunftsvision (was später glücklicherweise wieder anders gelöst wird). 4 Am Ende gibt es einen zu großen und unwahrscheinlichen Zufall. Das hat mich nicht überzeugt. Kurzum: Die beiden vorangegangen Teile mit Carlotta Weiß haben mir besser gefallen. Ich komme auf knappe 4 Sterne, knapp an den 3 Sternen vorbei.

Nisi, Sarah - Ich will dir nah sein



Psychogramm einer Obsession




Zu Beginn erhalten wir erst einmal einen Überblick über die handelnden Figuren. Es dauert ein wenig, bis man den Überblick erhält und weiß, worauf das Ganze hinausläuft. Insgesamt sind es vier Blickwinkel, die einander abwechseln:


Lester

Lester ist Angestellter des Fundbüros der Londoner Verkehrsbetriebe. Fundstücke, die nicht abgeholt werden, nimmt er gern mit zu sich nach Hause. Er ist ein Sonderling, der sich neugierig für das Leben seiner Nachbarn interessiert. Für die Wohnung eines verstorbenen Nachbarn hatte er sogar einen Zweitschlüssel, so dass er in dessen Abwesenheit seine Wohnung genauer inspizieren konnte. Als aufmerksamer Beobachter bekommt Lester mit, dass bald eine neue Nachbarin neben ihm einzieht…


Erin

Darüber hinaus machen wir Bekanntschaft mit Erin, einer professionellen Tänzerin, die an einer Fußverletzung laboriert und für ihre Ballett-Auftritte über die Schmerzgrenze hinausgeht. Sie betäubt sich regelmäßig mit Schmerzmitteln und ist bereit, ein großes gesundheitliches Risiko einzugehen. Wir erfahren, dass sie in eine neue Wohnung zieht…


Rhys

Rhys ist der Makler, der Erin die neue Wohnung vermittelt. Bei einem Blick in seine Datenbank fällt ihm auf, dass in einem Wohnkomplex Appartements auffällig häufig immer wieder neu vermietet werden. Was könnte der Grund dafür sein? Als verantwortungsvoller Makler stellt Rhys Nachforschungen an…


Ein Blick in die Vergangenheit

Ein weiterer Blickwinkel betrifft Lesters Vergangenheit. Es wird geschildert, wie er Kontakt zu einer gehörlosen Schauspielerin aufnimmt, die er beobachtet und schon bald bedrängt. Kein gutes Vorzeichen…


Die vier Blickwinkel sind geschickt aufeinander abgestimmt. Und nach einigen Seiten wird klar, dass sich eine Katastrophe anbahnt. Lester ist nicht nur neugierig, schon bald verhält er sich aufdringlich und entwickelt eine Obsession für seine neue Nachbarin. Wir erfahren auch, dass die Wohnungen im Gebäude sehr hellhörig sind, so dass Lester seine neue Nachbarin gut belauschen kann. Als Leser fragte ich mich, ob und wie Erin sich aus dieser Situation befreien kann und ob Rhys ihr helfen wird. Die Spannung ist über das ganze Buch hinweg stark ausgeprägt. Man möchte wissen, was aus Erin wird und fiebert mit. Gleichzeitig habe ich die Vergangenheitskapitel zu Lester mit Interesse gelesen. Was hat er sich bereits zuschulden kommen lassen? Das Einzige, was der oder die ein oder eine andere als zu belastend empfinden könnte, ist die starke Präsenz der Täterperspektive. Über viele Seiten hinweg ist man in der verstörenden Gedankenwelt von Lester, der stark von seinen Trieben gesteuert wird und immer mehr Grenzen überschreitet. Für sensiblere Leserinnen und Leser könnte das zu sehr unter die Haut gehen. Man wird aber mit einem großartigen Ende belohnt, das eine faustdicke Überraschung bereithält. Die Auflösung ist in meinen Augen sehr gelungen. Insgesamt ein sehr rundes Buch, das super konzipiert ist und mich sehr gut unterhalten hat. 5 Sterne!


Wassjakina, Oxana - Die Wunde


Über Verlust und Abschiednehmen




Eine Ich-Erzählerin verliert ihre Mutter an den Krebs und durchläuft zu Beginn des Buchs die Formalitäten einer Urnenbestattung. Die Geschehnisse werden dabei auffällig sachlich und knapp-pointiert dargestellt, der Stil ist äußerst nüchtern, lakonisch und unprätentiös. Die bürokratischen Abläufe werden durch warmherzige Erinnerungsepisoden kontrastiert, die die gemeinsame Zeit mit der Mutter thematisieren. Viel Raum nimmt v.a. der Prozess des Abschiednehmens ein. An einigen Stellen ist die Sprache des Romans poetisch-bildhaft. Auch Gedichte werden passagenweise eingebaut. Doch dieses Element taucht nicht überbordend auf. Weitestgehend ist die sprachliche Gestaltung klar und leicht zugänglich.



