Einblick in eine geheime Parallelwelt
Normalerweise
sind Agenten-Geschichten nicht so mein bevorzugtes Terrain, v.a. wenn es um
Thriller geht. Doch bei „Der Spion und der Verräter“ von Ben Macintyre habe ich
eine Ausnahme gemacht. Warum? Weil es um eine „echte“ Geheimdienstgeschichte
aus der Zeit des Kalten Kriegs geht, die vom Autor in mühevoller Detailarbeit
nachgezeichnet worden ist. Macintyre hat innerhalb von drei Jahren mit Oleg
Gordijewski 20 Interviews geführt und dabei 100 Stunden an Aufnahmen gesammelt
und ausgewertet. Und auch mit allen MI6-Mitarbeitern, die an dem Fall beteiligt
waren, konnte er sprechen. Zusätzliche erhielt er Unterstützung durch ehemalige
KGB- und CIA-Beamte. Lediglich ein Zugang zu den Akten des Intelligence Service
blieb Macintyre verwehrt (vgl. dazu die Danksagungen, S. 475). Und genau diese
Recherchearbeit macht für mich den Reiz dieses Buchs aus. Wir erhalten als
Leser:in so die Möglichkeit, am Beispiel der Geschichte des Doppelagenten Oleg
Gordijewski einen Einblick in eine geheime Parallelwelt von Geheimdiensten zu
werfen und lernen dabei noch etwas über den Verlauf des Kalten Krieges kennen,
das im Verborgenen ablief, unbemerkt von der normalen Bevölkerung.
Was
ich besonders interessant fand, war die Darstellung des Innenlebens des KGB. So
findet man zu Beginn einige Passagen, in denen es um die Rekrutierungspraxis und
die Arten der Spionage im Ausland geht. So gibt es z.B. legale und „illegale“
Spione: „Die ersten arbeiteten unter offizieller Tarnung als Angehörige des
sowjetischen diplomatischen oder konsularischen Personals (…) im Gegensatz dazu
hatte ein ‚illegaler Spion‘ (…) keinen offiziellen Status, reiste normalerweise
unter falschem Namen mit falschen Papieren und fügte sich unauffällig und unsichtbar
in das jeweilige Land ein“ (S. 23). Auch das Spionage-Instrument der
Observation wird am Beispiel von Gordijewski sehr anschaulich und
nachvollziehbar deutlich.
Den
roten Faden des Werks bildet die Biographie Gordijewskis. Wir verfolgen als
Leser:in mit, wie er vom KGB rekrutiert wird, und erfahren, dass es sein Ziel
ist, ins Ausland zu gelangen. 1965 gelangte er dann z.B. nach Dänemark, wo er als
Konsularbeamter arbeitete. Es wird gut deutlich, dass Oleg die Freiheit in
Dänemark genießt und es allmählich zu einer Entfremdung von der Sowjetunion
kommt. Insbesondere die Geschehnisse um den Prager Frühling 1968 ließen ihn an
seiner Heimat zweifeln und führten letztlich zu einem Bruch mit dem
kommunistischen System. Er entschließt sich zu einem nach seinem Empfinden gerechten
Verrat, es kommt zur Anwerbung durch den MI6 und Gordijewski entschließt sich,
zwei geheime Leben parallel zu führen. 1982 wird er dann als KGB-Mann in London
eingesetzt. Und im Verlauf des Buchs wird klar, welche Leistungen Oleg
vollbracht hat. Er sammelte wichtige Informationen, die er dem Westen zukommen
ließ. Damit konnte er teilweise krisenhafte Konfrontationen zwischen den
Großmächten verhindern (vgl. dazu das Projekt ABLE ARCHER, S. 247 ff.).
Der
Erzählstil war nach meinem Empfinden überwiegend sachlich und gerade zu Beginn
nicht sehr packend. Die Informationsdichte war stellenweise immens. Ich musste mich
stellenweise ganz schön durch den Text „durchackern“, wenn ich jeden Fakt gedanklich
aufnehmen wollte. Macintrye ist ein unglaublich detailversessener Autor. Das
ist fordernd. Darauf sollte man sich im Vorfeld einstellen. Gleichzeitig
beweist es die unglaublich exakte Recherche des Autors. Erst gegen Ende des
Buchs, als es um die drohende Enttarnung Gordijewskis geht und er vom MI6 aus
Moskau gerettet werden muss, wird es mitreißend und spannend. Bei der
Schilderung dieser Momente wird die Anspannung gut spürbar, die Oleg durchlebt
haben muss. Er muss in einer großen Notsituation gewesen sein, wenn er sogar
seine Frau und die beiden Töchter in Russland zurückließ.
