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Samstag, 12. November 2022

Ulich, Andreas - Die Crew. Rückkehr zum 9. Planeten



3 von 5 Sternen


Ein Instrument zur Förderung der Leseflüssigkeit?

Das Jugendbuch „Die Crew. Die Rückkehr zum 9. Planeten“ von Andreas Ulich aus dem Kosmos-Verlag weist ein innovatives und kreatives Konzept auf. Man wird als Leser interaktiv in die Handlung mit einbezogen und trifft während der Lektüre Entscheidungen. Abhängig von der Wahl der Antwort entwickelt sich der Inhalt dann in unterschiedliche Richtungen. Man erhält beim Kauf dieses Werks zwei Bände. In Band 1 berichtet Cim die Ereignisse, in Band 2 erzählt Prosper Alan, was um ihn herum passiert. Ein- und dieselbe Situation wird so aus unterschiedlichen Perspektiven veranschaulicht. Und als ob das noch nicht genug wäre, kann man diese beiden Bände sogar zusammen im Wechsel zu zweit lesen. Man muss dann nur im Vorfeld festlegen, wer welche Rolle übernimmt. Wer jetzt glaubt, das funktioniert doch im Leben nicht, der irrt sich. Es klappt! Ich habe es ausprobiert, allerdings nur für die Perspektive von Prosper Alan, den zweiten Kommandanten. Für die Lektüre und inhaltliche Überprüfung des zweiten Bands habe ich bereits mehrere Stunden benötigt. Und ich ziehe meinen Hut vor dem Autor, der ein solch komplexes Werk generiert hat. Das muss unglaublich viel Arbeit gewesen sein. Und selbst den Überblick über die Handlung zu behalten und an den passenden Stellen Entscheidungsfragen zu integrieren, das muss herausfordernd gewesen sein. Es erfordert höchste Konzentration. Noch dazu die passende inhaltliche Abstimmung der zwei Perspektiven aufeinander. Großartige Leistung! Beachtlich!

 

Und wer jetzt glaubt, er könnte überfordert werden, den kann ich beruhigen. Als Einführung in dieses Werk gibt es sehr nachvollziehbare Ausführungen zum Konzept und zur Herangehensweise. Es ist also absolut durchdacht, was uns die Macher von „Die Crew“ hier präsentieren. Trotzdem möchte ich am Ende der Rezension noch einige Verbesserungsvorschläge machen. Doch erst einmal noch zum Positiven: Die Stärke dieses Werks ist in meinen Augen ganz klar das zugrundeliegende Konzept. V.a. die Idee des Partnerlesens fand ich interessant. Ich könnte mir z.B. auch einen Einsatz in der Schule vorstellen, und zwar am besten für leseschwache Leser:innen, die noch Schwierigkeiten mit dem flüssigen Vorlesen haben. So könnten zwei unterschiedlich lernstarke Leser:innen jeweils einen Part übernehmen und sich mit Hilfe eines Feedback-Bogens gegenseitig Rückmeldung zum Vorgelesenen geben. Im Internet findet man dazu auch genügend Anregungen, wie so etwas aussehen könnte (Stichwort: Lautlese-Training). Einen Versuch ist es wert. So würde beiläufig auch das gegenseitige Zuhören noch gefördert sowie der Mut, im Beisein eines Partners laut vorzulesen. V.a. für wenig selbstbewusste Leser könnte ein solches Training eine gute Hilfe sein. Das Thema könnte auch gerade für Jungen interessant sein.

 

Nun zu meinen Verbesserungsvorschlägen: Für die Lektüre von Band 2 habe ich mehrere Stunden benötigt. Irgendwann habe ich einen Stift zur Hand genommen, um die verschiedenen Lösungswege nachvollziehen zu können. Denn trifft man an bestimmten Stellen die falsche Entscheidung, so dreht man sich auch einmal im Kreis bei seiner Lektüre, und das mehrfach. Das fördert zwar einerseits die Frustrationstoleranz, verdirbt den Lesern aber auch ein wenig den Spaß. Zettel und Stift schaffen hier Abhilfe. Oder eine andere Möglichkeit: Im Anhang gibt es eine idealtypische Musterlösung in Form eines Pfeildiagramms. So hätte man eine Orientierungsmöglichkeit. Was mir noch bei der Lektüre aufgefallen ist: Der Start ins Buch verläuft etwas schleppend. Zu Beginn bin ich oft nicht über den Mars hinweggekommen. Es gibt eine Art „Nadelöhr“ am Anfang, das man erfolgreich durchlaufen muss. Danach wird’s besser und variantenreicher. Ich habe mich gefragt, ob eine solche „Engstelle“ zum Einstieg ins Buch nötig ist. Mich hat es schon etwas frustriert, immer wieder das Gleiche lesen zu müssen, und nur mit Hilfe von Zettel und Stift den richtigen Lösungsweg herauszufinden. Darüber hinaus ist mir aufgefallen, dass es punktuell auch nur recht kurze Umwege sind, die man einschlägt, um dann doch an der gleichen Stelle wieder herauszukommen. Das war dann etwas ernüchternd. Weiterhin gibt es einige Schlüsselstellen, an denen die Fäden wieder zusammenlaufen (z.B. P137 oder P118). Diese könnten doch im Anhang anhand eines Pfeildiagramms schön verdeutlicht werden. Gelungen fand ich es, wenn bei einem vorzeitigen Missionsende verschiedene mögliche Startpunkte zum Wiedereinstieg vorgeschlagen wurden (vgl. z.B. P80). So sollte es konsequent durchgehalten werden, wenn ein vorzeitiges Missionsende eintritt. Und abschließend muss ich doch noch eine etwas steile These in den Raum stellen, die jeder für sich beantworten muss: Verliert der Inhalt des Werks nicht zu sehr an Bedeutung, wenn man in erster Linie darauf achtet, den richtigen Weg zu suchen? Mir ging es so, aber das kann anderen Lesern, die gerne knobeln, ganz anders ergehen. Auch sollten die Entscheidungsfragen „echte“ Entscheidungen abverlangen. Wer würde z.B. ein Telefonat mit der eigenen Mutter ablehnen oder eine Rettungsmission verweigern? Wohl niemand, nehme ich an.

 

Fazit

Ein Jugendbuch mit einem innovativen Konzept, das auf vielfältige Weise eingesetzt werden kann. Man kann es alleine oder auch zu zweit lesen. Denkbar ist sogar ein Einsatz als Instrument zur Leseflüssigkeitsförderung im Sinne des kooperativen Lernens. Die Leistung des Autors ein solch durchdachtes und komplexes Buch zu erstellen, ist beachtlich und verdient höchste Anerkennung. Dennoch gebe ich einiges zu bedenken und habe einige Verbesserungsvorschläge. Ich vergebe 3 Sterne, vor allem weil mir das Knobeln mit Zettel und Stift zu sehr auf Kosten des Inhalts ging. Deshalb abschließend noch eine Anregung an den Kosmos-Verlag: Könnte das Konzept nicht auch für Sachbücher geeignet sein? Könnte man ein Oberthema nicht in verschiedene Unterthemen aufteilen und je nach Interesse Wahlmöglichkeiten fürs Weiterlesen eröffnen? Auch das wäre als kooperatives Lesen möglich, ggf. sogar mit inhaltlichen Fragen zur Nachbereitung im Sinne eines Leserkompetenz-Trainings.  

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