Nachdem die Einäscherung vorgenommen worden ist, will die Ich-Erzählerin Oxana, die als Dichterin tätig ist (Vorsicht: Autofiktionalität!) die Asche ihrer Mutter nach Sibirien bringen. Bei der Darstellung des Privatlebens von Oxana werden menschliche Abgründe nicht ausgespart: Trunksucht und häusliche Gewalt sowie Aberglaube kommen punktuell mal vor und finden Erwähnung. Darüber hinaus bekennt sich die Protagonistin offen dazu, lesbisch zu sein und eckt in ihrem Umfeld damit an. Sie gewährt uns Einblick in ihre sexuellen Erfahrungen und in ihr Liebesleben, und das ziemlich direkt und unverblümt. Ich habe mich tatsächlich gewundert, dass man solche Inhalte in russischer Literatur noch findet (das Buch ist von 2021). Es wundert mich jedoch nicht, dass die Autorin als Queer-Aktivistin und Feministin Anfeindungen ausgesetzt ist. Sie lebt aber noch nicht im Exil (wie so viele andere Autorinnen und Autoren).



Auch die dunklen Seiten der Krebserkrankung der Mutter werden nicht ausgespart. Diese Passagen gehen sehr unter die Haut und sollten besser nicht von Leserinnen und Lesern gelesen werden, die dadurch „getriggert“ werden könnten. So werden die letzten Wochen und Monate des Zusammenlebens von Mutter und Tochter beschrieben. U.a. geht es auch um das Thema des Verlusts von Weiblichkeit und darum, wie sich Oxana auf den Tod ihrer Mutter vorbereitet. Dabei folgt der Text keiner klaren Struktur. Gedanken, Erinnerungen (v.a. an die Mutter und ihre Beziehungen zu diversen Männern sowie an die Kindheit), Reflexionen und Reiserfahrungen wechseln einander ab. Während die innere Handlung (v.a. die Reflexionen) episodenhaft und essayistisch geschildert wird, wird die äußere Rahmenhandlung in Form der Reise teils schwarzhumorig präsentiert.

Stava, Sophie - Eine falsche Lüge


Zwillingszwilling



Die Ich-Erzählerin Sloane gibt sich einem Vater (Jay) gegenüber fälschlicherweise als Krankenschwester aus, als sie den Bienenstich seiner kleinen 5-jährigen Tochter (Harper) auf dem Spielplatz versorgt. In Wirklichkeit arbeitet sie als Nageltechnikerin in einem Beauty-Salon, ist Mitte 30 und hält sich finanziell gerade so über Wasser. Sie lebt noch bei ihrer Mutter, die eine Erwerbsminderungsrente bezieht.


In direkter Leseransprache gibt Sloane freimütig zu, dass sie sich neugierig für das Leben anderer Menschen interessiert, andere gern beobachtet und auch um die ein- oder andere Lüge nicht verlegen ist. Der Reichtum anderer Leute fasziniert sie. Der Vater der Kleinen hinterlässt auf sie einen bleibenden und v.a. attraktiven Eindruck. Sie träumt davon, aus ihrem alten Leben auszubrechen und gibt sich der Hoffnung hin, dass aus ihr und Jay etwas werden könnte. Gleichzeitig macht sie jedoch keinen selbstsicheren Eindruck und zweifelt häufiger an ihrem äußeren Erscheinungsbild.


Es wird schnell deutlich, dass sich Sloane die Wahrheit immer ein wenig „zurechtbiegt“, v.a. um sich interessanter zu machen, Aufmerksamkeit zu generieren und von ihren Mitmenschen Zuneigung zu erhalten. Kurzum: Sie will gemocht werden. Das ist ihre große Schwäche. Dafür perfektioniert sie ihre Lügengebilde und ist äußerst geübt darin, ihrem Gegenüber das zu erzählen, was dieses gern hören möchte.


Wenig später lernt Sloane auch die Frau von Jay kennen (Violet), die sich ebenfalls noch einmal für ihre Hilfe bedankt. Beide liegen auf der gleichen Wellenlänge und freunden sich an. Sie haben viele Gemeinsamkeiten. Nach einigen Treffen offeriert ihr Violet eine Stelle als Kindermädchen. Sloane erhofft sich dadurch eine neue berufliche Perspektive (und sie hat ja auch noch ein Auge auf Jay geworfen). Der Haken ist nur, dass Harper krank ist. Sie laboriert an einem Herzleiden. Violet hält Sloane immer noch für eine Krankenschwester und v.a. aus diesem Grund für besonders fähig. Und Sloane spielt ihre Rolle weiter. Sie hält an ihrer Lüge fest und nimmt Violets Angebot an. Spätestens ab diesem Zeitpunkt fragt man sich, ob sie die Lüge nicht irgendwann einholen wird. Was passiert, wenn Harper ernsthaft in Gefahr gerät? Als Leser und Leserin wartet man förmlich darauf, dass etwas Unheilvolles passiert…


Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass wir nah an den Gefühlen und Gedanken von Sloane sind. Wir erhalten einen Einblick in das, was sie umtreibt. Die Lügen von Sloane sorgen für Ungewissheit. Man wartet förmlich darauf, dass sie sich in etwas verstrickt oder dass sie auffliegt. Das erzeugt eine gewisse Erwartungshaltung und befeuert die Neugier. Die Charakterzeichnung von Sloane ist in meinen Augen auch gelungen. Mit zunehmendem Handlungsverlauf wirkt sie immer seltsamer. In die Freundschaft mit Violet steigert sie sich immer obsessiver hinein. Schon bald überschreitet sie Grenzen. Und als Leser merkt man, dass mit ihr etwas nicht stimmt und sie unter einem negativen Selbstbild leidet. Wo wird das hinführen?


