Literatur als Provokation
Der Autor Thomas Brussig dürfte den meisten durch sein Buch „Am
kürzeren Ende der Sonnenallee“ bekannt sein. Wer die Presse verfolgt hat, hat
bestimmt auch mitbekommen, dass er sich im Streit vom S.Fischer-Verlag getrennt
hat und in der Süddeutschen Zeitung 2021 als Gastautor einen kontrovers
rezipierten Artikel mit dem Titel „Mehr Diktatur wagen“ veröffentlicht hat. Er
ist also ein streitbarer Autor. Das neueste Werk von ihm, das ich besprechen
möchte, trägt den Titel „Mats Hummels auf Parship“ und fordert den Leser
heraus.
Es handelt sich um drei Monologe eines Fußballtrainers, die ich mir
sehr gut auf der Bühne vorstellen kann. Bei dem ersten Monolog „Leben bis
Männer“ handelt es sich um den Original-Monolog aus dem Jahr 2000, der mehr als
hundert Mal in verschiedenen Theatern in Deutschland gespielt worden ist. Der
zweite Monolog „Mats Hummels auf Parship“ ist dann eine aktualisierte Fassung
aus dem Jahr 2022, in dem dann neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B.
die Corona-Krise thematisiert werden. Er ist deutlich gekürzt worden. Aus dem
Typ „Wendeverlierer“ ist im zweiten Monolog ein „Wutbürger“ und Impfgegner geworden
(vgl. dazu das Vorwort des Autors, S. 6). Der dritte und letzte Monolog trägt
den Titel „Schiedsrichter Fertig“. Darin wird dann u.a. über die
Herausforderungen des Schiedsrichterdaseins schwadroniert. Auch über das
Phänomen der Fehlentscheidung wird treffend philosophiert.
Was alle Monologe gleichermaßen auszeichnet: Die Figur, die sie hält,
ist unsympathisch und trägt eine an vielen Stellen politisch inkorrekte Meinung
vor, die förmlich zum Widerspruch herausfordert. Nicht umsonst verweist der
Autor in seinem Vorwort darauf, dass etliche Passagen womöglich „shitstormerweckend“
seien (vgl. S. 7). Wobei man natürlich im Hinterkopf behalten muss, dass man
bei der Lektüre klar zwischen fiktiver Figur und Autor trennen sollte. Der
Autor versetzt sich ja nur in die Gedankenwelt seiner Figur hinein. Es ist nicht
seine eigene Meinung, die er dort äußert.
Aber dennoch ist die Lektüre eine Herausforderung. Die vom Trainer
geäußerte Weltanschauung ist für einen empathischen, aufgeklärten und
toleranten Leser sicherlich befremdlich. Der Inhalt bewegt sich auf „Stammtischniveau“.
Es wird verallgemeinert, pauschalisiert und gewettert. Sachverhalte werden
simplifiziert oder in nicht korrekten Zusammenhängen wiedergegeben. Der Leser
wird direkt angesprochen. Die Gedankenführung ist sprunghaft, der Erzählton ist
leidenschaftlich und emotional. Alltagsrassismus und Frauenfeindlichkeit treten
zutage. Und natürlich bekommen die fußballerischen Rivalen „ihr Fett weg“, sei
es Holland, sei es England, sei es Italien. Die typischen Klischees werden
vorgeführt. Und das WM-Finale von 1974 wird auch einmal mit der Kriegsführung
im Zweiten Weltkrieg verglichen. Besonders brisant ist die Stelle, an der der
Trainer ein Verbrechen relativiert. Für mich wird die Grenze des guten
Geschmacks tatsächlich an einigen Stellen verletzt (besonders an einer ganz
bestimmten Stelle im Monolog „Schiedsrichter Fertig“).
Jetzt könnte man sich natürlich die Frage stellen, darf Literatur so
etwas? Brussig formuliert dazu im Vorwort seine eigene Position: „Die Literatur
war ganz nebenbei immer ein Archiv sowohl von Irrtümern und Dummheiten wie auch
von Machtverhältnissen, und wer ihr diese Eigenschaft rauben will, der liebt
sie nicht.“ Ganz so weit würde ich nicht gehen. Für mich sollte Literatur den
Anspruch erheben, die Wirklichkeit abzubilden. Und zu dieser Realität gehören
nun auch einmal Menschen mit einer kruden Weltanschauung. An dieser darf man
sich ja dann auch reiben, ihr widersprechen, sie verurteilen. Natürlich kann
man sich dann fragen, ob die Figur des Schiedsrichters nicht überzeichnet ist.
Ist sie noch lebensecht? Ist die fiktive Weltanschauung nicht doch zu
übertrieben dargestellt worden? Aber auch darüber kann man ja wunderbar
diskutieren. Und das macht Literatur doch aus, oder nicht? Natürlich könnte man
auch die Meinung vertreten, dass Brussig einfach nur provozieren will, damit ihm
Aufmerksamkeit zuteil wird. Wer weiß das schon. Aber das will ich ihm hier nicht
unterstellen.
Fazit:
Drei Monologe, die den Leser bei der Lektüre zum Widerspruch
herausfordern. Der Autor kann sich gut in die Gedankenwelt eines „Wendeverlierers“
und „Wutbürgers“ hineinversetzen. Folgende Fragen kann man sich nach Abschluss
der Lektüre stellen: Ist die Schiedsrichterfigur überzeichnet? Ist die
dargestellte Weltanschauung übertrieben oder lebensecht? Ist es erlaubt, Literatur
zum Zweck der Provokation so zu instrumentalisieren? Darauf muss jeder Leser
selbst eine Antwort finden. Für mich ist die Grenze des guten Geschmacks an
einigen Stellen doch zu sehr verletzt worden.
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