Klischeehaft und unrealistisch
Puh,
der Einstieg in diesen Thriller ist heftig. Das muss ich zugeben. Ein richtiger
Schock-Moment, der unter die Haut geht. Eine Krankenschwester wird ermordet
aufgefunden. An ihr ist ein bestialischer „Fötusraub“ verübt worden.
Grauenhaft! Weitere Zutaten versprechen auf den ersten Blick einen packenden
Thriller: Da ist das psychologische Moment. Die Handlung spielt in einem
geschlossenen Raum, einem Hochsicherheitsgefängnis für psychisch kranke
Verbrecher, und die Ermittlerin Dr. Connie Woolwine ist eine forensische
Psychologin mit dem ungeheuren Talent, sich in die Psyche anderer
hineinzuversetzen. Und da ist der Zeitdruck: Das Baby verschwindet spurlos und
kann ohne medizinische Versorgung nicht lange überleben. Das ganze Setting
klingt also vielversprechend und ich bin mit einer großen Erwartungshaltung an das
Buch herangegangen. Nach der Lektüre war ich dann aber doch ernüchtert und ich
will gern begründen, warum.
Doch
zunächst zum Positiven. Die stärksten Stellen im Buch sind meiner Ansicht nach
die, als Connie sich ins direkte Gespräch mit den Insassen begibt. Sie ist in
der Lage, ihr Gegenüber zu lesen und die Dialoge sind als Psychospiele
angelegt. Das hat mir richtig gut gefallen! Davon hätte es nach meinem
Geschmack mehr geben können, daraus hätte man auch noch mehr machen können.
Doch der Rest des Thrillers hat mich (leider, leider) nicht wirklich gepackt
und mitgerissen. Nun also zum Negativen: Die Handlung empfand ich einfach als
zu konstruiert und unrealistisch. Die Spannung und das Tempo waren nach meinem
Empfinden durchschnittlich. Das Buch hat zwischendurch schon seine Längen. Auch
spielte die Suche nach dem Baby kaum eine tragende Rolle und rückte für mich zu
sehr in den Hintergrund. Von Zeitdruck, der sich in irgendeiner Form auf die
Handlung auswirkt, war wenig zu spüren.
Die
psychologische Seite ist einfach zu klischeehaft. Es wird v.a. ordentlich
sediert und fixiert. Ein wirklichkeitsnahes Bild von psychiatrischer Strafanstalt
darf man nicht erwarten. Es geht der Autorin mehr um den dramatisierenden
Effekt als um Realismus. Schade, schade! Da sind mir andere Thriller, die sich
einer solchen Thematik anders annähern deutlich lieber (vgl. dazu
beispielsweise meine erst kürzlich veröffentlichte Rezension zu „Das Nachthaus“
von Nesbo). Ich wünsche mir als Leser, dass die psychologische Seite der
Figuren nachvollziehbar gestaltet zum Ausdruck kommt (so wie z.B. auch bei
Judith Merchant). Die psychologische Darstellung sollte greifbar, anschaulich
und nachfühlbar sein. Eine deskriptiv-aufgelistete Variante mit
Krankheitssymptomen, die wild miteinander und in sich überbietender Form
vermengt werden, überzeugt mich einfach nicht. Und eine psychologische
Profilerin, die ihre Schlussfolgerungen vorschnell zieht und selbst als
alternativlos ansieht, ist nicht realistisch. Ich hatte deutlich mehr erwartet
und vergebe 3 Sterne.
1 Kommentar:
Ich war schon gespannt auf deine Rezension zu diesem Buch, die nicht so gut ausgefallen ist. Ich bin aber überzeugt, dass du die Stärken und Schwächen gut herausgearbeitet hast. VG
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