„United we stand“
Ruth Ware hat in ihren unblutigen, psychologischen Thrillern eine
Vorliebe für abgelegene, von der Außenwelt abgeschnittene Handlungsorte,
erzeugt oft eine unheimliche Atmosphäre und legt Wert auf eine gut durchdachte
Figurenkonstellation mit stimmigen Charakteren (vgl. frühere Rezensionen zu „Im
dunklen, dunklen Wald“, „Woman in cabin 10“, „Der Tod der Mrs. Westaway“). Diese
Elemente findet man auch in ihrem Thriller „Wie tief ist deine Schuld“ wieder,
der dieses Mal in einer alten Mühle spielt. Und er startet sofort packend. Man
möchte wissen, was für ein Geheimnis aus der Vergangenheit die vier Freundinnen
bewahren und was es mit dem sogenannten „Lügenspiel“ auf sich hat.
Es entsteht sofort eine Sogwirkung. Nach und nach werden die
verschiedenen Figuren eingeführt. Erst trifft Isa bei Kate in der alten Mühle
ein, dann Fatima und zum Schluss noch Thea. Und man fragt sich direkt, warum
Kate noch in dieser alten Mühle wohnt und was es mit ihrem Vater auf sich hat. Irgendetwas
ist in der Vergangenheit passiert, dass die Mädchen für sich behalten wollen. Nach
und nach wird dieses Rätsel dann aufgelöst, ohne dass man zu sehr „auf die
Folter gespannt“ wird. Das hat mir gefallen. Immer wieder werden Andeutungen in die
Handlung eingeflochten, die die Neugier der Leser hochhalten und Spannung erzeugen.
In eingeschobenen Rückblicken erfahren wir auch noch mehr über die
Vergangenheit der vier Freundinnen und über ihr Leben im Internat. Wir lernen
sie als 15-jährigen Schülerinnen kennen, die schon am ersten Tag Freundschaft
schließen. Kurzum: Die Darstellung der Beziehungsverhältnisse der vier Protagonistinnen
ist gelungen. In dieser Hinsicht ist auf Ruth Ware einfach Verlass.
Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Isa. Sie nimmt in der
Geschichte den meisten Raum ein. Ruth Ware verzichtet leider darauf,
mehrperspektivisch zu erzählen. Das finde ich etwas schade, denn durch
verschiedene Blickwinkel hätte man noch mehr Spannung erzeugen können. Stattdessen
wird die Handlung geradlinig aus nur einer Perspektive erzählt, nur von den
eingeschobenen Rückblicken unterbrochen. Dabei tauchen wir tief ein in die
Gedankenwelt von Isa. Weitere „Würze“ erhält die Handlung aber dadurch, dass es
einen Mitwisser zu geben scheint. Wir wissen als Leser aber nicht, wer das ist
und was genau er weiß. Das erzeugt ebenfalls Spannung und ist gut arrangiert!
Umrahmt wird die Handlung von teils idyllischen, teils gruseligen
Landschaftsbeschreibungen und einer authentischen Darstellung der Atmosphäre
und des Alltags im Internat. Auch das Dorfleben mit seinem Klatsch und Tratsch
wird gut eingefangen. Das einzige, was ich etwas vermisst habe, ist die Einbindung
der Polizeiarbeit. Die Autorin hat (bewusst?) darauf verzichtet, Ermittlungsarbeit
oder Zeugenvernehmung mit in die Handlung zu integrieren. Der Fokus liegt
stattdessen fiel mehr auf der psychologischen Ebene. Hier ist vor allem die Darlegung
des emotionalen Zustands von Isa gelungen. Vor allem ihre Angst und ihre Anspannung
kommen gut zum Ausdruck. Eine Rückkehr in ein normales Leben scheint für sie
nicht mehr möglich. Die Unehrlichkeit und Lüge belasten sie. Das Misstrauen
zwischen den Freundinnen wird im Laufe der Handlung zunehmend größer. Sehr
spannend!
Abschließend noch ein paar Worte zum Ende: Dieses ist überraschend,
wendungsreich und auch schlüssig. Wirklich gelungen! Von allen Ruth Ware
Büchern, die ich bisher gelesen habe (s. Einleitung oben) gefiel mir die
Auflösung dieses Thrillers mit am besten.
Fazit: Ein typischer Ruth Ware Thriller, der mir gut gefallen hat:
unblutig, mit psychologischer Tiefe, stimmige Figuren, gut ausgearbeitete
Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren, ein spannender Handlungsort, eine unheimliche
Atmosphäre. Lediglich Tempo und Spannung hätten nach meinem Geschmack noch
etwas höher ausfallen können. Einige Längen gab es zwischendurch dann doch. Ich
vergebe 4 Sterne.
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