Die
Autoren Erik Bertram und Dominika Wylezalek legen mit dem Sachbuch „Alles
Zufall im All?“ ein launiges Werk vor. Der Text liest sich angenehm, er wird
aufgelockert durch Autobiographisches und die ein oder andere Anekdote, ohne
dass dabei die Ernsthaftigkeit des Textes zu sehr verloren geht. Beiden geht es darum,
die Geschichte unseres Universums nachzuzeichnen: „Wie ist das Weltall
entstanden und warum gibt es Galaxien, Sterne, Planeten und sogar Menschen?“
(vgl. Klappentext). Und eines kann ich vorweg verraten: Die Kapitel lesen sich
allesamt sehr eingängig und die Inhalte werden nicht zu abstrakt, sondern
verständlich und nachvollziehbar dargelegt. Viele Illustrationen unterstützen
den Text sinnvoll sowie funktional und sorgen auf diese Weise zusätzlich für
Klarheit. Kurzum: Ein sehr gelungenes Buch!
Das
Buch ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil des Buchs wird die
Forschungsmethodik genauer vorgestellt. Während Dominika Wylezalek beobachtende
Astronomin ist, handelt es sich bei Erik Bertram um einen theoretischen
Physiker. Beide berichten aus ihrem jeweiligen Arbeitsalltag und auf diese
Weise lernen wir die Arbeitsweise beider Fachrichtungen genauer kennen. Im
zweiten Teil geht es um die Evolutionsgeschichte des frühen Universums.
Leitfrage: Warum und wie ist es entstanden? Die Autoren konzentrieren sich
dabei auf den „frühen“ Zeitraum der ersten 400 000 Jahre nach dem Urknall. Im
dritten Teil geht es dann um das „späte“ Universum, als sich die ersten Sterne
und Planeten bildeten.
Wylezalek
nimmt uns mit in die chilenische Atacama-Wüste und schildert ihren Alltag. Wir
lernen als Leser:innen, wie Teleskope funktionieren und erfahren, was für Daten
sich mit ihrer Hilfe gewinnen und auswerten lässt. Interessant! Bertram
hingegen arbeitet vor allem mit Computermodellen und beschreibt anschaulich,
wie er mit Simulationen Forschungserkenntnisse gewinnt. Am Beispiel der
Berechnung eines Sternentstehungsprozesses berichtet er anschaulich von den
Herausforderungen und erläutert, wie eine Reise durch die Zeit möglich wird.
Und verblüffend dabei: Reale, beobachtete und digitale Welt nähern sich immer
weiter an! Lediglich über die erwähnte Millennium-Simulation und das
Illustris-Projekt hätte ich gern noch mehr erfahren.
In
einem weiteren Kapitel („das Tor zur Unendlichkeit“) geht es um das James-Webb-Teleskop.
Die Vorbereitungen der Mission werden ebenso beschrieben wie erste
Erkenntnisse. Auch wird kurz thematisiert, welche Erkenntnisfortschritte noch
zu erwarten sind (Stichwort: genauere Erforschung von Exoplaneten).
Faszinierend! Webb arbeitet im infraroten Wellenlängenbereich (ein Vorteil
gegenüber dem Hubble-Teleskop) und besitzt einen größeren Spiegel als Hubble.
So sind detaillierte Aufnahmen möglich. Es bleibt also spannend, was die
Forschung noch entdeckt!
Im
Zusammenhang mit der Entstehung des frühen Universums (Teil 2 des Buchs)
stellen die Autoren auch das Standardmodell der Kosmologie genauer vor. Und sie
widmen sich ausführlicher der Frage, woraus unser Universum besteht. Es werden
die verschiedenen Elementarteilchen vorgestellt und in ihrem Aufbau erläutert.
Eine interessante Schlussfolgerung: Das Standardmodell könne noch nicht
vollständig sein, vor allem die sog. Dunkle Materie gebe noch große Rätsel auf.
In
einem weiteren Kapitel („Geometrie mal anders“) gehen die Autoren der Frage nach,
wie das Universum aussieht. Welche Form hat es? Und sie erläutern darüber
hinaus verschiedene Theorien, wie das Universum enden könnte. Kommt es zu einem
„big crunch“, einem „big rip“ oder einem „big freeze“? Ebenfalls spannend ist
die folgende Fragestellung, auf die eingegangen wird: Warum ist die Temperatur
im Universum überall im Mittel gleich?