Was
ich auch gelungen finde: Der Autor widmet sich beiläufig der Frage, warum
jemand überhaupt spioniert und die eigene Sicherheit aufs Spiel setzt. Was für
ein Typ Mensch muss man sein, um ein solches Risiko einzugehen? Wie ist man
gestrickt, wenn man ein Doppelleben führt und sogar seiner Ehefrau nicht verrät,
dass man ein Spion ist? Am Beispiel von Gordijewski kommt die Mentalität eines Agenten
gut zum Ausdruck, wie ich finde. Oleg begibt sich immer wieder in Gefahr,
riskiert sein Leben, bleibt trotz aller Observation und Bedrohung nervenstark.
Sein Agieren ist oft heikel. Dennoch fiel es mir schwer, mich in ein solches
Leben hineinzudenken und es zu verstehen. Zu fremdartig ist diese Welt. Für
mich bleibt es rätselhaft, wie jemand sich dazu entschließen kann, ein solches
Dasein zu führen, konfrontiert mit ständigem Misstrauen und selbst unaufrichtig
gegenüber anderen. Noch dazu das ständige Risiko, entdeckt zu werden, dem
Gefühl der Überwachung fortlaufend ausgesetzt zu sein.
Was
ebenfalls deutlich wird: Die Überwachung ist allgegenwärtig, auch innerhalb des
KGB selbst. Unvorstellbar, wie das Lebensgefühl in der Sowjetunion ausgesehen
haben mag. 280 Mio. Menschen innerhalb schwer bewachter Grenzen mit über 1 Mio.
KGB-Offizieren und Informanten als Aufpasser (vgl. S. 125). Und hinzu kommt das
Gefühl von Angst und von Paranoia, was sich vor allem an der Reaktion auf das
NATO-Manöver (Codename ABLE ARCHER) von 1983 zeigt. Noch heute findet man dieses
Gefühl des Misstrauens gegenüber dem Westen ja in der russischen Propaganda
wieder, wenn man Reden des russischen Präsidenten hört. Es zieht sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte. Putin bedient damit heute wieder ein Gefühl,
das noch aus der Zeit des Kalten Kriegs stammt und im kollektiven Gedächtnis
der Russen gespeichert ist. Gleichzeitig forderte das „Muskelspiel“ der NATO
die Sowjetunion auch immer wieder heraus und ängstigte sie. Wie lässt sich
dieser Teufelskreis nur durchbrechen?
Ein
kleiner zusätzlicher Bonus sind 48 kleinformatige schwarz-weiße Fotos aus dem
Leben von Oleg Gordijewski, die an zwei Stellen im Buch gebündelt präsentiert
werden. So hat man zu den Namen aus dem Buch auch die dazugehörigen Gesichter. Das
fand ich sehr hilfreich. Auch das Nachwort ist gelungen. Darin wird auf die
unterschiedliche Wahrnehmung von Gordijewski hingewiesen. Während er in
Großbritannien große Wertschätzung erfährt und zahlreiche Ehrungen erhielt,
gilt er in Russland vielen noch als Hassfigur, als ein Verräter aus den eigenen
Reihen. Sein Leben muss bis heute ständig geschützt werden, weil ein Anschlag
auf sein Leben nicht ausgeschlossen ist. Ich gebe diesem Buch 4 Sterne. Warum
nicht 5 Sterne? Weil es mir zu Beginn dann doch stellenweise zu kompakt und
dicht geschrieben war. Die Lektüre war dann manchmal mehr „Arbeit“ als
Vergnügen.
1 Kommentar:
Eine gelungene Rezension. Man kann sich ein Bild davon machen, worauf man sich einlässt, wenn man dieses Buch lesen möchte.
Wie du den Bogen zu Putin spannst, ist ebenfalls gut gelungen. Ich gebe dir 5 Sterne 👍 VG
Kommentar veröffentlichen