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Mittwoch, 1. Februar 2023

Brussig, Thomas - Mats Hummels auf Parship


3 von 5 Sternen


Literatur als Provokation


Der Autor Thomas Brussig dürfte den meisten durch sein Buch „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ bekannt sein. Wer die Presse verfolgt hat, hat bestimmt auch mitbekommen, dass er sich im Streit vom S.Fischer-Verlag getrennt hat und in der Süddeutschen Zeitung 2021 als Gastautor einen kontrovers rezipierten Artikel mit dem Titel „Mehr Diktatur wagen“ veröffentlicht hat. Er ist also ein streitbarer Autor. Das neueste Werk von ihm, das ich besprechen möchte, trägt den Titel „Mats Hummels auf Parship“ und fordert den Leser heraus.

 

Es handelt sich um drei Monologe eines Fußballtrainers, die ich mir sehr gut auf der Bühne vorstellen kann. Bei dem ersten Monolog „Leben bis Männer“ handelt es sich um den Original-Monolog aus dem Jahr 2000, der mehr als hundert Mal in verschiedenen Theatern in Deutschland gespielt worden ist. Der zweite Monolog „Mats Hummels auf Parship“ ist dann eine aktualisierte Fassung aus dem Jahr 2022, in dem dann neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. die Corona-Krise thematisiert werden. Er ist deutlich gekürzt worden. Aus dem Typ „Wendeverlierer“ ist im zweiten Monolog ein „Wutbürger“ und Impfgegner geworden (vgl. dazu das Vorwort des Autors, S. 6). Der dritte und letzte Monolog trägt den Titel „Schiedsrichter Fertig“. Darin wird dann u.a. über die Herausforderungen des Schiedsrichterdaseins schwadroniert. Auch über das Phänomen der Fehlentscheidung wird treffend philosophiert.

 

Was alle Monologe gleichermaßen auszeichnet: Die Figur, die sie hält, ist unsympathisch und trägt eine an vielen Stellen politisch inkorrekte Meinung vor, die förmlich zum Widerspruch herausfordert. Nicht umsonst verweist der Autor in seinem Vorwort darauf, dass etliche Passagen womöglich „shitstormerweckend“ seien (vgl. S. 7). Wobei man natürlich im Hinterkopf behalten muss, dass man bei der Lektüre klar zwischen fiktiver Figur und Autor trennen sollte. Der Autor versetzt sich ja nur in die Gedankenwelt seiner Figur hinein. Es ist nicht seine eigene Meinung, die er dort äußert.

 

Aber dennoch ist die Lektüre eine Herausforderung. Die vom Trainer geäußerte Weltanschauung ist für einen empathischen, aufgeklärten und toleranten Leser sicherlich befremdlich. Der Inhalt bewegt sich auf „Stammtischniveau“. Es wird verallgemeinert, pauschalisiert und gewettert. Sachverhalte werden simplifiziert oder in nicht korrekten Zusammenhängen wiedergegeben. Der Leser wird direkt angesprochen. Die Gedankenführung ist sprunghaft, der Erzählton ist leidenschaftlich und emotional. Alltagsrassismus und Frauenfeindlichkeit treten zutage. Und natürlich bekommen die fußballerischen Rivalen „ihr Fett weg“, sei es Holland, sei es England, sei es Italien. Die typischen Klischees werden vorgeführt. Und das WM-Finale von 1974 wird auch einmal mit der Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg verglichen. Besonders brisant ist die Stelle, an der der Trainer ein Verbrechen relativiert. Für mich wird die Grenze des guten Geschmacks tatsächlich an einigen Stellen verletzt (besonders an einer ganz bestimmten Stelle im Monolog „Schiedsrichter Fertig“).

 

Jetzt könnte man sich natürlich die Frage stellen, darf Literatur so etwas? Brussig formuliert dazu im Vorwort seine eigene Position: „Die Literatur war ganz nebenbei immer ein Archiv sowohl von Irrtümern und Dummheiten wie auch von Machtverhältnissen, und wer ihr diese Eigenschaft rauben will, der liebt sie nicht.“ Ganz so weit würde ich nicht gehen. Für mich sollte Literatur den Anspruch erheben, die Wirklichkeit abzubilden. Und zu dieser Realität gehören nun auch einmal Menschen mit einer kruden Weltanschauung. An dieser darf man sich ja dann auch reiben, ihr widersprechen, sie verurteilen. Natürlich kann man sich dann fragen, ob die Figur des Schiedsrichters nicht überzeichnet ist. Ist sie noch lebensecht? Ist die fiktive Weltanschauung nicht doch zu übertrieben dargestellt worden? Aber auch darüber kann man ja wunderbar diskutieren. Und das macht Literatur doch aus, oder nicht? Natürlich könnte man auch die Meinung vertreten, dass Brussig einfach nur provozieren will, damit ihm Aufmerksamkeit zuteil wird. Wer weiß das schon. Aber das will ich ihm hier nicht unterstellen.

 

Fazit

Drei Monologe, die den Leser bei der Lektüre zum Widerspruch herausfordern. Der Autor kann sich gut in die Gedankenwelt eines „Wendeverlierers“ und „Wutbürgers“ hineinversetzen. Folgende Fragen kann man sich nach Abschluss der Lektüre stellen: Ist die Schiedsrichterfigur überzeichnet? Ist die dargestellte Weltanschauung übertrieben oder lebensecht? Ist es erlaubt, Literatur zum Zweck der Provokation so zu instrumentalisieren? Darauf muss jeder Leser selbst eine Antwort finden. Für mich ist die Grenze des guten Geschmacks an einigen Stellen doch zu sehr verletzt worden.

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