Ebenfalls
lesenswert ist das Kapitel „Kosmisches Finetuning“. Leitfrage: Warum ist unser
Universum eigentlich so gut auf uns abgestimmt? Die verschiedenen Naturkonstanten
scheinen perfekt für unsere Bedürfnisse ausgelegt zu sein. Ist das Zufall? In
diesem Zusammenhang wird auch das sog. anthropische Prinzip erwähnt, das mir
auch schon einmal in einem anderen Sachbuch begegnet ist (vgl. Bernhard Weßling
2022: Was für ein Zufall!, S. 43-44). Ich persönlich halte dieses Prinzip immer
noch für am logischsten (was ich auch in meiner Rezension zu Weßlings Buch
bereits dargelegt habe), auch wenn Wylezalek, Bertram und auch Weßling ihm
als wissenschaftliches Prinzip die Eignung absprechen. Auch wird die
(Super-)String-Theorie diskutiert, aus der die Annahme eines gigantischen
Multiversums resultiert. Eine Theorie, der Weßling z.B. nichts abgewinnen kann,
weil sie für ihn nicht überprüfbar sei (vgl. Weßling 2022: 205).
Im
dritten Teil ihres Buchs geht es dann um die Entwicklungsgeschichte des
„späten“ Universums. Dabei wird auch ein kurzer, kompakter Abriss der
Forschungsgeschichte unserer Galaxie skizziert. Wichtige Forscher und
Erkenntnisse werden benannt. So weiß man heute z.B., dass Galaxien nicht
homogen im Universum verteilt sind, sondern in Filamenten, Gruppen und Haufen.
Heute bestimmt man unterschiedliche Farben, Formen und Größen von Galaxien und
unterscheidet verschiedene Typen. Wer sich noch ausführlicher mit der
Entdeckungsgeschichte der Milchstraße auseinander setzen möchte, dem sei
folgendes, erst kürzlich erschienenes Buch von Harald Lesch, Cecilia
Scorza-Lesch und Arndt Latussek als Ergänzung empfohlen (vgl. dazu meine
Rezension): „Die Entdeckung der Milchstraße“ (2023).
In
einem weiteren Kapitel („Die schlafende Galaxie“) wird dargelegt, was man
bisher zu unserer Milchstraße herausgefunden hat. So weiß man inzwischen, dass
sich im Zentrum der Galaxie ein massereiches Schwarzes Loch befindet, das momentan
nicht aktiv ist. Auch wurden Annahmen über eine habitable Zone innerhalb
unserer Heimatgalaxie angestellt. Weitere Themen des dritten Teils: Eine
Evolutionsgeschichte unserer Sonne (Wie ist sie entstanden? Wie wird sie sich
entwickeln? Woraus bestehen Sterne? Wie funktionieren sie?), Leben außerhalb
unserer Erde. Am Beispiel der sog. Drake-Gleichung wird vorgeführt, wie
wahrscheinlich es ist, dass in unserer Milchstraße weitere Zivilisationen
existieren. Vor allem der weiteren Erforschung der Atmosphäre von Exoplaneten
wird noch eine große Bedeutung zukommen, so die Autoren.
In
ihrem Nachwort formulieren die Autoren die Hoffnung, dass die Lektüre nicht nur
herausfordernd war, sondern auch Spaß gemacht hat. Und das kann ich absolut
bejahen! Und was mir auch gut gefallen hat: Im Literaturverzeichnis wird
deutlich, dass die Autoren auch auf einige jüngere Quellen zurückgegriffen
haben. Sie sind also „up to date“. Dankbar war ich auch für die weiterführenden
Literaturhinweise auf S. 222.
Das einzige, was ich an diesem Buch bemängeln kann, ist die zu kleine Schriftgröße (oder benötige ich etwa eine neue Brille?). Das Format des Buchs hätte nach meinem Empfinden ruhig etwas größer ausfallen können, vor allem die Zusammenfassung der Kapitel ist sehr klein geraten. Auch finde ich die Titelwahl des Buchs nicht so treffend. Um Zufälle geht es immer nur am Rande mal, aber sie werden nicht systematisch ins Zentrum des Interesses gerückt (hierfür empfehle ich das Buch von Bernhard Weßling, der auch begrifflich näher bestimmt, was für verschiedene Arten von Zufällen es überhaupt gibt). Und leider wird keine zufriedenstellende Antwort auf die im Titel formulierte Frage gefunden. Ist denn nun alles Zufall im All? Selbstkritisch halten die Autoren dazu fest: „Zudem beschränken sich unsere Beobachtungen bislang ausschließlich auf ein und dasselbe Universum, und es erscheint unwahrscheinlich, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird, um die Frage nach dem kosmischen Zufall zufriedenstellend beantworten zu können“ (S. 215). Trotzdem ein 5-Sterne-Buch!
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