Zusätzliche zwischenmenschliche Spannung entsteht dann zusätzlich noch dadurch, dass Sloane ein Auge auf den verheirateten Jay geworfen hat. Als Leser habe ich mich gefragt, ob Violet nicht irgendwann etwas davon mitbekommt und wie sie darauf reagieren wird. Zum Erzählstil: Der Schreibstil ist angenehm, das Buch liest sich flüssig, die Sprache bzw. die Übersetzung ist klar und pointiert. Eine hohe Dialoghaftigkeit sorgt für Unmittelbarkeit und Lebendigkeit. Zum Plot: Ein weiterer Pluspunkt sind überraschende Wendungen, die durch Perspektivwechsel herbeigeführt werden. Später kommt Violet zu Wort, danach Jay. So erscheint der Inhalt noch einmal in einem anderen Licht und das Geschehen entwickelt sich in unerwartete Richtungen. Das ist sehr gut arrangiert und hat mich an die Thriller von Freida McFadden erinnert. Allerdings geht die Autorin ihren eigenen Weg und kupfert das Erfolgsrezept von McFadden nicht einfach nur ab. Es ist kein billiger Abklatsch von schon Bekanntem! Insgesamt handelt es sich um einen spannenden, ereignisreichen Thriller. Ich fühlte mich sehr gut unterhalten und habe das Buch sehr gern gelesen. Man kann gut miträtseln und das Buch hält den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite gut aufrecht. Von mir gibt es dafür 5 Sterne.

Donnerstag, 31. Juli 2025

Peterson, Phillip P. - Transport 7



Die außerirdische Bedrohung




Da in Transport 6 nichts Wesentliches passiert, verzichte ich auf eine Rezension dieses Bands. Es reicht, wenn man den Klappentext kennt und direkt Band 7 liest. Man verpasst dabei überhaupt nichts. Mit anderen Worten: Band 6 ist der unbefriedigenste Teil der Reihe und er dient nur dazu, die Auflösung der in Band 5 losgetretenen Ereignisse unnötig hinauszuzögern.


Zu Beginn von Band 7 untersuchen Russell und sein Team das Schiffswrack der fremden außerirdischen Spezies. Durch eine leichtfertige Datenmanipulation sorgen sie dafür, dass das Wrack explodiert und dabei ein Planet vollständig zerstört wird. Russell und seine Leute können sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Und sie sind sich wieder einmal darüber klar geworden, welche Gefahr von der fremden Macht ausgeht.


In einem parallelen Handlungsstrang macht sich Schiffskommandeur Jim, der Sohn von Russell, auf die Suche nach der Heimatwelt der Erbauer des Transportersystems. Hierbei steht vor allem die Frage im Zentrum, was er herausfinden wird. U.a. muss ja klar werden, warum die Erbauer nicht von der feindlichen außerirdischen Bedrohung ausgelöscht worden sind. Warum wurden die Transporter nicht einfach zerstört?


Die Charaktere erhalten in diesem Band wieder mehr Profil (was im vorherigen Band nicht so war). Dafür sorgt die Schilderung einiger zwischenmenschlicher Konflikte zwischen den Figuren. Was wieder auffällt. Es dauert einige Zeit, bis die Handlung Fahrt aufnimmt. Das kennt man aus vielen anderen Büchern von Peterson auch anders. Hier muss man ein wenig Geduld mitbringen. Im ersten Drittel des Buchs passiert nicht viel. Danach dreht sich alles um die Frage, ob die außerirdische Gefahr gebannt werden kann.


Insgesamt ist die Trilogie, die aus Band 5, 6 und 7 besteht, für mich kein Highlight. Eher im Gegenteil. Band 5 ist schon weniger gelungen als Band 1-4 (vgl. dazu meine Rezension). Band 6 unterbietet Band 5 noch einmal und Band 7 kann die Reihe dann auch nicht mehr retten, weil die Auflösung der in Band 5 angelegten Fragen, die ich oben genannt habe, nicht befriedigend ausfällt. Die dreiteilige Reihe wirkt auf mich einfach nicht rund. Und was leider auch noch hinzukommt: Es wollte bei der Lektüre keine Spannung aufkommen. Die Reihe hätte vom Inhalt mühelos in einem einzigen Buch Platz gefunden und hätte nicht über drei Bände künstlich (!) gestreckt werden müssen. Schade! Der Autor hat sich mit seiner Vorgehensweise in meinen Augen selbst keinen Gefallen getan. Für Band 7 gebe ich 3 Sterne (Band 6 erhielte 2 Sterne). Meine Erwartungshaltung, was die neu angekündigte Trilogie (Transport 8 bis 10) betrifft, ist nun leider entsprechend niedrig.